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George Baker, Tom Burr, Kim Gordon, David Grubbs, Gary Indiana, Miwon Kwon, Sean Landers, Sarah Morris, Christian Philipp Müller, Yoko Ono and Haim Steinbach

Have You Been Thinking of Leaving New York, and If So, Why?

Die Stadt verlassen und "woanders" hingehen? Im Fall von New York haben sich in den letzten Jahren gerade im Umfeld dieser Zeitschrift jedoch jenseits eskapistischer Fantasien tatsächlich die Stimmen gemehrt, die laut über das Wegziehen aus der Stadt nachdachten. Wir haben deshalb New YorkerAutor/innen und Künstler/innen direkt danach gefragt.

Gary Indiana

Nein, ich habe nicht daran gedacht, New York zu verlassen, denn ich verlasse New York ständig. Für gewöhnlich verbringe ich die eine Hälfte des Jahres in Los Angeles und/oder Paris, ich reise zu meiner eigenen Erbauung herum, und manchmal bin ich wegen meiner Recherchen für ein Buch darauf angewiesen, mich zeitweise an Orten aufzuhalten, an denen ich mich eigentlich lieber nicht befände. Ist New York mein "Zuhause"? Ich bin geografisch unstet und wünsche mich meistens an einen anderen Ort als den augenblicklichen, aber nachdem ich mich wegen verschiedener Verpflichtungen im August letzten Jahres dafür entschieden habe, von Los Angeles aus wieder in meine alte New Yorker Wohnung zu ziehen, beschloss ich auch, dort so zu leben, dass ich mich nicht elend und unglücklich fühlen würde, und obwohl das eine Menge Arbeit und einige depressive Abstürze mit sich gebracht hat, glaube ich inzwischen mein Ziel erreicht zu haben. Das Wichtigste in meinem Leben sind meine Wahlverwandtschaften, und die sind so weit in aller Welt verstreut, dass keine Stadt es je schaffen wird, mir das Gefühl eines gleich bleibenden, gut eingerichteten Lebens zu vermitteln. Das Einzige, was das für mich bewirkt, ist ständige harte Arbeit, sei es als Autor, als Filmemacher oder Schauspieler, als Fotograf oder sonst jemand, der etwas vorher nicht Vorhandenes herstellt. Ich glaube nicht, dass die Whitney-Biennale oder die Armory Show innerhalb des zeitgenössischen Kunstmarkts unverzichtbare Größen darstellen. Die Whitney-Biennale ist schon immer die groteske Vergrößerung der Vorlieben eines Einzelnen oder weniger Einzelner, und bei der Armory Show zeigt sich schlicht und einfach, dass Kunstmärkte und Messen die einzigen Orte sind, an denen auch sehr geschätzte Galerien noch irgendetwas verkaufen können. Eine befreundete Galeristin aus Los Angeles jammerte mir kürzlich vor, sie müsse so viele Arbeiten zu einem Kunstmarkt in Europa transportieren lassen. "Wie viele denn?", fragte ich sie. "Vierzig", stöhnte sie, schon beim Gedanken vollkommen erschöpft. "Oder glaubst du etwa, dass heutzutage noch irgendjemand was aus dem Lager kauft?" In den USA gibt es zurzeit so wenig frei verfügbares Geld wie schon seit Jahren nicht mehr. Sogar die Reichen sind pleite oder jedenfalls kaum dazu bereit, in der Hoffnung auf spätere satte Dividenden das Familiensilber für ein paar junge Künstler zu versetzen. Die Preise für Arbeiten nicht bewährter Neulinge sind von den atemberaubenden Höhen in den Achtzigern und Teilen der Neunziger auf einen Stand zurückgegangen, der an die Zeiten erinnert, als man sich für fünftausend Dollar einen Jasper Johns schnappen konnte. Offen gesagt, ich glaube, dass einige Jahrzehnte der Enttäuschung der einzige Weg sind, wie es Künstler noch zu einiger Charakterstärke und Weisheit bringen können, denn das erreicht man ganz sicher nicht durch das eigene Haus in Montauk gleich nach der ersten oder zweiten Einzelausstellung. Ob ich daran denke, New York zu verlassen? Sicher, irgendwann. Ich trage mich nicht mit der Absicht, mit sechzig Jahren einmal in einem sechsstöckigen baufälligen Haus ohne Fahrstuhl zu landen oder mich den Zumutungen des Alters in einer Stadt auszusetzen, in der alte Menschen bestenfalls unsichtbar sind, schlechtestenfalls als Zumutung empfunden werden. In meinen "Golden Years" möchte ich lieber in Essouira in Marokko von einer Reihe liebreizender Araber gefickt werden oder Kaffee trinkend mit Freunden in der Brasserie Lipp sitzen, zu Cocktails ins Hôtel Pont-Royale. Und ich will, dass meine Asche irgendwo auf dem Père-Lachaise beigesetzt wird.

David Grubbs

Zunächst einmal habe ich es noch nicht in Erwägung gezogen, New York zu verlassen, um in irgendeiner anderen Stadt in den Vereinigten Staaten zu leben. Ich hatte nie das Gefühl, dass New York weniger Anteil an jenem Land hat, das zwei Herzschläge Pause George Bush zum Präsidenten gewählt hat. Ich kann einfach nicht glauben, dass sich diese Bastarde tatsächlich erdreisten, zum Parteitag der Republikaner nach New York zu kommen. Es muss hier weniger Flaggen pro Einwohner geben als in anderen us-Städten. Ich erinnere mich noch an den Schockzustand, den bei einem Besuch in Chicago einen Monat nach dem 11. September der Anblick ganzer durchgehend amerikanisch beflaggter Häuserblocks bei mir auslöste. Und dann erinnere ich mich auch daran, wie ich gleich nach der Landung in Chicago während einer Taxifahrt zum ersten Mal Toby Keiths Country-Hit im Radio hörte: "You'll be sorry you messed with the us of a, 'cause we'll put a boot in your ass it's the American way". Gut, ich liebe Chicago und so weiter, aber bloß raus hier! Ich bin nicht wegen der Whitney-Biennale, wegen der Galerieeröffnungen und Partys nach New York gezogen, auch nicht wegen eines Jobs. Ich bin Musiker und deshalb auf permanenten Ortswechsel eingestellt. Ich verlasse New York immer wieder. New York hat im Musikbereich nicht die gleiche geografische Hegemoniestellung wie in der Kunst. Natürlich ist es eine Metropole, aber Liveauftritte und Möglichkeiten, Musik zu kaufen oder downzuloaden, gibt es überall. Ich bin aufgrund meines Berufs nicht darauf angewiesen, in New York zu leben. Hin und wieder erscheint einem New York als der Knotenpunkt all dessen, was in der Musikszene wirklich Bedeutung hat, aber das ändert sich immer mal wieder, und die zentrale Position kann auch wieder von London, Berlin, Wien, Virginia Beach, Barcelona beansprucht oder ausgef&uum l;llt werden. Oder Louisville. Weilheim. Schon bevor ich nach New York gezogen bin, habe ich diese Stadt nicht als Maß aller Dinge betrachtet, und jetzt tue ich das sicher ebenso wenig.

Sarah Morris

Wenn man wie ich New York alle paar Wochen verlässt, dann erscheint einem diese Frage schon etwas merkwürdig denn sie scheint davon auszugehen, dass Leute sich an einem einzigen Ort aufhalten sollten. Aber was, wenn man viel Zeit in Los Angeles zu verbringen hat, beim Filmen oder am Telefon? Was, wenn man sich wohl oder übel in den Räumlichkeiten des Century Plaza aufhält, an Plätzen in Hollywood, bei den Academy Awards, im Bonaventure Hotel, auf dem Rücksitz von Dennis Hoppers Jaguar, bei Paramount Pictures und Twentieth Century Fox, in Warren Beattys Bibliothek, in Bob Evans Badezimmer, bei Sony Pictures oder in Pat Kingsleys Eckbüro? Wenn alles pervers ist, dann liegt Architektur eben daneben. Raum ist materiell und ökonomisch, aber filmisches Potenzial interessiert mich, sogar in New York. Was, wenn man an die United Nations denkt? Was, wenn man jeden Tag auf deren Gebäude schauen muss? Ich tue das freiwillig, täglich. Es ist schön, und es steckt voller zukünftiger Dinge. Früher war ich manchmal mit meinem Freund Richard zum Mittagessen im United Nations Delegates' Dining Room. Als wir eines Tages das Gebäude nach Rückgabe unserer Ausweise wieder verließen, richtete ich meinen Blick nach oben und sah im Norden ein ebenfalls von Wallace Harrison entworfenes Wohngebäude. Es machte den Eindruck eines Raumes, der auf seine Besetzung wartete. Ein filmischer Raum. In einer Großstadt zu leben bedeutet, sich ihren Geschichten und ihren sichtbaren Bedingungen auszuliefern, es kann aber auch heißen, diese neu zu gestalten oder zumindest einander neu zuzuordnen. Was anfangen mit der Absurdität eines Orts, an dem Truman Capote, Robert Kennedy und Johnny Carson gelebt haben? Die haben denselben Aufzug benutzt, sind zum selben Deli gegangen, haben beim selben Thai-Restaurant bestellt, hatten den gleichen Liquor Store ; Durch Wiederholung entsteht Geschichte. Das Gebäude ist eine Zeitmaschine, und die besten Städte speisen sich aus komplex geschichteten Widerspruchslagen. Truman konnte sich den Umzug hierher wegen der Tantiemen zu "In Cold Blood" leisten. Sein noch unentdecktes Manuskript von "Answered Prayers" liegt hier noch immer in Glas und Stahl begraben. In großen Städten gibt es eine Dimension zeitlicher Kontinuität, die weit mehr umfasst als ein paar Episoden oder die Amtszeit eines Präsidenten. New York braucht mehr Aufmerksamkeit, es muss narzisstischer werden. Da könnte es einige Strategien von Los Angeles übernehmen. Wenn eine Szene durch ist dann übernehmen wir sie eben. Wenn die Institutionen schwerfällig sind wir erhöhen einfach den Druck. Wenn das Niveau der Kritik nicht ausreicht dann sprechen wir das eben einfach aus. Abwesenheit kommt nicht infrage. Ich habe meine Anwesenheit nie als dauerhafte Einverständniserklärung verstanden.

Haim Steinbach

Es ist schwierig, seine Heimat zu verlassen. Meine Eltern sind von Israel nach New York gegangen, als ich dreizehn war. Die Reise nach Amerika war eine aufregende Erfahrung, aber ich fühlte mich wirklich entwurzelt. 1938, als meine Eltern Teenager waren, flohen sie aus Deutschland nach Israel. Nach Hitlers Aufstieg verließen Scharen von Intellektuellen und Künstlern Deutschland und gingen nach New York: Brecht, Kandinsky oder Feininger etwa. Dieser Übergang hatte für die New Yorker Kunstszene wichtige Auswirkungen, auch wenn er für viele Künstler auch persönliche Härten und unvorhergesehene Probleme mit sich brachte, zum Beispiel für Brecht, der in den fünfziger Jahren von McCarthys Henkern wegen seiner politischen Überzeugung unter Druck gesetzt wurde. Das Bemerkenswerte, was mir in letzter Zeit in New York aufgefallen ist, ist die Diskussion über die Zukunft der Freiheit des Einzelnen und über die Zunahme militärischer und sonstiger Überwachungsbestrebungen, von den neuen Verordnungen zum Rauchverbot ganz zu schweigen, die sich auf Einzelne auswirken, im Fall von Auto- oder Industrie-Schadstoffen aber außer Acht gelassen scheinen. Jedenfalls werden die Wellen in New York neu ankommender Künstler und das Wachstum bei Galerien und Museen noch immer im Steigen begriffen sein. Zugleich war seit Beginn der neunziger Jahre auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Kunstmarkts auf Künstler, Kritiker, Kuratoren und Sammler kaum je feststellbar. Ganz ohne Zweifel ist New York nach dem 11. September destabilisiert, und es gibt hier das mulmige Vorgefühl neuer Gefahren. Aber ich kenne niemanden, der gerade mit dem Gedanken spielte, die Stadt zu verlassen.

George Baker

Ich verlasse New York in drei Wochen. Ich ziehe nach Los Angeles, eine Stadt, in der ich nur zweimal zu Besuch war, bevor ich meine Entscheidung getroffen habe. Ich habe mich in Paris dazu entschieden, als ich auf meiner Europareise mit französischen Freunden unterwegs nach Marseille war. Irgendwie, denke ich, fühlt man sich von New York immer fern fühlt sich denn irgendjemand hier wirklich zu Hause? , und in den letzten Jahren habe ich immer wieder bemerkt, dass ich von hier flüchte. Wenn ich das könnte, würde ich natürlich gern in Paris leben wollen. Rom wäre auch gut. Alle sagen mir, ich solle nach Berlin gehen. Doch stattdessen verschlägt mich das Schicksal mitten ins Herz des amerikanischen Traums einer anti-europäischen Metropole oder besser: Megalopole. Zugegeben ich sehe dem mit gespannter Vorfreude entgegen. Zuerst war das gar nicht so. "Geschichte ist das, was schmerzt", hat Fredric Jameson einmal geschrieben, und mein bevorstehendes Exil aus New York der Stadt meiner Großeltern, die dorthin eingewandert sind, meiner Eltern, meiner eigenen Geburt, meines ganzen bisherigen Lebens als Kunsthistoriker und Kritiker schien bislang nur ein Sachzwang, das berüchtigte Problem, ein intellektuell und schöpferisch bestimmtes Leben in einer Stadt zu finanzieren, die sich immer mehr der simplen Aufhäufung von Finanzen verschrieben hat. Und doch hat sich auch New York für mich gewandelt, geradezu unter meinen Augen. Ungefähr seit 1997 wurde die Geschwindigkeit der Veränderungen ü ;berwältigend, physisch erschöpfend. Wenn ich durch die Straßen gehe, muss ich immer an Baudelaires "Schwan" denken: "Leider ändert sich die Form einer Stadt schneller als das Herz eines Sterblichen". Was die Auswirkungen auf die Kunstwelt betrifft, so fühle ich mich im neuen Chelsea ganz und gar fremd und vermisse das alte SoHo, ich vermisse die früheren Größenverhältnisse zwischen Kunst und Stadt, die Dimension von Kunst in der Stadt. Und dann haben meine Freunde, einer nach dem anderen, die Stadt verlassen. Sie sind es in Wirklichkeit, die mir diese Entscheidung möglich gemacht haben. Künstler sind fortgegangen, einer nach dem anderen. Zuerst schien sich diese Entwicklung noch auf Queens, auf Brooklyn, auf New Jersey zu beschränken, die alte Geschichte von steigenden Mieten und Gentrifizierung, die inzwischen die gesamte Insel Manhattan erfasst hat. Aber heute leben meine besten Freunde in Dublin, Paris, Los Angeles und Oslo. So wenige bleiben in New York. Der beschriebene Prozess hat sich natürlich nach dem 11. September 2001 nur beschleunigt. Für mich war das ein Tag einer gesamtgesellschaftlichen Katastrophe, aber auch einer privaten. Es war ein Tag, an dem für mich mit den Türmen des World Trade Center auch die Unterscheidung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zusammenbrach. Wenige Wochen zuvor hatte meine Frau ihre erste Chemotherapie begonnen, und der 11. September war genau der Tag, an dem ihr Haar in leblosen Büscheln auszufallen begann, etwa zwei Stunden, nachdem das erste Flugzeug in die Türme flog. Ich erinnere mich noch, wie ich sie am Tag darauf zu Christian Philipp Müllers Haus an der Park Slope in Brooklyn begleitet habe. Nach Manhattan hinüberzugelangen war, zumindest für eine Chemo-Patientin, ganz unmöglich. In einer ungeheuer liebevollen Geste half uns Christians Partner, ihr den Kopf zu scheren, und wir konnten lachen, zumindest ein wenig. Es war der Tag nach den Angriffen, und wir rasierten ihr auf dem Dach von Christians Haus die Haare ab, während in der Ferne noch immer die eingestürzten Türme brannten und sich die Rauchsäulen genauso weiß in den Himmel streckten wie der jetzt entblößte Kopf meiner Frau. Seitdem war New York für mich nie wieder das alte. Ich denke, New York ist eine Stadt, in der man eine bestimmte Zeit verbringt. Meine Zeit hier ist, zumindest für jetzt und aus sehr unterschiedlichen Gründen, abgelaufen. Es scheint kein Zufall, dass meine Entscheidung zum Umzug mit meiner Entscheidung zusammenfällt, nicht mehr aktiv als Journalist oder als gelegentlicher Kunstkritiker zu arbeiten und stattdessen zu einer fordernderen Arbeitsphase theoretischer und historischer Reflexion überzugehen. Dieser Raum zum Nachdenken, zur Reflexion, zur Rückschau genau das ist es, was es gerade für mich bedeutet, dies eine Mal die von New York ausgehende Einladung zur Distanznahme ernst zu nehmen. Das also bedeutet es, dieses Exil anzunehmen.

Yoko Ono

Nein, ich habe nicht daran gedacht, New York zu verlassen. Schon deshalb nicht, weil die Welt wirklich ein globales Dorf geworden ist und es kaum mehr einen Unterschied mehr macht, an welchem Ort man ist. Überall ist es friedlich. Überall ist es gefährlich. Überall ist es schön. Überall ist es schmutzig. Wir sind alle zusammen und sind eins im selben Herzschlag dieser Welt, die wir gemeinsam geschaffen haben. Wissen Sie denn, von wo aus Ihr Freund oder Ihre Freundin Ihnen die letzte Mail geschickt hat? Wie sollen Sie das auch wissen! Wenn Sie jemandem liebe Grüße schicken, weiß er oder sie, wer Sie sind? Wie sollen die das auch wissen! Wissen Sie, ob Sie die Luft von New York atmen oder in einem Regenguss in Paris spazieren gehen? Wie sollen Sie das auch wissen! Wir teilen uns den einen Himmel, der auf uns herabstrahlt oder herabschneit, wo immer er will.

Tom Burr

Ich habe schon immer daran gedacht, New York zu verlassen. Ich habe schon immer daran gedacht, für immer hier zu bleiben. Meine Wohnung gehört nicht mir, was mir Sorgen macht, aber dafür habe ich ein Haus ein paar Autostunden außerhalb der Stadt. Ich liebe es zu fahren, und ich freue mich immer, wenn ich die Stadtgrenze hinter mir lassen kann. Und dann, nach ein paar Tagen oder ein paar Stunden, steige ich wieder in mein Auto und kehre nach New York zurück, und das mit ebenso großer Lust. Es stimmt, dass New York gerade harte Zeiten erlebt. Ich hatte gehofft, dass dadurch Leute wegziehen würden. Ängstliche Familien würden ihre fabelhaften Apartments räumen, die geradezu lächerlich weit hinter die üblichen Marktpreise zurückfallen würden, zurückgelassene "Sub Zero"- Kühlschranktüren würden im leichten Wind klappern, während der wunderbar grimmige Massenexodus von suvs sich nach Osten, Richtung Long Island aufmacht, nach Norden durch Westchester und Connecticut zieht, westwärts nach New Jersey und raus ins Great Land, um nie wieder etwas von sich hören zu lassen. ; Aber es scheint, dass die falschen Leute weggegangen sind. Ich halte dennoch an meiner Hoffnung für New York fest. Die Dinge könnten sich auch wieder ändern. New York hat sich schon einmal neu erfunden. Das könnte es wieder tun. Vielleicht kommt es zu einem Ausbruch. Vielleicht wird George Bush dahindämmern. Vielleicht wird sich Condoleeza Rice dazu entschließen, nett zu sein. Vielleicht wird der Bürgermeister sich eines Besseren besinnen und Arnold wieder in die Softporno- und Fetischfilm-Produktion zurückkehren. Ich werde weiterhin pendeln, ob ich nun New York verlasse oder hier für immer und ewig bleibe.

Miwon Kwon

Es ist nun schon sechs Jahre her, seit ich New York verlassen habe für mich ein wichtiger biografischer Einschnitt, der durch ein Jobangebot der UCLA ausgelöst wurde, das ich nicht ablehnen konnte. New York zu verlassen war insofern für mich keine bewusst geplante Entscheidung, keine günstige Gelegenheit, die zu ergreifen gewesen wäre eher etwas Unausweichliches, das akzeptiert werden wollte. Hätte es für mich einen vergleichbaren Job in New York gegeben, ich wäre geblieben, selbst wenn ich dann weniger Geld bekommen hätte. Womit ich sagen will: Ich war mit dieser Stadt noch längst an kein Ende gekommen, d ie Stadt anscheinend aber wohl mit mir. Als ich ankündigte, ich würde New York verlassen, sagte einer meiner Mentoren zu mir: "Man geht nach Osten, Miwon niemals nach Westen." Es macht einen Riesenunterschied, ob man New York verlässt oder ob man New York verlässt, um dann nach Los Angeles zu gehen, denn das scheint als Entscheidung immer den Geruch des Verrats an sich zu haben. Nun sind allerdings fast alle meine engeren Freund/innen und Kolleg/innen in Los Angeles Künstler/innen, Schriftsteller/innen, Kurator/innen, Akademiker/innen aus New York hierher gekommen. Was auch immer diese Stadt einmal zu bieten gehabt hat, es hat sich inzwischen anscheinend in einer Art Exodus einreduziert.

Und trotzdem wollen nach wie vor Künstler/innen ihre Ausstellungen in New York, ebenso wie Autor/innen ihre Buchpräsentationen oder Akademiker/innen ihre Vortrags- (oder besser gleich: Job-) Einladungen an die Columbia University. Und für Kunstkritiker/innen sind die Ausstellungen im Whitney Museum oder im Museum of Modern Art nach wie vor Pflichtveranstaltungen. New York ist und bleibt ein wichtiges Zentrum, wenn nicht das Zentrum für alles, was irgendwie präsentiert oder distribuiert werden soll. Aber es ist längst nicht mehr das Epizentrum der Produktion, und das ist der entscheidende Unterschied. Das gute Gedeihen eines künstlerischen Lebenswerks oder das Gefühl des Verbundenseins mit den kulturellen und gesellschaftlichen Triebkräften bemisst sich nicht mehr nach der Nähe zum Big Apple. New York ist unterdessen zu einem Ort des Herzeigens geworden, nicht mehr der Herstellung. In dieser Hinsicht, denke ich, muss ich in meinem intellektuellen Leben nichts entbehren, weil ich von dort fortgegangen bin. Andererseits: Selbst wenn man dort nicht mehr lebt, fällt es einem schwer, New York zu verlassen. Ich komme noch immer ins Stocken, wenn ich jemandem sagen soll, woher ich komme. Ich führe dann immer eine ganze Menge einschränkender Bestimmungen an. Ich sage, dass meine berufliche Tätigkeit in Los Angeles liegt, aber ; aber ; aber ; die Menschen, die mir am nächsten sind, leben, wie meine Familie, in New York ; Ich halte noch immer ein winziges Appartement in Brooklyn ; Ich reise regelmäßig nach New York ; Ich lebe an beiden Küsten. Ich spüre noch immer ein nicht zu leugnendes Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu New York. Aber dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist in Wirklichkeit die Sehnsucht nach einem Ort, einer Zeit, einem Ich, das unwiederbringlich in der Vergangenheit verloren ist oder die sich in eine weit entfernte Zukunft zu verlängern hat. Ich bin eine New Yorkerin, die diese Stadt selbst dann vermisst, wenn sie dort ist. Ich glaube, mein Freund Gregg Bordowitz hat die Sache gut getroffen, als er gesagt hat: "New York is yesterday".

Christian Philipp Müller

Diese Frage beschäftigt mich seit einiger Zeit. Genau betrachtet habe ich mich nie ganz für New York entschieden. Mein Status ist seit Jahren der eines Touristen; trotzdem habe ich wie in keiner andern Stadt ein Gefühl von Zuhause. Dieses Gefühl verlässt mich schlagartig, sobald ich mich in Amerika außerhalb von New York befinde. Nach meinem Studium in Düsseldorf und längeren Aufenthalten in mehreren Ländern Europas schien mir ein Aufenthalt in Amerika zu Beginn der neunziger Jahre vielversprechend. 1992 nahm mich der New Yorker Galerist Colin De Land in sein Galerieprogramm auf, und das künstlerische und soziale Umfeld der Galerie war für lange Zeit sehr anregend. Es gab aber nie genügend Beweggründe, mich auf New York festzulegen. In Europa gibt es mehr Möglichkeiten, sich auch außerhalb des Galeriensystems als Kunstschaffender zu betätigen. Seit Jahren empfinde ich den andauernden Vergleich dieser unterschiedlichen Bedingungen als eine große Bereicherung und als Basis für meine künstlerische Arbeit. Mein Wunsch, gleichzeitig in Europa und Amerika zu leben, ist nach den politischen und wirtschaftlichen Folgen des 11. September 2001 irrational geworden. Ich kann mich ökonomisch gesehen nicht für Amerika entscheiden. Die Konzentration auf Europa beinhaltet aber den schmerzhaften Verlust jahrelang aufgebauter sozialer Kontakte in New York. Ich versuche deshalb möglichst lange in einem Schwebezustand zu verbleiben.

Kim Gordon

Eigentlich lebe ich gar nicht mehr in New York. Wir sind dort vor fünf Jahren weggezogen, nach Western, Massachusetts. Viele identifizieren uns noch immer mit New York, diese Art Fragen wird uns noch sehr oft gestellt. Natürlich arbeiten wir aber immer noch da, und wie viele Leute, die dort im eigentlichen Sinn leben, nehmen auch wir das reichhaltige Angebot dieser Stadt wahr: ihre guten internationalen Restaurants, ihre Pediküresalons, ihre Veranstaltungen, ihre Kunstausstellungen, ihre Musikszene. Einige der interessanteren Leute, die ich in letzter Zeit kennen gelernt habe, leben allerdings nicht dort, sondern haben sich entschlossen wegzuziehen und leben inzwischen in einer weniger geldzentrierten Umgebung. Es gefällt mir gut, zur Abwechslung mal eher am Rand und nicht mehr im Auge des Hurrikans zu leben.