Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

2

Vorwort

"Cultural politics“ ist einer der geläufigsten Begriffe der intellektuellen Debatte in Amerika. Daß seine Beliebtheit prächtig mit seiner Beliebigkeit harmoniert, ändert nichts an den praktischen und theoretischen Effekten seiner Verwendung. Im Gegenteil. Die Zusammenführung der alten Opposition von Kultur und Politik verändert die Wahrnehmung beider Kategorien und ihrer Beziehung zueinander auf eine Weise, die neue Handlungs- und Reaktionsmuster entstehen läßt.

Relativ spät wurde erkannt, daß der Raum der Kultur auf eine Weise politisierbar ist, die mit dem 'Politischen' klassisch staatstheoretischer Provenienz wenig gemeinsam hat. Diese Erkenntnis, die sich im Laufe der sechziger und siebziger Jahre — hier langsamer, in den USA schneller — durchsetzte, führte zu einem Schreiben und Forschen, das Abstand nahm von traditionellen, etwa marxistischen Rollenzuweisungen für die kulturelle Produktion. Politische Interventionen mit Instrumenten, Erfahrungen, Kompetenzen aus dem Raum der 'Kultur' kurrierten immer entschlossener mit politischen Manifestationen. Bis hin zu Punkten, an denen die Bereiche ineinander übergingen, sich ebenso schillernd wie notwendig die Kulturalisierung des Politischen und die Politisierung des Kulturellen vollzog. Dies ist kein an sich zu feiernder, sondern vorerst ein schlicht zu analysierender Befund, über den breit 'Postmoderne' geschrieben steht.

Bei der Übersetzung von „cultural politics“ ins Deutsche oder auch ins Französische ergeben sich nun beträchtliche Schwierigkeiten. Ganz adäquat sind weder bestehende Konzepte wie 'Kulturpolitik', noch versuchsweise Neuschöpfungen wie 'kulturelle Politik'. Kulturpolitik bezeichnet, wie die Äußerungen von Alex Demirovié zeigen, einen Referenzrahmen, der mit dem von „cultural politics“ nicht deckungsgleich ist, aber nichtsdestoweniger in einen aufschlußreichen Dialog mit ihm gebracht werden könnte. „Cultural politics“ sind weniger eine institutionalisierte Veranstaltung denn ein flottierendes Etwas mit elastischer Semantik. Die Spur dieses Etwas zieht sich durch verschiedenste Kontexte, von akademischer Geschichtswissenschaft bis zu Aids-Demonstrationen.

Der Entschluß, den Nachbarbegriff „kulturelle Praxis" in die Diskussion dieses Heftes aufzunehmen, öffnet den Blick auf diverse 'Politiken' bei der akademischen (aber auch kunstbetrieblichen) Organisation von Denktypen und Arbeitsweisen. Das transgressive Moment des politisch agierenden Kulturproduzenten spiegelt sich (wenn auch verzerrt) im problematischen Ideal der Interdisziplinarität (Crow, Liu) oder in der Gummidisziplin „cultural studies“, die u.a. für künstlerische Praktiken der letzten drei Jahrzehnte eminent wichtig geworden ist (vgl. hierzu Art & Language und Holert). Ebenso ist das existentielle Oszillieren zwischen Kultur und Politik, die Entscheidung für oder gegen bestimmte Modelle des Intellektuellentums Bestandteil kultureller Praxis. Ein solches Modell liefert der Philosoph und Sozialwissenschaftler Etienne Balibar, der lange ein Leben des „Kommens und Gehens" (Balibar) zwischen Partei und Universität führte. Später engagierte sich der Analytiker des „kulturellen Rassismus" u.a. in antirassistischen Initiativen junger Araber in Frankreich. Folgendes aber ist zu bedenken: man sollte das theoretische Potential des „cultural politics"-Paradoxons nicht auf ein biographisches Pendeln zwischen Disziplinen und symbolischen Systemen beschränken.

Ein Potential, zu dem z.B. auch die Form gerechnet werden kann, in der Chantal Mouffe in ihrem neuen Buch von der „Rückkehr des Politischen“ spricht. Sie kritisiert die Unzulänglichkeit der Politikkonzepte der liberalen Demokratie und legt nahe, die Quellen „politischer Identität“ außerhalb der Sphäre der Politik zu suchen. Die Theoretikerin eines „radikalen demokratischen Sozialismus“ meint natürlich Kultur. Aber Kultur wird nicht von jedem als Quelle von Politik, Radikalität und Emanzipation verstanden. Mark Terkessidis zeichnet in seinem Beitrag eine andere, komplizierte Route nach. Sie führt zur aktuellen Rede von Ländern und ihren je eigenen „Kulturgärten“ (Augstein). Und zum „Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland", in dem „Kunst und Kultur" zur „Attraktivität" des letzteren maßgeblich beitragen. Die von Staats wegen eingeforderte „Bewahrung des kulturellen Erbes" steht ganz oben auf der Agenda des Revivals der 'Kulturnation'. Kultur ist momentan, da muß man Fredric Jameson Recht geben, der „primary space of struggle“.

ISABELLE GRAW / TOM HOLERT / SABINE WILMES