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Madeleine Bernstorff

MARION VON OSTEN (1963-2020)

Marion von Osten, 2019

Marion von Osten, 2019

„Waren diese Ausstellungen wichtig, weil sie Ausstellungen waren, oder waren sie wichtig, weil sie transversale Räume waren, wegen ihrer Verbindungen zu anderen Formen von Praxis, was ich von tiefstem Herzen glaube. Weil nämlich die Politiken dieser spezifischen Ausstellungen darum gingen, das Feld auszuweiten, auch das der Akteur*innen, die Teil der Ausstellung werden konnten, und zwar nicht nur weil sie hineinkuratiert wurden, sondern auch, weil sie am Konzept beteiligt wurden; und so wurde das kuratorische Konzept zum gemeinsamen Konzept und kollaborativ etabliert.“ Das sagte Marion von Osten 2009 auf einem Panel des transdisziplinären Forschungsprojekts „Former West“ über Ausstellungen, die sie inspiriert haben.

Marions eigene Projekte waren stets von einer unbändigen komplexen Gegenwärtigkeit, wütend und wissend, die Gepflogenheiten institutionellen Alltags überschreitend. „Infrastructural critique“ [1], schreibt Marina Vishmidt; die Projekte waren nie befriedet in institutionellen Umarmungen. Es war ein Gehen und Denken und Tun und Verbinden mit vielen, über 20 Jahre lang mit Peter Spillmann. Sich voller enthusiastischer Neugier mit den Protagonist*innen einer minoritären Geschichte zusammenzusetzen, deren Verletzungen und Verletzlichkeiten zu respektieren – auch das unterscheidet Marions Arbeitsweise vom überwiegenden Rest des Kulturbetriebs. In ihrer Dissertation In The Making schildert sie, wie verschwiegene Widerstandsgeschichten im Gespräch mit den Herausgeber*innen der marokkanischen transnationalen Zeitschrift SOUFFLES spürbar wurden, live, mit im Voraus geschickten Fragen und manchen ausweichenden Antworten.

Unvergesslich ist mir Marions große Freude, als es nach vielen Kämpfen gegen eurozentrische und sonstige Trägheit endlich klappte, die Ausstellung „In der Wüste der Moderne. Koloniale Planung und danach“ 2009 nach der Premiere im Berliner Haus der Kulturen der Welt auch in Casablanca in der Fabrique Culturelle des Anciens Abbattoirs zu zeigen. Eine Ausstellung, die so ausdrücklich transnationale Verschränktheiten untersuchte und erzählte, dass die Moderne ohne Kolonialismus nicht denkbar ist, sollte dort sichtbar werden, wo die europäischen Ideen von Stadtplanung und Architektur im Zuge des kolonialen Projekts implementiert worden waren. Und – auch das war das Besondere dieses transdisziplinären Ausstellungsprojekts (unter anderem in Zusammenarbeit mit Tom Avermaete und Serhat Karakayali) – wie die Ideen vom guten Wohnen durch die Berührung mit dem antikolonialen Widerstand modifiziert und gewendet wurden und wie diese Experimentierfelder wiederum auf die neokolonialen Metropolen und deren Migrationsregime zurückwirkten: „Praktiken der De-Kolonisierung haben ein offenes Ende und erfordern einen lang andauernden, transnationalen und dialogischen Austausch, um Annahmen und vorgegebenes Wissen kritisch zu reflektieren“, so Marion. [2]

Das 22-minütige Video How They Wished The Future Should Become [3] wiederum entstand in der kuratorischen Zusammenarbeit mit Peter Spillmann für die Ausstellung „Viet Nam Discourse Stockholm“ in der Tensta konsthall 2016. Es ist ein Gespräch der beiden mit der Bildhauerin, Keramikerin, Bühnenbildnerin und Autorin Gunilla Palmstierna-Weiss. Feministische, kommunistische, aktivistische Fragestellungen verschränken sich hier mit ästhetischen. Palmstierna-Weiss öffnet ihr Archiv und erzählt von ihren Bühnenbildern, vom Vietnamtribunal und über ihre Zusammenarbeit mit Peter Weiss.

Marion sah ich das erste Mal Mitte der 1990er Jahre, tanzend, wild, fröhlich, im Goldenen Hahn in Kreuzberg. Als wir 2005 begannen, im Projekt Migration zusammenzuarbeiten, hatte ich einen schönen Traum mit ihr. Ich habe ihr vertraut, weil sie vertraut hat, auf den vielen Ebenen unserer (Arbeits-)Freundschaft: dass es schon was wird mit den Texten und den Leuten, mit den Filmen, mit dem Leben. Und dann: so viele sich kreuzende E-Mails, mal ich weg, mal sie, unser Rollkofferleben mit Pausen zu Hause, die ­hineinschwappende Atemlosigkeit und Erschöpfung und ein paar seltene gemeinsame Spaziergänge und -fahrten. Zwischendurch noch ihre Mieter*innen-Kämpfe mit und für die Nachbar*innen in der Schlesischen Straße. Das gute Leben [4] und die beste Praxis.

Ich hätte gern Marions raumgreifende Installation gesehen und den Klang der lockeren Beton-Bodenplatten auf dem Campus der Ruhr-Universität Bochum gehört, entstanden im Projekt Reformpause (2006) [5], einer grundlegenden kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Bildungsreform in den späten 1960er Jahren, der politischen Instrumentalisierung des Bologna-Prozesses und der weiter verschärften sozialen Selektion im Bildungssystem.

2007 kam ich auf Marions Einladung hin für 13 wichtige Jahre ins Institut für das künstlerische Lehramt an die Akademie in Wien. Dort herrschten zunächst noch Hierarchien und Unterwürfigkeiten, auch muffig verklebte Studieninhalte. Marion hat dies in einem enormen Kraftakt und vor allem auch mit Unterstützung des Mittelbaus und der Studierenden aufgemischt. Ihre Ideen von informellem Lernen und studentischer ­Agency sind weiterhin umkämpft und präsent.

In dem Gespräch auf dem Symposium „Once we were artists“ (im BAK – basis voor actuele kunst in Utrecht) im Juni 2017 erzählte Marion, was es für sie bedeute, dass nun ein Buch (herausgegeben von Maria Hlavajova und Tom Holert) über ihre Praxis erscheine, und wie es sie überrasche und dann doch auch überzeuge, diesmal nicht so involviert zu sein: mal keine kulturproduzentische Maintenance zu leisten. Kein Putzen, kein Lektorieren. Entkunstung und wieder zurück.

Mein letztes Foto von Marion zeigt sie während einer Führung durch die Ausstellung „bauhaus imaginista“ im Juni 2019. Sie hält auf besondere Weise beim Sprechen die linke Hand auf den Oberkörper, aufs Herz.

So viel Weites und Lebhaftes und Fröhliches klingt mir in ihrer Freundschaft und ihrer Arbeit nach. Und was machen wir jetzt?

Madeleine Bernstorff

Anmerkungen

[1]Marina Vishmidt, „Beneath the Atelier, the Desert: Critique, Institutional and Infrastructural“, in: Marion von Osten, Once We Were Artists, (A BAK Critical Reader in Artists’ practice), hg. von Maria Hlavajova/Tom Holert, Utrecht 2017, S. 218 ff.
[2]Marion von Osten, In The Making: Traversing the project exhibition In the Desert of Modernity. Colonial Planning and After, Doctoral thesis, Malmö Art Academy/Lund University 2018, S. 4. https://portal.research.lu.se/portal/en/publications/in-the-making(1f638ef0-9ff2-44e1-86f5-2942053b5845).html.
[3]http://tricontinentale.net/?cat=24.
[4]Frage aus dem Video kamera läuft! ein kleines postfordistisches drama (2004, 32’): „Was stellst du dir unter dem guten Leben vor?“ Das „kleine postfordistische Drama“ sind Brigitta Kuster, Isabell Lorey, Marion von Osten und Katja Reichard, https://vimeo.com/363605836.
[5]Im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg (mit Bettina Steinbrügge als Co-Kuratorin).