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Magnus Schäfer

Malerei nach dem Modernismus Kanonische Historiografie und rekursive Ausdifferenzierung

Louise Fishman, "ANGRY JILL", 1973 Louise Fishman, "ANGRY JILL", 1973

In den 1960er Jahren setzt ein Prozess der Reflexion über Malerei als Praxisform ein, im Zuge dessen ihre Bedingungen und Möglichkeiten nachdrücklich infrage gestellt und neu formuliert werden. Im US-amerikanischen Diskurs und den europäischen Reaktionen hierauf erweist sich dabei die Vorstellung, dass Malerei mit dem Modernismus an einen historischen Endpunkt gelangt sei, als nachhaltig wirkmächtig. In ­Clement Greenbergs einflussreicher Modernismuskonzeption bildet abstrakte Malerei das paradigmatische Medium, von dem ausgehend er – und in seiner Folge Michael Fried – den Begriff der Medienspezifik als zentrales Kriterium modernis­tischer Kunst formuliert. Greenberg beschreibt die Entwicklung der modernen Malerei als einen teleologischen Prozess, in dem sich Malerei von ihrer abbildend-narrativen Funktion löst und ihre den Objektcharakter des Bildes transzendierende visuelle Qualität als solche als die für sie spezifische Eigenschaft zunehmend hervortritt. [1] Gegenläufig dazu entstehen mit der Minimal Art in der Mitte der 1960er Jahre künstlerische Praktiken, die, wie Fried es in seiner bekannten Kritik an deren „Theatralität“ ausdrückt, „zwischen“ den traditionellen Grenzen der individuellen Künste situiert sind und sich damit von dem modernistischen Leitgedanken der Medienspezifik absetzen. [2] Die Finalität, die in Greenbergs modernistischem Geschichtsentwurf angelegt ist, wird zugleich von Künstlern der Minimal Art wie Donald Judd und Robert Morris selbst als Argument für ein historisches Ende von Malerei (um-)gedeutet. [3] Die Verschiebungen, die sich hier abzeichnen, sind Bestandteil einer umfassenden Ausweitung und Neustrukturierung der Kunstpraxis in den ausgehenden 1960er Jahren, im Zuge derer sich „Kunst“ als ein jeder individuellen Artikulationsform vorgelagerter Allgemeinbegriff oder als ein „generischer“ Kunstbegriff im Sinne von Thierry de Duve herausbildet. [4]

Korrelierend dazu formiert sich ein breiter Konsens darüber, dass Malerei den theoretischen und praktischen Ansprüchen zeitgenössischer Kunstproduktion nicht mehr gerecht werden kann. In diesem Sinn argumentiert Douglas Crimp in seinem Aufsatz „The End of Painting“ (1981), dass das unmittelbar bevorstehende Ende der Malerei in den ausgehenden 1960er Jahren nicht zu übersehen war. [5] Zu dem Zeitpunkt, zu dem Crimp dies schreibt, war jedoch vor allem eine andere Entwicklung nicht zu übersehen, gegen die sich sein Text polemisch wendet: ein in institutionellen wie in kommerziellen Zusammenhängen deutlich artikuliertes Interesse an expressiv konnotierter, figurativer Malerei, das die Vorstellung von einem Ende der Malerei mit Verweis auf die dogmatisch gewordene Nüchternheit von Minimal und Conceptual Art zurückweist – nicht selten mit großem Pathos und unter Berufung auf vermeintliche historische Konstanten vorgetragen. [6]

Das Narrativ von einem Ende der Malerei etabliert sich damit in den 1980er Jahren als ein Fixpunkt für das Nachdenken über die Bedingungen und Möglichkeiten nachmodernistischer Malerei. Im Rahmen der am Denken Walter Benjamins, an Kritischer Theorie, Psychoanalyse und Poststrukturalismus orientierten Historiografie der Moderne, die im Umfeld des Periodikums October entwickelt wird, [7] fungiert diese Konzeption eines Endpunkts als doppeltes Abgrenzungsmerkmal. Sie erscheint zum einen als Argument gegen die traditionalistische Stoßrichtung, die sich in der figurativen Malerei der frühen 1980er Jahre ausmachen lässt und in ihrer – auch politischen – Fragwürdigkeit als paradigmatisch für die malerische Bildproduktion nach dem Modernismus verstanden wird. Zum anderen dient die Rede vom Ende der Malerei als Legitimation für eine eng gefasste Spanne malerischer Verfahren, denen als „Malerei nach dem Ende der Malerei“ historische Gültigkeit zugesprochen wird, insofern die damit verbundenen Positionen als Aufarbeitung der Konzeption eines Endpunkts lesbar werden. [8] In dieser Perspektive werden etwa Robert Rymans Fokussierung auf die Faktizität von Bildträger und malerischem mark making oder der distanzierte Umgang mit wechselnden Modi malerischer Motivik und Rhetorik bei Gerhard Richter diskutiert. [9] Demgegenüber bleiben auch affirmativ angelegte Zugriffe auf die Traditionen figurativer Malerei auf die Gedankenfigur eines Endpunkts verwiesen – sei es in dem Versuch unmittelbarer Negation dieser Vorstellung in Form einer ausdrücklich gegen Minimal Art und Conceptual Art gerichteten Berufung auf Subjektivität, Sinnlichkeit und ein sheer joy of painting, auf Kategorien also, wie sie für die sogenannte neoexpressive Malerei der 1980er vorgebracht werden, [10] sei es in Genealogien, wie sie in Ausstellungen wie „‚Lieber Maler, male mir …‘. Radikaler Realismus nach Picabia“ (2002) oder „Bad Painting – good art“ (2008) entworfen werden, um – wiederum nicht ohne Pathos – malerische Bildproduktion in einem rebellisch aufgeladenen Gestus des Regelverstoßes gegen das Narrativ eines Endes der Malerei auszuspielen. [11]

So wenig die diskursive Figur von einem Ende der Malerei als solche aktuelle Relevanz beanspruchen kann, so sehr könnte es sich jedoch als produktiv erweisen, dieses historiografische Narrativ selbst zu historisieren – weniger mit der Absicht einer Korrektur, als vielmehr mit der Frage nach seiner Funktion und den damit verbundenen Ein- und Ausschlüssen. Wenn Malerei mit dem Übergang von einem medienspezifischen zu einem „generischen“ Kunstbegriff nicht mehr der paradigmatische Status zukommt, den der modernistische Diskurs für sie beansprucht hatte, so resultiert diese Verschiebung in einer historiografischen Privilegierung von malerischen Vorgehensweisen, die im Sinn einer distanziert-reflexiven Aufarbeitung der Finalität modernistischer Malerei gesehen werden. Denn die Vorstellung von einem historischen Endpunkt betrifft, wie Yve-Alain Bois konstatiert, weniger Malerei als solche, sondern – auch wenn dies oft implizit bleibt – die modernistische Malerei mit ihren spezifischen Praktiken und Diskursen. [12] Sie markiert mithin kein faktisches Ende, sondern begründet spezifische Formen der Malereiproduktion. Diese diskursiv privilegierten, „konzeptuell“ orientierten Verfahren lassen sich zugleich als Momente eines umfassenden Prozesses der rekursiven Ausdifferenzierung von Malerei als Praxisform verstehen. Die Malerei der Moderne und des Modernismus tritt darin als historischer Bezugsrahmen künstlerischer Praxis hervor, während sich „Malerei“ als ein variables Gefüge von geschichtlich und diskursiv bedingten Praktiken ausformuliert. Das heißt, „Malerei“ ist nach dem Modernismus weniger über spezifische materielle, handwerkliche oder piktorale Eigenschaften zu fassen als vielmehr durch ein Set von Konventionen, über und gegen die sie sich bestimmt.

Als eine paradigmatische Arbeit kann hier Sigmar Polkes Bild „Moderne Kunst“ (1968, Dispersion auf Leinwand) gelten, das auf einem dunklen Hintergrund eine heterogene Mischung gestischer Markierungen und geometrischer Elemente aus dem Repertoire abstrakter Malerei der 50er und 60er Jahre aufruft, gerahmt durch einen weißen Rand und den mit säuberlichen Lettern gemalten Titel. Diese Rahmung weist das malerische Vokabular als gleichsam aus zweiter Hand übernommen aus und verallgemeinert es von der „Modernen Malerei“ zur „Modernen Kunst“, als fehlten Kriterien oder Bereitschaft zu einer genaueren Unterscheidung. Polke entwickelt hier einen Sprachmodus, in dem die paraphrasierten Formen in einer ausdrücklich derivativen Weise aufgegriffen werden. Die Verschiebung zu einem nachmodernistischen Malereiverständnis lässt sich hier im Sinn eines distanzierten Zugriffs auf die Traditionen modernistischer Abstraktion als Sammlung generischer Zeichen verstehen. Bei Lynda Benglis hingegen erscheint dieser Zugriff als materielle Neuformatierung, die zugleich die Frage nach etablierten Genderbesetzungen aufwirft. Mit „Contraband“ (1969) und ähnlichen Bodenarbeiten aus mit Farbpigmenten versetztem Latex schließt sie in den späten 1960er Jahren an die expansiven Gesten und die Vorstellungen von Spontaneität an, die sich mit der Malerei des Abstrakten Expressionismus verbinden. Benglis schüttet die Latex-Pigment-Mischung direkt auf den Boden und reklamiert damit nicht nur den maskulin konnotierten Gestus des Abstrakten Expressionismus für sich, [13] sondern lässt auch gestische Spur, Farbe und Bildträger in einem materiellen Sinn zusammenfallen und situiert sie mithin, wie die Minimal Art, außerhalb des als rein visuell konzipierten Bildraums modernis­tischer Malerei im „realen“ Erfahrungsraum der Betrachter/innen.

In dieser Perspektive eines umdeutenden Zugriffs auf modernistische Traditionen können auch malerische Praktiken in den Blick kommen, denen die kanonische Historiografie bislang einen eher marginalen Status zugewiesen hat, da sie Differenzierungen implizieren, die in dem Narrativ eines Endes der Malerei keinen Raum haben. Dies betrifft etwa die Praxis von Künstlern und Künstlerinnen, die sich in den 1970er Jahren in einer ambivalenten Beziehung zur modernis­tischen Malerei positionieren. Louise Fishman beispielsweise bedient sich in einer 1973 entstandenen Serie von Arbeiten in Acryl auf Papier, den sogenannten Angry Paintings, eines bewegten, gestisch-abstrakten Formvokabulars aus breiten Pinselstrichen, Schraffuren und Fingerspuren, das sie mit Schriftelementen verbindet: In jedem Bild wird ein weiblicher Vorname mit dem Adjektiv „angry“ versehen, zum Teil noch ergänzt durch einen Zusatz wie „SERIOUS RAGE“. Einige Namen lassen sich auf Personen aus Fishmans Umfeld beziehen (beispielsweise auf ihre Partnerin, die Autorin Bertha Harris, oder auf die Künstlerin Harmony Hammond), aber auch auf prominente Frauen wie etwa Marilyn Monroe. Gegenläufig zu der heterosexuell-männlichen Konnotation des Abstrakten Expressionismus überträgt Fishman die Dringlichkeit, die der malerische Gestus suggeriert, auf die Artikulation einer lesbisch-feminis­tischen Position – eine auf Intensität drängende, „laute“ Artikulation, die im Zusammenhang der feministischen Bewegungen der 1970er Jahre impliziert, für den Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung der eigenen Identifikation buchstäblich die Stimme zu erheben. Hatte Fishman, wie sie 1994 in einem Interview erklärt, den Abstrakten Expressionismus anfänglich begriffen als „a hidden language, on the radical fringe, a language appropriate to being seperate“ und mit ihrer doppelten Marginalisierung als lesbische Künstlerin in Verbindung gebracht, so distanziert sie sich in den ausgehenden 1960er Jahren von der heterosexuell-männlich besetzten Formsprache und wendet sich Verfahren zu, die als „weiblich“ und „handwerklich“ konnotiert sind, vor allem dem Nähen. [14] Das erneute Anschließen an ein expressives Malereiparadigma in den Angry Paintings kann dann als rekursive Neubesetzung verstanden werden. Indem Fishman den mit dem Abstrakten Expressionismus verbundenen Nexus von Geste und Ausdruck für eine feministisch orientierte Vorgehensweise in Anspruch nimmt, greift sie ebenso bestimmte Parameter auf, die die modernistische Tradition für das Verständnis einer gestischen Malweise anbietet, wie sie eine Differenz zu deren tradierten Genderimplikationen markiert.

Wenn die kanonische Historiografie der Moderne Malerei als eine Ganzheit hervortreten lässt, deren Horizont die Gedankenfigur eines Endpunkts bildet, so zeichnet sich vor der Folie dieser Ganzheit auch die Fülle der heterogenen Vorgehensweisen ab, in die sich Malerei mit dem Übergang von der modernistischen Konzeption der Medienspezifik zu einem „generischen“ Kunstbegriff diversifiziert. Die hier umrissenen Überlegungen fügen sich so zu einer Skizze für einen Malereibegriff, der zum einen dieser Ausdifferenzierung Rechnung trägt und zum anderen unter diesen Bedingungen das Festhalten an „Malerei“ als übergreifendem Bezugsrahmen sinnfällig macht.

Anmerkungen

[1]Vgl. exemplarisch Clement Greenberg, „Modernist Painting“ [1960], in: ders., The Collected Essays and Criticism, Bd. 4, Chicago 1993, S. 85–93.
[2]Vgl. Michael Fried, „Art and Objecthood“ [1967], in: Gregory Battcock, Minimal Art. A Critical Anthology, Berkeley/Los Angeles/London 1995 [1968].
[3]Vgl. Bruce Glaser, „Questions to Stella and Judd“ [1964], in: Battcock, a. a. O., S. 148–164; Donald Judd, „Specific Objects“ [1965], in: ders., Complete Writings 1959–1975, Halifax/New York 2005, S. 181–189; Robert Morris, „Notes on Sculpture“ [1966], in: Battcock, a. a. O., S. 222–235.
[4]Vgl. Rosalind Krauss, A Voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition, London 1999, bes. S. 9–11, sowie Thierry de Duve, Kant after Duchamp, Cambridge,Mass./London 1996, bes. S. 152–155.
[5]Vgl. Douglas Crimp, "The End of Painting", in: October, Nr. 16, 1981, S. 69–86.
[6]Vgl. exemplarisch „A New Spirit in Painting“, Ausst.-Kat., hg. von Christos M. Joachimides/Norman Rosenthal/Nicholas Serota, London, 1982, sowie Wolfgang Max Faust/Gerd de Vries, Hunger nach Bildern. Deutsche Malerei der Gegenwart, Köln 1982.
[7]In kompakter Form zusammenlaufend in: Yve-Alain Bois/Benjamin Buchloh/Hal Foster/Rosalind Krauss (Hg.), Art since 1900. Modernism, Antimodernism, Postmodernism, London 2004.
[8]Vgl. dazu auch Johannes Meinhardt, Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, Ostfildern-Ruit 1997.
[9]Vgl. exemplarisch Yve-Alain Bois, „Painting. The Task of Mourning“, in: ders., Painting as Model, Cambridge, Mass./London 1993 [1990], S. 229–244, und Benjamin H. D. Buchloh (Hg.), Gerhard Richter, Cambridge/Mass./London.
[10]Vgl. „A New Spirit in Painting“, a. a. O., S. 14–16.
[11]Vgl. Sabine Folie, „Meta-Trash oder Die groteske Liebe zur Malerei“, in: „Lieber Maler, male mir …“. Radikaler Realismus nach Picabia, Ausst.-Kat., Kunsthalle, Wien, 2002, S. 15–17, und Susanne Neuburger, „Das erste und das letzte Bild? Eine Versuchsanordnung für Bad Painting“, in: „Bad Painting – good art“, Ausst.-Kat., hg. von dies./Eva Badura-Triska, Köln 2008, S. 11–43.
[12]Vgl. Bois, a. a. O., S. 241f.
[13]Die Fotografien, die Benglis bei der Arbeit zeigen, lassen nicht zuletzt an die knapp 20 Jahre zuvor entstandenen Aufnahmen des malenden Jackson Pollock denken. Vgl. die Reproduktion einer Doppelseite aus dem Life-Magazin von Februar 1970 mit einer direkten Gegenüberstellung von Benglis und Pollock, in: „Lynda Benglis“, Ausst.-Kat., hg. von Franck Gautherot/Caroline Hancock/Seungduk Kim, Dijon 2010, S. 126–127.
[14]Louise Fishman zit. nach: Harmony Hammond, Lesbian Art in America. A Contemporary History, New York 2000, S. 34.