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Vorwort

Berlin ist in den letzten Jahren eine andere Stadt geworden. Sie hat sich zu einer festen Adresse der internationalen Kunst- und Theorieproduktion entwickelt, inklusive dem Englischen als etablierter Zweitsprache, und zieht einen nicht abreißenden Strom von Neuankömmlingen an. Offiziell punktet Berlin weiterhin mit ihrer informellen Ökonomie, den Ressourcen Zeit und Raum, den intensiven Debatten, die hier angeblich geführt werden, und einer bohemistischen Aura. Aber beruhen diese Versprechen nicht auf dem Stand der 90er und Nullerjahre, der inzwischen der Vergangenheit angehört? Beziehungsweise: Ist der Umstand, dass diese und ähnliche Verheißungen inzwischen kaum noch von der Rhetorik des Stadtmarketings zu unterscheiden sind, nicht ein Indiz dafür, dass die Möglichkeitsräume, die sich hier nach der Wende auftaten, inzwischen von Markt und Macht angeeignet worden sind? Schon im veränderten urbanen Panorama – Büroarchitekturen, Malls oder dem sich im Neuaufbau befindenden Stadtschloss – zeigen sich Gegebenheiten der Repräsentation und Ökonomisierung, die hier geplant wurden, während andere noch auf das transgressive Potenzial von Underground-Parallelwelten setzten. Da hilft weder ein verklärender Blick zurück noch ein bloßes Sich-Fügen in das scheinbar Unveränderbare. Weder nostalgisch noch resignativ wird es Zeit für ein Berlin Update. Paradigmatisch zeigen sich an Berlin Tendenzen eines Strukturwandels der Kunstwelt, des akademischen Feldes und der generellen Bedingungen des Lebens und Arbeitens. So hat zum einen eine von der hiesigen Start-up-Szene exemplarisch verkörperte Flexibilisierung und Ökonomisierung nach neoliberalen Prinzipien auch in andere Arbeitswelten übergegriffen. Das verprojektierte Arbeiten ist in den Institutionen wie Museen oder Universitäten angekommen und beginnt diese zu reprogrammieren. Man arbeitet von Projekt zu Projekt, von Förderantrag zu Förderantrag. Feste Etats sind ein Ding der Vergangenheit. Was einmal als eine Alternative zu den statischen Hierarchien der Institutionen gedacht war und Handlungsspielräume jenseits ihrer Einfluss- und Allokationsmechanismen eröffnen sollte, ist absorbiert worden und beginnt die Institutionen von innen heraus auszuhöhlen. Grundsätzliche Fragen nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit, Stadt, Wissen und Markt müssen damit neu gestellt werden. So attestiert Susanne von Falkenhausen dem Zusammenschluss der Berliner Museen unter dem Dach der Nationalgalerie nicht nur einen unentschlossenen und inkonsistenten Umgang mit ihrer Sammlung, sondern auch eine Krise der Selbstdefinition der Institution, die die Verbindung zu ihrer Sammlung, ihrer Geschichte und den Bürgern der Stadt weitgehend verloren zu haben scheint. Ein solches Anbinden städtischer Institutionen an eine Öffentlichkeit, die Polis, wird in Berlin zusätzlich vom Repräsentationsbestreben der Hauptstadt überlagert, so eine Diagnose in unserem Roundtable-Gespräch mit Heike-Karin Föll, Juan Gaitán, Christoph Gurk und Florian Wüst. Welches sind die konkreten Bedingungen für Künstler/innen und Kuratoren/Kuratorinnen in Kunstinstitutionen in Berlin – und für das Arbeiten jenseits von ihnen? Und was tun, wenn die eigenen Strategien, die bislang u. a. auf temporäre Nutzungen oder die Projektform gesetzt haben, kein Gegenmodell zur Ökonomisierung mehr darstellen, während insgesamt der Druck, sich marktkonform zu verhalten, steigt? Und wie steht es um die Bedingungen und Inhalte der Theorieproduktion? Es ist an den Instituten der Universitäten ein komplexes Geflecht an Förderformaten entstanden, während inhaltlich ein neuer Positivismus Machtansprüche anmeldet, etwa in Teilen der Bildwissenschaft oder in Form neuer Forschungsrichtungen wie der Neuroästhetik. Die aktuellen Bedingungen Berlins als Stadt der Theoriebildung, sowohl an den Universitäten als auch der unabhängigen Theoriebildung an „Off-Sites“, beleuchten in unserer Umfrage Alexander García Düttmann, Peter Geimer, Maria Muhle, Frank Ruda und Barbara Wittmann. Dabei steht u. a. die Frage im Zentrum, wie sich Theorie und Kritik in einer Situation behaupten können, in der quantitative Verfahren das Terrain zu dominieren beginnen. Zweitens muss grundlegend gefragt werden: Gibt es so etwas wie eine „Berliner Theorie“ überhaupt? Denn nicht zuletzt muss ein Heft, das einem spezifischen geografischen Ort gewidmet ist (der auch der eigene Standort ist), danach fragen, wie sich das Lokale innerhalb der global vernetzten (Kunst-)Welt noch definiert. In medientheoretischen Überlegungen spiegelt Paul Feigelfeld diese Frage der Territorialisierung an der Exterritorialität des Internets. Auch bei der Ansiedlung von Netzaktivisten in Berlin spielen sehr konkrete Gegebenheiten, nämlich eine günstige Gesetzeslage, eine Rolle. Auch diese relative Freiheit ist Teil der Versprechen der Stadt. Für die sich hier ansiedelnden Galerien ist die Standortfrage wiederum entscheidend, weil der Schauplatz künstlerischer und theoretischer Produktion bereits in eine symbolische und ökonomische Aufwertungsstruktur integriert ist. Diese untersucht der Beitrag von Isabelle Graw, der die Verschränkungen zwischen Marktferne und Erfolgsverheißung dieser Kunstmetropole aufzeigt wie auch die Tendenzen zur Verschmelzung einer bohemistischen Kunstszene und der sich in den letzten Jahren herausbildenden VIP-Zone. Trotz der Ausdifferenzierung, die sich abseits der Institutionen in der unübersichtlichen Szene der Galerien und Projekträume zeigt, lassen sich phasenweise Konzentrationen in einzelnen Zentren feststellen, so etwa in der Ende 2012 geschlossenen, legendären Times Bar. Deren Betreiber, Calla Henkel und Max Pitegoff, wandten sich im Anschluss dem Medium Theater zu. Philipp Ekardt analysiert diese überraschende Entscheidung, die mit sonst in Berlin zu erwartenden Theaterästhetiken wenig gemein hat, und entdeckt einen „neuen Pragmatismus“ künstlerischen Arbeitens. Ebenso aus der vor allem nordamerikanischen Expat-Szene entstand das Label White Material, über das Pablo Larios schreibt. Why Techno now?, fragt er und schildert, wie sich der Ethos des sogenannten „working man’s techno“ im Gefüge der hiesigen internationalen Community situieren lässt. Mit Techno und Theater sind damit zwei Vorhaben angesprochen, die auf eine Tradition innerhalb der Stadt zurückblicken können, die sich nun aber auch aus globalen Vernetzungs- und Mobilitätsstrukturen generieren. Bei der Konzeption dieser Ausgabe hat uns Josephine Pryde beraten, der wir für Gespräche, Anregungen und Kritik danken. Calla Henkel und Max Pitegoff haben mit Fotoserien aus Nachtleben, Start-up-Kultur und aus ihrem eigenen Umfeld die Bebilderung des Hauptteils wesentlich mitgestaltet. Ihnen gilt unser besonderer Dank.

Philipp Ekardt / Isabelle Graw / Hanna Magauer