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Lanka Tattersall

Lanka Tattersall über Cyprien Gaillard in der Galerie Sprüth/Magers, Berlin

Cyprien Gaillard, Cities of Gold and Mirrors", 2009, Filmstill :caption: Cyprien Gaillard, Cities of Gold and Mirrors", 2009, Filmstill

Wie ein Sirenengesang lockte der Soundtrack zu Cyprien Gaillards 16-mm- Film „Cities of Gold and Mirrors“ (2009) die Besucher bei Sprüth/ Magers in Berlin die Treppen hinauf zur oberen Galerie. Die traumartige elektronische Melodie ist kalt und dennoch ergreifend und wiederholt sich in jeder der fünf nichtnarrativen Sequenzen des Films. In den letzten Jahren hat Gaillard einen kometenhaften Aufstieg erfahren, vor allem wegen seiner Arbeiten, die – in Medien, die von Video und Film (oft mit einem berückenden Soundtrack) über Performance und Fotografie bis hin zu angeeigneter Skulptur reichen – das Scheitern utopischer modernistischer Architektur behandeln, wie es sich im Verfall sozialer Wohnhochhäuser versinnbildlicht. Statt auf untergegangene urbane Architektur richtete Gaillard in seiner ersten Einzelausstellung bei Sprüth/Magers (und der ersten in Berlin) seinen Blick nun jedoch auf Cancún, eine Spielwiese der verwalteten Freizeitgestaltung auf der Halbinsel Yucatán, die in den 1970ern von der mexikanischen Tourismusindustrie entwickelt wurde.

Der Soundtrack des Films stammt aus einer Fernsehzeichentrickserie aus den 1980er Jahren, „The Mysterious Cities of Gold“, die dem Pressetext zufolge „die Geschichte der spanischen Konquistadoren erzählt und südamerikanische Geschichte mit Archäologie und Science- Fiction verbindet“; auf indirekte Weise spricht Gaillards Film ähnliche Themen an. In der ersten Szene stehen zwei junge Männer von der Sorte amerikanisches Studentenverbindungsmitglied mit nacktem Oberkörper vor einem gigantischen Hotel und veranstalten ein Wetttrinken mit je einer Flasche Tequila, bei dem sie von Zuschauern angefeuert werden. Dank der weichen Patina des 16-mm-Films und des atmosphärischen Tenors des Soundtracks erscheint die Szene wie eine surreale Gladiatorenfantasie, auch wenn das Szenario viel gemein hat mit jenen ordinären und grausamen Stunts der amerikanischen Fernsehsendung „Jackass“ oder mit Sacha Baron Cohens (Brünos/ Borats) Spiel mit peinlichen Situationen, in denen Männer zur Darstellung von vorhersagbaren, kindischen Formen der Maskulinität veranlasst werden. Die darauffolgenden Szenen sind weniger von Pathos getrieben, wollen aber einen ähnlichen Cocktail aus Sentimentalität und Unbehagen an den Mann bringen: Unmittelbar vor einem Hotel schwimmt ein Schwarm Delfine; ein Banner mit dem Logo der Basketballmannschaft der Cleveland Indians – die rassistische Karikatur eines diabolischen, rotgesichtigen Kopfes mitsamt Federschmuck – flattert im Wind; ein junger Mann, möglicherweise Mexikaner, dessen Gesicht mit einem roten Tuch verhüllt ist, tanzt zwischen Mayaruinen, während im Hintergrund ein Megahotel emporragt; ein verspiegeltes Bürogebäude wird auf atemberaubende Weise zerstört; die Kamera unternimmt eine schwindelerregende Fahrt durch ein dicht bepflanztes Hotelinterieur; der Film endet schließlich mit einer Lichtshow in einem Megaclub.

Gaillards Entscheidung für Cancún war, so ist zu vermuten, teilweise durch seine erklärte Bewunderung für Robert Smithson motiviert, der selbst vor 40 Jahren nach Yucatán gereist war und dort einige seiner bekanntesten Arbeiten schuf. [1] Der jüngere Künstler wird von Smithsons Konzept der Entropie angezogen, und es gefällt Gaillard, Smithson zu zitieren, der wiederum Nabokov zitiert: „Die Zukunft ist nur das rückwärts gewandte Veraltete.“ [2] Tatsächlich finden sich im gesamten Film Bezüge zu Smithson: Das riesige Hotel ist eine aufgeputschte Neufassung von Smithsons verfallenem Hotel Palenque, während das Glitzern der Sonne im Ozean und der Abriss des verspiegelten Gebäudes auf formaler Ebene Smithsons Einsatz von Reflektionen heraufbeschwört. Gaillard scheint wenig unter Einflussangst zu leiden, selbst wenn seine romantischen Neufassungen von Smithsons (selbst schon romantischen) Tropen der Entropie und des Verfalls weitgehend jedes konzeptuellen Impulses entbehren.

Zusätzlich zum Film wurde in einem Flur eine Auswahl aus Gaillards laufendem Projekt „Geographical Analogies“ (2006–2009) gezeigt, in dem in die Diagonale gekippte 3?×?3-Raster aus Polaroids in horizontal angebrachten Vitrinen angeordnet sind. Dem Pressetext zufolge war dieses Arrangement „ähnlich der Präsentation archäologischer Artefakte“ in einem naturgeschichtlichen Museum; man konnte sich jedoch ohne Weiteres auch an Juweliervitrinen erinnert fühlen. Wie seine Verwendung von 16-mm-Film rufen Gaillards Fotografien mit Mitteln des Ready-made Vorstellungen von Vergänglichkeit hervor (beide Medien verblassen, wenn sie dem Licht ausgesetzt sind), die Abbreviatur einer prekären, mehrdeutigen Beziehung zur Zeit. Die während seiner globalen Streifzüge aufgenommenen Fotografien in den Rastern zeigen Landschaften verschiedener Länder und Kontinente, deren Verbindung durch eine formale oder thematische Analogie hergestellt wird. In einer der Arbeiten ist die zentrale Aufnahme einer grabähnlichen Marmortafel vor dem Seagram-Gebäude in New York von Fotografien umgeben, auf denen Obelisken auf Friedhöfen von Baltimore bis Hongkong zu sehen sind. In einer anderen umrahmen -Polaroids von vernagelten Fenstern in den Vereinigten Staaten und Schottland die Fotografie eines künstlichen Dinosaurierkopfes im South Dakota Park. Gaillards „geografische Analogien“ beschwören eine Ahnenreihe von Fotograf/innen, die sich mit der Dokumentation öffentlicher Gebäude kurz vor ihrem Verschwinden beschäftigt haben: Man denkt an Bernd und Hilla Becher sowie an Zoe Leonards monumentale Reihe „Analogue“ (1998–2007). Doch während Leonards Arbeit die sozioökonomischen Realitäten, welche komplexe globale Zusammenhänge bestimmen, präzise beschreibt – die Auflösung lokaler Kulturen, das immer schnellere Veralten von Technologien, das Recyceln von Waren –, verbleiben Gaillards Analogien auf einer pseudomorphologischen und bildhaften Ebene, da er ortsspezifische und geopolitische Details bewusst ausblendet.

Strukturell und thematisch folgte die Ausstellung der um sich greifenden zeitgenössischen Kultur der simultanen, undifferenzierten Unterhaltung und des Kurzzeitgedächtnisses. Gaillard verleiht denjenigen Kräften eine Form, die uns vergessen machen wollen: Wiederholung, sublimes, aber leeres Spektakel, überhöhte Konsumrituale, die Einebnung von geografischer Distanz und Differenz. Durch seinen Umgang mit den Bildern wird das Gezeigte gleichzeitig überdeterminiert und allgemein. Insbesondere bei den Fotografien, deren Ordnungsprinzip auf äußerlicher Form statt auf Gehalt basiert, fühlte ich mich an die „Personalisierung“ von Waren (iPhones, in Auftrag gegebene Kunstwerke usw.) erinnert, die sich dabei jedoch im Wesentlichen gleich bleiben. Auf ähnliche Weise hängen viele der Filmaufnahmen an der Grenze zwischen Schönheit und Banalität. Dadurch erklärt sich die Peinlichkeit des Tänzers in den Mayaruinen – das Material könnte ebenso gut als Werbung für Skater--Sneakers wie für eine Antiglobalisierungskampagne dienen – und das Gruselige des im Wind flatternden Banners der Cleveland Indians, das als ein Logo fungiert, in dem vor dem Hintergrund der Erinnerung an klassische Freiluft-Freizeitvergnügen imperialistische Geschichte und der Eifer von Sportfans kondensiert sind.

(Übersetzung: Robert Schlicht)

„Cyprien Gaillard“, Galerie/Sprüth Magers, Berlin, 20. No-vember 2009 bis 16. Januar 2010.

Anmerkungen

[1]„Hotel Palenque“ (1969–72) und „Yucatan Mirror Displacements 1–9“ (1969).
[2]Vgl. etwa Cyprien Gaillard, Interview mit Catherina Machanda, 23. 11. 2009, http://www.wexarts.org/ex/?eventid=4207, gesehen am 8. 2. 2010.