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Ulrich Gutmair

Gute Texte, Schlechte Texte

Was sind gute Texte? Und was sind die schlechten Texte, die uns ständig an die Abwesenheit der guten erinnern? Die Hypothese dieser kleinen Abhandlung lautet, dass sich schlechte Texte heute entweder durch einen haltlosen Subjektivismus oder einen stereotypen, Theoriemächtigkeit suggerierenden Jargon disqualifizieren. Die einen sagen zwar viel über die Selbstvermarktungsstrategien ihrer Autor/innen, aber wenig über ihre Gegenstände. Die anderen ersetzen Argumente durch Indizes für irgendwann und irgendwo anders geführte Debatten. Also gilt erstens: Texte, die zwar „Ich“ sagen, aber sonst nicht viel, sind keine guten Texte. Zweitens: Texte, die nur den Anschein erwecken, als würde in ihnen nachgedacht, sind es auch nicht. Aber was sind denn nun gute Texte? Ihre innere Ökonomie muss stimmen, mit möglichst geringem Aufwand soll möglichst viel gesagt werden. Weitere Gebote sind Klarheit und Genauigkeit, Plausibilität und argumentative Stringenz. Gute Texte sind also per definitionem gut geschriebene Texte, was aber noch lange nicht heißt, dass gut geschriebene auch gute Texte sein müssen. Stil, Eleganz und Präzision fallen nicht notwendigerweise mit dem Formulieren von Gedanken zusammen. In guten Texten werden darüber hinaus die Leidenschaften des Autors sichtbar. Es sind Texte, denen anzumerken ist, dass sie einer Dringlichkeit geschuldet sind. In den oben kurz skizzierten Sorten schlechter Texte passiert weder das eine noch das andere: Die hemmungslos subjektiven Texte, die als Kolumnen, standardmäßig mit Bildchen des Autors versehen, für Feuilletons, Wochenendausgaben und -beilagen, also die dem „Leben“ gewidmeten Seiten der Tageszeitungen und Illustrierten en masse fabriziert werden und bereits das Rezensionswesen angekränkelt haben, erzählen meist nichts von solchen Leidenschaften. Dafür stehen sie sich selbst zu ironisch distanziert gegenüber. Die Zahl der in einem Text vermittelten Wahrheiten über seinen Autor verhält sich meist umgekehrt proportional zu den im Text gezählten „Ichs“. Aber auch die lauthals „Theorie!“ trompetenden Jargonkaskaden der zeitgenössischen Projektliteratur kennen keine Dringlichkeit. Oft lösen sie auch ihren eigenen theoretischen Anspruch nicht ein, was schwerer wiegt. Mit Projektliteratur soll hier die Textsorte benannt werden, die sich in Publikationen zu staatlich subventionierten Veranstaltungsreihen, in Kunstkatalogen, Kuratorenstatements, mitunter aber auch in Kunstzeitschriften wie Texte zur Kunst breitgemacht hat. Sie schreckt durch hohe Jargondichte und hyperkomplexe Schachtelsätze selbst den geneigten Leser ab. Es soll im Folgenden nur noch von den „Ich“-Texten die Rede sein, weil einem die Autor/innen der Projektliteratur ohnehin schon oft genug die Laune verderben. Dabei können sie gar nichts dafür, dass sie sich als Germanisten, Kulturwissenschaftler oder Kuratoren in der Welt der Exzellenzinitiativen und unter dem Regime von Bachelorstudiengängen in einer ständigen Konkurrenz um Drittmittelprojekte, Fördergelder oder Kunstmarktanteile befinden. Das zwingt sie dazu, sich plötzlich als Experten zu Klimakatastrophe, Nachhaltigkeit oder interkulturellem Austausch äußern zu müssen. So werden sie gleichermaßen zu Opfern und Akteuren eines Prozesses, in dem Kunst und Kultur als Diskursagenturen für eigentlich politische Fragestellungen missbraucht werden. Nur die Benennung und „Thematisierung“ gesellschaftlich drängender Probleme scheinen den Organisatoren von Tagungen und Veranstaltungsreihen und den Kuratoren von Ausstellungen heute Fördergelder und Aufmerksamkeit zu bescheren. „Ich“ zu sagen ist kein Verbrechen gegen das Gebot der guten Lesbarkeit und der Plausibilität. Problematisch wird es allerdings, wenn dieses Ich schon den gesamten Raum beschreibt, den der Text umreißt. Ich-Texte sind die Kehrseite der Celebrity-Kultur, weil sie weder von einem gesellschaftlichen Außen noch von einem Innen wirklich erzählen. Ihr verdinglichtes „Ich“ ist analog zur Celebrity-Oberfläche ein eindimensionales, widerspruchs- und eben affektloses Konstrukt, das nichts von den Bedingungen wissen will, unter denen es ausgesprochen wird. Das ist auch der Grund, warum Rainald Goetz’ „Klage“ so wunderbar funktioniert. Dieser Blog auf den Netzseiten von Vanity Fair erscheint zwar selbst als Version des gemeinen Ich-Texts mit all seinen Schrecknissen und Peinlichkeiten, handelt aber auch ständig analysierend von ihm. „Klage“ ist eine höhere, sekundäre Form des Klatschs, der die „Ichs“ anderer Autoren und Celebrities beim Namen nennt, aber auch auf kritische Selbstbefragung nicht verzichtet. Es ist ein Text über die inneren und äußeren Produktionsbedingungen von Texten. Die Gesellschaft, die Goetz zu erfassen sucht, konstruiert er analog zu dem Feld, das die Zeitungen unter der Rubrik „Gesellschaft“ bestellen. Gleichzeitig beobachtet Goetz, wie andere Beobachter dieser Gesellschaft agieren, indem sie diese beschreiben. Goetz formuliert eine eigene Ethik des guten Texts, die sich im Imperativ der Empathie äußert: „Jede Beobachtung, die ihren Distanzort zum Beobachteten nicht zu verlassen sich bemüht, um sich in intuitiv aktiven Verstehensvorgängen das beobachtete Gegenüber von innen her zu erschließen, ist eine Gemeinheit, eine Asozialität, eine das Weltverstehen limitierende, verbotene Dummheit.“ Ich-Texten gelingt es aus eben diesem Grund nur selten, ihre Leser zu interessieren, weil sie rekursiv nur auf sich selbst verweisen. Wie aber kommt es zur massenhaften Etablierung von Ich-Monaden in den Medien? Dass die Massenmedien von Celebrities handeln und ihre Autor/innen, indem sie über jene schreiben, auch von sich selbst erzählen, hat auch ökonomische Gründe. Die Gesamtauflage deutscher Zeitungen sinkt beständig, während die Zahl arbeitsloser Journalisten steigt. Das Internet dürfte dabei nicht nur für den Leserschwund, sondern auch für sinkendes Anzeigenaufkommen verantwortlich sein. In einem vor kurzem in der Zeit erschienenen Text wendet sich Götz Hamann dennoch gegen den Kurzschluss, dass der Siegeszug des Netzes allein für die Probleme im Verlagswesen ursächlich sei. Überhöhte Renditeerwartungen und strategische Fehler seien weitaus entscheidendere Faktoren. Während nämlich selbst in boomenden Industriebranchen wie der Stahlindustrie die Renditen deutlich unter zehn Prozent liegen, erreichen sie bei deutschen Verlagen bis zu 25 Prozent. Verringern sich die Einnahmen aber, eben unter anderem wegen des Internets, in das Teile des Anzeigenmarkts und der Leserschaft abgewandert sind, dann greifen die Verleger, wie die Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre zeigt, meist zu Maßnahmen, die zulasten der Arbeitsbedingungen gehen. Stellen werden gestrichen, bestehende Tarifvereinbarungen mittels Outsourcing unterlaufen. Das Ergebnis dieser Strategie der Einschnitte ist unter anderem, dass die Honorare für freie Autoren stetig schrumpfen und die verbliebenen Redakteure vermehrt Organisationsaufgaben übernehmen müssen. Es war wohl kein Zufall, dass der Siegeszug der Verfallsformen des sogenannten Popjournalismus zur selben Zeit stattfand, als diese Entwicklung Fahrt aufnahm. Seine Vorläufer hatten mit dem Einnehmen eines subjektiven Blicks unter anderem das Unterlaufen der alten Grenzen zwischen Hoch- und Subkultur im Sinn gehabt. Alltagserfahrungen wurden vor kanonisiertem Wissen privilegiert, wobei es im besten Fall darum ging, theoretische Interessen und den genauen, so empathischen wie kritischen Blick auf popkulturelle Phänomene miteinander zu verbinden. Übrig geblieben ist davon nicht viel mehr als ein Missverständnis, nämlich der bereits beschriebene Rückgriff auf den engen Raum des formalen „Ichs“. Er lässt sich als Strategie des kreativen Umgangs mit einem Mangel an Ressourcen begreifen: Wo keine Zeit mehr für Recherche und Nachdenken bleibt, müssen der schreibende Redakteur und die prekarisierte „Freie“ eben auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Wer aber ist die Zielgruppe? Der Blick in deutsche Tageszeitungen und Illustrierte zeigt, dass es sich dabei um eine Leserschaft handelt, der man regressive Tendenzen unterstellt. Es wird mit Superlativen hantiert, also auf infantiles Begehren und seine Allmachtsfantasien abgezielt. Das Produkt, das hier verkauft wird, heißt vorne dran zu sein, mitzuspielen, Elite sowohl auf dem Feld des Konsums als auch eines mit ihm verbundenen Wissens zu sein. Auch das ist ein ursprüngliches Element des Popjournalismus, dem allerdings jeder kritische Impuls zugunsten bloßer Distinktionsgesten abhanden gekommen ist. Das Produkt, um das es hier geht, ist also das, was gerne mit „Neuer Bürgerlichkeit“ beschrieben wird. „Bürgerlichkeit“ steht dabei für die Teilhabe an Wissen und Konsum, das „neu“ für die eben beschriebene Behauptung, dass diese Teilhabe nicht nur bürgerlich, also tendenziell konservativ sein, sondern in ihrer Affirmation des Daseienden einen avantgardistisch-bohemehaften Charakter haben soll. So etwas aber kann es gar nicht geben, schreibt Rainald Goetz: „Jede Idee, die sich nicht am Sozialen bricht und dabei verwirren, zerstören oder beglaubigen lässt, gibt es gar nicht.“ Vielleicht gerade wegen seiner kaputten Grammatik klingt dieser Satz so wahr. Es ist der Defekt in der Satzstruktur, der von eben dieser Zerstörung Zeugnis ablegt.