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Saba-Nur Cheema

KRITIK UND KRITIK AN DER KRITIK Warum die BDS-Debatte in eine Sackgasse führt

Nira Pereg, „ABRAHAM ABRAHAM SARAH SARAH“, 2015, Videostill

Nira Pereg, „ABRAHAM ABRAHAM SARAH SARAH“, 2015, Videostill

Will man in Europa zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts beitragen, muss von totalitären Positio­nen Abstand genommen werden. Die Ausladungslogik der Cancel Culture, die sowohl aufseiten von BDS zu finden ist als auch aufseiten derer, die jede*n verurteilen, der*die sich nicht explizit von BDS distanziert, kann deshalb keine Option sein. Wie Saba-Nur Cheema, Politikwissenschaftlerin und pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank, betont, müssen vielmehr die friedlichen Kräfte auf israelischer wie auf palästinensischer Seite zusammenarbeiten, wenn das Ziel die angstfreie Koexistenz beider ist.

„Sie sind in einer muslimischen Familie aufgewachsen. Wie ist Ihnen Antisemitismus in der Familie begegnet?“ Ich kann mich noch sehr gut an dieses Liveinterview eines Radiosenders erinnern. So oder ähnlich wird man als muslimisch markierte Person oft mit der Vorstellung konfrontiert, mit antisemitischen Vorurteilen aufgewachsen zu sein. Diese Erwartung kann ich nicht bedienen – weder in meiner Familie noch in meinem muslimischen Freund*innenkreis begegnete ich in meiner Jugend offenem Jüd*innenhass. Meine erste Begegnung mit einem Milieu, in dem Antisemitismus praktisch unhinterfragter Common Sense ist, hatte ich während meiner Arbeit für die UN, im Office of the Commissioner for Human Rights. Gleich zu Beginn wurde mir erklärt: „What Israel is doing with Palestinians is exactly what the Nazis did with the Jews.“ In Gesprächen mit Kolleg*innen aus Belgien, Marokko, Italien und Saudi-Arabien galt Israel als der Inbegriff des Bösen. Auf genau diese Doppelmoral, die ich in Genf erlebt habe, setzen BDS-Unterstützer*innen, wenn sie ausschließlich Israelis boykottieren.

Wer meint, das Problem liege nun allein in Genf oder bei der UN, irrt sich. Auch hier in Deutschland erlebe ich unter dem Label BDS die kuriosesten Rechtfertigungen für antisemitische Handlungen. Zuletzt habe ich mit einem jüdisch-amerikanischen Musiker gesprochen, der von einem Kollegen gefragt wurde, ob er auch die israelische Staatsangehörigkeit habe. Als er dies verneinte, erwiderte der Kollege: „Ein Glück. Sonst hätten wir nicht zusammen auf die Bühne gehen können.“ Der gleiche Kollege verweigerte den Blumenstrauß, den eine Israelin allen Musiker*innen am Ende eines Konzertes überreichen wollte. Spätestens hier wird deutlich: Es geht nicht um den bloßen Boykott von Produkten. Bei BDS haben wir es mit einer totalitären Ideologie zu tun, in der Ausschluss nicht ein Instrument, sondern ein inhärenter Grundsatz ist. Es ist makaber, dass sich gerade die Sympathisant*innen von BDS als Verfechter*innen von Meinungsfreiheit und Pluralität inszenieren.

Die jüngste Diskussion um die Einladung des Historikers Achille Mbembe zur inzwischen abgesagten Ruhrtriennale ist bezüglich der Debatte um BDS paradigmatisch, da auch hier den BDS-Kritiker*innen der Vorwurf gemacht wurde, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen, während sich BDS-Sympathisant*innen vorgeblich für eine offene und zwangsfreie Diskussionskultur einsetzten. Der Haken daran ist, dass die Diskussionskultur nach der Logik von BDS ohne israelische Stimmen geführt werden soll. Mbembe selbst hat 2018 die Universität, an der er in Südafrika lehrt, dazu aufgefordert, die israelische Psychologin und Friedensaktivistin Shifra Sagy aus einer Konferenz auszuladen. Nicht wegen ihrer Positionen – nur wegen ihrer Staatsbürgerschaft. Man darf sich durchaus die Frage stellen, wie ernst die Empörung und Verletzung Mbembes zu nehmen ist. Schließlich wurde hier die gleiche Ausladungslogik angewendet, die er selbst praktizierte. In der Diskussion um Mbembe standen sich die alten Fronten der BDS-Debatte gegenüber: Kritiker*innen von Mbembe auf der einen Seite, Kritiker*innen der Kritiker*innen auf der anderen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig sein eigenes Handeln bei der Ausladung von Sagy im Lager der Verteidiger*innen thematisiert wurde.

Nira Pereg, „ISHMAEL“, 2015, Videostill

Nira Pereg, „ISHMAEL“, 2015, Videostill

Allerdings nehmen auch im Lager der BDS-Kritiker*innen totalitäre Positionen zu. Wer sich nicht explizit von BDS distanziert und sich den Ausladungsforderungen gegen BDS anschließt, wird automatisch zur Gegner*in gemacht. Inzwischen erleben wir, dass nicht nur die Ausladung von BDS-Unterstützer*innen gefordert wird, sondern auch von „BDS-Versteher*innen“, „BDS-Verteidiger*innen“ oder „BDS-Verharmloser*innen“. So entstehen immer wieder Situationen, in denen Kultur- und Bildungseinrichtungen verunsichert sind, beispielsweise, als wir in der Bildungsstätte Anne Frank zu einer Podiumsdiskussion über den Nahostkonflikt u. a. den Journalisten Daniel Bax einluden. Bax vertritt die Position, dass BDS nicht antisemitisch sei, unterstützt die Kampagne aber nicht. Die Empörungswelle vor der Veranstaltung hatten wir nicht erwartet. Der Druck auf unsere Institution spitzte sich zu, als der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen forderte, Bax auszuladen – mit dem Argument, dass dieser den BDS verharmlose. Auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum schloss sich der Forderung an und erklärte polemisch, die Bildungsstätte solle „Anne Frank“ aus ihrer Bezeichnung streichen.

Für mich, die ich vielen Israelis und Palästinenser*innen nicht zuletzt persönlich verbunden bin, ist klar, dass BDS nicht Teil der Lösung des Nahostkonflikts, sondern Teil des Problems ist. Was unter dem Boykott leidet, das sind vor allem Dialogprojekte zwischen Palästinenser*innen und Israelis, die genau den Frieden anstreben, um den es dem BDS angeblich geht. Auch israelische linke Intellektuelle der Friedensbewegung wie Shifra Sagy, die es schon in Israel unter Benjamin Netanjahu nicht leicht haben, werden an Unis in den USA, in Großbritannien oder in Südafrika boykottiert. Auch die Regierung Netanjahu nimmt an BDS keinen Schaden, sondern kann BDS immer wieder als Zeugnis dafür heranziehen, wie isoliert Israel ist, und zieht noch mehr verängstigte Menschen auf ihre Seite. Netanjahu und BDS brauchen sozusagen einander. Aber nicht nur Netanjahu, sondern auch das islamistische Hamas-Regime im Gazastreifen erhält von BDS indirekt Rückendeckung. Seit dem 9. April 2020 ist der palästinensische Journalist und Friedensaktivist Rami Aman in Haft. Sein ‚Verbrechen‘ ist die Teilnahme an einem Zoom-Meeting mit israelischen Friedensaktivist*innen. Informiert wurde die Hamas durch eine palästinensische BDS-Aktivistin, die jeglichen Kontakt mit Israelis verhindern wollte.

Wenn man BDS nun dezidiert ablehnt, kann man nicht leichtfertig der Frage ausweichen, was wir in Europa zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts beitragen können (und sogar müssen). Das israelische Nationalgesetz und die Annexionspläne von Teilen der Westbank der Netanjahu-Regierung sowie die Menschenrechtslage und Korruption der Fatah- und der Hamas-Regierungen zeigen, dass der Frieden immer weiter in die Ferne rückt. Die wichtige Frage ist: Wie können die friedlichen Kräfte auf beiden Seiten, auf der israelischen und der palästinensischen, unterstützt werden? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Vor allem nicht in Zeiten, in denen Populismus, Chauvinismus und Nationalismus weltweit wieder auf dem Vormarsch sind. Als ein erster Schritt wäre es wünschenswert, dass die hiesigen Organisationen der Israelsolidarität und Palästinasolidarität zusammenarbeiten. Nicht für Regierungen, sondern für Menschen vor Ort, die unsere Solidarität brauchen. Mutige Menschen wie Shifra Sagy und Rami Aman.