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WHY PUT „BLACK“ IN THE TITLE? Markus Müller über Theaster Gates im Haus der Kunst, München

„Theaster Gates: Black Chapel“, Haus der Kunst, München, 2019/2020, Ausstellungsansicht

„Theaster Gates: Black Chapel“, Haus der Kunst, München, 2019/2020, Ausstellungsansicht

In der noch von Okwui Enwezor geplanten Ausstellung verwandelt Theaster Gates das Münchner Haus der Kunst in eine „Black Chapel“, eine mit historischen Referenzen angereicherte Großinstallation. In einem Netz aus visuellen und klanglichen Zeichen thematisiert Gates die nationalsozialistische Vergangenheit des Hauses und verwebt diese mit unterschiedlichen Tropen afroamerikanischer Kulturgeschichte. Der Kritiker Markus Müller beleuchtet für uns einzelne Fäden dieser komplexen Struktur und stößt dabei immer wieder auf die Problematiken deutscher Geschichtsaufarbeitung.

Die Begegnung zwischen Jesse Owens und Leni Riefenstahl auf Einladung der Olympischen Spiele in München 1972 ist ein möglicher Startpunkt des deutschen Gedächtnistheaters, ganz im Sinne von Max Czollek. [1] Wie kaputt muss eine (olympische) Gesellschaft sein, um ohne jedes kritische Framing das prominente überlebende Opfer eines systemischen Rassismus mit der prominenten überlebenden Vertreterin des Täterregimes zu einer Fotogelegenheit zusammenzuführen, weil sie auf je eigene Weise die letzten Olympischen Spiele auf „deutschem Boden“ in Berlin 1936 geprägt haben? Im Fall von Jesse Owens etwa durch den Gewinn von vier Goldmedaillen, einer unbeschreiblich sensationellen sportlichen Leistung, die er, zurück in den USA, so kommentierte: „I had four gold medals, but you can’t eat four gold medals.“ Nach 1936 schlug er sich mit unzähligen Jobs durch, darunter auch als DJ, zum Teil mit Erfolg. In Anbetracht seiner Äußerung über die Goldmedaillen und der Tatsache, dass er dazu gezwungen war, für Geld sogar gegen Rennpferde zu laufen, hätte man eine Nähe zur Black-Power-Bewegung vermuten können. Dennoch kritisierte er 1968, als die Sprinter Tommie Smith und John Carlos ihre Medaillen in Rom mit dem Black-Power-Gruß entgegennahmen, diese Geste: „The black fist is a meaningless symbol. When you open it, you have nothing but fingers – weak, empty fingers. The only time the black fist has significance is when there’s money inside. There’s where the power lies.“ [2] Nur vier Jahre später allerdings schrieb Owens in seinem Buch I Have Changed: „I realised now that militancy in the best sense of the word was the only answer where the black man was concerned, that any black man who wasn’t a militant in 1970 was either blind or a coward.“ Wie mag es wohl gewesen sein, als Jesse Owens 1972 Leni Riefenstahl zu treffen, die, mitten in ihrer „Nuba-Phase“, auf dem besten Wege war, von der Gemeinschaft der deutschen Täter*innen und ihrer Nachkommen [3] (zugegeben nicht nur von denen) ‚wiederentdeckt‘ und ‚rehabilitiert‘ zu werden? Susan Sontags einordnender Essay „Fascinating Fascism“, unter anderem zum „Nuba“-Buch, erschien erst 1975. [4]

In Theaster Gates’ raumgreifender Installation „Black Chapel“ (2019), die für die Ehrenhalle im Münchner Haus der Kunst entstand, wird jenes Gedächtnistheater Deutschlands genauso thematisiert wie grundsätzlich jede Behauptung klarer Identität oder Gruppenzugehörigkeit. Das Haus der Kunst ist 1937, ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Berlin, für die Riefenstahls des nationalsozialistischen Regimes eröffnet worden. Jetzt hat Theaster Gates hier, in einer noch mit Okwui Enwezor geplanten Ausstellung, einen Ort geschaffen, den er anlässlich der Eröffnung im Gespräch mit Hamza Walker so beschrieb: „I am making this because I need a safe home in Haus der Kunst, and I believe I can build a safe house anywhere. The title did not have to be ,Black Chapel‘. So why put ,Black‘ in the title? Because my hope was by putting ,Black‘ in front of the title in Germany, I would be clear that this wasn’t a show about a chapel, that would essentially be a white chapel, but because I hope that there are a couple of extra brothers and sisters in the room, the black part becomes a calling card, becomes … ,Hey, we are represented!‘ And that choice feels powerful, so it is a choice, and by it being a choice there might be some curators that might say: ,Aaaah, no. This is too essential.‘“ [5]

„Black Chapel“ besteht aus acht größeren Elementen: aus zwei Pavillons, die als Sockel, Rahmen, Vitrine und eigenständige Architektur zugleich funktionieren, sowie aus zweimal zwei außenraumüblichen Mega-Light-Boards, auf denen von den Textanteilen befreite Werbe-Images der Johnson Publishing Company [6] rotieren. Auf jeweils einem der freistehenden Sockel dreht sich eine der beiden, von Gates Houseberg (2019) genannten, mit kleinen Spiegeln beklebten, angestrahlten Skulpturen; die zweite steht im ersten Pavillon, umgeben von drei schwarzen, von Gates getöpferten Steingutgefäßen, die in ihrer vermeintlichen Schlichtheit und Einfachheit an das japanische Konzept des Wabi-Sabi erinnern. [7] Hoch oben in der an sich schon ausladenden Halle befinden sich zwei Leuchtreklamen: eine des Chicagoer „Soul Food Chicken Shack“-Franchise „Harold’s“, die andere von „Rothschild Liquor“, einem ‚Prä-Prohibitions-Späti‘, dessen Kund*innen am Ursprungsort mal sogenannter white trash waren, mittlerweile aber durch die stadtpolitischen Verschiebungen hauptsächlich black communities sind. In dieses Fundstück hat Gates zwischen „Rothschild“ und „Liquor“ die Neonwörter „Mama’s Milk“ gesetzt.

Theaster Gates, „Eartha Kitt“, 1959

Theaster Gates, „Eartha Kitt“, 1959

Am besten zu betrachten ist diese vielschichtige, den Raum auf erstaunliche Weise dominierende Situation von einem streng in der Mittelachse positionierten roten Ledersofa aus, einem von Arthur Elrod entworfenen Original aus der Lobby der Johnson Publishing Company. Das von den Housebergs diskokugelartig reflektierte Licht verzaubert die gesamte Mittelhalle, auf den Light Boards rotieren neben klassischen Modefotografien auch zwei Bilder der Tänzerin, Schauspielerin, Sängerin und ab 1968 in den USA quasi mit Berufsverbot belegten Civil-Rights-Ikone Eartha Kitt. Wenn man Glück hat, ertönt dann auch noch aus dem unmittelbar anschließenden Raum der sogenannten Archiv-Galerie, die sich in der Regel der Geschichte des Hauses der Kunst widmet, Musik. Dort ist die ebenfalls von Theaster Gates gekaufte Plattensammlung von Jesse Owens ausgestellt: 1800 LPs mit überwiegend tanzbarer Schwarzer Musik und ein Film, in dem Gates Ausschnitte des Olympia -Films von Leni Riefenstahl z. B. mit solchen des Johnson-Marketing-Tutorials „The Secret of Selling the Negro“ von 1954 zusammenschneidet oder mit Geräuschen wie diesen unterlegt: den Startschüssen der Läufe der Olympiade, einem technisch verstärkten Knistern des Olympischen Feuers, der Stimme Martin Luther Kings („There is nothing wrong with power“), aber auch mit Beispielen aus der Owens’schen Plattensammlung.

Der zentrale Pavillon trägt den zweiten Houseberg, für Gates einerseits ein Verweis auf Disco und House und damit auf eine „queer celebration, a party before the party was commodified“, das heißt auf „alternative forms of power and where they existed and they constitute an alchemic reactivation of a kind of power“ [8] . Andererseits sind die Housebergs aber auch „stand-ins for Jesse Owens, who exemplifies an America that cannot show gratitude for this soldier of love“ [9] .

Der zweite Pavillon enthält drei Vitrinen, u. a. mit afrikanischen Masken – sowohl ‚authentischen‘ (aus dem Besitz von John H. Johnson) wie auch solchen, die in Afrika für Tourist*innen gefertigt wurden –, sowie von Gates selbst geschaffene, weiße keramische Abgüsse afrikanischer Masken.

Alle diese Blackness-Tropes (und hier können nur Beispiele aufgezählt werden) werfen die Frage auf, was diese Signifikanten in diesem Kontext bedeuten und was sie erreichen. Gates benutzt Objets trouvés in überwältigender Vielfalt. Er erklärt und verklärt, zeigt, spielt mit den tokenisms, lehrt und hinterfragt, feiert seinen Blick, seine Entscheidungen, seine Blackness-Setzung. Seine Frage „Could everyday black things bring the power to the space and function, for me at least as a conflation?“ [10] provoziert allerdings auch Widerspruch. Hamza Walker hat Gates im Gespräch z. B. nach dem schmalen Grat zwischen Blackness und Black Facing angesprochen, den Gates bewusst sichtbar macht. Vor dem inneren Auge des Autors dieses Textes läuft aber auch ein sehr produktiver Battle mit Renée Greens Import/Export Funk Office (1992) ab, da es in beiden Fällen um die Kontextverschiebung bestimmter afro­amerikanischer, auch popkultureller Codes geht und wir zu teilnehmenden Beobachter*innen dieser Verschiebung werden. Dabei sind tatsächlich alle der hier beschriebenen Parameter der Ausstellung im Sinne des „sehenden Sehens“ nach Max Imdahl lesbar: „Sehendes Sehen“ heißt bei Imdahl, dass das Auge sich im Akt des Sehens seiner selbst bewusst wird. Damit stellt Sehen nicht nur eine spezifische Aktivität dar, sondern besteht vielmehr überhaupt erst in der Aktivierung der Bewusstheit von visueller Erfahrung. [11] Insofern operiert Gates hier im besten Sinne als kuratierender Künstler: Er sichert, bewahrt und konfiguriert Blackness-Erbe – systematisch (neben den Platten von Owens besitzt er u. a. auch die Sammlung des „Godfather of House“ Frankie Knuckles), poetisch und selbstsicher. [12]

Da diese Signifikanten auch als Platzhalter für andere Bilder anderer marginalisierter Bevölkerungsgruppen gelten können, beantwortet Gates Maurice Bergers Frage vom September 1990, „Are Art Museums Racist?“ [13] , fast 30 Jahre später mit: „Yes, they are!“ Es ist dieser systemische Rassismus, dem durch „Black Chapel“ ein Spiegel vorgehalten wird. Was ist unsere Rolle, was ist die Rolle der Mehrheitsgesellschaft angesichts der himmelschreienden, selbst gemachten und selbst verantworteten Fehler in unserem System? Im Rahmen der Eröffnungsaktivitäten gab Theaster Gates in München auch ein Konzert mit seinen Black Monks, als Zugabe kam er allein auf die Bühne zurück, sprach, sang, improvisierte und wurde bejubelt. Zum Abgang skandierte er rhythmisch „Black, Black, Black“ und „White, White, White“. Dabei zeigte er auf sich und auf uns, das Publikum im ausverkauften Westflügel des Hauses der Kunst.

„Theaster Gates: Black Chapel“, Haus der Kunst, München, 25. Oktober 2019 bis 16. August 2020.

Anmerkungen

[1]Max Czollek, Desintegriert Euch!, München 2020, S. 9ff.
[2]https://www.blackhistorymonth.org.uk/article/section/sporting-heroes/jesse-owens/, gesehen am 02.04.2020.
[3]Auch hier verschiebe ich die Arbeit von Max Czollek in diesen Kontext (vgl. Anm. 1).
[4]Susan Sontag: „Fascinating Fascism“, in: Dies., Under the Sign of Saturn, New York 1981, S. 71–108.
[5]Gespräch Hamza Walker mit Theaster Gates, Haus der Kunst, München, 24. 10. 2019.
[6]Die Johnson Publishing Company war ein 1942 in Chicago gegründetes Verlagshaus, das z. B. mit den Magazinen ­ Ebony und Jet zum größten afroamerikanischen Verlagshaus der USA wurde und dessen Archiv 2019 u. a. von Theaster Gates gekauft wurde.
[7]Im Sinne von Richard Sennett: The Craftsman, New York 2008.
[8]Siehe Fußnote 5.
[9]Ebd.
[10]Ebd.
[11]Siehe Max Imdahl, Gesammelte Schriften, hg. von Angeli Jansen Vukićević (Band 1), Gundolf Winter (Band 2), Gottfried Boehm (Band 3), Frankfurt/M. 1996. Vor allem die Bände 1, Zur Kunst der Moderne, und 2, Reflexion Theorie Methode.
[12]Mit einer solchen klassisch-kuratorischen Arbeit ist er nicht allein: Adam Pendleton, Rashid Johnson, Ellen Gallagher und Julie Mehretu haben 2017 das Geburtshaus von Nina Simone in Tyron, Alabama, gekauft und planen, es öffentlich zugänglich zu machen.
[13]Maurice Berger, „Are Art Museums Racist?“, siehe: https://www.artnews.com/art-in-america/features/maurice-berger-are-art-museums-racist-1202682524/, gesehen am 02.04.2020.