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Vorwort

Ob die Diskussion um angebliche BDS-Sympathien am Jüdischen Museum Berlin oder der Fall Achille Mbembe – blickt man auf diese und andere Antisemitismusdebatten der jüngst vergangenen Zeit, wird eine unversöhnliche, zuweilen klaustrophobisch anmutende Diskurssituation erkennbar. Wer antisemitische Tendenzen in linken Milieus vermutet und diese anspricht, dem*der wird vorgeworfen, er*sie verharmlose den Antisemitismus von rechts oder sei – beabsichtigt oder nicht – eine Marionette der israelischen Regierung, die mit dem Kampfbegriff des „israelbezogenen Antisemitismus“ Kritik an ihrer autoritären Politik zu delegitimieren versuche. Insbesondere in Deutschland sieht sich Antisemitismuskritik dabei zusätzlich dem Verdacht ausgesetzt, aufseiten ,der Macht‘, also des hegemonialen bürgerlichen Konsenses, zu stehen. Neben Angela Merkels Aussage, dass Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei, und den öffentlichen Interventionen des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, hat nicht zuletzt ein interfraktioneller Beschluss des Deutschen Bundestags, der die Boykottbewegung BDS als antisemitisch einstuft, zu dieser Annahme beigetragen. Mit anderen Worten: Wer Antisemitismus nicht nur dort vermutet, wo Holocaustleugner*innen, Verschwörungsideolog*innen und Hassredner*innen am Werk sind, gilt nur allzu oft als Kompliz*in von Staat, Springer-Presse und Islamophobie und trifft auf entsprechende Gegenwehr. Linke Kritik an linkem Antisemitismus hat es derzeit folglich schwer – und dabei sind hier nicht nur ,antideutsche‘ Positionen gemeint, die keine Option (mehr) darstellen, da einige ihrer Vertreter*innen weit nach rechts abgedriftet sind. Anstatt jedoch ausschließlich über den Antisemitismus ‚der anderen‘ zu sprechen, soll es in dieser Ausgabe um den oft impliziten und latenten Antisemitismus ‚unter uns‘, das heißt unter sich als links und linksliberal verstehenden Menschen gehen.

Dass der Antisemitismusvorwurf sich entgrenzt habe und in Deutschland auf perfide Weise der Immunisierung gegen Kritik am Status quo deutscher Erinnerungskultur diene, lautet ein zentrales Argument der Linken. Ein anderes lautet, aktuelle Antisemitismusdiskussionen nähmen anderen Anliegen etwas weg, seien mehr noch ein Ablenkungsmanöver, das Deutschland zur „Weltmeisterin der Erinnerungskultur“ idealisiere, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte dagegen unterbinde oder womöglich sogar den ungleich größeren Antisemitismus von rechts bagatellisiere. Diesem vermeintlichen Null­summenspiel mit seiner Logik wechselseitiger Verdächtigungen und Verdrängungen lässt sich nicht voluntaristisch entkommen. Im Gegenteil ging die Frage, wie man über Antisemitismus sprechen kann, ohne intersektional mit ihm verbundene, andere Formen von Diskriminierung zu übergehen, auch an der Konzeption dieser Ausgabe keineswegs spurlos vorüber. So war die Zusammensetzung eines geplanten Roundtable-Gesprächs zur BDS-Bewegung, der u. a. deswegen nicht zustande kam, da es einigen der angefragten Diskutant*innen zu BDS-kritisch erschien, Gegenstand fortwährender Diskussionen – nicht zuletzt darüber, ob und wie arabische und palästinensische Stimmen hier repräsentiert sein sollten. Ein Teil der Gastredaktion begründete die auch intern kontrovers erörterte Entscheidung, diese Stimmen nicht abzubilden, damit, dass die Prominenz von BDS in sogenannten westlichen Kunst- und akademischen Kontexten Gegenstand der Diskussion sein, nicht aber der Nahostkonflikt en miniature ausagiert werden sollte. Letztlich haben Redaktion und Gastredaktion beschlossen, anstelle des ursprünglich geplanten Round Table einzelne Statements zu BDS von Saba-Nur Cheema, Jörn Etzold und Daniel Laufer abzudrucken, die das vorläufige Ergebnis einer Auseinandersetzung mit BDS darstellen. In ihrer Diversität zeigen sie unseres Erachtens mögliche Fluchtpunkte einer linken Antisemitismuskritik jenseits vorhersehbarer Skandalisierungen auf, die angesichts einer sich immer häufiger als Cancel Culture erweisenden Diskurspraxis, bei der das diskursive Gegenüber von vornherein als Feind erachtet wird, mehr denn je nottut.

Wie der Hefttitel „Anti-Antisemitismus“ nahelegt, geht es uns indes nicht darum, im Sinne eines relativistischen Meinungspluralismus die Notwendigkeit einer Kritik des Antisemitismus auf den Prüfstand zu stellen. Denn es ist augenscheinlich dringlich, Antisemitismus nicht bloß als Variante einer allgemeinen ‚gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit‘, sondern als höchst spezifische – historisch, ideologisch und spirituell überdeterminierte – Diskriminierungsform zu betrachten. Die Resonanz auf diverse BDS-Positionen ist dahingehend hochgradig symptomatisch. So hat die Zahl der Sympathisant*innen dieser Bewegung gerade auch in uns nahestehenden Kontexten und Milieus in den letzten Jahren markant zugenommen. Wie Aram Lintzel in seinem Beitrag argumentiert, ist dabei besonders erstaunlich, dass ideologisch problematische Positionen oftmals unkritisch hingenommen werden. Anschlüsse an antisemitische Narrative und Tropen in manch postkolonialem Diskurs sind auch Gegenstand der Analyse von Meron Mendel und Tom Uhlig, wobei hier das Spezifische des Antisemitismus gegenüber anderen Formen der Diskriminierung in den Blick gerät. Die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur hat kürzlich mit Überlegungen zur Frage des Antisemitismus ein wegweisendes Buch vorgelegt, in dem sie just diese ,Ausnahmestellung‘ von Jüd*innen diskutiert. Im Interview mit Isabelle Graw und Dirk von Lowtzow wird deutlich, worin das Besondere der Figur ‚des Juden‘ besteht: Während Rassismus ‚die*den Andere*n‘ als minderwertig betrachte, würden Jüd*innen beschuldigt, (alles) zu besitzen und zu kontrollieren.

Das Ressentiment gegen die Moderne und ihre abstrakten Macht- und Kapitalverhältnisse artikuliert sich häufig in antisemitischen Erzählungen, gleichsam in einem ‚Antisemitismus ohne Jüd*innen‘. Leon Kahane zeigt in seinem Essay, wie dieses Ressentiment in künstlerischen Praktiken reartikuliert wird, ähnlich, wie dies Vivian Liska für die philosophischen Schriften Alain Badious und Giorgio Agambens feststellt. Den umgekehrten Weg wählen Noit Banai und Sabeth Buchmann, indem sie auf kinematische Modi der Wahrnehmung reflektieren, die mit der Shoah assoziierte empathische und affektive Prozesse der Erinnerung in kollektive Formen der Teilhabe und des Widerstands übersetzbar machen. Derart versteht sich auch die doppelte Negation des Titels „Anti-Antisemitismus“ nicht allein als Verurteilung antisemitischer Diskriminierung, sondern auch als Öffnung hin zu multiperspektivischen, nicht identitären Betrachtungsweisen jüdischer Geschichte und Kultur. Aus einer intersektionalen Perspektive schlägt entsprechend Cristina Nord in ihrem Beitrag vor, dass dekolonialer Kritik zugleich solidarisch und kritisch begegnet werden muss, wenn sie eines ihrer Hauptanliegen, Verbindungen über Abspaltungen zu stellen, auf eine Kritik am Antisemitismus ausweiten will.

Die eindringliche Forderung, dass dekoloniale Kritik dies auch tun soll, bildet den roten Faden dieses Hefts. In diesem Punkt waren und sind wir uns uneingeschränkt einig. Weiter streiten möchten wir hingegen über jene weit verbreitete Tendenz zur Immunisierung gegenüber den jeweils eigenen Ausschlüssen, die letztlich auf eine Kritik ohne Selbstkritik hinausläuft. Es ist ein Streit, zu dem wir mit diesem Heft ermutigen möchten, ohne uns dabei selbst zu schonen.

Nadja Abt, Sabeth Buchmann, Isabelle Graw,
Katharina Hausladen, und Aram Lintzel