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Vorwort

„Die neue Neue Linke“, das Thema dieser Ausgabe, ist tatsächlich nicht ganz „neu neu“; schließlich teilt sie einige wichtige Merkmale mit der alten antikapitalistischen Linken, wie das Drängen auf die Notwendigkeit einer theoretischen Analyse des Kapitalismus und einen Fokus auf den Preis, der von vielen in einem solchen System bezahlt wird. Aber die politischen Ereignisse der letzten Zeit (Brexit, Trump, die Reaktionen auf die sogenannte Flüchtlingskrise und der Aufstieg „neuer“ Rechter) haben deutlich gemacht, dass die Linke heute alles andere als einig ist. Und nicht zuletzt weil viele Strategien und Diskurse, die lange mit der Linken verbunden waren (vom avantgardistischen „Trickster“ über Identitätspolitik bis hin zum Sprechen für die Arbeiter/innen), von rechten und faschistoiden Gruppierungen übernommen werden, ist es schwierig, einen linken Standpunkt zu bestimmen, von dem aus sich wirksam handeln lässt.

Unsere Ausgabe „Die neue neue Linke“, die im Dialog mit Diedrich Diederichsen, Helmut -Draxler, Isabelle Graw, Susanne Leeb, Juliane Rebentisch und André Rottmann entwickelt wurde, skizziert die Konturen einer solchen Position auf vielfältige Weise.

Der erste Beitrag ist ein Gespräch zwischen Sabine Hark und Sighard Neckel, die über die Politisierung von Gefühlen zu nationalistischen Zwecken diskutieren – wie sich etwa die kollektiven Ressentiments einer frisch prekarisierten weißen Arbeiterklasse zu einem identitätspolitischen Rassismus verfestigt haben, der – populistisch verstärkt, sei es digital oder als Print – Einfluss in der Bevölkerung gewinnt. Statt nur Intoleranz zu verurteilen, versuchen Hark und Neckel zu verstehen, wie Affekte hier wirksam werden.

Wie Emotionen spielen auch Medienstrategien eine wichtige Rolle bei der zunehmenden Verbreitung rechter Ressentiments – im heutigen politischen Klima gären reaktionäre Vorstellungen in den Kommunikationskanälen von Blogs, Kommentarspalten und Bildersammlungen im Netz, bevor sie in der breiteren Öffentlichkeit Fuß fassen. Eine Auseinandersetzung mit diesen digitalen Räumen riskiert den Vorwurf, die regressiven Ideen, die in ihnen beheimatet sind, weiter zu normalisieren. Der Beitrag von Matt Goerzen zeigt jedoch, dass erst die genaue Untersuchung der viralen Meme die Frage klären kann, wie die Rechte eigentlich die Oberherrschaft über dieses kulturelle Produktionsmittel erlangt hat und wie die Linke ihr diese streitig machen könnte.

NRx (Neoreaktion) und Alt-Right (Alternative Rechte) verdanken ihre Entstehung wohl den Medienräumen des neuen Jahrtausends, in denen sie sich schnell in einer Art Überbau eingerichtet haben, in dem demokratische Prozesse mit vermeintlich meritokratischen (tatsächlich aber vor allem rassistischen) ersetzt werden sollen. Dabei ähneln die bevorzugten Formen der Auseinandersetzung der selbst ernannten „Alternativen Rechten“ – etwa ein übertreibender Sarkasmus oder das gezielte Stören und Unterbrechen von Gesprächen oder Auftritten – Taktiken, die man klassischerweise mit linker (Künstler-)Kritik am Establishment verbindet. Hier, so Ana Teixeira Pinto, werden Kulturinstitutionen, ob Projektraum, Kunstjournal oder das MoMA, auf die Probe gestellt. Nur weil eine Idee außerordentlich provokant ist, schreibt sie, rechtfertigt das nicht schon die Entscheidung eines institutionellen Akteurs, ihr eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen (sie bezieht sich auf die Londoner LD50 Gallery, die verschiedene Alt-Right-Akteure einlud und sprechen ließ).

Auch Diedrich Diederichsen schreibt über die Rolle der Institution in Zeiten politischer Polarisierung und darüber, wie ihr die Erfahrungen Einzelner gegenüberstehen. Zwar könnten Redebeiträge persönlich Betroffener größere systemische Missstände sichtbar und begreifbar machen, sie dürften aber nicht dazu dienen, die diskursive Auseinandersetzung abzubrechen, und nicht selbst einer einzelnen Stimme die Macht zusprechen, die Erfahrungen anderer auszuschließen oder für irrelevant zu erklären.

Die Maske dient seit Langem als Mittel zu verschleiern, an welchem Punkt die Institution aufhört und das Individuum beginnt, wenn Einzelne ihre Identität verbergen, um als autonome Gruppe aufzutreten und gegen die Institutionen zu demonstrieren. Vielleicht aber bedarf die Repräsentation, seit jeher ein Feld der Auseinandersetzung, eines Updates. Die Grundzüge dieser Aktualisierung skizziert hier Jaleh Mansoor: Sie verweist auf die zunehmende Verwechslung verbaler und physischer Handlungen im digitalen Raum und auf das offenkundige Unvermögen von Sprache, innere Widersprüche, die sie zwar sehr gut beschreiben kann, auch aufzuheben.

Seth Price spricht in dieser Ausgabe über www.organic.software, eine Online-Datenbank, die er, zunächst ohne seine Autorschaft klarzustellen, veröffentlichte. Mit Platz für Nutzerkommentare stellt sie Kunstsammler mit Porträts, Gebäudeansichten, Daten zu politischen Spenden und Angaben über wirtschaftliche Verbindungen vor. Fragen der Autorschaft sind auch in Simon Dennys Beitrag zentral. Er spricht über „Real Mass Entrepreneurship“, sein neues Projekt, das sich mit dem Copyright-freien Umfeld der Hightechindustrie im chinesischen Shenzhen befasst, und darüber, ob überhaupt ein Modell durchsetzbar wäre, das dem (kulturellen und finanziellen) Kapital einen identifizierbaren Autor entzieht.

In der viel beschworenen Aufmerksamkeitsökonomie haben Popstars mehr Einfluss als Staatschefs. Aber, so schreibt Klaus Walter, gerade eine auf Celebrities gestützte Normalisierung dessen, was einst als transgressiv und cool galt, und die Verrechtlichung liberaler kultureller Wertvorstellungen haben einen konservativen Widerstand auf den Plan gerufen, der sich jetzt rühmt, „Untergrund“ und „alternativ“ zu sein.

Aber „alternativ“ muss weder rechts sein noch wie die Wiederkehr von „90s Indie“, siehe die Beiträge von Verena Dengler und Dan Bodan in dieser Ausgabe. Viel mehr geht es darum zu ermitteln, was eine Linke auf der Höhe unserer Zeit, eine Linke für Millennials (und alle anderen), wäre: Was ist nach der Finanzkrise, nach Köln/Brexit/Trump links?

CAROLINE BUSTA / ANKE DYES

Übersetzung: Gerrit Jackson