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Carmen Mörsch

Socially Engaged Economies Leben von und mit künstlerischen Beteiligungsprojekten und Kunstvermittlung in England

"The western (British) nave of the chrystal palace, weltausstellung, London 1851 "The western (British) nave of the chrystal palace, weltausstellung, London 1851

1998 startete die britische Regierung eine Bildungsoffensive, die eine Einbeziehung und Mitwirken von Künstler/innen in allen Bereichen des Bildungssektors, der Wirtschaft und des Sozialwesens vorsieht. Die wichtigsten Stichworte dabei waren und sind "Social Inclusion", "Regeneration", "Access" und "Diversity". Damit sind vier Prozesse bezeichnet, die grundsätzlich als gesamtgesellschaftliche Aufgaben definiert werden können. Jedoch weist die Regierung der Kultur bei deren Erfüllung eine Bedeutung zu, die das künstlerische Feld in England zur Zeit merklich umstrukturiert.

Seit dem Jahr 1998 ist der Etat des Arts Council of England um 87% gestiegen. Die Regierung hat, nach der Proklamierung der vier oben genannten Schlagwörter, [1] angekündigt, ihn bis 2005 noch einmal um mehr als zweihundert Millionen Euro zu erhöhen. Doch mit dem Etat wächst auch die Kontrolle über dessen Verwendung. Ein großer Teil fließt in die institutionelle und außerinstitutionelle künstlerische Bildungsarbeit, in "Gallery Education" [2], "Artists-in-Schools"-Aktivitäten und in Kunstprojekte der so genannten "Socially Engaged Practice". [3]

Parallel dazu ist eine Debatte über die Ambivalenzen dieser Entwicklung in Gang gekommen. Sowohl wertkonservative als auch linke Kulturproduzent/innen kritisieren, Kunst verlöre durch die Festschreibung auf ihre Bildungsfunktion an Qualität und Radikalität. Sie verweisen auf die Entwicklung in den USA, wo die rigiden Kriterien des National Endowment for the Arts die staatliche Finanzierung von Kunst ohne explizite "gesellschaftliche Nützlichkeit" fast unmöglich machen. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit hier Künstler/innen für die Kompensation der gesellschaftlichen Auswirkungen einer zunehmenden ökonomischen Deregulierung benutzt werden. Künstler/innen würden zu Arbeitskräften der "Cultural Industries" degradiert, gäben perfekte Rollenmodelle für flexibilisierte, durch und durch ökonomisierte Subjekte einer neoliberalen Gesellschaft ab und vermittelten diese in edukativen Projekten weiter.

Die Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin Pen Dalton weist in ihrem Buch "The Gendering of Art Education" auf die zunehmende Verflechtung des kunsterzieherischen Diskurses mit dem der neuen Arbeitsverhältnisse und auf die damit einhergehenden geschlechtlichen Zuschreibungen hin: "There are growing feminine rhetorics of empowerment, flexibility, creativity, cooperation and teamwork visible in art educational discourse now, and a greater emphasis is being placed on difference: issues of race, culture and gender. [] The aims of the five key skills at Camberwell College of Art, for instance [] are the same as those promoted by the Confederation of British Industry (cbi): initiative, self-motivation, creativity, communication and teamwork'. These are now considered the necessary skills for art graduates in a flexible labour market'. [] the paradigm of economic man in the modern era was the rigorous, analytical scientist. The paradigm of postmodern economic man is the playful, creative, risk-taking, entrepreneurial artist."

Obwohl viel von "Critical Studies in Art Education" die Rede sei, geht es Dalton zufolge letztendlich nicht um tiefgreifende Kritik, sondern um die Heranbildung von Subjekten, die mit den Dynamiken deregulierter Märkte kompatibel sind. Schnell könne man "too creative" und damit eben auch zu kritisch werden. Formen von "harter" Widerständigkeit, verkörpert durrch den wenig teamfähigen "lone ranger", seien weiterhin männlich konnotiert und gehörten nicht zu den erwünschten, von Künstler/innen, den perfekten "contingent workers", vermittelten "soft skills".

2000 erschien "Art for All? Their Politics and Our Culture", ein Band, in dem der Streit über die Kulturpolitik der Regierung Blair anhand von Texten ihrer Gegner/innen und Befürworter/innen nachgezeichnet wird. Darin vergleicht einer der schärfsten Kritiker, der Kunsthistoriker Andrew Brighton, das Kulturprogramm von "New Labour" mit dem eines stalinistischen Staats. In diesem Sinn stellt er Verbindungen zwischen den aktuellen englischen kulturpolitischen Leitbildern und den drei Säulen des russischen sozialistischen Realismus her "narodnost", die Verpflichtung der Kunst gegenüber dem Volk; "klassowost", die Verpflichtung der Kunst gegenübber dem Klassenkampf; und "partijnost", die Verpflichtung der Kunst gegenüber dem Programm der Kommunistischen Partei. Eine weitere, in der Debatte viel beachtete Publikation mit dem Titel "Museums for 'The People'?" wurde 2001 von der Gruppe Institute of Ideas [4] herausgegeben. Josie Appleton beklagt in dem zentralen Essay der Publikation den zunehmenden Populismus in musealen Ausstellungen. Die an die Sammlungen geknüpfte wissenschaftliche Arbeit, die eigentliche Aufgabe der Museen, würde zunehmend unwichtiger durch die Konzentration auf die Zugänglichkeit der Institutionen für ein möglichst breites Publikum. Dabei weist Appleton auf eine Korrelation hin, der aus ihrer Perspektive der gegenwärtige Qualitätsverfall geschuldet ist. Sie sieht dabei eine Art diskursive Allianz der kulturellen Paradigmen der politischen Linken und der ökonomischen Paradigmen der Rechten am Werk. Durch postkoloniale und feministische Theorien, die Postmoderne und vor allem durch Foucaults Theorien über Machtverhältnisse habe die kulturelle Linke jeden Versuch, objektive, universell gültige Wahrheiten zu finden, unterminiert. Besonders Foucault habe auf die Museumswelt einen schädlichen Einfluss gehabt: das Sammeln, Kategorisieren und Interpretieren von Objekten werde nicht mehr als interesselose Suche nach Wissen, sondern als Machtgebaren der westlichen Elite verstanden. Dieser intellektuelle Nihilismus und die damit einhergehende Beliebigkeit habe sich seit den achtziger Jahren mit dem Angriff der Rechten auf die Kulturinstitutionen verbunden. Unter der konservativen Regierung Margaret Thatchers seien öffentliche Kunstsammlungen und Museen gezwungen worden, sich über die Logik des "Value for Money" zu legitimieren. Wenn sie keine Kundschaft nachweisen konnten, wurden sie geschlossen. Mit dieser Verbindung von rechten Ökonomie- und linken Kulturideologien erklärt Appleton das Vorgehen der gegenwärtigen englischen Kulturpolitik, die zwar mit einem linken Bewusstsein für soziale Gleichheit spreche, aber diese Gleichheit als Serviceleistung umdefiniere, die mit ökonomischen Parametern gemessen werden könne.

In den verschiedenen Ansatzpunkten der Kritik finden sich Motive, die aus anderen Debatten bekannt sind: eine Kritik an den Effekten der Cultural Studies auf das akademische Feld; die Verhandlung differenter Kulturkonzepte; die Opposition "Breitenwirksamkeit versus Exklusivität und Qualität" im Kunstfeld; die weiter gefassten Diskussionen über die Veränderungen des Arbeitsbegriffs und die Liberalisierung der Wirtschaft.

Auch wenn sie sich teilweise durch einen eindeutig reaktionären Impetus selbst entwerten wie im Fall der Amerikanistin Josie Appleton beinhaltet jede der Kritiken Warnungen, die für die Gestaltung des Verhältnisses von Kunst und staatlicher Förderung und für die Verortung kultureller Produktion und ihrer Produzent/innen im Kontext von Bildung und Ökonomie wichtig sind. Sie betreffen nicht nur England, sondern werden in Zukunft vermutlich auch für den deutschsprachigen Raum zunehmend relevant sein.

Doch über der auf die großen Strukturen gerichteten Klage bleibt des öfteren die Relevanz von einzelnen Situationen und Akteur/innen bei der Beurteilung der Effekte der Kulturpolitik auf der Strecke. Die Übertragbarkeit der Kritik geht auf Kosten der genauen Betrachtung spezifischer, zum Beispiel historischer Eigenheiten.

Der Imperativ "For The People!" und die Frage nach der Kontrolle und deer Definition der Funktionen öffentlich finanzierter Kultur waren bereits für die englischen Museen und Kunstgalerien im 19. Jahrhundert konstitutiv. Sie entstanden zu der Zeit, als sich in England die Idee von Bildung als einem allgemeinen Bürgerrecht durchzusetzen begann. Philanthropisch ausgerichtete Industrielle wollten durch die Galerien einen Ausgleich für die Arbeit in den Fabriken bieten und damit für zufriedene und motivierte Arbeiter sorgen. Sie versprachen sich außerdem von dem Bildungseffekt ihrer Sammlungen, mehr kompetente Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Durch ein möglichst weit verbreitetes Wissen über Gestaltung und Verarbeitung sollte die Qualität von Exportartikeln gesteigert und dadurch die führende Stellung des Empire auf dem Weltmarkt ausgebaut werden.

Die möglichst kostenfreie Zugänglichkeit der Sammlungen für alle Schichten sollte das nationale Bewusstsein stärken Großbritannien sollte für sseine Bevölkerung als Wirtschaftsmacht und als demokratischer Staat erfahrbar werden. Diese Argumente wurden besonders während und nach der Weltausstellung 1851 wichtig und beeinflussten die Entstehung der South Kensington Museums in London. Eine weitere Gruppe, die die Gründung von Kunstgalerien vorantrieb, waren christlich-sozialistisch ausgerichtete Sozialreformer. Von John Ruskin und der deutschen Reformpädagogik beeinflusst, gründeten sie Kunstgalerien mit dem erklärten Ziel, "the working class and the poor" religiös und politisch zu unterweisen, damit diese in der Zukunft selbst für ein besseres Leben kämpfen würden. Den Gründer/innen der Whitechapel Art Gallery ging es 1901 im Sinne von "Cultural Diversity" und "Social Inclusion" darum, zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppierungen in den Docklands von East London zu vermitteln: einerseits den Respekt der "Einheimischen" vor den "Fremden" zu kultivieren und andererseits zu zeigen, dass Letztere nur für eine Weile fremd wären, weil sie sich schlussendlich doch erklären und mit der Zeit assimilieren ließen. [5]

Doch nicht nur "Top-Down", auch "Bottom-Up" entstanden in der viktorianischen Zeit museale Sammlungen. Teile der Arbeiterbewegung versprachen sich von kultureller Bildung und der Förderung von Alphabetisierung mehr politische Mitbestimmung und eine Steigerung ihrer Lebensqualität. Museen und Galerien gingen aus Sammlungen der Mechanics' Institutes hervor und verstanden sich wie diese als selbst organisierte Bildungsstätten für die Working Class. [6]

Sowohl die Mechanics' Institutes als auch die weit verbreiteten literarischen und philosophischen Gesellschaften wurden von deren Nutzern (und wenigen Nutzerinnen) als Werkzeuge zur "Self-Help" begriffen, wie sie von Samuel Smiles, dem meistgelesenen Autor im England dieser Zeit, in seinem gleichnamigen Buch entworfen wurde. In "Self-Help", das 1859 - im gleichen Jahr wie Charles Darwins "The Origin of Species" erschien en und in den nächsten Jahren eine Auflage von 250000 erreichte, propagiert Smiles die Überwindung der Klassenunterschiede im industriellen England durch die Konzentration jedes Einzelnen auf die Entwicklung seiner individuellen Fähigkeiten. Jeder, dem die Möglichkeit zu dieser Entwicklung zur Verfügung stünde und der unermüdlich mit "self-culture, self-discipline and self-control" an sich arbeite, habe eine Chance, sein Ziel zu erreichhen.

Das Konzept der "Self-Help" transportiert ein dem Pragmatismus verpflichtetes Verständnis von Kunst, das der Idee künstlerischer Autonomie entgegengesetzt ist. Kunst nimmt hier die Funktion eines Werkzeugs zur Verbesserung der Gesellschaft und ihrer Subjekte ein.

In den sechziger und siebziger Jahren führten die "Community Artists" diese Tradition weiter. Diese Künstler/innenbewegung kooperierte meistens von sozialistischen Ideen motiviert mit der Arbeiter/innenschicht englischer Städte und Gemeinden. Eines der wenigen auch international beachteten Beispiele dafür ist die "Artists Placement Group", die in den siebzigeer Jahren eine öffentliche Diskussion über den Einsatz künstlerischer Kompetenz in allen gesellschaftlichen Bereichen erzeugte und der es gelang, Künstler in Prozesse der Stadtplanung, aber auch in Ministerien und Betrieben zu involvieren. Während der Thatcher-Zeit gelang es den Community Artists , mit wenig staatlicher Förderung zu überdauern, denn die Unterstützung für sie endete vor allem auf kommunaler Ebene nie vollständig. Ihre Ansätze werden seit 1998 in unzähligen Projekten der "Rural Arts" und "Urban Regeneration" unter bedeutend günstigeren ökonomischen Bedingungen wiederholt oder im besseren Fall aktualisiert, umgewertet und weiterentwickelt. [7]

Offenbar fehlt in England die Erfahrung einer totalen Instrumentalisierung von Kunst zu staats- und parteipolitischen Zwecken. Vielleicht ist es deshalb möglich, dass sich die Diskurse aus der viktorianischen Zeit in der zeitgenössischen Debatte um die gesellschaftliche Funktion von Kunst auf verblüffend ungebrochene Weise weiterschreiben. Es ist unter anderem dieser diskursiven Kontinuität zuzuschreiben, dass sich die gegenwärtige staatliche "Gleichschaltung" in Bezug auf das Bemühen um soziale Inklusion, Publikumserweiterung und Ausbau der Bildungspotenziale im kulturellen Feld in England mehr oder weniger reibungslos vollziehen kann. Das Programm wird von einer Mehrheit der gegenwärtigen Kunstinstitutionen und Produzent/innen grundsätzlich mitgetragen.

Auf den ersten Blick hat die sowohl bei Künstler/innen als auch bei Institutionen vorzufindende Bereitschaft, die staatlichen Auflagen zu erfüllen, ökonomische Gründe. Warum sollten sie sich gegen eine Kulturpolitik wehren, die ihre Etats verdoppelt und verdreifacht, neue Stellen in ihrem Sektor schafft und vielen Produzent/innen, die nicht auf der Top-Ten-Liste des Kunsthandels stehen, eine Überlebensmöglichkeit durch Tätigkeiten im Rahmen ihres Berufes bietet? Zu den ökonomischen Vorteilen kommen inhaltliche Motivationen. Unter den im Arts Council, in den Kulturämtern und in den Education Departments der Kunstinstitutionen beschäftigten Entscheider/innen finden sich Protagonist/innen aus der "Community Arts"-Bewegung, andere sind im Studium von diesen ausgebildeet worden. Aus der Zeit der konservativen Regierung haben sie die Erfahrung mitgenommen, dass kein kulturpolitisches Programm auch ein Programm ist, nämlich die Durchsetzung der Interessen der Stärkeren. Für sie bedeutet die mit den Vorgaben der Regierung Blair verbundene Behauptung, Kunst sei ein adäquates Instrument zur Gestaltung einer demokratischen und gerechten Gesellschaft, zunächst einmal die Bestätigung ihrer eigenen Überzeugungen. Sie bietet ihnen die Chance zur Herstellung von Situationen, in denen die damaligen Versuche zur gesellschaftlichen Funktion von Kunst unter anderen Bedingungen fortgeführt und auf ihre heutige Relevanz untersucht werden können. In der Folge nutzen mehr und mehr Galerien für Gegenwartskunst gegenwärtig die staatliche Förderung der Education Departments, um unter dem Begriff "Integrated Programming" neben der auf Ausstellungen bezogenen Kunstvermittlung zusätzliche Reihen mit partizipatorisch angelegten Projekten, die mit unterschiedlichen Gruppen aus dem Umfeld interagieren, als festen Bestandteil ihrer Programme zu etablieren. [8] Sie können diesen Aufwand nur betreiben, indem sie Verantwortung abgeben und anderen Akteuren eigene Spielräume überlassen. So bildet sich mit der Zeit ein Netz von Nutzer/innen, die zum Teil aus dem Kunstfeld, zum Teil aus Gruppen aus der Nachbarschaft kommen und die ihre eigenen Vorstellungen vom Umgang mit Kunst mitbringen.

In manchen Fällen, wie der Serpentine Gallery oder dem Camden Art Center in London, wird die Galerie selbst zum Austragungsort der öffentlichen Diskussion über die Ambivalenzen der aktuellen Kulturpolitik. In der Serpentine Gallery finden regelmäßig Tagungen mit Titeln wie "Excellencce for All?" [9] statt, bei denen Vertreter/innen der Förderinstitutionen, Künstler/innen, Nutzer/innen der Angebote und die Kritiker/innen der Policy aufeinander treffen.

Eine jüngere Generation von Künstler/innen findet Partizipationsprojekte und Kunstvermittlung als bereits etablierte Arbeitsfelder vor. Dabei sind die Arbeitsverhältnisse in den Projekten trotz aller Förderdung aufgrund des Ungleichgewichts von Aufwand und Entlohnung prekär. Dennoch bieten sie ernst zu nehmende Alternativen nicht nur für die, die es auf dem Kunstmarkt "nicht schaffen", sondern auch für jene, die sich bewusst gegen eine solche Karriere entscheiden oder deren künstlerische Praxis nicht kompatibel für den Markt ist. Für sie ist die weiterhin bestehende Hierarchie zwischen den Künstler/innen, die in der Galerie ausgestellt sind, und denen, die darin Vermittlungsarbeit betreiben, nicht unbedingt eine Abwertung, sondern eher ein inhaltlicher Anreiz. Sie bietet die Möglichkeit, als Künstler/innen zu arbeiten, aber in einem Zwischenraum, in dem nach anderen Regeln gespielt wird, die sie zumindest im Moment noch leichter selbst mitbestimmen zu können scheinen. [10]

Künstler/innen, die sich heute entscheiden, in der Gallery Education zu arbeiten, tun dies unter anderem auch, weil der Streit um die Wechselbeziehungen zwischen machtvollen, paternalistischen Gesten und Strategien von Aneignung und Selbstermächtigung, zwischen repressiven Vorstellungen von Interkulturalität und der Herstellung von "dritten Räumen", zwischen gesellschaftlicher Nützlichkeit und Autonomie von Kunst, zwischen Öffnung und Exklusivität in diese Praxis eingeschrieben ist. Gerade weil sie durch Foucault und postkoloniale Theorien über die Unmöglichkeit, sich jenseits der Macht zu bewegen, Bescheid wissen, interessiert sie die Teilhabe an dieser Diskussion durch ihre eigene Arbeit. Die wenigsten der im Feld tätigen Produzent/innen haben ein naives oder ungebrochenes Verhältnis zu der kulturpolitischen Agenda, die diese Arbeit ermöglicht. [11] Stattdessen sind viele ihrer Projekte auch von dem Versuch geleitet, diese Agenda zu dekonstruieren und die Funktionen der Institution Kunst zu verschieben oder immerhin zu erweitern. Auch Pen Dalton räumt ein, dass es künstlerisch-edukative Positionen gibt, die kritisch agieren, und definiert diese als "practice that challenges existing oppressive norms and holds out possibilities for something different". Ironischerweise scheint es, dass in England gerade die "oppressive norms" in Bezug auf soziale Inklusion, kulturelle Diversität und gesellschaftliche Nützlichkeit den produktiven Widerstreit um diese Begriffe im kulturellen Feld katalysiert haben.

Jedoch droht eine andere Gefahr. Da Regierungen dazu tendieren, nicht klug zu handeln und für die von Tony Blair scheint dies in vieler Hinsicht ganz besonders zuzutreffen, ist zu erwarten, dass sich der Druck auf den kulturellen Sektor in Bezug auf "Value for Money" in Zukunft weiter verstärkt. Dies hat, wie sich bereits jetzt abzeichnet, die Einführung standardisierter Evaluationsverfahren und ein bis zur Absurdität getriebenes Berichtswesen zur Folge.

In dem Moment, wo die zurzeit vorhandenen Gestaltungsspielräume formalisiert werden, "Wirksamkeit" klar definiert wird und aufgrund von Indikatoren nachgewiesen werden muss, die künstlerische Prozesse ignorieren, wird der gerade entstehende Zwischenraum wieder geschlossen und das Arbeitsfeld für die Produzent/innen uninteressant werden. Das Problem bei den gegenwärtigen Umstrukturierungen des kulturellen Feldes in England liegt deshalb nicht in erster Linie in seiner viel beklagten Ökonomisierung denn es hat keine Phase gegeben, wo es nicht ökonomisiert war, und es produziert dazu stets seine spezifischen Formen von Widerständigkeit. Die Bedrohung besteht vor allem in dem totalen Triumph der Verwaltung, der erwiesenermaßen jedem kritischen und mehrdeutigen Handeln ein schnelles Ende bereiten kann.

Anmerkungen

[1]"Social Inclusion" und "Access" zielen in erster Linie auf die Schaffung von Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Partizipation von Gruppen (z.B. in Bezug auf Bildung, Erwerbstätigkeit und politischer Mitbestimmung), die als "benachteiligt" und "ausgeschlossen" markiert sind. Damit sind sowohl physische (z.B. durch eine Rollstuhlrampe) als auch kulturell kodierte (im Sinne des Abbaus von Schwellenängsten) Zugangsmöglichkeiten gemeint. Diversity" bezieht sich auf eine Öffnung des Kompetenzbegriffs, die zzu einer Neubewertung der Fähigkeiten von als weniger kompetent Markierten (z.B. "Behinderte", "Alte", "Migrant/innen") führen soll. Rl. "Regeneration" bezieht sich auf die Kontrolle von sozialen Wandlungsprozessen postindustrieller urbaner und ländlicher Gebiete, die als strukturschwach markiert sind.
[2]So wird die Vermittlungsarbeit öffentlich geförderter Institutionen, die Gegenwartskunst zeigen, genannt.
[3]Socially Engaged Practice" ist einer der Schirmbegriffe ähnliclich wie Participatory Art" oder der von Susan Lacy geprägte Begriff "New Genre Public Art" für mit sehr unterschiedlichen Interessen, Formen und Strukturen betriebene künstlerische Projekte, deren gemeinsamer Nenner der Einbezug von Leuten außerhalb des Kunstfeldes ist.
[4]http://www.instituteofideas.com
[5]Ausstellungen der 1901 gegründeten Whitechapel Art Gallery waren z.B. 1902 Chinese Art and Life", 1908 Muhammaden Art and Life (in Turkeykey, Persia, Egypt, Morocco and India)" oder 1906 Jewish Art and Antiquitiees".
[6]1823 wurde von radikalen Anhängern Jeremy Benthams als erstes das London Mechanics' Institute als Bildungsstätte für Arbeiter gegründet; 1841 gab es bereits dreihundert davon überall in England. Manche waren vor allem mit der Vermittlung von Lesen und Schreiben beschäftigt, andere waren vor allem soziale Treffpunkte, andere wurden Zentren politischer Aktivität der Arbeiterbewegungen, manche verwandelten sich nach einer Weile in Kulturzentren der Mittelklasse.
[7]Ein interessantes Projekt im Bereich Rural Arts ist Littoral" (www.littoral.org.uk). Für aktuelle Konzepte im Kontext Urban Regeneration siehe z.B. die Projekte von Kathrin Boehm und Andreas Lang, von Jeanne van Heeswijk oder das Projekt Brand New Letchworth von B&B, unter www.welcomebb.org.uk
[8]Vorreiterinnen sind hier u. a. die Photographers' Gallery, die Serpentine Gallery und das Camden Art Center in London.
[9]Diesen Titel, der die Forderung "Art for All" genauso wie die Rhetorrik über die dadurch vermeintlich bedrohte Excellence" persifliert, trug eine kontroverse Veranstaltung der Serpentine Gallery im Februar 2003 mit einem Vertreter des Arts Council, Jane Sillis, der Koordinatorin für künstlerische Kooperationen des Obdachlosenzentrums Look Ahead Housing", Ingrid Swennson, Direktorin von Peer" und Sally Tallant, Leiterin des Education Departmment der Serpentine Gallery.
[10]Der Zugewinn an symbolischem Mehrwert, der mit der fortschreitenden Professionalisierung und ökonomischen Aufwertung einhergeht, hat gegenwärtig zur Folge, dass zunehmend auch männliche Akteure als Kunstvermittler oder Partizipationskünstler in dem traditionell weiblich dominierten Feld anzutreffen sind und dass die Künstler/innen immer jünger werden. Die Gründer/innengeneration ist, soweit sie sich nicht auf institutionalisierten Posten befindet, von der neuen Auftragswelle weitgehend ausgegrenzt.
[11]Diese These gründet auf Interviews, die ich 1999 und 2003 mit Künstler/innen geführt habe, die in England in der Kunstvermittlung und in partizipatorischen Kunstprojekten arbeiten.