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Nothing but kindness Verena Dengler über Lili Reynaud-Dewar in der Galerie Emanuel Layr, Wien

In verschiedenen Institutionen produzierte Lili Reynaud-Dewar Videos, in denen sie in unterschiedlichen Farbschattierungen, auch ganz schwarz angemalt, sich tanzend die Ausstellungsräume aneignet. Auf die scharfe Kritik an dieser Symbolik scheint sie nun in Wien zu reagieren: Im Safe Space der Galerie Emanuel Layr dreht sie nicht nur die schwarze Farbe (zur Beruhigung aller) wieder um, sie vermittelt ihr Vorgehen auch in angenehmer Atmosphäre, bequem und gemütlich.

Dennoch soll Reynaud-Dewars Kuschelkurs nicht als kritikfreie Zone missverstanden werden: Die Wiener Künstlerin Verena Dengler findet in den Aneignungsstrategien auch eine gehörige Portion Selbstironie.

Die zweite Einzelausstellung der französischen Künstlerin Lili Reynaud-Dewar in der ­Galerie Emanuel Layr in Wien trägt den Titel „Safe Space“ – ein Begriff, der sich ursprünglich auf die Idee bezog, an Universitäten oder anderen Institutionen eine sichere Atmosphäre für LGBT-Personen zu schaffen, frei von Gewalt, Belästigung oder hate speech. In letzter Zeit scheint dessen Bedeutung allerdings eine Metamorphose durchgemacht zu haben. Besonders an Universitäten im angloamerikanischen Raum macht sich die Tendenz bemerkbar, nun generell Auseinandersetzungen und Diskussionen einzuschränken, weil man der Meinung ist, niemand sollte Vorstellungen ausgesetzt sein, mit denen er oder sie nicht einverstanden ist. Solche kuscheligen Räume der vermeintlichen Progressivität bzw. fehlenden (Selbst-)Kritik möchte man durch legislative Maßnahmen herstellen, die auf die emotionale Atmosphäre Einfluss nehmen sollen. Dass dieses ursprüngliche Empowerment für Minoritäten nun für die eigene narzisstische Kritikunfähigkeit umgedeutet und benutzt wird, hat Auswirkungen auf die Art des Lehrens und Lernens, wo echter Austausch und ein Hinterfragen der eigenen Meinung kaum mehr möglich scheinen.

Selbst seit Jahren als Professorin tätig, kann Lili Reynaud-Dewar von diesen Entwicklungen ein Lied singen – z.B. im Zusammenhang mit der Lehrveranstaltung „My epidemic: Teaching Bjarne Melgaard’s class“, die sie letzten Oktober an der Kunstuniversität in Vancouver abhielt und für die sie sich ein Seminar, das Bjarne ­Melgaard (gemeinsam mit Pablo Lafuente) für seine Solopräsentation auf der Venedig Biennale 2011 konzipiert hatte, quasi aneignete und – im Stil von Melgaard angezogen – selbst unterrichtete. Die Inhalte der von Melgaard „Beyond Death, Viral Discontents and contemporary notions of AIDS“ betitelten Veranstaltung reichten von Barebacking über Terrorismus bis zu den Black Panthers, und obwohl sie sich an die gesetzliche „Trigger-Warnung“ an der Universität hielt, wurde Reynaud-Dewar höflich daran erinnert, dass die Studentinnen und Studenten „keine europäischen Intellektuellen“ wären und „sehr sensibel“: „It makes me feel uncomfortable“ war mantraartig zu hören.

„Safe Space“ heißt nun auch Lili Reynaud-Dewars aktuelle Ausstellung. Die Räume der Galerie sind in sanftes, gedimmtes Spar­lampenlicht getaucht, ausgehend von simplen, an der Wand entlang verteilten schwarzen Ikea-Stehlampen – vielleicht ein Josef-Strau-Witz? Der Ausstellungsraum ist reduziert und schummerig und wirkt, als hätte Heimo Zobernig das Interior Design für eine minimalistische Gebärmutter entworfen. Weiße Vorhänge, bedruckt mit Fotos von Zähnen auf violettem Hintergrund, verdecken die Fenster zur Straße. Einer der Zähne hat ein Loch – vermutlich also eher ein europäischer als ein amerikanischer Zahn? Mit der kulturellen Kodierung von Zähnen will sich die Künstlerin in einem kommenden Projekt beschäftigen. Sieben Display-artige Skulpturen – einfache, geschweißte Stahlkonstruktionen, die als Fassungen für weiße, doppelseitig mit schwarz-weißen Stills ihrer Videos bedruckte und gepolsterte Leinwände fungieren – stehen in der Galerie hintereinander aufgereiht und zeigen Videostills der tanzenden Künstlerin. Diese Skulpturen hat sie auch als „didaktische Paneele“ beschrieben, und der Bereich der Pädagogik scheint nicht ganz von ihrer Tätigkeit als Künstlerin getrennt zu sein. Am Eröffnungsabend breiten sich einige Besucher/innen auf dem schwarzen Teppich aus, der den Boden der gesamten Galerie bedeckt, oder legen sich auf die weißen Bean Bags, die im Raum verteilt sind. Die Situation erinnert mich ein bisschen an die Atmosphäre der Lehrveranstaltungen, die Lili Reynaud-Dewar regelmäßig abends in ihrem eigenen Hotelzimmer in Genf abhält, wo die Studentinnen/Studenten sich auf dem Bett oder dem Teppichboden fläzen und beispielsweise Élisabeth Lebovici einmal über das „Womanhouse“-Projekt von 1971–72, den feministischen Unterricht von Miriam Shapiro und Judy Chicago in einem Abbruchhaus in Hollywood, referierte. [1] Regelmäßig kommen besagte Sitzsäcke auch bei Ausstellungen zum Einsatz, und oft ist schwer zu sagen, wo der „Unterricht“ aufhört und die Performance anfängt. Auf alle Fälle sind sie wesentlich bequemer als die Franz-West-Metallstühle, auf denen ich während meines Studiums an der Akademie der bildenden Künste Wien sitzen musste.

"Lili Reynaud-Dewar: Safe Space", Galerie Emanuel Layr, Wien, 2016, Ausstellungsansicht

Es sind nicht nur die Erfahrungen als Lehrende, sondern auch die Reaktionen auf ihre Videoarbeiten in der jüngeren Vergangenheit – in denen sie nackt und (meist schwarz) bemalt, in verschiedenen Räumen tanzend zu sehen ist und zu denen ihr u.a. vorgeworfen wurde, sie würde aus der Position einer privilegierten weißen Europäerin blackfacing betreiben –, die in „Safe Space“ mit einfließen und quasi „beantwortet“ werden. In Kritiken wurden oft die berühmten Bewegungen von Josephine Baker hervorgehoben, die sich einst über primitivistische Vorstellungen von blackness lustig gemacht hat, die die Künstlerin in ihren Videos quasi tanzend „zitiert“ und die in Relation zu ihren anderen, an Modern Dance angelehnten Moves zu sehen sind. Im Kontext von Diskussionen rund um kulturelle Appropriation, die von Postcolonial Studies bis hin zu Popmusik von Iggy Azalea oder Miley Cyrus reichen, ist sicher eine Bandbreite von Sichtweisen auf diese Geste möglich: von „kulturellem Kolonialismus“ über die neutrale Definition als „Einfluss“ bis zur positiven als „postmoderne Hybridität“. Ursprünglich war sie als Versuch der Künstlerin gemeint, auf die universelle Norm des White Cube zu reagieren und Distanz zu ihrer eigenen kulturellen Herkunft zu erzeugen – nicht in einem realistischen Sinne, denn dazu hätte sie wohl eher gutes Make-up verwendet, sondern in verschiedenen Farben von Grau, Weiß, Pink bis Rotorange bemalt (was Roberta Smith zum Vergleich „like a Matisse dancer“ [2] anregt und damit auch den Exotismus der klassischen Moderne aufruft).

Für die drei neuen Videos hat Lili Reynaud-Dewar die Farben ihrer bisherigen Videoarbeiten [3] auf Schwarz und Weiß reduziert und „invertiert“. Das heißt, ihr Körper ist nun weiß, und die jeweiligen Räume sind schwarz zu sehen. Eine etwas pubertäre Antwort auf Kritik, könnte man einwenden. Angesichts von Lehrveranstaltungstiteln wie „Enseigner comme un adolescente“ („Unterrichten wie ein Teenager“ – in ironischer Anlehnung an Michael Krebbers „Pubertäts“-Begriff) sähe die Künstlerin das bestimmt als Kompliment. Sie geht aber noch einen Schritt weiter: In einem aufwendigen Prozess hat sie für die Ausstellung ihr eigenes „Archiv“-Material nach einzelnen Bewegungen, die sie, wie sie feststellte, sehr oft wiederholt hat, methodisch nach Art oder Typ sortiert (z. B. kleine Sprünge, Plié-Sprünge, jitterartige Bewegungen etc.) und anschließend die jeweiligen „Kategorien“ wiederholt und als Loops aneinandergereiht. Didaktik ist unter Künstlerinnen und Künstlern meist negativ konnotiert und wird in Abgrenzung zum eigentlich „Kreativen“, einer ästhetischen Feinsinnigkeit als plump und einfallslos abqualifiziert. Als künstlerisches Mittel eingesetzt und auf die eigene Arbeit gerichtet, erzeugt sie jedoch in der Repetition der in ihre Bestandteile zerlegten Tanzszenen absurde, slapstickartige, hysterische Videoarbeiten und überraschenderweise große Komik. Mit einiger Selbstironie erzählte Lili Reynaud-Dewar, dass sie der Effekt dieser Videoinversion irgendwie an die Silber-Siebdrucke von Andy Warhols „Disaster Series“ (Silver Car Crash, 1963) erinnert – und man überlegt, ob man den Titel wörtlich nehmen soll.

Es erscheint jedenfalls passend, dass die gepolsterten Leinwandskulpturen, die hier zu sehen sind, zwei Seiten haben: Auf der Vorderseite ist die Künstlerin jeweils in invertierter Form, also in „Weiß“ zu sehen, die Rückseite ist mit Fotoausschnitten der „originalen“ Videos, ihrem nackten schwarzen Körper bedruckt. Die gepolsterten Selbstporträts erinnern daran, dass der Grund für eine immer übertrieben korrekte Haltung einfach auch Bequemlichkeit sein kann, die Absicht, sich nicht allzu viel Kritik aussetzen zu müssen, weil man auf der richtigen Seite steht. Doch die Vermutung bleibt, dass Lili Reynaud-Dewar keine „richtige“ Seite anbieten will, wenn sie durch die Invertierung den schwarzen Körper einfach wieder weißwäscht.

In einer „South Park“-Episode vom Oktober 2015 mit dem Titel „Safe Space“ singt ein gemobbter übergewichtiger Schüler, der vom Direktor einen Assistenten zur Verfügung gestellt bekommt, der alle negativen Twitterkommentare aussortieren und nur die positiven behalten soll: „bulletproof windows/troll-safe doors/nothing but kindness in here/everyone likes me/and thinks I’m great/in my safe space.“ Mir fällt dazu ein Meme ein, das ich unlängst auf Instagram gesehen habe: In einem Raum, der durch ein System von grünen Laserstrahlen gesichert ist, wie man es aus Filmen wie „Mission Impossible“ kennt, verrenkt sich ein junger Mann, um keine der Linien zu berühren und nicht den Alarm auszulösen. Die Überschrift dazu: „Trying to make a joke that doesn’t offend anyone in 2016“.

„Lili Reynaud-Dewar: Safe Space“, Galerie Emanuel Layr, Wien, 15. April bis 4. Juni 2016.

Titelbild: Lili Reynaud-Dewar, „Safe Space“, 2016, Filmstill

Anmerkungen

[1]Siehe Lili Reynaud-Dewar, „From Los Angeles to Los Angeles via the French countryside and suburbia (Feminist notes on victims, opponents, the educationally repressed and the sites of their contestation)“, in: Pensée Nomade Chose Imprimée. Histoire d’un atelier nomade de l’Ecole des Beaux Arts de Bordeaux 1989–2013, hg. von Thomas Boutoux, Paris, 2014.
[2]*New York Times* vom 25.2.2016.
[3]Sie ist darin tanzend in folgenden Räumen zu sehen: ­Generali Foundation in Wien, Karma International in Zürich, Consortium in Dijon, 21er Haus in Wien, Atelier Augarten in Wien, Atelier Brancusi in Paris, Centre ­Pompidou in Paris, Outpost in Norwich, Index in Stockholm, New Museum in New York, Museion in Bozen.