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Kathy kommt wieder Vojin Sasa Vukadinovic über Chris Kraus' "After Kathy Acker. A Biography"

Kaucyila Brooke, „Untitled #94“, 1998–2004

Regelbrüche im Schreiben und im Privatleben und vor allem die vermeintliche Vermischung von beidem ziehen sich durch das Werk dieser Autorinnen: Chris Kraus, deren Romane „Torpor“ und „I Love Dick“ sich mittlerweile auch in Deutschland großer Bekanntheit erfreuen, hat die erste autorisierte Biografie der Schriftstellerin Kathy Acker (1947–1997) vorgelegt.

Sie erinnert damit an ein Werk, dessen Einfluss auf viele nachfolgende Autorinnen und Künstlerinnen nie in Frage stand, das jedoch in der Zwischenzeit – zumal im deutschsprachigen Raum – fast in Vergessenheit geraten war.

Der erste, 1968 verfasste literarische Text von Kathy Acker war ein mit „Politics“ betiteltes Prosastück, das so abrupt endete, wie es Entschiedenheit reklamierte: „I’m sick of fucking not knowing who I am.“ [1] Fünf Jahre nach dieser enervierten Ansage, in ihrem Romandebüt „The Childlike Life of the Black Tarantula“, legte die werdende Schriftstellerin dann einer Figur folgende, schon an persönlicher Gewissheit geschulte Sätze in den Mund: „All I have left is my writing. That’s the only stability I have ever known.“[2] Solche Zeilen, die stets von einem erzählenden, exaltierten „Ich“ her strahlten, luden dazu ein, als autobiografische Bekundungen missverstanden zu werden; Romantitel wie „Kathy goes to Haiti“ taten das Übrige, um falsche Fährten auszulegen. [3] Dabei schickte all dies bloß voraus, was das knapp drei Jahrzehnte umspannende Werk der US-amerikanischen Autorin stringent durchziehen würde: die unentwegte Vermischung von Mythen und Fabulation, von umgearbeiteten Passagen aus den Werken anderer Autoren und Autorinnen aus der Trivialliteratur, von experimentellen und autobiografischen Einsprengseln, die allesamt in der ersten Person Singular vorgetragen und deswegen oftmals als unmittelbarer Ausdruck persönlicher Erfahrung gedeutet wurden. „Ich wollte die Verwendung des Wortes Ich erforschen“, stellte Kathy Acker einmal im Gespräch mit Sylvère Lotringer klar: „Es war ein zunächst sehr naives Experiment, ein Experiment mit Identität vermittels der Sprache. So habe ich angefangen.“[4] In den 1980er Jahren kulminierte dieses Erproben in Romanen wie „Blood and Guts in High School“, „Great Expectations“ oder „Empire of the Senseless“, die seither zu informellen Klassikern avanciert sind. Und im Mythos Acker: der aus dem New Yorker Underground emporgeklommenen Literatin, die in Gestalt der singulären Post-Punk-Autorin die Grenzen des Sagbaren herausforderte. Sie sei sich sicher gewesen, dass Kunst in der Lage sei, das unter der Bedeutungslosigkeit des modernen Alltags verschüttete Begehren nach etwas radikal Anderem zu wecken, lobt Jeanette Winterson an ihrer verstorbenen Kollegin: Aus Müll und Abfall, der Revolte und dem Leiden habe sie ein ritterliches Werkzeug geschmiedet, welches das Leben von seinen Fesseln befreien sollte. [5] Kathy Acker machte Ernst mit Transgression.

Ihr früher Tod 1997 setzte dem Werk ein jähes Ende; besagter Mythos, der sich aus Myriaden an Anekdoten aus diversen Kunst-, Literatur- und Musikszenen in New York, San Francisco und London zusammensetzte, hat sich seither vor dieses geschoben. Den schwindenden Trennschärfen zwischen literarischer Arbeit und schriftstellerischer Selbstinszenierung zum Trotz blieb zwar das Wissen um den enormen Einfluss, welchen das Acker’sche Œuvre ausübte, das auf solch unterschiedliche Areale wie Punk und Dekonstruktivismus gleichermaßen zurückgewirkt hatte. Über die Autorin hingegen, die Zeit ihres Lebens sehr viele Geschichten über sich in Umlauf gebracht hatte, war nur wenig gesichert.

Chris Kraus hat nun die erste autorisierte Darstellung von Ackers Leben vorgelegt. Die Literatin ist Zeitgenossin wie Kollegin der Porträtierten gewesen. Gleich eingangs betont sie, dass es sich bei „After Kathy Acker“ um eine Biografie handeln könnte – vielleicht aber auch nicht. [6] Diese Unentschiedenheit ist Programm. Wie es sich für das Schreiben von Lebensgeschichten gebührt, räumt Kraus hier mit so manchen Legenden auf, die Acker selbst gestreut hatte: beispielsweise mit der Behauptung, bei Herbert Marcuse studiert zu haben. Gleichwohl gesteht die Schriftstellerin, die für eine Biografie eigentlich nötige Distanz nicht aufzubringen, denn Acker und Kraus kannten sich: Erstere hat bei Semiotext(e) veröffentlicht, jenem Verlag, den Letztere bis heute co-leitet. Arbeiten beider Autorinnen sind dort erschienen; beide sind mit Beiträgen im hauseigenen Reader „Hatred of Capitalism“ vertreten, dessen Rückseite ein typisch Acker’scher Ausspruch ziert: „The sand in Algeria is pink/Life in this America stinks.“[7] Zum anderen waren Acker wie Kraus zu unterschiedlichen Zeitpunkten Partnerinnen von Semiotext(e)-Gründer Sylvère Lotringer. Die Biografie mag dies nicht preisgeben, der vertraute Leser ist dennoch im Bilde. Denn in Ackers vorletztem Roman, „My Mother: Demonology“ von 1993, hat Lotringer einen Auftritt als „Bourénine“ – mitsamt damaliger Ehefrau. [8] Deren Name fällt zwar nicht, dafür gab Acker jedoch ihre Reaktion auf die Zusammenkunft zu dritt wieder. Details finden sich außerdem bei Eileen Myles, die in „Inferno“ bekundet, dass Acker nicht nur furchteinflößend und Kraus von dieser besessen gewesen sei, sondern Letztere gar wie Erstere hätte sein wollen. [9]

Die Faszination merkt man „After Kathy Acker“ an. Dieser und den gekreuzten Lebenswegen zum Trotz, vermag es die Biografin jedoch, das Werden der Porträtierten darzulegen, mitsamt den zugehörigen Anstrengungen, Über- und Verwerfungen, die ihren Leistungen zugehörten. Obschon die Zahl der Kolleginnen, die in den 1970er und 1980er Jahren mit Experimentellem befasst waren, nicht gering war, wird Acker als erste Schriftstellerin ausgewiesen, die den ikonischen Status der großen Autorin als gegenkulturelle Heldin für sich reklamieren konnte. [10] Alle anderen kamen nach ihr; deswegen der Titel des Porträts. Ebenjene Unbestimmtheit, ob es sich nun um eine Biografie oder nicht handelt, wird in Kraus’ kritischer Wertschätzung allerdings zugespitzt: Ackers Schreiben habe sich dadurch ausgezeichnet, dass sie ihre eigenen Erinnerungen, Träume usw. so lange bearbeitet habe – das heißt überschrieben, modifiziert, weitergesponnen –, bis diese „conduits to something a-personal“ und schließlich selbst zum Mythos geworden seien. [11] Kraus möchte nun genau darin sowohl die Stärke wie die Schwäche von Ackers Gesamtwerk ausgemacht haben: die Stärke, weil die studierte klassische Philologin Acker zweifellos um die Macht von Mythen wusste; die Schwäche jedoch, weil in den Romanen selbst Erlebtes so lange durch- und umgearbeitet wurde, bis zwar etwas literarisch absolut Neues entstanden war, das Schreiben aber von der eigenen Erfahrung abhängig wurde. Diese doppelte Unentschiedenheit – ob nun Biografie oder nicht; ob Stärke oder Schwäche der Narration – lässt sich allerdings auch Kraus vorhalten: Ihre Darstellung Ackers bleibt ambivalent.

Kathy Acker, Foto: Mark Baker

Vor Kraus hat sich bereits Avital Ronell der Herausforderung gestellt, an Acker zu erinnern – mit einem Aufsatz, der explizit für eine verstorbene Freundin verfasst worden ist und den allusiv-morbiden Titel „Kathy goes to Hell“ trägt. [12] Darin hebt Ronell hervor, dass Acker null Toleranz gegenüber den anmaßenden Bewertungen praktiziert habe, die sich aus den Regis­tern von Familie, Religion und Staat ableiteten. [13] Einer der negativen Effekte dieser Haltung Ackers sei aber gewesen, dass sich die Schriftstellerin mit jeder und jedem angelegt habe. Kraus wiederum zeichnet gegenläufig das Bild eines Individuums, dessen Verhalten mit „anstrengend“ adäquat umschrieben wäre, und scheut sich nicht, zum Beleg selbst einstige Mitschüler/innen der unkonventionellen New Yorker Teenagerin zu Wort kommen zu lassen. Das vermittelt bei der Lektüre bisweilen den unangenehmen Eindruck, als sei nicht etwa das Schreiben, sondern die schwierige Persönlichkeit die biografische Konstante in Ackers Leben gewesen. Es lohnt sich deshalb, Ronells Darstellung heranzuziehen, da diese trotz Anerkennung einer entsprechenden Problematik vor allem eine komplizierte Freundschaft zu betrauern versucht und dabei die politischen Konturen von Ackers alltäglichem troublemaking hervorhebt. Kraus geht dieser rebellierenden biografischen Komponente, die mehr als eine bloße Haltungsfrage war und den Weggefährtinnen unzweifelhaft Respekt wie Ausdauer abforderte, leider nicht nach – obgleich deren literarisches Pendant die unerschrockene, vereinsamte Heldin war, die durch Ackers Romane schritt. Nebst wiederkehrend auftretenden Piraten, Huren, Motorrad-Gangs und anderen Outsidern war sie der antipodische Ideenträger zu jenen zwingenden Gemeinschaften, welche die Schriftstellerin verachtete. Kraus’ Porträt widmet sich primär dem Werden einer Schriftstellerin vor dem Hintergrund diverser miteinander verzweigter Szenen, welche diese nochmals aufleben lassen. Am Ende wird Martha Rosler zitiert, die der Biografin gegenüber bekundet hat, dass sie Kathy Acker hätte sein können und Kathy Acker Martha Rosler und beide wiederum Eleanor Antin: „It’s all the same.“[14] Das ist zu bezweifeln.

An Ackers Selbstinszenierung fällt mit der Distanz von zwei Jahrzehnten auf, dass das Bild der transgressiven Schriftstellerin, das sie von sich entworfen hatte, heute nicht mehr verstören kann. Besonders der Gebrauch von Körpermodifikation, die Acker einst hoffnungsvoll mit Rebellion zu assoziieren versucht hatte, mutet jetzt hoffnungslos anachronistisch an: Bodybuilding, Tätowierungen, Piercings sowie die unentwegte Evokation des Sexuellen sind in einer Zeit, in der alles als queer rubriziert wird, ohne dies mit der Anstrengung einer herausfordernden Haltung zu verbinden, längst selbst zu normativen Zugehörigkeitscodes geronnen. Ihr Œuvre jedoch, dem es wie Punk um einen noch nicht existenten Raum ging, auch und gerade für andere, bleibt offen. In diesem Sinne ist Kraus dringend beizupflichten. Heute, das ist vor allem dies: Nach Kathy Acker.

Chris Kraus, „After Kathy Acker. A Biography“, Semiotext(e)Cambridge, Mass. 2017.

Anmerkungen

[1]Kathy Acker, „Politics“, in: dies., Hannibal Lecter, My Father, New York 1991, S. 25–35, hier: S. 35.
[2]Kathy Acker, „The Childlike Life of the Black Tarantula by the Black Tarantula“, in: dies., Portrait of an Eye. Three Novels, New York 1998, S. 190, hier: S. 41.
[3]Kathy Acker, „Kathy goes to Haiti“, in: dies., Literal Madness, New York 1989, S. 1170.
[4]Kathy Acker, „Mythen schaffen. Ein Gespräch zwischen Sylvère Lotringer und Kathy Acker“, in: dies., Ultra light – last minute – ex + pop – literatur, Berlin 1990, S. VII–XXVII, hier: S. XII.
[5]Jeanette Winterson, „Introduction“, in: Amy Scholder/Dennis Cooper (Hg.), Essential Acker. The Selected Writings of Kathy Acker, New York 2002, S. VII–X, hier: IXf.
[6]Chris Kraus, After Kathy Acker. A Biography, London 2017, S. 14.
[7]Vgl. Chris Kraus/Sylvère Lotringer (Hg.), Hatred of Capitalism. A Semiotext(e) Reader, Los Angeles/New York 2001.
[8]Chris Kraus, After Kathy Acker, a. a. O., S. 227 und S. 229.
[9]Vgl. Eileen Myles, Inferno (a poet’s novel), New York 2010, S. 144.
[10]Vgl. Chris Kraus, After Kathy Acker, a. a. O., S. 162.
[11]Ebd., S. 58.
[12]Avital Ronell, „Kathy goes to Hell: Or the irresolvable Stupidity of Acker’s Death“, in: Amy Scholder/Carla Harryman/Avital Ronell (Hg.), Lust for Live. On the Writings of Kathy Acker, London/New York 2006, S. 12–34, hier: S. 13.
[13]Ebd., S. 25.
[14]Zitiert nach Chris Kraus, After Kathy Acker, a. a. O., S. 279.