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„Wandlung und Subversion", Birgit Hopfener über Ai Weiwei in der Galerie Neugerriemschneider, Berlin

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Ai Weiwei, Ausstellungsansicht, 2011, Neugerriemschneider Berlin, Foto: Jens Ziehe

Vor dem Hintergrund seiner Verhaftung am 3. April 2011 wird Ai Weiweis Abwesenheit unweigerlich zum Thema seiner aktuellen Ausstellung in der Berliner Galerie Neugerriemschneider. Allgegenwärtig ist momentan die Frage „Where is Ai Weiwei?“, mit der auch die Besucher vor Betreten der eigentlichen Ausstellungsräume auf einem großen Schriftbanner von Rirkrit Tiravanija, das im Hof der Galerie an der Hausfassade befestigt wurde, begrüßt wird. Die Brutalität der Unnachgiebigkeit, mit der von offizieller chinesischer Seite verschwiegen wird, wo sich der Künstler aufhält und warum er eigentlich genau festgehalten wird, rückt hier nun unweigerlich in direkten Zusammenhang mit seiner vor dem Vorfall konzipierten Installation. Es handelt sich dabei um eine Installation einer recht trostlosen Landschafts- oder Gartenszenerie, die zum einen aus zwei monumentalen kahlen und rindenlosen Baumskulpturen „Trees“ (2011) besteht, mehrere Teile von totem Gehölz, die Ai in Südchina gefunden und neu zusammengefügt hat, und zum anderen, aus weiß glasierten, auf ihrer Oberfläche mit blauem Wolken-Dekor-Ranken versehenen Porzellanskulpturen, „Rocks“ (2011), die in ihrer Form entfernt an traditionelle chinesische Gartenfelsen erinnern. Die Äste ragen in den Raum hinein und die  Kronen der Baumgerippe scheinen das verglaste Dach durchstoßen zu wollen. 

Durch die Deckenfester strömt helles Tageslicht in den White Cube und leuchtet die dortige Szenerie, in allen ihren Details und Makeln aus. In Blick geraten von Zeit und Wetter gegerbte Baumstämme, die unverwurzelt dennoch den Eindruck erwecken, als wären sie unumstößlich. Während Ai in früheren architektonischen Holzarbeiten deren Bestandteile mittels traditioneller chinesischer Stecktechnik zusammengefügt hat, werden die „Tree“-Skulpturen zusätzlich mit großen Metallschrauben zusammengehalten. Handelt es sich dabei um Vorsichtsmaßnahmen gegen einen Umsturz durch äußere Umstände? Ruft man sich in Erinnerung, dass Ai Weiwei den Zusammenbruch seiner architektonischen Installation „Template“ (2007), die aus alten Holztüren und Fenstern traditioneller Gebäude der Ming- und Qing-Dynastie (1368 – 1911) bestand, im Zuge eines Sturms während der documenta 12 begrüßte, weil dieses ungeplante Wirken äußerer Kräfte seinen konzeptionellen Ansatz des wiederholten Infragestellens jeglicher, vermeintlich stabiler Werte und Konventionen positiv untermauere, erhält die verschraubte Fixierung als martialische Geste der Macht in „Trees“ eine kritische Konnotation. 

Situative Strategien stehen im Zentrum von Ai Weiweis ästhetischen und sozialen Praktiken, die nicht getrennt voneinander, sondern nur zusammen zu denken sind. Ob als Künstler, Blogger, Kurator, Designer, Autor, Architekt oder Koch, stets begreift er sich als Mittler, dessen Anliegen es ist dialogische Interventionen herzustellen. Er will Situationen schaffen, die es ermöglichen Gegebenheiten in neuem Licht zu betrachten, wodurch Identifikationsprozesse in Gang gesetzt werden sollen, in denen die Bedingtheit des eigenen Selbst durch (Macht-)Strukturen erfahrbar wird. Zu vermuten ist, dass er der chinesischen Regierun eher aus diesen Gründen, also nicht wegen konkreter (regime-) kritischer Inhalte ein Dorn im Auge ist. Seine Arbeitsweise sieht vor, nicht nur bestehende Verhältnisse bewusstzumachen, sondern zum konstruktiv aktiven Handeln aufzufordern. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel seine Bloggeraktivitäten, mit denen er seit seinem Engagement für die Opfer des Erdbebens in Sichuan im Jahr 2008 in China, als er zur Teilnahme an seinem Projekt, der Recherche- und Dokumentation der Namen der vielen anonymen jungen Todesopfer aufforderte, auch Menschen über Künstlerkreise hinaus erreicht.

 

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Rirkrit Tiravanija, Banner, 2011, Foto: Jens Ziehe

Die Berliner Installation verfügt aufgrund ihrer hohen situativen Qualität über dieses kritische, selbst-reflexive und aktivierende Erfahrungspotential der Betrachterinvolvierung. Sie ergibt sich durch die räumliche Anordnung der einzelnen Elemente zu einem begehbaren Gartenszenario sowie durch die ausgeprägte Taktilität der verwendeten Materialien Holz, Metall, Keramik, die durch Spuren der Zeit und Unvollkommenheiten des Gemachten zusätzlich aufgeladen wird. Auf diese Weise und unterstützt durch die intendierte Einladung, auf den Keramiksteinen Platz zu nehmen, wird die körperliche Konnotation der partizipierenden Betrachtererfahrung zusätzlich betont. In einem Gespräch mit seinem chinesischen Kollegen Yung Ho Chang, dem Schweizer Sammler chinesischer Gegenwartskunst und engen Freund Ai Weiweis, Uli Sigg, sowie dem Museumskurator aus Graz Peter Pakesch betonte Ai Weiwei, wie wichtig ihm in seiner Praxis die kritische Inbezugsetzung von Geschichte und Gegenwart sei, um auf diese Weise, und insbesondere vor dem Hintergrund der radikalen Brüche mit der Tradition im Zuge der Kulturrevolution Mao Zedongs, historisch dimensionierte Kontexte herzustellen. _1

In „Trees“ und „Rocks“ lassen sich neben den formalästhetischen auch konzeptionell-philosophische Bezüge zur chinesischen Geschichte des Literatengartens und der damit in engem Zusammenhang stehenden Literatenmalerei ausmachen. Garten- und Literatenkunst sind geprägt durch daoistische Vorstellungen von Welt, verstanden als alles umfassenden kontinuierlichen Transfomationsprozess, der durch die Durchdringung der komplementären Prinzipien yin und yang ausgelöst und lebendig gehalten wird. Im Landschaftsbild und im Garten wird vermittelt, wie sich das Leben zwischen yang, verkörpert durch Berge und Steine und yin, verkörpert durch Wasser, ständig aufs Neue generiert. Das Anliegen und die ästhetische und soziale Funktion von Landschaftsmalerei und Literatengarten ist es nicht, diese Lebensprozesse abzubilden, sondern in ihrer Wirkung zu vermitteln. Aus diesem Grund standen nicht die Formen und Gestalten, sondern die Relationen zwischen diesen, der Zwischenraum, in dem sich die Transformationen ereignen, im Vordergrund. Der Betrachter reflektiert im verzeitlichten, also nicht synthetischen Akt der Betrachtung, beim Durchgehen des Gartens und des Vollzugs des Bildes, seine eigene Situiertheit bzw. Partizipation an diesen Transformationsprozessen. Durch Inbezugsetzung zur Welt, wie es sich im Garten oder im Landschaftsbild, das seit der Yuan-Zeit zunehmend Ausdruck eines individuellen und kritischen Zugangs war, konnte ein besonders wirkungsvolles Bild sogar dazu führen, dass der Betrachter sein bisheriges Verhältnis zur Welt entsprechend veränderte. Da er auf diese Weise immer auch mit dem Maler oder Gärtner und dessen Bezug zur Welt, wie es sich im Bild oder Garten ausdrückt kommuniziert, verstand man diese Kunstformen als Orte des Austauschs. 

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Ai Weiwei, Ausstellungsansicht, 2011, Neugerriemschneider Berlin, Foto: Jens Ziehe

Ai Weiwei scheint sich in seiner Installation „Rocks and Trees“ kritisch mit diesem Kunstverständnis auseinander zu setzen. Zunächst scheint es so, als wären in seinem Garten jegliche Transformationsprozesse des Lebens zum Stillstand gekommen: kein fließendes Wasser, nur tote Bäume und künstliche Steine und somit scheint es, als hätte jenes „Bild“ des Gartens seine Wirkkraft verloren. Doch das ist nur ein oberflächlicher Eindruck, denn bei längerem Verweilen in der Installation werden die omnipräsenten stillen Wandlungen in den Rissen im Holz, den Absplitterungen in den Porzellanglasuren und dem sich verändernden Lichteinfall wahrnehmbar. Alles ist in der Zeit Veränderungen unterworfen und darin liegt laut Ai Weiwei eine subversive Kraft. Diese Prämisse der Transformation ist zentral in Ai Weiweis Denken und steht in Zusammenhang mit seinem Kunstverständnis „Aesthetics should give rise to new possibilities“ _2 Es ist vor diesem Hintergrund zu verstehen, dass Ai Weiwei immer wieder darauf hinweist, dass Kunst nicht vom Leben zu trennen sei und er Aspekte relationaler Ästhetik stark macht. Auch dies erhält im historischen Zusammenhang eine interessante Perspektive. Literatenkunst, wenngleich im Unterschied zu Ai Weiweis gesellschaftlich egalitären Anspruch, indem er versucht insbesondere mit seinen Internetaktivitäten viele Gesellschaftsschichten zu erreichen, war elitär und galt in China traditionell als ein soziales Ereignis. Kunst wurde als Ort des Austausches verstanden. Durch das Aufsetzen von Siegeln oder dem Hinzufügen von Aufschriften auf das Bild oder in Form von Kolophonen, fungierten diese Bilder als Medium kultureller Identifikationsprozesse in dem u.a. Relationen zum Maler, anderen Literaten und Sammlern und deren Spuren auf dem Bild oder in Bezug auf eine spezifische Zusammenkunft, in der man das Bild gemeinsam betrachtet hatte, artikuliert wurden und auf diese Weise über Raum und Zeit hinweg im Bild eine soziale Gruppe bildeten. Während diese Treffen früher im privaten Rahmen stattfanden, forciert Ai Weiwei mit seiner sozialen und ästhetischen Praxis die kritische Diskussion in der internationalen Öffentlichkeit. Die Forderung und Bereitschaft politische und gesellschaftliche Fragen  offen und konfrontativ zu diskutieren, schätzt er selbst als seine vielleicht größte Leistung ein. _3

Vor dem Hintergrund, nicht vorhandener öffentlicher Räume gesellschaftskritischer Kunst und vor dem dargelegten historischen Kontext der in China traditionell hoch beigemessenen Wirkkraft, die über das Ästhetische hinaus das Verhältnis zur Welt verändern kann, erhält diese Aussage eine explizit politische Konnotation. Im vergangenen Monat berief die Berliner Universität der Künste (UDK) Ai Weiwei als Professor. In der Hoffnung, dass er diesen Ruf erhalten und annehmen wird, wird es spannend werden, auf welche Weise die kritische Wirkmächtigkeit seiner Praxis in einer universitären Einrichtung außerhalb von China Kraft entfalten kann.

 

Anmerkungen:

1_ „Art and Cultural Policy in China. A Conversation between Ai Weiwei, Uli Sigg and Yung Ho Chang, moderated by Peter Pakesch", Wien; New York, S. 58.

2_ Aus einem Interview, das Ai Weiwei als Kurator anlässlich der Soloausstellung „Daquangou" , 2008 in der Galerie China Art Archives and Warehouse mit dem Künstler Zhao Zhao geführt hat.

3_ „Art and Cultural Policy in China. A Conversation between Ai Weiwei, Uli Sigg and Yung Ho Chang, moderated by Peter Pakesch", Wien; New York, S. 81.