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Vorwort

Das Wort „Sounds" ist für uns nicht nur deshalb interessant, weiles einmal der Name einer einflussreichen Musikzeitschrift war. Es beschreibt auch eine unsichtbare Verbindung, in der sich innerhalb der weiteren Kunstwelt nur dem Begriff nach getrennte Bereiche längst zu einer großen lebensweltlichen Ambient-Koalition des Ästhetischen vereinigt haben. Und dies auch nicht erst seit den neunziger Jahren. „Sounds" taugt zunächst als Gegenbegriff zu den rockistischen Subjektzentrierungen dieses vergangenen Jahrzehnts, denen es immer wieder darum ging, außergewöhnliche Doppelbegabungen zu Vorbildfiguren für ein Lifestyle-DJing inmitten kultureller Antagonismen zu machen. Die Evidenz der immaterialisierten Produktionskulturen, die sehr gern mit Digitalisierung oder Globalisierung kurzgeschlossen wurden, führte nicht zuletzt dazu, dass sich erfolgreiche Künstlerkarrieren vor der Folie einer Erweiterung des Produkt- und Service-Angebots zu entwickeln hatten. Nicht alle Nebenschauplätze hatten mit Sound oder Musik zu tun, aber erstaunlich viele. Die verstreuten Diskussionen über die Motive von Kontextwechseln oder über „Crossover" zwischen bildender Kunst und Musik, die als weitestgehend ritualisiert angesehen werden können, sind inzwischen zum Alltags- geschäft der Feuilletons geworden. Jeder Mensch zwei Künstler. Crossover ist nicht mehr der Rede wert, weil er in die Verhältnisse der Kunstwelt eingesickert ist, wie in Gesprächen mit Michaela Melián, der Gruppe Cardiophon oder Peter Doig an jeweils anderen Gleichgewichtsverhältnissen und Inte- ressenlagen klar wird. Über diese entschärfte Dramatik hinaus kann eine Kunstpraxis wie die der zwischen Party- und Kunstbereichstrennungen und referentiellen Anknüpfungen an historische Vorfindlichkeiten wechselnden Lucy McKenzie als ein neuerer Typ reflexiv angelegten Umgangs mit den Ambivalenzen des auf Signalkonsistenz setzenden Kulturbetriebs diskutiert werden, wie es André Rottmann in seinem Text zum Eno-Bezug der Künstlerin in Angriff nimmt.

Diedrich Diederichsens Essay versucht an dieser Stelle eine historische Perspektive zu eröffnen, in der an die Stelle eines früheren additiven Verhältnisses von Kunst-, Musik- und Soundpraktiken eine wechselseitige Erhellung der jeweiligen blinden Flecken einer Kunstgattung getreten ist, die sich mit den Erkenntnissen einer anderen aufzuladen versteht.

„Sound", selbst mit all seinen möglichen, gediegen hochkulturellen Konnotationen, könnte im Gegensatz zu den Autorenmodellen des Popkulturellen eine Kategorie sein, die in den Crossover-Debatten zu kurz gekommen ist, oder die dort, wo sie auftauchte, etwas Unbestimmtes bezeichnete, das in „Style" und „Klang" nicht aufging — eine Kategorie, in der sich vielleicht sogar „das Unbewusste" der von uns beobachteten Industrien von Kunst- und Musikmarkt eher auffinden lässt als in anderen, auf das Optische oder das Strukturelle konzentrierten Terminologien.

In dieser Ausgabe, die in Zusammenarbeit mit Aram Lintzel und Olaf Karnik entstanden ist, steht also die Überprüfung einer Reihe höchst unterschiedlicher Zuschreibungen „objektiver" Qualitäten von Sound im Vordergrund. Er liefert nicht einfach eine neutrale Positionierung, sondern zuerst weniger intentionsgeladene Produktionsverständnisse. An den Stellen, wo die „high" codierte Klanginstallationskunst sich mit den seit den Neunzigern nachgewachsenen Traditionslinien etwa der elektroakustischen oder elektronischen Musik oder digitalen Technologien berührt, erhält sie psychologisierende, fast stimmungsmäßige Faktoren, durch die aus Sound eine Atmosphäre oder ein soziales Klima werden können. Darin zeichnen sich wieder eher popkulturelle Sichtweisen gegenüber einem konzeptualistischem Zugang zu Sound als Geräusch, Rauschen oder Resonanz ab. In seinem Beitrag zu Arbeiten einer jüngeren Künstlergeneration, die sich auf soziale Milieus der Bandund Clubkultur bezieht, macht Aram Lintzel deutlich, dass es gerade der nostalgische Verweis auf von Pop gestiftete Momente kollektiver Erhebung ist, in dem das politische Potential von Sound ausgemacht werden kann.

Innerhalb von dem durch den Soundbegriff produktiv zu vermittelnden Bezugsfeld von Kunst und Musik ließ sich in den letzten Jahrzehnten in paradigmatischer Weise eine merkwürdige Doppelbelegung des Ausdrucks „Ambient" konstatieren: Er bezeichnete in den neunziger Jahren eben längst nicht mehr nur eine von Brian Eno und anderen souverän beherrschte Musikgattung. Er war zu einer meist pejorativ gemeinten Beschreibung von Kontext befreiter Loungekultur in einem Kunstbetrieb geworden, der sich auf die vermeintlich anthropologisch essentiellen Bedürfnisse seines Kundenkreises zu beziehen versprach, indem Ambient gepolsterte Fluchtburgen vor den Aporien der Avantgardegeschichte und vor der Sichtbarkeit der eigenen Ausbeutungsverhältnisse bot, in denen die gleichnamige Musik laufen, aber auch „für alle" gekocht werden konnte. Auf der anderen Seite gab es aber auch immer wieder Versuche, an ein konzeptuell ausgerichtetes Verständnis von Sound anzuknüpfen, so dass in installativen Verfahren die Integration von Klang und Noise nicht auf die lebensweltliche Aufladung von Ausstellungsprojekten abzielte, sondern als Medium begriffen wurde, in dem Mechanismen sozialer Kontrolle durch ästhetische Formationen und technologische Dispositive ebenso verhandelbar erschienen wie die ideologischen Besetzungen des eigentlich Ruhe gebietenden Museumsraums. In seinem Beitrag nähert sich Tom Holert der neuerlichen Konjunktur des Sound-Begriffs im Feld der bildenden Kunst über den Effekt des so genannten „noisebleed" an, der ungewollten Interferenz der „Soundtracks" von Installationen und Film: arbeiten im internationalen Ausstellungsbetrieb. Dabei kann er zeigen, dass es sich keineswegs nur um ein technisch zu lösendes Problem handelt — sondern dass der Sound transportierende Äther im Inneren der White Cubes und Black Boxes eine versteckte „zweite Ordnung" etablieren kann.

Die phänomenologischen Implikationen von Sound, wie sie im Zentrum einer Reihe kompositorischer Systeme und Anordnungen ab den frühen sechziger Jahren standen, sind hier ebenfalls von besonderer Relevanz. Denn in historischer Perspektive lässt sich die entscheidende Rolle von Sound in den vom amerikanischen Komponisten Henry Flynt als „Concept Art" be zeichneten Überlegungen zu Möglichkeiten einer musikalischen Praxis rekonstruieren, die sich durch die Abkehr von klassischen musikalischen Schemata, traditionellen Aufführungssituationen sowie subjektzentrierten Autormodellen eine nachhaltige Entauratisierung der Musik erhoffte. Hier anknüpfend setzt sich ein Grund legender Text von Branden W. Joseph mit den konzeptuellen Praktiken und Soundbegriffen von Henry Flynt und Tony Conrad auseinander. Neben künstlerischen und theoretischen Werken wie denen eines John Cage oder George Maciunas hat sich eine folgende Generation konzeptuell arbeitender Künstler/innen mit den phänomenologischen Setups von Soundphilosophien beschäftigt, was kurze Porträts der Komponisten James Tenney und Alvin Lucier aufzeigen v— nicht ohne deren Bezüge zu aktuellen Fragestellungen nach einer Ästhetik von Soundinstallationen aufzuzeigen. Der vielen experimentellen Beschäftigungen mit elektronischer Klangerzeugung zugrunde liegende Naturbegriff — das zeigt der Essay von John Miller — wird in den soundtrackartigen Werken der sich selbst als „original synth" apostrophierenden Wendy Carlos mit einer subversiven Kritik konfrontiert — die bei heute erfolgreichen Soundkünstlern wie Carsten Nicolai oder Ryoji Ikeda mit ihren konzeptuellen Designercharme ausstrahlenden Wissenschaftsästhetiken zumindest auf der direkt zugänglichen Ebene vergessen scheint.

Mit der These einer nahezu strukturellen Subversionskraft von Sound und Noise avancierte der französische Theoretiker Jacuqes Attali Ende der sieb ziger Jahre zu einem der am meisten rezipierten Musikphilosophen. Ein von Christoph Gurk geführtes Interview schlägt einen Bogen von den zivilisa- tionskritischen Thesen seines Buches „Bruits" zum „Ausnahmecharakter" der mit Sound Agierenden in der Gesellschaft — hin zu einer Kritik der Soundindustrien und ihrem laut Attali unmittelbar bevorstehenden Niedergang.

CLEMENS KRÜMMEL, ANDRÉ ROTTMANN

MIT ARAM LINTZEL UND OLAF KARNIK

Mit dieser sechzigsten Ausgabe existiert die Zeitschrift Texte zur Kunst seit fünfzehn Jahren. Das wird von uns und unseren Autor/innen, Leser/innen und Editionskund/innen nicht nur am 11 . Dezember 2005 unter dem Titel „Soundcheck — Kunst und die Politik des Klangs" mit einer Vortragsveranstaltung und einer Party in der Berliner Volksbühne gefeiert. Die mit dem vorliegenden Heft veröffentlichte CD mit Musikbeiträgen von Besprechenden und Besprochenen dieser Ausgabe ist ein Geschenk an unsere Leser/innen, das die Verwobenheit der unterschiedlichen Sorten von Autorschaft, um das es in dieser Ausgabe ebenfalls geht, unter Beweis stellen kann. Zu den Anfängen von Texte zur Kunst zählte die selbst gestellte Aufgabe, als Vermittlungsinstanz zwischen den auf alle Zeiten unterschieden scheinenden Bereichen von akademischer Kunsttheorie und nah am Kunstgeschehen operierender Kritik zu fungieren. Dazu gehörte nicht zuletzt auch die anfangs groß geschriebene Rolle als Importorgan für akademische und künstlerische Theorie aus englischsprachigen Kontexten. Die Notwendigkeit, englische Texte in deutschen Übersetzungen zugänglich zu machen, hat sich seit 1990 mit Sicherheit deutlich verringert — nicht zuletzt durch die Internationalisierung des Sprechens und Schreibens über Kunst, die gemeinhin mit Internet, Cultural Studies und Austauschprogrammen verbunden wird. Unsere Entscheidung, ab dieser „Sounds"-Ausgabe die englischsprachigen Texte im Original zu belassen, ist auch eine Reaktion auf ein immer wieder geäußertes Interesse an einem „Feedback" auch in dem Bereich, aus dem nach wie vor viele der entscheidenden Impulse für unsere Auseinandersetzungen mit zeitgenössischer Kunst und Kunsttheorie stammen. Es ist ein erster Versuch, die Asymmetrie in den Kommunikationen um dieses Zeitschriftenprojekt abzubauen. Wir freuen uns auch für die kommenden Jahre auf Ihr Interesse und Ihre Unterstützung. Und jetzt alle.

ISABELLE GRAW, CLEMENS KRÜMMEL, ANDRÉ ROTTMANN