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Katharina Hausladen

Mein, Dein, Unser #MeToo-Moment Menschliche Megaphone und ihre Körper

Jenny Holzers Truism „Abuse of Power Comes As No Surprise“ lieferte das Stichwort, als im vergangenen Oktober eine Welle von Enthüllungen über die Kunst­öffentlichkeit hereinbrach und übergriffiges und sexuell belästigendes Verhalten bloßstellte. Kuratoren, Herausgeber, Galeristen und Künstler, deren Überschreitungen bis dahin stets als quasinatürliches Verhalten von Kreativen entschuldigt wurde, wurden öffentlich angeprangert. Einige mussten ihre Posten räumen.

Hier betrachtet die Wiener Kunstwissenschaft­­­­l­erin Katharina Hausladen für uns die Strukturen des misogynen Verhaltens einerseits und des Protestierens via Hashtag andererseits. Wie wirksam sind #MeToo oder #NotSurprised, um auch in der hochkompetitiven Kunstwelt solidarische Netzwerke zu stärken?

Wer auf die zahlreichen Debatten blickt, die seit der viralen Verbreitung des #MeToo-Hashtags [1] über Rape Culture, Sexismus und ­Misogynie geführt werden, wird bisweilen Zeugin einer eigentümlichen Mechanik: Freiheit und Gleichheit werden häufig gerade dort vehement behauptet, wo sie aggressiv missachtet oder bedroht sind. Ob in Talkshows, auf Twitter oder in Tageszeitungen – so hoch die Welle der Bestürzung über die Abermillionen Postings betroffener Frauen von sexualisierter Gewalt schlägt, so abgesichert ist zudem oft auch der Modus, in dem sich prominente Kunst- und Kulturarbeiterinnen über ihre Erfahrungen mit übergriffigen oder gewalttätigen Männern äußern. Schließlich sind es vor allem weiße, privilegierte Frauen des öffentlichen Lebens, die im Fokus der Aufmerksamkeit von #MeToo stehen und Unterstützung erfahren, und nicht etwa Sexarbeiterinnen oder geflüchtete Frauen; und so wird auch eher „über Filmsets, Parlamente und Großraumbüros als Tatorte gesprochen“ und nicht, wie Hannah Schultes und Bahar Sheikh in der ak kritisieren, über „Hotelzimmer, Massagesalons, Bars, illegalisierte Pflege im Privathaushalt“, also über „[d]ie vielen Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich, die mit einem recht hohen Risiko, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, einhergehen“. [2]

Besonders risikoreich sind diese Arbeitsplätze zum einen, da es großteils Frauen sind, die sich in den prekären Arbeitsverhältnissen des Niedriglohnsektors befinden. Zum andern stehen diese Arbeitsplätze häufig mit Dienstleistungen in Verbindung, die den halböffentlichen Raum betreffen und somit ein zeitweise intimes oder zumindest öffentlich nicht vollständig einsehbares Verhältnis zwischen Arbeiterin und Kunde bzw. Vorgesetztem bedingen. Die Gefahr, dass männliche Arbeit- oder Auftraggeber die ökonomische Abhängigkeit der mit ihnen in einem Arbeitsverhältnis stehenden Frauen ausnutzen, um diese sexuell zu nötigen oder zu vergewaltigen, ist unter diesen Voraussetzungen also deutlich erhöht. Aber auch die Möglichkeit der Anzeige oder des Rechtswegs im Falle einer Gewalterfahrung am Arbeitsplatz erscheint für viele Frauen dann nicht als Option, wenn dies die Kündigung des überlebensnotwendigen Jobs bedeuten würde.

Strukturen der Gewalt

Zu verurteilen, dass weniger privilegierte Frauen auch nach #MeToo nicht sichtbar sind, während die Stimmen von Frauen, die bereits vor #MeToo erhört wurden, weiterhin den öffentlichen Diskurs bestimmen, heißt freilich nicht, die Gewalterfahrungen unterrepräsentierter Frauen eher zu verurteilen als diejenigen, die weiße Frauen in Führungspositionen machen. Auch darf ein solches Urteil unter keinen Umständen den immensen Mut untergraben, den das Publikmachen der eigenen Gewalterfahrung auch privilegierten Frauen abverlangt. Das Wagnis dieses Outings auf sich zu nehmen, bedeutet ja nicht nur, die Stimme gegen eine patriarchale Autorität zu erheben und diese dadurch als machtvoll zu entlarven. Es beinhaltet vor allem auch, sich als von dieser Macht unterdrückt zu exponieren, um sie als solche allererst unterbrechen zu können. Insofern ist es mehr als begrüßenswert, dass Gewalt gegen Frauen durch #MeToo wieder ein Thema ist, das in den Mainstream-Medien verstärkt diskutiert wird – umso mehr, wenn dies, wie in einigen Fällen geschehen, die Rücktritte mächtiger gewalttätiger Männer bewirkt. Dass „Feminismus“ zudem in Amerika zum Wort des Jahres 2017 gewählt wurde, kann angesichts eines offenkundig sexistischen US-Präsidenten durchaus als symbolpolitischer Erfolg verbucht werden. Gleichwohl täuschen aber all diejenigen Medienberichte, die entweder nur die Gewalt­erfahrungen prominenter Einzelner schildern oder die unsagbar große Anzahl Betroffener als abstrakte Masse stilisieren, über die Tatsache hinweg, dass es sich bei sexualisierter Gewalt um eine in der Gesellschaft verankerte, strukturell bedingte und insofern allgemeine Form von Diskriminierung handelt – erst recht, wenn verschiedene Arten von sozialer Benachteiligung, z. B. Misogynie und prekäre Arbeitsbedingungen, einander überlagern und verstärken.

Sandy Orgel, „Linen Closet“, 1972, Teil von Womanhouse

Doch nicht nur die strukturelle Dimension von sexueller Unterdrückung bleibt in vielen der durch #MeToo angeregten Diskussionen unthematisiert. Auch beschreiben die unter #MeToo geschilderten Fälle dermaßen unterschiedliche Gewalterfahrungen (von anzüglichen Sprüchen und aufdringlichen Blicken über Kindesmissbrauch bis hin zu Gruppenvergewaltigungen), dass die unterschiedslose Zuschreibung dieser Fälle zu ein und demselben „Me“ das eigentümlich Gewaltsame jeder einzelnen dieser Erfahrungen zu entkräften droht. Tarana Burke, Gründerin der bereits 2007 ins Leben gerufenen Non-Profit-Organisation Me Too, kommentiert diese Problematik wie folgt: „[I]f you are a survivor and you’re out here saying #metoo for the first time, then what? There’s no container; there’s nothing that exists that tells you what to do outside of the hashtag alone.“ [3]

Weder ersetzt Social Media demnach Hilfsangebote, die betroffene Frauen bei der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt unterstützen können, noch schaffen Hashtags wie #IHave oder #ItWasMe, mit denen sich zudringlich oder sexuell gewalttätig gewordene Männer zu Wort melden, das strukturelle Problem von Misogynie und damit das Patriarchat aus der Welt. Denn ganz gewiss ist das Überschreiten der Grenze von Demütigung und Gewalt kein bloßer Formfehler, dessen Entschuldigung nur einmal mehr der „Himpathy“ [4] bedürfte, wie Kate Manne das notorische Mitgefühl nennt, das Männer Frauen abverlangen, um ihre eigene gesellschaftliche Vormachtstellung diesen gegenüber zu demonstrieren und zu stabilisieren. Etwa dann, wenn Frauen sich dafür verantwortlich erklären sollen, dass sie sich, wenn sie sich auf Männer einlassen, freiwillig der Gefahr aussetzen, von diesen gedemütigt oder vergewaltigt zu werden. Aber auch die grundsätzliche Loyalität mit allem, was Männer sagen, wissen oder tun, ist nach Manne Ausdruck einer sexuellen Erziehung, die – dem mansplaining darin nicht unähnlich – den männlichen Blick als dominante Perspektive akzeptiert und reproduziert.

Feine Unterschiede: Sexismus und Misogynie

Wenn hier von sexualisierter Gewalt in struktureller Hinsicht die Rede ist, muss zwischen sexistischer und misogyner Gewalt unterschieden werden. Während Sexismus diejenige Ideologie ist, die die soziale Ordnung des Patriarchats rechtfertigt, indem sie Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts bestimmte Eigenschaften zuschreibt, für die sie jene diskriminiert, bezeichnet Misogynie bzw. Frauenfeindlichkeit die materiellen Praktiken dieser Diskriminierung – beispielsweise den Gender Pay Gap oder eben: sexualisierte Gewalt. Auch bleibt Sexismus im Gegensatz zu Misogynie nicht notwendig auf Frauen beschränkt. Vielmehr ist bereits die Vorstellung, es gäbe so etwas wie ein kohärent weibliches bzw. männliches Geschlecht, eine sexistisch normative, da mit ihr ein bestimmtes „Frau“- bzw. „Mann“-Sein für gegeben genommen und dadurch handlungsbindend gesetzt wird. In diesem umfassenderen Sinne der Idee einer kohärenten und biologisch vermeintlich belegbaren Geschlechtsidentität verhält sich Sexismus zu Misogynie wie Allgemeines zu Besonderem. Umgekehrt kann Sexismus aber auch als spezifische Form von Misogynie betrachtet werden, nämlich als geschlechtsabhängige Rechtfertigung der Unterdrückung von Frauen. Wo Misogynie sexistisch ist, unterdrückt sie Frauen, indem sie diese Unterdrückung legitimiert. Wo Sexismus misogyn ist, unterdrückt er ausschließlich Frauen.

Wichtig ist diese Unterscheidung, weil sie einerseits deutlich macht, dass sexualisierte Gewalt immer unmittelbar aus Geschlechter­ungleichheiten folgt, und andererseits, dass geschlechterabhängige Unterdrückung wie z. B. die von Frauen immer bewusste wie unbewusste Anteile hat: Sie kann sich in habitualisierten Verhaltensweisen ebenso ausdrücken wie im bewussten Einsatz von Gewalt; sie findet sich in abwertenden Bezeichnungen für Frauen, in finanziellen Bevormundungen von Frauen, beim Victim Blaiming, aber auch in der idealisierenden Bewertung vermeintlicher Frauenrollen wie z. B. der Mutterrolle oder der Rolle der dämonischen Verführerin. Je nachdem, wie eingespielt solche Praktiken sind, das heißt, wie sehr juristische, kommunikative und biopolitische Infrastrukturen diese Praktiken bestätigen und aufrechterhalten (und somit sexistisch sind oder nicht), variiert auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der Selbstverständlichkeit und scheinbaren Unveränderlichkeit von misogyner bzw. homo-/transphober, rassistischer oder Arbeitskraft ausbeutender Gewalt; Und gerade weil diese Gewaltformen ökonomisch-politisch-kulturelle Konstellationen beschreiben, ist es mitunter so schwierig, sie zu durchbrechen.

Robin Weltsch, „The Kitchen“, 1972, part of Womanhouse

Dass der kollektive Widerstand gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit speziell von sexualisierter Gewalt nun auch die Kunstwelt erreicht hat, ist mehr als bemerkenswert. Denn bereits beim Blick auf das #MeToo artverwandte Hashtag #NotSurprised, für das die Arbeit „Abuse of Power Comes As No Surprise“ aus Jenny Holzers Serie „Truisms“ titelgebend war, ahnt man, dass sexualisierter Machtmissbrauch im Kunstfeld besonders ausgeprägt sein könnte. Ist nicht vielmehr der Name des Hashtags schon ein Symptom dieser Regel, so als würde man sich der scheinbaren Selbstverständlichkeit dieses Machtmissbrauchs bereits fügen? Wagen wir also eine Analyse möglicher Gründe für diesen Eindruck.

Gesetzlosigkeit der Kunst vs. künstlerische Selbstgesetzgebung

Man wünschte sich, man hätte sich verhört, als Thea Dorn auf dem ersten Höhepunkt des Hypes von #MeToo im Deutschlandfunk gestand, dass sie es während ihrer ersten Hospitanz an der Oper mit 19 Jahren „wahnsinnig schmeichelhaft“ gefunden habe, „dass dieser berühmte wichtige ältere Regisseur sich für mich offensichtlich auch erotisch interessiert“ – nicht ohne hinzuzufügen, dass Kunst ohnehin keine „Benimmschule“ sei, sondern „dem Künstler“ (sic!), so Dorn, „das Abgründige“ zugestanden werden müsse, „die Lust daran, über die Stränge massiv zu schlagen“. [5] Männliche Macht als Frage der Auslegung und „Abwehrkraft“ (Dorn) von Frauen zu verharmlosen und dieser Macht auch noch ihren rockistischen Drang nach Maßlosigkeit zuzugestehen, wenn sie nur Kunst schafft, ist ein derart antifeministischer Move , dass Frauen nur hoffen können, privilegiert genug zu sein, um tatsächlich Gehör zu finden, wenn ihnen patriarchale Gewalt widerfährt.

Dorns Aussage bringt aber noch etwas anderes zum Ausdruck: Jenes sich hartnäckig haltende Verständnis von Kunst, das den Regelbruch zum Gesetz erhebt, wonach Künstler/innen als immer schon avantgardistische Subjekte darauf abonniert sind, den normativen Rahmen einer Gesellschaft zu transzendieren. Die Theatralität von Kunst wird diesem Verständnis nach subjektivistisch an das vermeintlich unkonventionelle Handeln und Erleben von Künstlern und Künstlerinnen geknüpft. Wo aber Kunst als Außen der Gesellschaft selbst kein Außen kennt, befinden sich auch die sozialen Rollen, in denen sich Künst­ler/innen gerieren, auf der Seite eines Spiels, das von den Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft, die es zu überwinden sucht, unantastbar zu sein scheint.

Sonja Cvitkovic, Marine Drouan, Birgit Megerle, Michaela Meise und MIKO, „Kontakt Sappho“, 12 inch Duplate, 2014

Nun darf diese Auffassung von Kunst als gesetzlosem Raum nicht mit der Autonomieforderung von Kunst in eins gesetzt werden, da Autonomie – zumindest im Sinne Adornos – um die gesellschaftliche Bedingtheit von Kunst weiß, auch wenn sie diese immer wieder neu zu überwinden sucht. Urheber/in dieser Autonomie ist zudem gerade nicht ein sich mit seinem Werk verwechselndes Künstler/innensubjekt, vielmehr vermag allein das singuläre Kunstobjekt relative Autonomie herzustellen. Dies ringt aber auch dem Subjekt die Einsicht ab, kein holistisches Ganzes zu sein, sondern handelnd Allgemeinheit zu beanspruchen (für bestimmte als richtig erachtete Normen und Regeln) und also Gründe für diese Verallgemeinerung vorbringen zu müssen. Der solipsistische Glaube an die Gesetzlosigkeit von Kunst ist daher keinesfalls mit der Forderung nach künstlerischer Selbstgesetzgebung zu verwechseln – erst recht nicht, wenn die gesetzte Gesetzlosigkeit der Legitimierung von sexueller Nötigung und Gewalt dient. Wo nämlich der Regelbruch erwartbare, weil normative Instanz einer sozialen Praxis – hier: des Kunstfeldes – ist, droht auch die Erniedrigung und Vergewaltigung von Frauen als Freiheit zur Grenzüberschreitung von sich nicht reglementieren lassen wollenden Künstler- und Kuratorenrockern gerechtfertigt und insofern: sozial akzeptiert zu werden. Sexualisierte Gewalt käme dann nicht nur ohne Überraschung; sie wäre vielmehr die Währung eines Spiels „im Missverständnis einer Freiheit vom Sozialen überhaupt“ [6] , dessen Akteure meinen, sich als jenseits jeder sozialen Bestimmung selbst hervorbringen und die Gesetzlosigkeit von Kunst, in deren Namen sie Sexismus und Misogynie als legitim rechtfertigen, auf das Ganze der Gesellschaft übertragen zu können.

Grazyna Roguski, „Snails“ (2017) mit Josephine Findeisen und Johanna Ackva

Nicht hoch genug kann deshalb die Dringlichkeit der #NotSurprised-Petition eingeschätzt werden, die buchstäblich darum zu wissen scheint, wie überfällig das öffentliche Gespräch über sexualisierte Gewalt in der Kunstwelt ist, und dieses Gespräch im Gegensatz zu #MeToo schlechterdings um die Gewalterfahrungen von LGBTIQs erweitert. Um dieses Gespräch aber, und das gilt erst recht für #MeToo, zur gemeinschaftlichen Erarbeitung und Umsetzung intersektionaler Forderungen zu befähigen, muss zugleich eine soziale Bewegung ins Rollen kommen, die über die Verschlagwortung der Bekenntnisse solitärer Subjekte hinausgeht.

#Ich

Wenn Hashtagging der Herzmuskel von Social Media ist, war #MeToo für das Jahr 2017 zweifellos die Aorta (nicht nur) netzbasierter Kommunikation. Dass Alyssa Milanos Posting den Medienkreislauf derart befeuern konnte, liegt sicher zu einem Gutteil an der öffentlichkeitswirksamen Brisanz des Sex-Gewalt-Themas, zumal wenn es das Leben von Stars betrifft. Ohne den für soziale Medien typischen Warencharakter von Hashtagging, das allem einen Namen gibt, was zirkulieren soll, wäre die Debatte aber möglicherweise nie viral geworden. Das liegt nicht nur an der großen und schnellen Verbreitung von Medieninhalten durch das Internet; das hat vor allem mit der spezifischen Art und Weise zu tun, in der soziale Netzwerke zur Stimmabgabe auffordern. Oder anders: Weil sie in der Hauptsache zur Stimm­abgabe auffordern, ist die Bindung an inhaltliche Notwendigkeiten zweitrangig. So kommen zwar mitunter auch unterrepräsentierte Stimmen zu Wort, jedoch weniger im Sinne markierter oder kanalisierter Stimmen denn im Sinne sozial unbestimmter Stimmen unter vielen.

Lili Reynaud-Dewar, "Enseigner comme des adolescents, Hotel Adriatica", Genève, 2014, avec Dorine Aguerre, Chloé Delarue, Olivier Hensi, Lou Masduraud, Lea Meier, Nastasia Meyrat, Laura Vaissade.

Auch #MeToo birgt daher die Gefahr, das Verbindende und Mobilisierende der sich zu Wort meldenden Überlebenden von sexualisierter Gewalt im Sich-zu-Wort-Melden verstummen zu lassen. Dies umso mehr, wenn das soziale Wir des Widerstands gegen sexualisierte Gewalt keinen anderen Arbeitskörper kennt als den des Megafons. Denn den haben bekanntlich auch die Rechten, und schließlich sind es auch sie, die sich als vermeintlich einheitlicher sozialer Korpus zuverlässig ihrer selbst (und nur ihrer selbst) vergewissern. Wollen aber die sich virtuell erhebenden Körper all derer, die entweder sexualisierte Gewalterfahrungen gemacht haben oder sich mit Betroffenen solidarisch zeigen, als eine in politischen Forderungen zusammenstimmende Gemeinschaft für die Stärkung der Rechte von (nicht zuletzt unterprivilegierten) Frauen und Queers eintreten, muss zugleich ein politischer Modus abseits der subjektiven Mitteilung erarbeitet werden.

Gewiss nicht von allen und nicht von allen gleichermaßen, denn die Öffnung auf andere hin ist für viele Betroffene nach einer traumatisierenden Gewalterfahrung nur schwer möglich. Zudem muss es den Raum für persönliche Erfahrungsberichte der Überlebenden von sexualisierter Gewalt nach wie vor geben – als Hilfsangebot für diese, durch welches das Gespräch über Sexismus und Misogynie als ein gesellschaftliches allererst etabliert werden kann. Es ist ja das „Auch“ der Erfahrung der Einen, das diese mit jenen, die Ähnliches erlebt haben, (häufig nicht nur) strukturell verbindet. Umgekehrt scheint erst in der selbstbestimmten Äußerung der Einzelnen ihre subjektive Teilhabe an der Gesellschaft auf. Von dieser eigentümlichen Spannung zwischen Subjekt und sozialer Praxis zeugt zwar auch #MeToo. Allerdings werden die einzelnen Stimmen im Falle von #MeToo um den Preis ihrer Unverbundenheit überbetont, damit aber wird die Politizität des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Sex und Macht gerade nicht thematisiert.

Indes sind soziale Einrichtungen und Organisationen, die Frauen mit sexualisierten Gewalt­erfahrungen unterstützen, Orte der Politisierung im Kampf gegen Misogynie und Sexismus. Denn hier – wie auch in anderen queerfeministischen Kooperativen und Initiativen – findet ein Übergang vom „Me“ zum „You“ bzw. „We“ statt, der im Gegensatz zur Sprachwurfmaschine der sozialen Netzwerke nicht lediglich die Addition diverser Ichs zu einem #Ich bedeutet, auch wenn Konflikte im Netz reale Auswirkungen auf das soziale Leben seiner User haben können . Eben weil mir die anderen in Social Media aber stets äußerlich bleiben und sich dort auch meine politische Subjektivität auf das Senden (und Nicht-Senden) von Statusmeldungen beschränkt, ist die Bewegungsrichtung aller Aktion die von innen nach außen, genauer: von mir zu nicht ich bzw. potenziell ich.

So wichtig die Bestätigung durch andere insbesondere im gemeinsamen Austausch über Gewalterfahrungen ist, so wichtig ist es auch, dass dieser Austausch erstens nicht nur ein sprachlicher ist (sondern auch ein körperlicher, raumfordernder), zweitens nicht nur ein reaktiver (und damit tatsächlich ein Austausch und kein bloßes Retweet oder Sharing), vor allem aber drittens ein Austausch ist, in dem ich mich womöglich mit Positionen und Verhaltensweisen konfrontiert sehe, die ich bislang nicht kannte oder die ich nicht teile und die ich nicht auf mich und meine Erfahrungen reduzieren kann. Das heißt, auch ich muss erfahren, dass ich den anderen äußerlich bin, um mich mit ihnen überhaupt verbinden oder inhaltliche Differenzen zwischen uns ausmachen zu können, so wie auch ich mich für meine Urteile rechtfertigen muss. Um das aber tun zu können, müssen wir uns in einer Weise einander aussetzen, die die behagliche Anonymität der sozialen Netzwerke gerade verunmöglicht: Wir können uns nur miteinander solidarisieren, indem wir uns in dem, was wir fordern, angreifbar machen.

Feminist Land Art Retreat, „Karl Marx Allee, Berlin, 22. Juli / July 22, 2014“, 2014

Es ist nicht zuletzt diese dritte Bedingung, die nicht netzbasierte Kommunikation den sozialen Medien voraushat und durch die sich nicht nur der antisexistische Kampf als eine solidarische, an Inhalten orientierte Koalition von (in Style, Einkommen, Geschlecht o. Ä.) Verschiedenen realisieren lässt, sondern durch die eine solche Koalition auch mit Bewegungen verknüpft werden kann, die sich gegen Rassismus und/oder für soziale Gerechtigkeit engagieren. Denn Debatten über sexualisierte Gewalt sind nicht notwendig feministisch (das ist nicht erst seit #MeToo so, daran hat #MeToo aber auch nichts geändert). Auch wäre es fatal, die Kritik an Sexismus und Misogynie von der Kritik an Rassismus und Klassismus zu trennen oder diese gar gegen­einander auszuspielen. Ganz im Gegenteil darf aus der Tatsache, dass sich, mit Judith Butler gesprochen, „Rassenbeziehungen und Reproduktionsverhältnisse“ häufig „gegenseitig vermittelt artikulieren“ [7] , keinesfalls falsch geschlossen werden, migrantische Männer aus der Arbeiterklasse neigten eher zu sexualisierter Gewalt als deutsche Unternehmer. Stattdessen müssen die Scheinwerfer der Aufmerksamkeit von #MeToo und #NotSurprised endlich all diejenigen Frauen ins Licht tauchen, deren Körper gerade nur so weit von Gewicht zu sein scheinen, wie sie sich des kapitalistischen Konkurrenz- und Überlebenskampfes würdig erweisen. Die Arenen dieses Kampfes stillzulegen, wäre freilich langfris­tig das Ziel.

Titelbild: Dorota Gaweda und Egle Kulbokaite, „Young Girl Reading Group 144“, 2017, Videostill

Anmerkungen

[1]Nachdem ein Artikel in der New York Times Anfang Oktober 2017 die langjährigen sexuellen Übergriffe des US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein enthüllt hatte, mehrten sich die Anschuldigungen von Frauen, die von Weinstein sexuell genötigt oder vergewaltigt worden waren. Als Reaktion auf diese Enthüllung rief die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano am 15. Oktober 2017 via Twitter dazu auf, das Hashtag „MeToo“ (dt. „Ich auch“) zu verwenden, sofern man selbst Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht hat.
[2]Hannah Schultes/Bahar Sheikh, „Absolution statt Revolution“, in: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis vom 14.11.2017, https://www.akweb.de/ak_s/ak632/41.htm.
[3]Tarana Burke in einem Gespräch mit Nikki Ogunnaike in der US-amerikanischen Ausgabe des Fashion-Magazins Elle am 19.10.2017, http://www.elle.com/culture/a13046829/tarana-burke-me-too-movement-10-years-ago/.
[4]Kate Manne, Down Girl. The Logic of Misogyny, Oxford 2017.
[5]Thea Dorn, „Das ist ein neuer Totalitarismus“, im Gespräch mit Stephan Karkowsky, Deutschlandfunk, 10.11.2017, http://www.deutschlandfunkkultur.de/thea-dorn-zur-sexismus-debatte-das-ist-ein-neuer.1008.de.html?dram:article_id=400306.
[6]Juliane Rebentisch, „Die Kunst der Freiheit“, Berlin 2012, S. 20.
[7]Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 2014, S. 215.