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NEUSTART, ERWEITERT UND PROPORTIONIERT Michaela Ott über die Dak’Art 2022, Dakar

Emmanuel Tussore, „De Cruce“, 2022

Emmanuel Tussore, „De Cruce“, 2022

Die Dak’Art, die Biennale für zeitgenössische afrikanische Kunst in Dakar, findet seit 1990 statt. Nach vier Jahren coronabedingter Pause versammelt das kulturelle Großevent, das noch bis Ende Juni zu sehen ist, Arbeiten von 59 Künstler*innen, darunter vier Kollektiven, aus 28 Ländern in der Hauptausstellung im verlassenen Palais de la Justice. Dabei sind es vor allem die kleineren Ausstellungen und Performances in den zahlreichen über die Stadt verteilten Off-Spaces, die die Dak’Art mittlerweile demonstrativer bewirbt als die Hauptausstellung. Michaela Ott hat sich auf eine Off-Tour durch Dakar begeben und unter den disparaten kuratorischen Entscheidungen einige ästhetische Preziosen gefunden.

Die Dak’Art, das Großereignis des afrikanischen Kontinents, 14. Ausgabe nunmehr, findet endlich wieder, und nach vier Jahren coronabedingter Pause mit gestärktem Unabhängigkeitswillen, statt. Denn sie läuft nicht mehr unter einem französischem, sondern erstmalig unter einem Serer-Titel, „Í Ndaffa (forger/out of fire)“, der mythisch-kreative Potenziale evozieren will. Die Biennale versammelt afrikanische und afrodiasporische Kunst, freilich nicht nur. China und Cuba sind diesmal zu Gast.

Die Auswahl der 59 Hauptkünstler*innen unter künstlerischer Leitung von El Hadji Malick Ndiaye erfolgt in Absprache mit mehreren Kuratorinnen weitgehend nach Proporz: 14 Teilnehmer*innen aus Ost- und West-, 12 aus Süd- und Nordafrika, einige aus der Diaspora; ein paar Französ*innen und US-Amerikaner*innen sowie eine Deutsche sind mit dabei.

Die westlichste Spitze Afrikas: Sie hat einen ausgeprägten Bezug zu Booten, die, in gewisser Weise ihr Wahrzeichen, auf dem Ausstellungsparcours mehrfach thematisiert werden – als Lebens- und Erwerbsraum wie als Ort der Piraterie und mangelnder Überlebensgarantie; denn zur Kunst im öffentlichen Raum gehört auch die vorgelagerte Insel Gorée, von der seit frühester Zeit Sklavenschiffe abgingen, woran das Maison des Esclaves erinnert. Heute stehen konstant senegalesische Schulklassen davor.

Das Schwankende der diesjährigen Dak’Art: Es liegt auch darin, dass das internationale Publikum sich nach wie vor bitten lässt. Zwar wurden Kurator*innen des MOMA und des Centre Pompidou sowie der künftige Berliner HKW-Leiter Bonaventure Ndikung gesichtet, zudem Ankäufer*innen aus der französischen Szene. Der nichtprofessionelle Besucher*innenstrom ist gleichwohl mager, als hätte es sich noch nicht herumgesprochen, dass Covid-Restriktionen vorbei und ein Kunstneustart angesagt sind.

Karem Ibrahim, „Rotten Egg-s“, 2022

Karem Ibrahim, „Rotten Egg-s“, 2022

Dabei scheint sich die Dak’Art in Geist und Geste der Documenta vorauseilend anzunähern: Ästhetische Setzungen vor allem von Kollektiven dürfen sich im landesweiten Off-Bereich als Kunst behaupten, so sie einen Ort für ihren Niederschlag finden. Jede*r Kunstwillige ist willkommen, manch eine*r squattert zu diesem Zweck eine französische Villa mit Atlantikblick. Auch eine nigerianische Künstler*innengruppe steuert die Dak’Art als Teilhabeforum an, wenngleich sie den Mangel an finanzieller Unterstützung, wie ihr vor Ort klar wird, nicht eingeplant hat.

Die offizielle Dak’Art hält Hof in gewaltigen, zum Teil von Chines*innen errichteten Bauwerken: im Musée des civilisations noires beispielsweise, erst vor wenigen Jahren fertiggestellt. In ihm begegnet eine aparte Mischung aus ethnografischer Sammlung und zeitgenössischer Kunst. Der Präsident, der – kurz zuvor einer Autoflotte schwarzer Stretchlimousinen entstiegen – im großen Nationaltheater das Event eingeläutet und Preise vergeben hat, sieht sich bei seinem Rundgang mit kritischen Gemäldetiteln konfrontiert: Eine malerische Reihung gesichtsloser Köpfe von Nampemania verweist auf Disparues sans visage (Gesichtslose Verschwundene), zwei malerische Darstellungen gackernder Hühner von Soly Cissé ironisieren paroles, paroles (Gequassel), in Rahmen eingepasste Quasi-Maschinengewehre von Joachim Silue denunzieren La démocratie de l’eternel dominateur (Die Demokratie des ewigen Beherrschers).

Die einnehmendste Örtlichkeit der Dak’Art ist zweifellos das Ancien Palais de Justice, eine erhabene Edelruine an der Südspitze des Plateaus, des Zentrums der Stadt. Erbaut 1966 für das erste „Festival mondial des arts nègres“ auf Initiative des Staatspräsidenten und Kunstfreunds Léopold Sédar Senghor, wurde es später zum Justizpalast und dann erneut zum Kunsttempel umgewidmet. In seiner riesigen Halle mit offenem Innenhof sind diesmal Blumenbeete angelegt – welch Platzverschwendung angesichts dessen, was hier früher an Segeln zum Himmel aufgeflattert ist!

In den umlaufenden hohen Galerien finden sich, wie zu erwarten, Großinstallationen, die diesmal allerdings nicht groß und raumgreifend genug angelegt sind: Encroaching Stray (2022) des Tripe-Kollektivs spielt zwar mit langen Stoffbändern in dunklen Farben die Höhe der Eingangshalle aus, aber das Riesenei aus Blechstreifen von Karem Ibrahim bekommt nicht nur wegen des Mangels an Sulfur den Eindruck der Weltverfaultheit nicht hin. Der danebenstehende Ziegelsteinofen ist zu ordentlich zerbrochen und lässt zudem in seinem Innern ein Elflein tanzen. Allerhand Stoffliches ist zu sehen, das sich vielfarbig patchworkartig über die Wände spannt.

Ansprechend raumfüllend sind die Gemälde des Senegalesen Alioune Diagne, die Alltagsszenen in scheinbar digitaler Unschärfe als Lexique des signes inconscientes (Lexikon unbewusster Zeichen, 2021) wiedergeben; auch die zusammengenähte Großleinwand From there to here (2022) von Kaloki Nyamai aus Kenia lässt grellgelbe Personendarstellungen den Raum durchleuchten. Die Tunesierin Ilhem Ellouze präsentiert eine Kombination aus Gemälde und Installation mit kubischen Figuren, die anonyme soziale Massen, ein ansprechend dividuelles Ensemble evozieren. Eine meditative Atmosphäre bringen die großen Kollagen aus monochrom-gleichmäßigen Stoffstreifen von Abdoulaye Konaté hervor, die wie Erinnerungsmarker an verschiedenen Orten wiederkehren.

Beeindruckend düster dagegen zeigt sich die Installation De Cruce (Vom Kreuz, 2022) von Emmanuel Tussore, der eine Golgotha-Baumgruppe samt Donnergeräuschen inszeniert, deren obere Äste an die gewundene Hängung von Christus und den Schächern auf europäischen Gemälden erinnern. Diese Düsterkeit wird noch getoppt von einem übelriechenden Raum auf der Galerie, einer Großinstallation von Fally Sene Sow in halbdunklem Licht, die Mariupol und seine zerschossenen Gebäude nachinszeniert und eine*n umgehend aus dem Raum vertreibt. Insgesamt wenig verwunderlich, dass es reichlich Anspielungen auf Zerstörung und Verwüstung zu sehen gibt, in Les chantiers de la mer (Die Baustellen des Meeres, 2022) von Louisa Marajo oder in Ni Barca Ni Barsak (2022) von Ousmane Dia, der aus einer aufgerichteten Pirogge vor der Cheikh-Anta-Diop-Universität abstrakte Metallfiguren fallen lässt und daran gemahnt, dass die Flucht über das Meer weder nach Barcelona (Barca) noch in ein erlösendes Jenseits (Barsak) führen wird.

Dem Zeitgeist angemessen, melden sich Appelle zur Dekolonisierung in bekannten künstlerischen Gesten: So, wenn Victor Sonna mit Behind the Echo (2021) auf die Rückseite abstrakter Gemälde und deren schwarze Wucherungen und Löcher verweist: Das Verdrängte will sich postkolonial Sichtbarkeit verschaffen. Hako Hankson wiederum, Maler aus Kamerun, bietet Gemälde mit maskenartigen Gesichtern à la Dubuffet, Picasso et al., um, wie er sagt, vergessene kamerunische Geschichte zu evozieren. Andere Bilder erinnern an die Tirailleurs sénégalais, jene in den französischen Truppen dienenden Afrikaner, die wie auf alten Fotos leicht verschleiert und verblasst wiedergegeben sind; ein Video erzählt die Kulturgeschichte von Manjok/Cassava, das aus Brasilien nach Afrika gelangt sein soll und heute das wichtigste Grundnahrungsmittel abgibt.

Am viel kleineren Ausstellungsort des betagten Musée Théodore-Monod sind diesmal Objekte aus unterschiedlichen Kulturen in harscher Konfrontation nebeneinandergestellt: Als Beitrag aus Havanna findet sich ein riesiger Heuhaufen auf Schulbänken, Leccion sobre democracia (Lektion über Demokratie, 2021) von Roberto Diago; daneben drehen sich Riesenschirme mit Buddha-Anspielungen aus Bhutan. Der Wand entlang hängen Autotüren in Serie, durch deren Fensterlöcher fotografische Ansichten aus Ghana vorüberziehen. Der frühere Kurator Simon Njami zeigt eine Reihe unterschiedlicher Hütten mit landesspezifischen Utensilien, frei nach der Idee der „Werkzeugkiste“ von Deleuze und Guattari. Die angrenzende Installation Unsettled (Unbekannt, 2022) erinnert an den 110. Geburtstag des „Naive Lands Act“ in Südafrika.

Von derart disparaten kuratorischen Entscheidungen heben sich die beiden monografischen Ausstellungen zu den senegalesischen Malerlegenden El Hadji Sy und Soly Cissé in den städtischen Galerien wohltuend ab. Deren jeweiliges Ringen um Transformation des europäischen Erbes hin zu leuchtend farbigen Abstraktionen, kombiniert mit maskenartigen Gesichtern, aber auch Tierallegorien, wird über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren gut nachvollziehbar präsentiert.

Neu an der Gesamtplanung der diesjährigen Dak’Art ist, dass sie den bislang kaum in Wert gesetzten Küstenstreifen entlang des Atlantiks respektive der Schnellstraße mit Kunstwerken zu bestücken und mit monumentalen Arbeiten in einen Landscape Space zu verwandeln sucht. Der Künstler Barthélémy Toguo hat dort das aus den USA transferierte Holzhaus der feministischen US-Künstlerin Rosa Parks weithin sichtbar aufgebaut.

Kaloki Nyamai, „Kumavau Nginya Vaa (From There to Here)“ (detail), 2021

Kaloki Nyamai, „Kumavau Nginya Vaa (From There to Here)“ (detail), 2021

Die Off-Spaces, die die Dak’Art mittlerweile demonstrativer bewirbt als die Hauptausstellung, sind über das ganze Land verteilt. Sie finden sich in Restaurants und Hotels, in Garagen und Hinterhöfen, auf der sandigen Corniche und im Zentrum der Universität. In verschiedenen Galerien des Plateaus, die sich mit einem Off-Plakat schmücken, kombiniert sich aktuelle Malerei mit „art premier“, wie sie hier heißt. Deren Preise seien jüngst durch die Decke gegangen, erklärt ein Galerist.

Nicht unanstrengend ist diese Off-Tour durch die Stadt, ist es doch der Besucherin anheimgegeben, nach den Hinweisschildern zu suchen, sich durch die Abgaswolken zu schlängeln und immer wieder zu prüfen, ob angesichts der oft eklektischen Zusammenstellungen noch ein kritisches Geschmacksurteil möglich wird. Und doch finden sich auch ästhetische Preziosen, wie etwa die Tuschezeichnungen des Senegalesen Laye Ka, aufgetragen auf einer Barcode-Papierunterlage, deren senkrechte Striche die abgebildeten Personen zerteilen, (ent-in)dividuieren.

Zum Rahmenprogramm der Dak’Art gehört traditionell die African Art Book Fair (AABF), die unter der Leitung von Pascale Obolo schwerpunktmäßig afrikanische Kunstbücher und Neuerscheinungen präsentiert, auffällig viele aus Südafrika. Als Stätte für abendliche Zusammenkünfte fungiert diesmal der Justizpalast mit großer Musikbühne. Ihm gelingt indes nicht, die charmante Atmosphäre des kleinen Begegnungsorts aufzubringen, der vor vier Jahren in Erinnerung an den senegalesischen Künstler Issa Samb und sein anarchistisches Agit-Art-Projekt die Besucher*innen in einem unbestimmt inspirierenden Gelände nahe dem alten Bahnhof zusammenführte. Hier war senegalesischer aufsässiger Rap zu hören und in Tanzschwünge bis spät in die Nacht zu verwandeln. „Ganz wie in Berlin“ – so brachte eine Studentin damals ihr Nähegefühl zu Dakar aufs Parkett.

„Dak’Art 2022: Í Ndaffa“, Dakar, 19. Mai bis 21. Juni 2022.

Micheala Ott ist Professorin für ästhetische Theorien an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK). Sie forscht zu Themen poststrukturalistischer Philosophie und Ästhetik, zu Theorien des Raums, der Affizierung und Dividuation, zu postkolonialen und komposit-kulturellen Fragestellungen und zu afrikanischer und arabischer Kunst.

Image Credit: © Courtesy Dakart Biennale