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Crisis Manuals Adam Kleinman über Ei Arakawa und Nikolas Gambaroff in der Galerie Balice Hertling, Paris

Ei Arakawa, "TCCA Magazine 1", Galerie Balice Hertling, Paris, 2008 Ei Arakawa, "TCCA Magazine 1", Galerie Balice Hertling, Paris, 2008

Die künstlerische Produktion von Nikolas Gambaroff kann als Meta- Malerei bezeichnet werden. Seine abstrakten Bilder entstehen in Anlehnung an konzeptuelle und aleatorische Verfahren und erweisen sich bei näherer Betrachtung als Simulationen traditioneller Spuren des Malerischen.

In der Pariser Galerie Balice Hertling wurden Gambaroffs Bilder nun zu Requisiten einer Performance von Ei Arakawa, die sie in verschiedene Kontexte stellte und zum Gebrauch durch die Besucher/innen der Eröffnung freigab. Aber was passiert wenn Gemälde zu Objekten des Gebrauchs werden? Und welche Auswirkung hat dies auf ihre kommerzielle Verwertbarkeit?

Kleist verbrennt zu schnell, das gibt nicht genug Hitze für die Kälte. So kann man es auch sehen. Für jetzt ist es vielleicht das richtige.

—Aus Rainer Werner Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“

Obwohl es in der Gegenwartskunst recht gebräuchlich geworden ist, die Pressemitteilung als Kunstwerk einzusetzen – à la Seth Price –, sollte man sich die zwei Seiten Begleittext näher ansehen, die Nikolas Gambaroff für seine erste Einzelausstellung bei Balice Hertling entworfen hat, und diese nicht als Kunstwerk, sondern als Vorwort oder Führer zu seiner Ausstellung betrachten, deren Titel die FedEx-Nummer des Transports der Arbeiten von New York nach Paris ist: „8864 3362 2250 Z1 CDGRT“. Das auffälligste Merkmal dieses Dokumentes ist eine Werbeanzeige der Website des Heimwerkermarkts Lowe’s in Form eines konkreten Gedichts, das einen aus handschriftlichen Zeichen zusammengesetzten Flachpinsel darstellt. Liest man die ganze Anzeige durch, erfährt man aus den Borsten des Pinsels die Geschichte einer „gelangweilten Hausfrau“, die ihr aus der Mode gekommenes „70er Jahre“-Heim in etwas „Aufregendes“ verwandeln „musste“. Als Gegenpol fungiert die Zwinge des Pinsels als eine Art literarische Bindung und berichtet, wie diese fiktive Jederfrau sich auf die Website eingeloggt und diverse Werkzeuge zum Malen gekauft hat; blaue und gelbe Farbe, Abklebeband und Ähnliches bilden zusammen den Griff des Pinsels. Diese dreiteilige Erzählung mag zwar gut organisiert und ihre formale Synthese zu einem „Zeichen“ für Malerei sehr clever sein, doch der Inhalt dieser eigentlich frauenfeindlichen Geschichte, wie ein Warenhaus unzufriedene Hausfrauen landesweit glücklich macht, indem sie ihnen die notwendigen Dinge verkauft, mit denen sie ihre Leben durch dekorative Malerei und Heimwerken verändern können, ist politisch eher bedenklich. Wohl als eine Art Satire spiegelt Gambaroff, der gelangweilte Maler, die vielfältige Beziehung zwischen Form und Werbung in seiner Ausstellung, indem er eine offensichtliche Dekonstruktion altbewährter Verfahren der Konzeptkunst betreibt. Dazu ist die Ausstellung mit Arbeiten durchsetzt, die aleatorisch und stochastisch generierte Methoden einsetzen und dann mit Anliegen der französischen Support/Surface-Gruppe überlagert werden – so kommen Aneignungsverfahren zur Anwendung oder Schablonen und Prägungen, die Claude Viallat als selbst-reflexive Befragung des Trägermaterials der Leinwand einsetzte. Aus dem Begleittext erfahren wir außerdem von der „Monte-Carlo-Simulation“, einem numerischen Verfahren, das auf wiederholten zufälligen Experimenten basiert. „The Rand Corporation“, ein nicht profitorientierter globaler Think Tank, ursprünglich entstanden, um Forschungen und Analysen für das US- amerikanische Militär zu erstellen, entwickelte Tabellen mit zufällig ermittelten Zahlen, die zur Simulation physikalischer und mathematischer Systeme verwendet werden. Gambaroff vermeidet es, ein Raster als organisierendes Prinzip zu benutzen wie Viallat es getan hat, lieh sich aber einige dieser Monte-Carlo-Zahlen aus, um sein eigenes Koordinatensystem zu erstellen, mit Hilfe dessen er die Gestaltung seiner abstrakten Gemälde festlegte. Auch wenn sich die genaue Methode dem Betrachter nicht erschließt – und für den Künstler wohl eher heuristisch ist –, präsentiert die Ausstellung eine robuste Serie von 23 abstrakten Bildern, die wahllos verschiedene Stile erproben. Neben Farbfeld-Poly- und Monochromen und einigen gestischen, aber doch geometrisch geordneten Abstraktionen findet sich eine Reihe von Mono-Prints, bei denen die Rahmenleisten eingefärbt und auf die Leinwand gepresst wurden, wo sie mit den klar definierten Kanten und der Maserung des Holzes die Spur dieses Prozesses hinterlassen. Eines der Schlüsselworte, die Gambaroff in seiner Pressemitteilung untergebracht hat, ist „Chiffrierung“ („encryption“),und wenn man diese Mono-Prints betrachtet, bekommt man eine Ahnung davon, was der darunter verborgen liegende Text sein mag.

Im Grunde sind alle „Gemälde“ Gambaroffs Mono-Prints, die sich als Malerei ausgeben. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass alle Markierungen auf den Leinwänden entstanden, indem er auf verschiedenen Materialien malte, die man beim Erwerb von Malereiartikeln traditionell dazukauft – Luftpolsterfolie, Rahmenleisten, andere Leinwände. Diese Ur-Malereien wurden dann auf eine zweite, nicht aufgezogene Leinwand übertragen und so zu einem Druck, der schließlich aufgezogen und als „Malerei“ präsentiert wurde. Das Produkt dieses Prozesses ist nicht reproduzierbar, denn wiederholte Übertragungen würden wegen der Verringerung und Veränderung der Pigmente im Laufe des Vorgangs nicht mehr zu einer 1:1- Reproduktion der Ur-Malerei führen. Man könnte sagen, dass Gambaroff sein Formenwerkzeug ausbremst und eine absichtlich banale Kritik der Kommodifizierung des Kunstobjekts liefert, indem er die mechanischen Mittel der Drucktechnik zur Produktion eines einzigartigen Kunstwerks anstelle eines Massenprodukts einsetzt. Abgesehen davon wird auch Kritik am Galeriensystem geübt, wo mit der Herstellung von Multiples die Anzahl verkaufbarer Arbeiten des Künstlers vergrößert wird; der mechanische Druckvorgang nimmt wiederum Bezug auf die Verdrängung der künstlerischen „Hand“ des Malers, ein weiteres Anliegen Viallats und anderer. Wir haben hier einen weiteren historischen Topos, den Gambaroff in sein dichtes Universum einfließen lässt – aber warum? Ebenfalls aus der Pressemitteilung erfahren wir, dass Gambaroff den Performancekünstler Ei Arakawa zu einer Zusammenarbeit eingeladen hatte, um aus der Eröffnung ein Ereignis mit dem Titel „TCCA Magazine 1“ zu machen. Der Einbezug Arakawas macht Sinn, denkt man an dessen eigene Serie „Grand Openings“, für die oft serienmäßig produziertes Material verwendet wurde – Trockenbauelemente, Aluminium- und Holzstützen, aus denen chaotische Echtzeit-Environments entstanden, die das Publikum und den Ausstellungsraum während einer Eröffnung stören. Passend zu Gambaroffs handbuchartiger Recherche, gehörte zu „TCCA Magazine 1“ ein Katalog mit neun Verfahren oder Aktivitäten, die Anleitungen zur Einbeziehung der Kunstwerke der Ausstellung und des Orts der Galerie selbst gaben.

Diese Aktivitäten begannen während der Eröffnung damit, dass Arakawa und Gambaroff aus Latten ein Faksimile der Fensterrahmen der Galerie im Größenverhältnis 1:1 bauten, welches dann aber doch nicht genau gleich aussah. Die Konstruktion schien sich mit ähnlichen Fragen zu beschäftigen wie Gambaroffs „Malereien“: Der Träger der Leinwand, also die Rahmenleisten, wurde metonymisch auf eine Faszination für die senkrechte Stütze der Galeriefenster bezogen – auf die „Bildfläche“ der Galerienfassade, die ankündigt, was innen vor sich geht. Die Lattenstruktur wurde dann tatsächlich als aufrecht stehender Träger verwendet, als einige „Gemälde“ der Ausstellung von den Wänden genommen und an diesen Rahmen draußen vor der Galerie gehängt wurden. Diese Verschiebung des Orts der Rezeption von der Galerie auf die Straße nimmt noch einmal Bezug auf die Support/ Surface- Ausstellungen, wie zum Beispiel auf die „Été 70“-Serie, für die Kunstwerke entlang der französischen Küste von der italienischen bis zur spanischen Grenze platziert wurden. Angelehnt an diese Aktion wurde ein Segment der hölzernen Struktur in eine benachbarte Bar gebracht, wo wiederum ein Bild daran gehängt wurde. Arakawa befestigte dann Heiratsanzeigen aus der New York Times und forderte die Umherstehenden auf, diese in ein Mikrofon hinein vorzulesen und so den Barbetreibern aus den Leben von Investmentbankern zu berichten. Wie nebensächlich diese Lesungen auch scheinen mögen, mit jeder weiteren Performance fangen ihre Andeutungen an, sich immer mehr zu verdichten.

Das Auftauchen eines ökonomischen Leitmotivs wurde am deutlichsten, als Arakawa das Publikum aufforderte, fast drei Meter lange Linien zwischen zwei Stücken Hartschaum zu zeichnen, die in das Holzgerüst der Künstler eingebaut waren. Einige Zeichner versuchten, so gerade Striche wie möglich zu ziehen, aber die mangelnde Beherrschung ihrer Handbewegung führte zu Linien, die unstet auf und ab zitterten, wie bei einem EEG oder wie die omnipräsente Liniengrafik des schwankenden Dow Jones Index, der zur derzeitigen Finanzkrise in jeder Zeitung täglich erscheint – und von den Galeriebesuchern diskutiert wurde. Eine subtilere, leisere Tonart entwickelte sich in späteren Performances, die sich spezifischer mit Gambaroffs „Gemälden“ selbst und ihrer Position in der Galerie beschäftigten. Wie bei den Performances in der Bar und auf der Straße nahm Arakawa die „Gemälde“ von der Wand und benutzte sie wie Requisiten zur Ausstattung der nachfolgenden Performances. Jede dieser Aktionen missachtete den Status der „Gemälde“ als wertvolle Objekte – keines wurde jedoch beschädigt – und kümmerte sich auch nicht darum, was sie darstellten oder wie sie gemacht waren. Stattdessen wurden sie unter den Vernissagengästen wie heiße Kartoffeln schnell herum gereicht. Bei einer anderen Aktion bildeten sie zusammen mit dem Holzlattengerüst eine wacklige Hütte, bei einer weiteren wurden sie auf einem am Boden liegenden Besucher aufgestapelt. Dann wurden die Bilder zu opaken Oberflächen, hinter denen sich die Leute verstecken konnten, so dass die Galerie aussah, als wäre niemand bei der Eröffnung, danach waren sie klingende Platten, deren Oberflächen aneinandergerieben wurden. Am schönsten wurde es, als eine der „Malereien“ mit Klettband an dem automatischen Sicherheitsgitter der Galerie befestigt und von diesem dann auf und ab bewegt wurde. Aber Spaß beiseite, der Zusammenbruch dieser Kunstwerke zu einfachen und tatsächlichen Objekten im Kontext des Ortes ihres Verkaufs und in Anwesenheit verschiedener Sammler stellte das stärkste Statement dieser Ausstellung dar.

Ohne Gambaroffs Bereitschaft, all die Rhetorik um sein Vorgehen zu verlagern, hätte die Ausstellung den Beigeschmack eines Künstlers, der allzu sehr von seinen Vorbildern fasziniert ist und seine eigene Sprache erst noch finden muss. Nimmt man aber die Ausstellung als Ganzes, also „Malerei“ + Performance, wird man als gerissener Besucher erkennen, dass dies alles eine gigantische Inszenierung war. „8864 3362 2250 Z1 CDGRT“ könnte leicht im Kontext des historischen Kanons gelesen werden, der durch Gambaroffs „Gemälde“ als selbst-reflexive Ausstellung über Malerei-als-Malerei gründlich untersucht, kommentiert und präsentiert wird. Doch indem die „Gemälde“ zu Requisiten werden und nicht ernsthaft zu studierende Kunstwerke sind, stellt sich die Frage nach dem effektiven sozialen Wert dieser Kunstgeschichten – wenn sie denn überhaupt lesbar sind. Darüber hinaus mögen viele Sammler den Spaß zwar verstanden haben, aber dennoch verkauften sich viele der Arbeiten trotzdem genau so, wie sie es sollten. Es ist diese sekundäre „Performance“, der Erwerb von Bildern, denen der Künstler durch seine Aktionen öffentlich jedes erklärte Ziel und jede Kostbarkeit des gemalten Objekts abgesprochen hat, die zu der Frage führt: Was interessiert den Sammler wirklich – gut gemachte Objekte zu bestellen, um sein Heim in etwas „Aufregendes“ zu verwandeln? Je nach Blickwinkel können Gemälde einfach Objekte sein, die man kauft und verkauft wie alles andere auch. „Die Werke werden verschickt, wie die Kohle aus dem Ruhrgebiet oder das Holz aus dem Schwarzwald“, um Heideggers Beschreibung vom Dinghaften des Kunstobjekts zu wiederholen. Durch die Umadressierung dieser puren Tatsache haben Gambaroff und Arakawa nicht Formalismus als Ideologie präsentiert, sondern die Beziehung zwischen Form und ultimativen Nutzungen des gemalten Objekts im Allgemeinen auf fundamentale Weise untersucht.

(Übersetzung: Dagmar Heppner)

Nikolas Gambaroff, „8864 3362 2250 Z1 CDGRT“ und Ei -Arakawa, „TCCA Magazine 1“, Galerie Balice Hertling, Paris, 13. November bis 13. Dezember 2008.