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Vorwort

Der Begriff Avantgarde formuliert den Anspruch auf die gesellschaftliche Relevanz künstlerischer Produktion, der, immer wieder aufgeschoben, letztlich nicht eingelöst wird und immer wieder neu definiert werden muß. Denn je nach Kontext verändert sich möglicherweise die Funktion künstlerischer Strategien, kann eine ehemals als „avantgardistisch“ bezeichnete Strategie umgedeutet, zum Zitat ihrer selbst und ihr formales Vokabular zum Werbeträger wird. Durch diesen Prozeß permanenter Aneignungen und Umwertungen ist die eindeutige Zuordnung eines künstlerischen Mediums oder einer künstlerischen Strategie innerhalb eines ideologischen oder politischen Wertesystems auf Dauer nicht möglich. Insofern bleibt der Begriff der Avantgarde auch in diesem Heft bewußt eine Leerstelle: Hier wird nicht der Versuch unternommen, eine neue Avantgarde zu bestimmen. Vielmehr geht es um Verästelungen und Verschiebungen aktueller künstlerischer und kunstkritischer Ansätze, die avantgardistische Forderungen nach Grenzüberschreitung aufgreifen und weiterentwickeln, aber auch deren zuweilen konventionalisierte Prämissen kritisch hinterfragen.

Eine Diskussionsgrundlage bildet die Frage nach der permanenten Desavouierung des Begriffs seit den sechziger Jahren und insbesondere in den Debatten der Achtziger. Zahlreichen Kunsthistoriker/innen diente der Begriff als Negativfolie für ihre Projektion anderer Kunstgeschichten, die den Mythos des avantgardistischen Künstlers dekonstruierten und als immanentes Produkt eines ideologischen Komplexes deuteten. Wichtige Exponenten waren die Vertreter der social art history sowie ideologiekritische und feministische Positionen der Kunstgeschichte, die sich die Fixierung auf männlich kodierte Bildkonzepte und Künstlerbilder richteten. So zeigt Michael Wetzel, daß mit dem Mythos der Avantgarde auch das Bild vom Künstler auf dem Prüfstand steht. Lisa Tickner wiederum untersucht, inwiefern sich ein Genre unter den Vorgaben feministischer Kunstkritik reaktivieren und politisch verschieben läßt. Ihr Verhandlungsgegenstand ist die Transformation des weibliches Akts von Eduard Manet bis Sarah Lucas.

Jonathan Meese verspricht derzeit alle Eigenschaften zu erfüllen, die man von einer grenzüberschreitenden künstlerischen Praxis erwartet. Der Topos der Verschmelzung von Kunst und Leben scheint in Meeses Person seine Verkörperung zu finden. Ilka Becker befragt seine Arbeiten hinsichtlich ihres (un-)möglichen Identitätsentwurfs. Anders als Meese beharrt Stephen Prina hingegen auf den Eigenheiten verschiedener künstlerischer Vorgehensweisen.Jörg Heiser unterhielt sich mit ihm über das Verhältnis seiner künstlerischen zu seiner musikalischen Produktion.

Diskursanalytisch nähert sich Holger Kube Ventura dem Thema Avantgarde: Er legt den Fokus auf die Wechselwirkung von Kunst und Politik und die Brauchbarkeit des Begriffs. Die Frage nach der politischen Funktion künstlerischer Produktion spielte gerade in den historischen Avantgarden eine zentrale Rolle, ebenso wie auch ein Fortschrittsoptimismus hinsichtlich des Verhältnisses von Mensch und Maschine. Wenn es auch nicht mehr im utopischen Sinne um die Möglichkeit einer völlig anderen Gesellschaftsordnung geht, spielen derzeit „Projekte der Entkörperlichung" eine wichtige Rolle. Cyborg-Visionen, militärische Technologie, aber auch dekonstruktivistische Lektüren kurbeln die Phantasien vom Verschwinden des Körpers wieder an. Tom Holert beschreibt mögliche Folgen für den Körperbegriff, damit aber auch für Subjekt- und Bildkonzepte. Er schlägt eine Möglichkeit vor, wie die gerade durch die Computertechnologie wieder ins Spiel gebrachte kartesianische Dichotomie von Geist und Materie nochmals und anders aufgelöst werden könnte, ohne auf ein phänomenologisches oder essentialistisches Körperkonzept zu rekurrieren.

Die von Tom Holert angesprochene Verselbständigung militärischer Technologie erfährt derzeit eine höchst akute Brisanz durch den Krieg im Kosovo. Von Beginn an bestimmte die euphemistische Rede von den Kampfhandlungen als „chirurgischen Eingriffen" oder von „Kolateralschäden" die Berichterstattung. Begriffe wie „Krieg" oder „Rassismus" wurden in diesem Zusammenhang gemieden. Der Frage, wie sich u.a. Intellektuelle über den Krieg äußern, gehen Mark Terkessidis und Isabelle Graw in einem Gespräch nach.

ILKA BECKER, ISABELLE GRAW, SUSANNE LEEB, ASTRID WEGE