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Handlungsmöglichkeiten Christina Irrgang über Gideon Rubin in der Galerie Karsten Greve, Köln

Gideon Rubin, „Untitled (LR)“, 2019

Gideon Rubin, „Untitled (LR)“, 2019

Im Zusammenhang mit der letzten Ausgabe von Texte zur Kunst über Autofiktion wurde viel über das Format des Sich-Erinnerns im Verhältnis von Text zu Bild diskutiert. Als Beispiel galten hier vor allem die Romane von Annie Ernaux. Vor diesem Nicht-Vergessen mahnt auch der Künstler Gideon Rubin in seinen Malereien, die fast filmisch Sequenzen der Geschichte aufgreifen. Die Kunsthistorikerin Christina Irrgang schreibt über Rubins Ausstellung in Köln.

„Warning Shadows“ steht den Malereien von Gideon Rubin wie ein Frontispiz voran: Es geht um Projiziertes, Erinnertes, um inszenierte Darstellungen und (Nicht-)Wissen. Rubin (geb. 1973 in Tel Aviv) nimmt mit dem Titel seiner Ausstellung in der Galerie Karsten Greve in Köln Bezug zum gleichnamigen Stummfilm Schatten – Eine nächtliche Halluzination/Die nächtliche Erkenntnis [1] , der 1923 als expressionistischer Kammerspielfilm in die deutschen Kinos kam und anhand einer Geschichte über Liebeswahn und Eifersucht exemplarisch die Illusionsbildung durch die technisch geschickte Verwendung von Licht und Schatten analytisch zum Gegenstand machte.

In Rubins Malereien – ausgestellt sind Werkserien aus den letzten zehn Jahren – zeichnet sich diese Bezugnahme auf verschiedenen formalen Ebenen ab, allem voran etwa mit dem Aufarbeiten medial geprägter Rezeptionsmodi seit den 1920er Jahren, das heißt, seit durch Montageverfahren von fotografischen wie filmischen Bildern gezielt fiktive Narrative entstanden; Bildnarrative, die den Anschein erweck(t)en, Wirkliches zu zeigen, doch in ihrer Substanz immer schon eine Vorlage für die Projektion von Situationen lieferten – ob politisch-propagandistisch motiviert oder um der eigenen Wunschvorstellung zu dienen.

Gideon Rubins Gemälde, zumeist Öl auf Leinen, zeigen Konturen, Umrisse von Körpern und Landschaften, das Spezifische eines Menschen, wie Gestik und Mimik, bleibt in seinen Figuren jedoch ausgespart: Die Gesichter der von ihm Porträtierten sind leer, reine Flächen, um die sich Haare, Frisuren, Hemdskrägen, Kleider oder Pullover legen. Mitunter verschiebt Rubin die Ausschnitte des Bildes, sodass beim selben Motiv immer wieder eine andere Ansicht des skizzierten Moments in den Vordergrund rückt. Indem sich der Künstler malerisch den populärgesellschaftlichen Siegeszügen des Fotografischen und Filmischen stellt, führt er zugleich auch das Scheitern ihrer Glaubhaftigkeit auf.

Den Wetteifer um Wirklichkeitserzählung und Idealdarstellung, wie sich ihm beispielsweise Albert Bierstadt und dessen Brüder Charles und Edward zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen Landschaftsmalerei und neu aufkommender Stereoskopie stellten, hat weder die Malerei noch das Fotografische gewonnen. Viel mehr wird mit Gideon Rubins Auseinandersetzung mit den ehedem konkurrierenden Medienformaten deutlich, dass es längst schon überholt ist, die Paragone zwischen Malerei, Fotografie und Film zu bemühen. Rubin zeigt: Es geht in den hier vorgeführten, aufgebrochenen Narrativen um die analytische Betrachtung des Überzeugens durch Illusionsbildung und Täuschung – sei es durch antiquarische israelische Illustrierte, auf denen der Künstler fotografische Ansichten durch Gouache-Übermalungen herausstellt oder Textzeilen durch diese verdeckt; sei es durch das malerische Aufgreifen von Szenen aus Filmen des Weimarer Kinos, wie zum Beispiel in seiner neuen Reihe Series: Sirens and Sinners (2019), oder durch das Zitieren historischer Gemälde mit tradierten Figuren und Szenen wie Napoleon auf dem Pferd.

Gideon Rubins Bilder scheinen in ihrer Kühle und Distanziertheit etwas zu fixieren und zu belegen – und gerade damit fordert er zur Auseinandersetzung mit ihnen auf. Der Pinselauftrag ist gestisch grob, Konturen sind zuweilen nur skizziert, die Leinwand ist blank. Durch das bewusste Wiederholen von heroischen und lasziven Posen, die ehedem der (Be-)Werbung von Menschen, Produkten und Machtkonstellationen dienten, reproduziert Rubin die Ästhetisierung und die Verführungskraft des Bildes und stellt sie kritisch durch ihre augenscheinliche Dekonstruktion in den Raum. Oftmals sind die Werke „ohne Titel“ oder verweisen in ihrer Benennung „mnemenhaft“ auf eine außerhalb des Bildes liegende Information. Durch das Ausbleiben spezifischer Details wird die Leerstelle angesprochen und damit der konstruktive Prozess des Erinnerns, aber auch jener der Imagination; es ist ein unaufhaltsames Suchen nach inneren Bildern bis hin zum Reflektieren über Wissen, Vergessen und Fiktion – eine synthetische Annäherung an etwas, das sich fortlaufend entzieht und dennoch schon bekannt ist. Sein strategisches Vorgehen erinnert an eine Façon, wie sie Else Lasker-Schüler in ihrem Bühnenstück IchundIch 1940/41 im Jerusalemer Exil durch Sprache zu formen wusste, in dem Mephisto spricht: „Es stürzt die Menschheit! Es beginnt von Neuem eine Runde. Und doch spielt stets dieselbige Figürlichkeit!“ [2]

Gideon Rubin, „Untitled (Man in the Field)“, 2018

Gideon Rubin, „Untitled (Man in the Field)“, 2018

So knüpft Rubin mit seinen Arbeiten an das kollektiv Überlieferte an und und wirft die Frage auf, worin die Erkenntnis dieses Überlieferten heute besteht. Erscheint die weibliche Figur auf der Einladungskarte zur Ausstellung „Warning Shadows“ auch dann noch wie ein biederes Rokokobildnis, wenn wir entschlüsseln, dass sie nach einem fotografischen Porträt Leni Riefenstahls gemalt ist? Und wirkt die Landschaft von See, Wald und Berg ferner anziehend durch die tiefblaue Farbe, wenn sich im Betrachter*innenauge abzuzeichnen beginnt, dass es sich um ein propagandistisches Foto aus dem „Dritten Reich“ handelt? Bereits 2018 hatte Gideon Rubin hierzu eine ganze Ausstellung konzipiert, „Black Book“, im Rahmen derer er Textpassagen und fotografische Ansichten aus einer in Serie publizierten englischen Sonderausgabe von Hitlers Mein Kampf übermalt hatte. [3] Unweigerlich wird hierbei auch deutlich, dass es sich um Bildmaterial des Fotounternehmers Heinrich Hoffmann handelt, dessen Bildindustrie über Jahrzehnte hinweg Sichtweisen manipulierte und prägte.

Gideon Rubin greift solche Ansichten auf, wiederholt sie entfremdet, sodass sie ein geprägtes, doch passives Bildbewusstsein ansprechen und überprüfen. Er wiederholt dies mit Bildmomenten aus anderen Jahrzehnten und Epochen, aus früheren diktatorischen, maskulin geprägten Systemen und gesellschaftlichen Krisensituationen bis heute, wie mit seiner zuletzt im Rahmen des Austauschprojektes „Places of Conflict“ [4] gemalten „Xinjiang“-Serie (2016/17), der in der Galerie Karsten Greve ein ganzer Raum gewidmet ist. Die dort gezeigten Arbeiten hängen in einer Reihe auf Augenhöhe, die sich im Abschreiten zu einem szenischen Narrativ verdichten und doch nur bruchstückhaft Blicke freigeben: auf einen Polizisten vor einer roten Wand, auf eine Mao-Statue mit erhobener Hand, auf eine gehisste Flagge vor einem Gebetsturm und gleich daran anschließend auf eine Gruppe verschlossen wirkender Menschen. Sie unterscheiden sich von den zuvor betrachteten Werken, denn es ist ein individuelles Schauen auf alltägliche politische Unruhen und soziale Eingrenzungen, das Rubin während seiner Reise durch China als fotografische Notiz festgehalten und schließlich in eine Sequenz aus 27 Malereien übertragen hat – Bilder, die im Kontrast zu seinen reproduzierten Motiven viel stärker noch dazu auffordern, eigenständig zu sehen.

Gideon Rubin legt die Produktion von Bildern so in einem dialektischen Prozess offen. Und das, indem er einerseits den Betrachter*innen seiner Werke je eigen modellierbare Schablonen anbietet, die in einer konsumorientierten Praxis dem affektvollen Ausfüllen von Templates wie etwa in den sozialen Medien oder aber dem filmischen Bild als „Platzhalter“ für das Unbestimmte [5] nahekommen. Andererseits „warnen“ seine Bilder vor der Austauschbarkeit, vor der Beliebigkeit, vor dem Wegfall des Ethischen und vor allem vor dem Vergessen. Mit einer solchen namenlosen Typisierung seiner Bildfiguren benennt der Künstler jene Schatten, die er auch mit dem Titel seiner Ausstellung einzukreisen sucht; denn statt für ein Figurentheater plädiert er für ein „In-Erscheinung-Treten“ im Sinne eines, von Hannah Arendt formulierten, aktiven Handelns und Sprechens. [6]

„Gideon Rubin: Warning Shadows“, Galerie Karsten Greve, Köln, 11. April bis 18. Mai 2019.

Christina Irrgang ist freie Autorin und Musikerin und lebt in Wuppertal und Bielefeld.

Anmerkungen

[1]Schatten (engl. Warning Shadows); Regie: Arthur Robison, D 1923.
[2]Else Lasker-Schüler, IchundIch, hg. v. Karl Jürgen Skrodzki/Kevin Vennemann, Frankfurt/M. 2009, S. 38.
[3]Gideon Rubin, „Black Book“, Ausstellung vom 7. Februar bis 15. April 2018 im Freud Museum, London. Siehe hierzu die gleichnamige Publikation mit einem Gespräch zwischen Gideon Rubin und James Putnam, S. 914.
[4]„Places of Conflict“ war ein bilateral angelegtes Austauschprojekt, im Rahmen dessen der chinesische Künstler Cheng Ran und der israelische Künstler Gideon Rubin 2016 gemeinsam durch Xinjiang/China und Jerusalem/Israel gereist sind sowie Ausstellungen im jeweiligen Gastland über die von ihnen erfahrenen, soziopolitischen Strukturen realisiert haben.
[5]Vgl. hierzu Koch, Gertrud: Die Wiederkehr der Illusion – Der Film und die Kunst der Gegenwart, Berlin 2016, S. 255ff.
[6]Vgl. Hannah Arendt, Vita activa – oder Vom tätigen Leben, München 2007, S. 213ff., hier: S. 214.