Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

4

Vorwort

„Identitätspolitiken“ waren einmal ein wichtiges Instrument für die Kritik von Strukturen der Exklusion. Heute sind die „Identity Politics“ indes zu einem stark umstrittenen Begriff geworden. Und doch nehmen wir ihn hier als Thema unserer Septemberausgabe. Während das Problem der Identität in dieser Zeitschrift seit ihrer Gründung im Jahr 1990 thematisiert wurde, hat sich die Debatte über den Begriff intensiviert und haben sich neue Frontlinien etabliert (in den USA nicht zuletzt seit der Wahl von Trump).

Zu den wichtigsten Veränderungen, die wir feststellen, zählt die Art und Weise, wie identitätspolitische Forderungen heute artikuliert werden. Ging es früher darum, sich mit seiner Community zu verbinden, um etwa als Gruppe Schwarzer amerikanischer Autorinnen oder queerer Performancekünstler Sichtbarkeit zu erlangen, geht die Tendenz dahin, dass man seine Zugehörigkeit zu verschiedenen nichtdominanten Gruppen darauf verwendet, individuell sichtbarer aus der Masse herauszuragen (als Beispiel hierfür kann der rechtspopulistische britische Journalist Milo Yiannopoulos gelten, der seine Identität als schwul benutzt, um seine Aussagen zu legitimieren). In dieser Ausgabe von Texte zur Kunst untersuchen wir, wie es zu dieser Verschiebung kam.

Die Kommodifizierung von Identität in der Massenkultur (wie im Kunstmarkt) sehen wir als eine herausragende Ursache dafür. Eine historische Herleitung der Identitätspolitik kommt in diesem Zusammenhang von Coco Fusco, die auf ihre persönliche Geschichte seit den 1980er Jahren mit der Entwicklung dieser Debatte, zurückblickt. Sie differenziert zwischen heutigen Identitätsansprüchen und denen aus früheren Jahrzehnten, indem sie herausarbeitet, dass es heute vornehmlich darum geht, existierende Strukturen zu stabilisieren. Das Bestreben, diese aufzubrechen, ist in den Hintergrund getreten. Fusco macht eine weitere Verschiebung in unserem Verständnis von „Identitätspolitiken“ aus: Heute sind es Individuen – und nicht Gemeinschaften oder Systeme, durch die Individuen bestimmt werden –, an denen man Verantwortung ablädt oder Erfolg festmacht.

Eine Möglichkeit zu erklären, womit der Begriff „Identitätspolitik“ inzwischen aufgeladen ist, bietet die Analyse von Singularisierung, die man, so der Kultursoziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten: Zum Strukturwandel der Moderne“, mit der paradoxen Formel einer performativen Authentizität beschreiben kann. Subjekte, so führt er aus, konnten früher ihre Einzigartigkeit demonstrieren, indem sie sich an uniformierten Standards maßen. Heute erwartet man Einzigartigkeit in Form von Abweichungen von der Norm. Das solchermaßen individuierte Subjekt teilt heute viele Eigenschaften mit der klassischen Künstlerfigur, deren Wert seit Langem untrennbar mit ihrem persönlichen Profil verbunden ist. Tatsächlich ist es in Kunstkritik und Kunstgeschichte durchaus üblich, von der Identität auf die Arbeit des Künstlers/der Künstlerin zu schließen. Umgekehrt wird auch im künstlerischen Material selbst nach den spezifischen Erfahrungen des Produzenten/der Produzentin gesucht. Dabei gibt es auch andere Weisen, das Künstlersubjekt und verschiedene Lesarten seiner Kunst in Korrelation zu bringen. Die amerikanische Philosophin Monique Roelofs nahm ihre auf der Documenta 14 gewonnenen Eindrücke als Grundlage für ihr Argument, dass Ästhetik wie auch formale Entscheidungen selbst als strukturell intersektional aufgefasst werden müssen. So lassen sich nicht nur verschiedene Positionen und Zuschreibungen reflektieren, sondern auch, wie diese selbst miteinander verschränkt wirken.

Intersektionalität als kritische Strategie, die Kategorien von Differenz und Identität als dynamisch und miteinander verknüpft versteht und die Faktoren der Unterdrückung (z. B. Rassismus, Geschlechterdiskriminierung, Klasse) als ineinandergreifend, hilft uns, komplexe Identitäten zu verstehen. Aber wir müssen auch, wie Sarah Schulman erläutert, den systemischen Kräften Rechnung tragen, durch die Identitäten geformt werden. Dabei bildet das Kurzschließen von Identitäten und strukturellen Kräften, die sie hervorbringen, eine der Hauptursachen sozialer Ungleichheit, so Schulman. In einem Gespräch mit den beiden Texte zur Kunst -Redakteurinnen Caroline Busta und Anke Dyes spricht die Autorin von „Conflict is Not Abuse: Overstating Harm, Community Responsibility, and the Duty of Repair“ von dem inzwischen weitverbreiteten Glauben, dass es immer vor allem Individuen und nicht Systeme wie Patriarchat, Rassismus oder Armut sind, die an etwas schuld sind. Durch diese Dynamik gewöhnen wir uns daran, einzelne Täter zu identifizieren, wo es eigentlich um strukturelle Ursachen gehen müsste. Vor allem aber entstehe so ein Zwang, um jeden Preis Verantwortung von sich abzuwälzen, und zwar auf staatliche Institutionen, die selbst zunehmend auf dem Täter-Opfer-Modell individueller Schuld aufbauen.

Unter diesen Rahmenbedingungen wird Identität zu einem Alibi. Sie legitimiert die Berechtigung zu einer bestimmten Handlung (für mich gilt Regel x nicht, weil ich x bin) oder sie erlaubt, die Handlungen von anderen zu zensieren (dir fehlt in Hinsicht auf Körper, Ethnie oder Klasse Identität x, deswegen bist du nicht berechtigt, x zu sagen). Exemplarisch für diese Bedingungen ist die Kontroverse, die sich um das Buch „Beißreflexe“ entwickelte. Die Publikation gibt an, das disruptive Moment von queeren Positionen sei zum Selbstzweck geworden und behindere so Kritik eher, als dass es sie möglich mache. Bedauerlicherweise ist das Buch selbst sehr polemisch, sodass es seine eigenen Absichten torpediert und damit nicht zuletzt konservativen Gegnern des Queeraktivismus in die Hände spielt. Es erschien in diesem Jahr – so Politikwissenschaftler Floris Biskamp – als falsches Buch zur richtigen Zeit.

Wie aber könnte eine gelungene innerlinke Kritik aussehen oder auch ein Erfolg der Linken? Diese Frage stellt Bini Adamczak, Verfasserin von „Kommunismus: kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird“ (2017). Im Gespräch führt sie aus, wie die Linke zwar Mehrheit anstrebt, sich aber auch vor Zustimmung als möglichem Ausverkauf fürchtet und warum sie Kritik lieber ohne Identität diskutiert. Letztere, so Adamczak, ist an Konstruktionen von Geschlecht, Staat oder Familie geknüpft und sollte − wie das Gewinnen − ins Verhältnis gesetzt werden.

Caroline Busta, Anke Dyes

Übersetzung: Bert Rebhandl