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Isabelle Graw

Alle Macht der Chefredaktion

Anna Wintour, The September Issue, Filmstill

Zwischen den Jahren fand ich endlich die Zeit, mir den Dokumentarfilm von R.J. Cutler „The September Issue“ über das Making Of der September-Ausgabe (2007) der US-amerikanischen „Vogue“ anzusehen. Da der September im Modebereich als Saisonauftakt fungiert, wird dieser Ausgabe entsprechend enorme Bedeutung zugeschrieben. Sie verheißt Orientierung und soll ihre Leserinnen über die Must-Haves der kommenden Saison informieren. Ihre ökonomische Bedeutung ist in etwa vergleichbar mit dem Gewicht, das die Akteur/innen der Kunstwelt der Art Basel geben, wenn sie um diese herum ihre zentralen Ereignisse (Berlin-Biennale etc.) terminieren. Die ersten 20 Minuten dieses Films sind wahnsinnig unterhaltsam, durch scharfzüngige Bemerkungen der sagenumwobenen Chefredakteurin Anna Wintour, witzige Schlagabtäusche mit ihren Mitarbeiter/innen und schnell geschnittene Perspektiven auf die Räume der Vogue-Redaktion gewürzt. Als jemand, der sich für Mode begeistert, wird man auch angesichts von Wintours verbalen Anstrengungen, die Fashionista von jedem Verdacht der Oberflächlichkeit und geistiger Beschränktheit freizusprechen, eine Art inneres Jauchzen vernehmen. Es fällt gleichwohl auf, dass Wintour im Interview unausgesetzt auf ein imaginäres Gegenüber – ihre poshe britische Familie – verweist, die ihre Tätigkeit als langjährige Chefredakteurin einer Modezeitschrift wohl nicht richtig ernst nimmt. Womöglich ist Wintours vielfach dokumentiertes und auch in diesem Film so inszeniert wie authentisch wirkendes über-autoritäres Herrschaftsregime aus psychoanalytischer Sicht eher eine Verschiebung ? Das Problem und die Kränkung, die darin bestehen, von der eigenen Familie im Grunde nicht ernst genommen zu werden, werden von ihr dergestalt verschoben, dass sie Respekt bis hin zur absoluten Unterwerfung ersatzweise von ihren Mitarbeiter/innen einfordert. Wenn Wintour die Anstrengungen ihrer Stylisten regelmäßig zunichte macht und kein gutes Haar an deren Vorschlägen lässt, gewinnt man tatsächlich den Eindruck, dass es bei diesem überzogen diktatorischen Verhalten in Wahrheit um etwas anderes geht. Dies umso mehr, als es doch eigentlich jeder neueren Managerphilosophie zuwiderläuft, wenn man wie Wintour sein Team nur herunterputzt, da dies wenig motivierend wirkt. Die Modewelt wird jedoch offenkundig nicht ausschließlich von den Maximen des Postfordismus (Kooperation, Eigenverantwortlichkeit) regiert, sondern bleibt auch vom ständischen Prinzip durchdrungen. So sehr Wintour auch auf Teamwork und auf die Initiative ihrer Mitarbeiter/innen angewiesen ist, verfügt sie doch über die Privilegien einer Fürstin, Privilegien, die sie ausschöpft und geltend macht, in dem sie beispielsweise ihre Mitarbeiterinnen nur kurz zu sich ruft, um deren mühsame Arbeit mit dürren Worten abzufertigen und zurückzuweisen.

Bezeichnend für die aristokratische Verfasstheit der Modewelt ist zudem, dass Wintour für ihr schroffes Abkanzeln niemals sachliche Argumente vorträgt. Analog zum Adligen, der in der ständischen Gesellschaft vom Zufall der Geburt profitierte, verdankt sich auch ihre privilegierte Stellung dem glücklichen Zufall, der in modernen Gesellschaften in jede berufliche Platzierung hineinspielt. Niemand hat sich seine berufliche Position nur verdient – sie verdankt sich zu gewissen Teilen auch dem Zufall oder der Gunst der Stunde. Weil Wintour das Glück hatte, sich auf dem Platz der Vogue-Chefredakteurin wiederzufinden, kann sie sich als autokratische Herrscherin inszenieren, die keinen Widerspruch duldet. Im Absolutismus wird nicht diskutiert.

Neue Erkenntnisse lassen sich in diesem Film aber auch über die Gattung des Vogue-Fotoshootings gewinnen. So sympathisch Grace Coddington – die langjährige Mitarbeiterin von Wintour, die von ihrer Anmutung her etwas Vivienne Westwoodhaftes verströmt – auch sein mag, die von ihr vorgebrachten Ideen für Fotogeschichten sind das reinste Klischée: entweder platt historisierend mit vorhersehbaren Narrationen (die 1920er Jahre – illustriert durch Models mit Bobs im Café) oder an Beliebigkeit kaum zu übertreffende Themen (so z.B. eine Fotostrecke zum Thema „Textur“), die den Sachverhalt, dass jedes Kleidungsstück ohnehin eine Textur aufweist, schlicht ignorieren. Vollständig absurd wird es, wenn Wintour besagte Textur-Fotostrecke von Coddington begutachtet, um in der für sie typischen Manier ein Foto mit Lederoutfit zu eliminieren und dies mit der Begründung, dass Leder keine Textur habe. Es sind offenkundig die abstrusesten Behauptungen, die in diesem Milieu an die Stelle eines gut begründeten Arguments treten können. Zur entgültigen Entzauberung des Modefotografen Mario Testino leistet dieser Film ebenfalls einen entscheidenden Beitrag. Für sein geplantes Fotoshooting mit Sienna Miller plant er allen Ernstes eine „Mischung aus Fellini und Rosellini“, die in Rom – wo sonst – photographiert werden soll. Das Ergebnis in Form des Titelfotos mit Sienna Miller ist so erschütternd konventionell, dass man sich unwillkürlich fragt, worin der Ruhm Testinos eigentlich begründet liegt. Die Antwort ist für Testino dieselbe wie für Wintour – beide haben das Ausmaß, in dem auch die Modewelt seit den 1970er Jahren immer stärker gemäß der Prinzipien der „Celebrity Kultur“ regiert wird, früh erfasst. Bei Testino geht es darum, der Celebrity den Glanz ihres Vorgängers – dem Filmstar – zu verschaffen. An der Intuition Wintours für die Bedeutung der Celebrity in der Mode wird in diesem Film ebenfalls kein Zweifel gelassen. Entscheidend für die Modewelt ist z.B., dass sich weibliche Celebrities seit den 1980ern zunehmend am Idealbild des Models orientiert haben und Designerkleidung massiv für ihre Selbststilisierung einsetzen. Dies prädestiniert beispielsweise berühmte Schauspielerinnen dazu, als Werbeträgerinnen für Mode zu fungieren. Celebrities sind die idealen Models auch deshalb, weil sich die halbe Welt mit dem Narrativ, welches die Medien aus ihrem Leben weben, identifiziert. In seinem jüngsten „Newsweek-Artikel“ hat dies Neal Gabler prägnant auf den Punkt gebracht: „Celebrity is a narrative in the medium of life.“ Eine Celebrity hat folglich dem Model voraus, dass es weniger gesichtslos ist, weil sein Leben oder, genauer, das, was die Medien für sein Leben halten, im Vordergrund steht. Zwar hat es immer wieder Model-Celebrities gegeben – angefangen von Twiggy bis hin zu den Supermodels der 1980er Jahre oder zuletzt Kate Moss. Doch eine Celebrity in Reinkultur wie Sienna Miller, die sich weniger durch ihre schauspielerischen Leistungen oder Auftritte in Anzeigenkampagnen – an die man sich in ihrem Fall kaum erinnert – auszeichnet, denn durch ihre Rolle als „it-Girl“ und Modevorbild, und für deren Liebesleben sich die Medien ebenso sehr interessieren wie für die von ihr getragenen Outfits, hat modetechnisch gesehen den Vorzug, dass das von ihr Getragene sogleich eine Kettenreaktion auslöst. Trägt sie flache Stiefel mit Fransen, dann sind diese in wenigen Minuten weltweit ausverkauft.

Der Fokus von „The September Issue“ auf Wintour als Hof haltender Modefürstin erinnert aber auch daran, dass sich in Mode- und Kunstwelt eine Form der Adelsverrücktheit konserviert, deren Struktur die Celebrity Kultur aufgegriffen und verallgemeinert hat. Der Adlige hat seinen Platz so wenig verdient, wie die Celebrity. Letztere mag zwar hart an sich arbeiten, hat jedoch mit dem Leistungsprinzip vollständig gebrochen. Nicht ihr Arbeitsaufwand zählt, sondern charismatische Kriterien wie Aura oder gewinnendes Auftreten. Wintour selbst hat die Gesetze der Celebrity Kultur auch persönlich verinnerlicht. Sie stilisiert sich ikonenhaft – mit schwingenden Kleidern von Oscar de la Renta, ihrer omnipräsenten Sonnenbrille und dem Bobartigen Haarschnitt, aufgrund dessen man sie auf Anhieb erkennt. Die Figur Anna Wintour ist aber auch der lebende Beweis dafür, dass sich die Freiheiten, die sich der bildende Künstler traditionell nehmen durfte, mittlerweile auf den Redakteur oder den Kritiker übertragen haben, die diese Freiheiten nun für sich in Anspruch nehmen. Während der Künstler – im Modebereich durch den Typus des Designers vertreten – längst seine Unschuld verloren hat und von kommerziellen Zwängen in Schach gehalten wird, wird Vermittlern wie Wintour noch eine Art Restautonomie zugesprochen, was in ihrem Fall bedeutet, dass sie im Grunde schalten und walten kann, wie sie will. Natürlich muss auch sie auf modische Konjunkturen, die Bedürfnisse der Anzeigenkunden etc. etc, Rücksicht nehmen. Zugleich gesteht man ihr jedoch noch jede Schrulle zu, so wie man es in den 1970er Jahren auch einem „großen Künstler“ wie Yves Saint Laurent großzügig verzieh, dass er Allüren hatte und schwierig war. Wenn die Herausgeberin der größten Modezeitschrift vom verloren gegangenen Freiraum des Künstlers profitiert, dann deutet sich darin aber noch eine weitere gesellschaftliche Verschiebung an – die Verschiebung von der Produktion hin zur Reproduktion. Die Macht hat heute auch im Modebereich diejenige, die für reproduktive Bereiche wie Vermittlung oder Kommunikation verantwortlich ist. Qua ihrer Zeitschrift verfügt Wintour über einen direkten Draht zu den Käuferinnen, was ihr im Konsumkapitalismus zu einer ökonomisch zentralen Rolle verhilft. Als Vermittlerin hat sie auch die Möglichkeit, junge Designer zu lancieren und sie bekannt zu machen. So wird im Film gezeigt, wie sie dem jungen Designer Thakoon aufgrund ihrer guten Verbindungen zu einem lukrativen Auftrag der GAP-Kette verhilft.

Das visuelle Leitmotiv dieses Films ist der mobile Kleiderständer, dessen Bestückung durch die Vogue- Mitarbeiter (Stylisten etc) einen ganz wesentlichen Arbeitsschritt darstellt. Es hängt jedoch schon an diesem Punkt von dem prüfenden Blick Wintours ab, ob es bei den aus jeder Kollektion ausgesuchten Kleidern bleiben wird. Wintour hegt eine diffuse Phobie gegen zu viele Schwarztöne, was den Designer von YSL, Stefano Pilati – ohnehin in erschreckend devoter Pose gegenüber Wintour gezeichnet – dazu verleitet, ihr ein dunkelgrünes Kleidungsstück aus seiner Kollektion als farbig anzupreisen. Sie selbst trägt grundsätzlich Pastelltöne und knielange Kleider, die eher klassisch wirken und mit Downtown-Mode und den modischen Einschnitten der letzten Jahre (die von Hedi Slimane erfundene Silhouette der skinny Jeans) überhaupt nicht kommunizieren. Mit Mode im Sinne eines so flüchtigen wie gegenwartsbezogenen Anrufungssystems, das seine Impulse von den diversen Vorreiterinnen auf den Straßen von New York, Paris, Berlin oder London bezieht, hat die US-amerikanische Vogue offenkundig nichts zu tun. Dies ist die größte Lektion von „The September Issue“ – dass die Vogue im Grunde keinen Draht zur Mode besitzt und dies obwohl (oder weil?) sie sich als wichtigste und mächtigste Modezeitschrift ausgibt.