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Jennifer A. Greenhill

KRAKELKOMIK

„Glenn Ligon: Live“, Regen Projects, Los Angeles, 2015, Ausstellungsansicht

„Glenn Ligon: Live“, Regen Projects, Los Angeles, 2015, Ausstellungsansicht

Eine komische Äußerung ist schwer in Bilder zu übersetzen. Kunst, die sich das vornimmt, muss einen letztlich flüchtigen Moment festhalten und ihm eine konkrete Gestalt geben, fängt also etwas ein, was über die Äußerung und ihren spezifischen Kontext hinausgeht. Indem die bildliche Aufzeichnung – die Kunsthistorikerin Jennifer Greenhill nennt dies „Krakelkomik“ – das lineare Zustreben auf die Pointe unterläuft und die Zeitlichkeit des Witzes hervorhebt, öffnet sie das Material auf neue Wirkungen hin. Im Folgenden entwirft Greenhill anhand der künstlerischen Praxen von Glenn Ligon und Martine Syms eine Geschichte dieser Strategie und argumentiert, dass Kunst über Comedy zeigen kann, wie bestehende soziopolitische Verhältnisse – insbesondere solche, die in der Komik selbst verankert sind und reproduziert werden – infrage gestellt werden können.

In einem kurzen Kapitel aus Enjoyment of Laughter (1936) mit dem Titel „To Diagram a Joke“ entwarf der US-amerikanische marxistische Autor und Aktivist Max Eastman ein grafisches System zur Kategorisierung verschiedener Arten komischer Äußerungen. Das bloß lachhafte Wort oder Bild, dem eine erkennbare Pointe fehlt, stellte Eastman als „Krakel mit nichts als einem Stiel, der ihn aufrecht hält“ dar. Eine geradlinige narrative Ausgangssituation mochte in eine solche sinnlose „poetische Absurdität“ münden, indem sie „in Nonsens zusammenbricht“. Eastmans grafische Sprache gibt dies als lange horizontale Linie wieder, die jäh ihren Kurs ändert, kehrtmacht und als gebrochene Diagonale auf eine verschlungene Kritzelei zeigt. Während viele Humortheoretiker*innen seiner Zeit dazu neigten, sich auf die Auflösung durch die Pointe und den höheren Sinn von „Witzmustern“ zu kaprizieren, betrachtete Eastman Humor wie unter dem Mikroskop und richtete den Blick auf dessen molekulare Bestandteile. Der Krakel ist zwar nur ein „infantiles Atom“ unter unzähligen geladenen Teilchen, welche die unbändigen Welten des komischen Ausdrucks mit Leben erfüllen, doch er war Eastman das Liebste. „In allem, was komisch ist, muss ein Element krakelig bleiben: gebrochen, in kein Muster zu bringen“, argumentierte er – und visualisierte diese widerständige Diskontinuität als Linie, die sich in einer engen und in sich geschlossenen Formation gegen sich selbst wendet. Eastmans Krakel hat nie zweimal die gleiche Gestalt; er kann so elegant aussehen wie eine minimalistische Drahtskulptur oder als ein dichter Knoten verklumpten Gekritzels erscheinen. Er ist die ungestümste und unbeständigste Einheit in seinem Lexikon; eine Figur, die, obwohl sie ins Leere läuft, mehrere Wege einschlägt, um dorthin zu gelangen. [1]

Es gibt viele Mittel und Wege, Krakelkomik zu erzeugen, was ich als eine Methode verstehe, eine vorhandene komische Äußerung in eine neue visuelle Gestalt zu überführen, die nur vorgeblich analysiert, seziert und klärt. Krakelkomik ist eine Methode, um aus einem Witz, der in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, in einer anderen Sprache, einem anderen Medium oder Format bereits erzählt wurde, einen komischen Rest von beharrlicher Bildlichkeit zu generieren. Dieser visuelle Rest, der über die ursprüngliche Äußerung hinausschießt, ist eher auf Formen und Rahmungen denn auf Inhalte eingestellt. Indem sie bestehende Witze in historisch wie materiell unterschiedlichen Kontexten wiederholt, neu inszeniert und in den Dienst der Visualität stellt, neigt Krakelkomik dazu, auf das zu fokussieren, was an der Pointe vorbeigeht (selbst dort, wo Pointen vordergründig Thema sind). Sie umgeht die Finalität der Pointe, wirbelt dabei Staub auf und stört das Firmament selbst altbekannter Witze. Durch diese atmosphärische Störung betrachtet, sehen Witze anders aus, sind undurchdringlichen Rätseln ähnlicher als den herkömmlichen Ein- und Zweizeilern, die wir schon so oft gehört haben.

Glenn Ligons Videoinstallation Live (2014) und die Textgemälde, die Richard Pryors Stand-up gewidmet sind (von denen das erste auf 1993 zurückdatiert), scheinen mir verdrahtet durch den Schaltkreis des Gekrakels. Die Gemälde greifen Richard Princes Scherzbilder aus den 1980er Jahren auf, sind jedoch buchstäblich grobkantiger in ihrem ungleichmäßigen, durch Schablonen gepressten Ölstift-Auftrag und ihrer scharfen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft, artikuliert von einer komplexen komischen Kunstfigur. Sex, Drogen, Moral und Rassismus lieferten das Rohmaterial für Pryors krude Performances in seiner Glanzzeit in den 1970er und frühen 1980er Jahren. Es ist darum durchaus passend, dass Ligon diese schroffen Inhalte durch einen Text erfasst, der nicht immer in Reih und Glied steht, sich an manchen Stellen, wo die Farbe dicke Krusten bildet, im wahrsten Sinne des Wortes schwer, an anderen dagegen gelöster anfühlt, als ob der Text Dampf abließe. Wenn Pryor, wie ein Kritiker schreibt, eine „charismatische und verwirrende Präsenz“ hatte, eine „person in process“ war, so bedient sich Ligons Serie einer prozessualen Choreografie, die in einigen Fällen die Taktung eines einzigen von Pryors Gags auf Dutzenden von Bildern nachzeichnet. [2]

Glenn Ligon, „No Room (Gold) #18“, 2007

Glenn Ligon, „No Room (Gold) #18“, 2007

Die Wiederholung wird als ein Bemühen lesbar, zu wissen und zu verstehen, im Beisein des komischen Künstlers zu sein und die Geheimnisse sowie die Substanz seines Handwerks zu erlernen. Aber sie lässt sich ebenso lesen als der Versuch, das zu beschwören und zu kompensieren, was in der textuellen Umschrift allein nicht adäquat verkörpert werden kann: der Ton, in dem die Zeilen mündlich geäußert wurden; der Rhythmus, das Tempo, die Lautstärke der komischen Darbietung; die Gesten, die einen Punkt begleiteten, von ihm ablenkten oder ihn unterstrichen; die Geselligkeit des Comedy-Clubs, das Gelächter, das eine Nummer vorantrieb, und der Applaus, der die Pointe akzentuierte.

In den Bildern der Serie No Room (Gold) (2007) nähert sich Ligon Pryors Vortragsweise anhand eines abgebrochenen Fragments, das am Ende der zweiten Zeile aussetzt: „No room for“. Die letzte Zeile dann führt den Gedanken zu Ende und versieht die Pointe mit einem Punkt: „No room for advancement.“ Der Künstler fordert uns auf, aus der Wiederholung so etwas wie Improvisation und Betonung herauszuhören, womöglich in Reaktion auf die Energie, die aus dem Publikum kam. Die auf das „for“ am Ende der zweiten Zeile folgende Leerstelle gibt Raum für eine Pause – ein stummer Cliffhanger, bevor die Pointe landet – und bringt so das Timing von Komik auf die Leinwand. [3] Die undeutliche Spur der nicht durchgezogenen Buchstabenformen, die in vielen der No Room (Gold)-Bilder über und unter dem schwarzen Text schwebt, ergibt ein leichtes visuelles Rauschen, das die Auralität der Bilder weiter verstärkt. Ligon unternimmt nicht wirklich den Versuch, den Stoff von Pryors Komik zu sezieren oder den unnachahmlichen, unbegreiflichen Pryor genau in sein eigenes, visuelles Vokabular zu übersetzen. Stattdessen, so glaube ich, gibt er uns eine Erscheinungsform von Pryor, die der Aufgabe nicht ganz gerecht wird und dennoch zu fesseln weiß. Ligon ist es darum zu tun, das Unnachahmliche und Unbegreifliche in die symbolisch-bildliche Registratur des komischen Ausdrucks miteinzubauen – ein krakeliges Enigma ohne Anfang oder Ende.

Ligons Scherzbilder spielen mit einer der beliebtesten Dichotomien der Humorliteratur, die den in natura geäußerten Witz auf der einen Seite verortet und den durch die „kalten, toten Lettern“ der Druckerpresse abgestumpften auf der anderen. „Vom lebendigen Vortrag, der vor Gesten, genuiner Eloquenz oder persiflierter Rhetorik strotzt, können die kalten, toten Lettern nur eine vage Vorstellung vermitteln“, argumentierte ein Humorist und Kritiker in den 1890er Jahren. [4] Dennoch erschien einigen Kritikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die sich inmitten einer „Seuche der Witzigkeit“ wähnten, das bloße Bestreben für pervers, einen Witz, der mündlich geäußert wurde, in eine dauerhafte und beständige Form wie das gedruckte Wort zu übertragen. [5] Doch wie sonst sollte man den Auftritt einer Komiker*in über das Bühnenereignis hinaus an künftige Generationen überliefern?

Max Eastman, Zeichnung aus „To Diagram a Joke“, 1936

Max Eastman, Zeichnung aus „To Diagram a Joke“, 1936

Als der amerikanische Humorist Artemus Ward (geboren Charles Farrar Browne) 1867 auf einer Tournee in Großbritannien verstarb, machten seine Nachlassverwalter*innen es sich zur Aufgabe, Wards Bühnenkunst in einem experimentellen Bändchen zu transkribieren, das vorrangig den Tonfall und den Vortrag seiner Witze festhalten sollte. Dies war eine besondere Herausforderung, da Ward mit seiner gewundenen, trockenen Erzählweise das Publikum oft verblüffte, das sich von seinem ernsten Ton und seiner überzeugenden Performance von Ungeschicklichkeit einnehmen ließ. Wards Herausgeber und Übersetzer versuchten, dieser Herausforderung gerecht zu werden, indem sie die Schrifttype je nachdem, wie der Comedian eine bestimmte Zeile vorgetragen hatte, variiert: Ob er einen Satz herausschleuderte oder vor sich hin murmelte, spiegelte sich im Zeichenabstand und in der Größe der Buchstaben auf der Seite wider, durch winzige Buchstaben etwa, die zum Ende einer Zeile hin abfallen, um Modulationen in Wards Lautstärke zu vermitteln, oder durch Reihen von Sternchen, die Zeitabschnitte markieren sollen, in denen er stumm blieb – Tristram Shandy adaptiert an die Welt der amerikanischen Komik Mitte des 19. Jahrhunderts. [6] Editorische Glossen am unteren Seitenrand vermitteln den nachmaligen Leser*innen etwas von der Sozialität des Theaterereignisses. Sie vermerken, welche Aussagen das Publikum in Lachkrämpfe versetzten und wie lange die Lachsalven durch den Saal schallten. Das Übermaß an Erläuterung und typografischer Expressivität in dem kleinen Buch ist eindeutig kompensatorisch und macht nur allzu klar, wie schwierig es ist, die komische Darbietung sowie das Gelächter, das sie hervorrief, wiederzugeben. So brachte das angestrengte Bemühen, Wards komplexe Komik begreifbar zu machen, ein Buch hervor, das genauso indirekt und opak verfährt wie das todernste Spiel des Geschichtenerzählers. Ein treffliches Resultat, denn es gelingt dem Buch, Ward als komisches Rätsel zu bewahren. [7]

Dies ist eine Möglichkeit, die Kunst des Komischen zu ehren – indem man die Schritte des Comedians nachverfolgt und auf den wilden Pfaden schwelgt, die er vorgezeichnet hat, ohne dabei gleichsam den Weg auszutreten. Glenn Ligons ausführliche Studie zu Richard Pryor gelingt dieser Balanceakt, denke ich, besonders in der Mehrkanal-Videoinstallation Live, die 2014 im Camden Art Centre in London ihre Premiere feierte. [8] Die Arbeit, die Material aus dem Film Richard Pryor: Live from the Sunset Strip von 1982 heranzieht, dreht die Bedingungen von Ligons Scherzbildern um und untersucht, in den Worten des Künstlers, „was übrig bleibt, wenn keine Sprache da ist“. [9] Dieser Rest ist nachdrücklich visuell: Ligon erkundet die expressive Körperarbeit komischer Performanz und parzelliert sie in gesonderte Bildeinheiten. Digitale Projektionen auf sieben Leinwänden von unterschiedlicher Größe sind in einer annähernd kreisförmigen Anordnung um die Betrachter*in platziert, wobei sechs dieser großen Projektionsflächen verschiedene Teile von Pryors Körper fokussieren – seinen Kopf, seinen Mund, die Leistengegend, die linke und rechte Hand sowie seinen Schatten. Diese Details werden isoliert und durch Trackings so verfolgt, dass sie stets in der Bildmitte bleiben, was zuweilen eine leichte Perspektivverschiebung nahelegt, in anderen Momenten hingegen den Eindruck von Diskontinuität erweckt. [10] Eine kleine, auf dem Boden und am Rand der Installation aufgestellte Bildfläche zeigt Pryor in Ganzkör­peransicht, jedoch nur in periodischen Abständen, zwischen Phasen, in denen das Bild sich verdunkelt. Diese Einsprengsel visueller Stille treten überall in der Installation in unvorhersehbaren Intervallen auf, zwischen den aufblitzenden Fingern des Komikers, wie sie Formen in die Luft schneiden, oder seinem Mund, wie er eine Pointe formuliert, die wir nicht hören können. Es gibt keinen Ton in Ligons Installation. Während die Betrachter*in die Position wechselt, um Blicke von Pryor zu erhaschen, die sich an verschiedenen Stellen flüchtig materialisieren, mag sie versucht sein, Pryors Lippen zu lesen oder in seinen Gesten nach jenen Pointen zu suchen, die in ihrem fäkalen und schlüpfrigen Humor die damals herrschende Sittlichkeit überschritten und die Monstrosität des amerikanischen Rassismus frontal attackierten.

Live from the Sunset Strip ist ein Klassiker im Pryor-Kanon, weil die Show ein Comeback nach dem Freebasing-Unfall markierte, bei dem er schwere Verbrennungen erlitt und der, wie Pryor später gestand, ein Selbstmordversuch war. [11] In Pryors Komik lebt eine Tragik, so könnte man sagen, die durch die Stille in Ligons Installation zum Vorschein kommt. Als die Arbeit 2015 in Los Angeles gezeigt wurde, sah eine Kritikerin in der „Gewalt“ von Ligons „fast kubistischer“ Fragmentierung von Pryors Bühnenfigur einen „Widerhall der kulturellen Fixierung [Amerikas] auf bestimmte Körperteile Schwarzer Männer“. [12] Die Logik dieser Lesart hat heute eine besondere Resonanz und vertieft so die tragischen Anklänge einer Installation, die den Mann bricht und seiner Stimme beraubt. Aber damit ist noch nicht alles über die akribische Befragung von Pryors Kunstfigur in Ligons Live gesagt. Ligons Pryor ist von intensiver Lebendigkeit im Hier und Jetzt (und nicht nur „live“ auf dem Sunset Strip um 1982), weil er des Künstlers Bestreben, sein Maß zu nehmen, sichtlich übersteigt. Live rückt neue Qualitäten in den Vordergrund, wie die Zartheit, mit der die Hand des Comedians flattert und bebt, vielleicht um das Gesagte zu unterstreichen, möglicherweise aber auch ihrer eigenen Logik gehorchend. Ligon holt solche beiläufigen Gesten von der Peripherie ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit, dezentriert indes gleichzeitig die Betrachter*in, die keinen einzelnen Standpunkt zu finden vermag, von dem aus Pryors in kaleidoskopische Ausdruckssplitter gespaltene Figur greifbar würde. Diese raumgreifende Zersplitterung macht Abkürzungen zur Analyse unmöglich: Pryor widersetzt sich mit einem Mal der Kategorisierung und erscheint zugleich als mehr denn nur die Summe seiner einzelnen Teile.

„Artemus Ward’s Lecture (As Delivered at the Egyptian Hall, London)“, 1869

„Artemus Ward’s Lecture (As Delivered at the Egyptian Hall, London)“, 1869

Einer von Ligons entscheidenden Kunstgriffen bestand darin, die Cutaways auf das lachende und applaudierende Publikum aus dem Film von 1982 herauszuschneiden. In Ligons Reinszenierung gestikuliert und grollt Pryor auf der Bühne ohne diese Zwischenrufe der Zustimmung oder Überraschung. Damit möchte ich nicht sagen, dass die Reaktion des Publikums in Ligons Installation abwesend oder nicht spürbar sei; tatsächlich registrieren die Abschnitte, in denen das Bild sich verdunkelt, in unheimlicher Weise das vergangene Gelächter, und zwar umso deutlicher, als dieses Lachen in den visuellen Leerstellen von unterschiedlicher Dauer existiert bzw. durch diese symbolisiert wird. Nicht dass wir die Lacher aus der Vergangenheit nicht verstehen könnten – denn Pryor bleibt selbst (gerade) heute brennend relevant und schreiend komisch. Vielmehr wirkt das historische Lachen seltsam und befremdlich, unnatürlich, weil es den Ort und die Zeit seines Ursprungs überdauert hat. Selten wird über Live bemerkt, wie Ligons dunkle Projektionsflächen dieses Befremden heraufbeschwören. Im Gegensatz zu den Konservenlachern in der Fernsehsitcom, die das Lachen verpacken, um das räumlich und zeitlich versetzte Publikum gleichsam mechanisch fremdzustarten, entlocken uns Ligons dunkle Flächen keine bestimmte Reaktion, obgleich es den Anschein hat, dass sie gesehen werden möchten. [13] Da sie wie die Zwischentitel dieses Stummfilms funktionieren, untermauern sie die nicht narrative Bildlichkeit der Installation. Pryors Witze hängen stumm im Raum, ohne den Endpunkt der zum Lachen anregenden Pointe. Die Linearität jedes besonderen Handlungsstrangs wird untergraben durch eine unordentliche Anordnung komischer Körperlichkeit. Nicht dass Pryors Masche in Ligons Händen ins Leere liefe, vielmehr läuft sie in mehrere Richtungen zugleich – ein Krakel mit räumlicher Tiefe.

Für Max Eastman war der Witz „kein Ding, sondern ein Prozess“. Seine fingierten Witzdiagramme waren eine List, ersonnen, um zu demonstrieren, wie „viel Apparatur“ und wie „viel Sorge“ vonnöten waren, um den „Prozess“ in ein „Ding“ zu überführen – im Wesentlichen, um ihn der Analyse zugänglich zu machen. [14] Der Krakel war seine grafische Figur für eine prozessuale Komik, der sich nicht derart umwandeln ließ. „Man kann kein ‚Ding‘ daraus machen“, schrieb er triumphierend und erkor den Krakel zum Symbol jener Art von Humortheorie, die er selbst betreiben wollte. Wenn der Krakel „für das ernsthafte Gehirn“ eine „unangenehme“ visuelle Gestalt ist, argumentierte er, so mache ihn seine labyrinthische Unergründlichkeit zu einem „von Natur aus guten Symbol dafür, was einen frivolen Geist komisch dünkt“. [15] Eastmans Begriffe sind hier, wo er den Ernst der wissenschaftlichen Untersuchung mit seinem eigenen, vorgeblich frivolen Interesse an Witzen kontrastiert, ein wenig unaufrichtig. Sich der Komik frivol zu nähern, war für Eastman ein ernstes Vorhaben, bei dem es darum ging, sich auf die Formationen und Implikationen des Komischen einzustimmen, ohne sich dabei künstliche Einschränkungen aufzuerlegen, die den Flow behindern würden.

Diese Art von Einstimmung können Künstler*innen vielleicht nur erreichen, indem sie gemeinsam mit vergangenen Witzen denken (statt sie zu analysieren) und diese in ihrer Kunst aktivieren (statt sie bloß aufzurufen). Das ist es, glaube ich, was Ligon tut, wenn er wieder und wieder auf Pryor zurückkommt. Das Projekt des Künstlers besteht darin, mit dem Komiker „mitzubilden“, nicht, ihn zu „erfassen“ (wie man mit Édouard Glissant sagen könnte). Die „radikale Alterität des Vergangenen“ anzuerkennen, ist ein zentrales Anliegen der Black Studies, die das Recht des historischen Subjekts zu respektieren suchen, nicht in politisch nützlicher Weise zu kohärieren oder zu „repräsentieren“. Komik ist weit von dieser Forschungsperspektive entfernt. Zeitgenössische Kunst über Komik hingegen mag überzeugenden Beistand bieten und ein Modell für „eine Kulturkritik, die bereit ist, ihre epistemologischen Ansprüche zu mäßigen“. [16]

Betrachten wir zum Beispiel Martine Syms’ Mehrkanal-Videoinstallation SHE MAD: Laughing Gas (2016), die durch Edwin S. Porters Stummfilm Laughing Gas von 1907 hindurch denkt, um die Körperlichkeit des Lachens und die absurde Zirkularität bürokratischer Systeme zu erkunden, die die Bewegungen des Individuums in der modernen Gesellschaft regeln. [17] Bereits auf dem Zahnarztstuhl und mit Lachgas vollgepumpt, wird Syms – in der Rolle von „Martine“ – darüber informiert, dass ihre Versicherung die Opera­tion zur Entfernung ihrer Weisheitszähne nicht übernehmen wird. Möchte sie eine Kreditkarte benützen? Kann sie ihren Vater anrufen? Den ganzen Heimweg über schüttelt Martine sich vor Lachen, während sie sich durch das öffentliche Verkehrssystem von Los Angeles und die verschiedenen Türen und Gänge in ihrem Wohnblock in Koreatown kämpft, und schafft es endlich zu ihrem Sofa, nur um sogleich in die Zahnarztpraxis zurückbeordert zu werden, die das Problem mit der Versicherung offenbar gelöst hat. („Sie wollen, dass ich noch heute zurückkomme?“, fragt Martine die Person am anderen Ende der Leitung. „Das krieg ich hin; ich werde da sein.“) Die Anstrengung, die es kostete, nach Hause zu gelangen – die wir in schwindelerregenden Bodycam-Bildern miterleben –, war eine sinnlose Übung, die veranschaulicht, wie die amerikanische Gesundheitsindustrie die Menschen an der Nase herumführt, insbesondere Schwarze Frauen, die das System wiederholt im Stich gelassen hat. Martine kann über die Unannehmlichkeit indes nur lachen; denn sie wurde buchstäblich unter Drogen gesetzt, um so zu reagieren. Es ist die Art von Missgeschick, die in der Fernsehsitcom Konservenlacher hervorrufen würde (und tatsächlich war Laughing Gas als Episode einer Sitcom mit dem Titel SHE MAD vorgesehen, ein konzeptuelles Projekt, das 2015 mit Pilot for a Show About Nowhere seinen Ausgang nahm). [18]

Martine Syms, „SHE MAD: Laughing Gas“, 2016, Filmstill

Martine Syms, „SHE MAD: Laughing Gas“, 2016, Filmstill

Auf Martines absurdem, zugleich aber ganz alltäglichem Leidensweg erhalten wir Ein­blicke in ihre Subjektivität, wenn das eigentliche Narrativ durch GIFs von Tyra Banks, Franklin aus Peanuts, Nicki Minaj, dem Androiden Data aus Star Trek: The Next Generation sowie Smokey aus der Filmkomödie Friday („I don’t give a fuck!“) unterbrochen wird. [19] Die einzige Figur, die wir mehrfach sehen, ist Bertha Regustus in der Rolle der „Mandy“ in dem neunminütigen Stummfilm aus dem Jahr 1907. [20] Regustus, die wir in Großaufnahme sehen, wie sie abwechselnd lacht und, ihre Hand an der Wange, vor Schmerz das Gesicht verzieht, ist der Klebstoff, der diese komischen Fragmente eines mediengesteuerten kollektiven Gedächtnisses zusammenhält; sie ist der Beweggrund hinter Syms’ Videoarbeit und zugleich, so denke ich, ihr veritables Subjekt als filmgeschichtliche Wegweiserin: eine der ersten Schwarzen Darstellerinnen, die in einer Hauptrolle besetzt wurden. Syms’ Mehrkanal-Video hält sich eng an die verkettete Vignettenstruktur des Stummfilms, der Mandy zeigt, wie sie sich eigenständig durch öffentliche und private Räume bewegt und diese mit ihrem ansteckenden Lachen spielerisch durchbricht. Ganz so wie Mandy sich übergangslos von der Zahnarztpraxis in den Straßenbahnwagon fortbewegt (wo ihr Gelächter im normalen Durcheinander des öffentlichen Nahverkehrs aufgeht) und von dort auf die Straße (wo sie die Porzellanfiguren eines Straßenverkäufers umwirft) – und so weiter –, ebenso nahtlos bewegt sich Martine zwischen ihrem Echtzeit-Erleben und ihrer durch digitale Memes gefilterten und kommentierten Erfahrung.

Dies ist die lose narrative Struktur des frühen Kinos – aktualisiert für unser digital vignettiertes Leben. Obwohl SHE MAD: Laughing Gas eine scheinbar geradlinige Geschichte über einen schiefgelaufenen Zahnarztbesuch erzählt, ist die Erzählung streng nichtlinear und voller Umwege. So verwirft sie die rassistische narrative Schließung des Films von 1907, der Mandy in seiner letzten Episode in einer Schwarzen Kirche zeigt, wo die Körperlichkeit ihres Lachens sich in das Gebärdenspiel der von „religiöser Ekstase“ überwältigten Kirchgänger*innen fügt. [21] Eines der Mittel, anhand derer SHE MAD: Laughing Gas die finale Pointe von Laughing Gas demontiert, ist die angedeutete Rückkehr zum Zahnarzt am Schluss. Die Zirkularität des Narrativs lässt an eine Endlosschleife des fröhlichen und potenziell gefährlichen Umherirrens durch Welten denken, die gleichzeitig als real und als virtuell erlebt werden – instinktiv als zum Hier und Jetzt gehörig, aber auch als Überreste eines Anderswo. Diese anderen Welten, so legt Syms nahe, werden durch die Medienfragmente, die unsere Köpfe füllen, zugänglich. In ihrer Darstellung der Martine hebt sie diese Verinnerlichung auf eine andere Ebene, indem sie das Lachen des historischen Medienfragments vermittels ihres eigenen Körpers aktiviert und so dem Lachen der Vergangenheit ihre Stimme leiht. Syms’ Arbeit fordert uns auf, die sozialen und politischen Verwicklungen unseres Umgangs mit – und unserer Verlängerung in die Gegenwart von – Gefühlsstrukturen, die ursprünglich als Unterhaltung für eine andere Zeit gedacht waren, in Augenschein zu nehmen, besonders wenn es um Komik geht.

Übersetzung: Nikolaus Perneczky

Anmerkungen

[1]Max Eastman, „To Diagram a Joke“, in: Enjoyment of Laughter, New York: Simon and Schuster, 1936, S. 279–289. Zitate auf S. 281, 283, 287.
[2]Bennett Simpson, „Pryor Versions“, in: Glenn Ligon. AMERICA, Ausst.-Kat., hg. von Scott Rothkopf, New Haven: Yale University Press, 2011, S. 147.
[3]Der Pressetext zur Ausstellung dieser Bilder bei Regen Projects in Los Angeles vom 26. Oktober bis 7. Dezember 2007 vermerkt, dass der Witz „stottert“ als „ein Hinweis darauf, dass der Text eine Transkription gesprochener Sprache und eine Inszenierung der Witzpointe ist“; siehe https://www.regenprojects.com/exhibitions/glenn-ligon2/press-release.
[4]Melville D. Landon, Kings of the Platform and Pulpit, Chicago: The Werner Company, 1896, S. 194.
[5]Siehe „A Plea for Seriousness“, in: Atlantic Monthly, Bd. 69, 415, Mai 1892, S. 628, sowie Hjalmar Hjorth Boyesen, „The Plague of Jocularity“, in: North American Review, Bd. 161, 468, November 1895, S. 528–535. Ich untersuche diese Haltungen und wie Künstler*innen darauf reagierten in: Playing It Straight. Art and Humor in the Gilded Age, Berkeley: University of California Press, 2012.
[6]Laurence Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, 9 Bde., 1760–67. Zu Sternes Verwendung von Asterisken siehe Christopher Fanning, „Small Particles of Eloquence. Sterne and the Scriblerian Text“, in: Modern Philology, Bd. 100, 3, Februar 2003, S. 360–392.
[7]Das Buch ist Artemus Ward’s Lecture (As Delivered at the Egyptian Hall, London), hg. von T. W. Robertson/E. P. Hingston, London: John Camden Hotten, 1869. Ich behandle es ausführlich in „Humor in cold dead type: performing Artemus Ward’s London panorama lecture in print“, in: Word & Image, Bd. 28, 3, Juli–September 2012, S. 257–272.
[8]Die Arbeit war Teil der Ausstellung „Glenn Ligon: Call and Response“, die im Camden Art Centre von 10. Oktober 2014 bis 11. Januar 2015 zu sehen war; siehe https://archive.camdenartscentre.org/archive/d/ligon.
[9]Ligon zit. in „Glenn Ligon: interview“, Camden Art Centre, 9. Oktober 2014, Video, 12:05, https://www.studiointernational.com/index.php/glenn-ligon-interview-call-and-response-camden.
[10]Zu der von Ligon und dem Team von Electronic Countermeasures eingesetzten Technologie siehe „Call and Response“, https://www.ecminteractive.com/call-and-response.
[11]Für einen kurzen Bericht in Pryors eigenen Worten siehe „Book Excerpt: Pryor Convictions“, in: Ebony, Bd. 50, 7, September 1995, S. 92–98, Wiederabdruck aus Richard Pryor (mit Todd Gold), Pryor Convictions and Other Life Sentences, New York: Pantheon Books, 1995.
[12]Sharon Mizota, „Review: Glenn Ligon takes apart a Richard Pryor performance“, in: Los Angeles Times, 20. September 2015, https://www.latimes.com/entertainment/arts/la-et-cm-glenn-ligon-at-regen-projects-20150914-story.html. Die Arbeit wurde von 10. September bis 10. Oktober 2015 bei Regen Projects gezeigt (wo ich sie zum ersten Mal sah). Für die Pressemitteilung siehe https://www.regenprojects.com/exhibitions/glenn-ligon4/press-release.
[13]Zu Konservenlachen siehe Anca Parvulescu, „Even Laughter? From Laughter in the Magic Theater to the Laughter of the Assembly Line“, in: Critical Inquiry, Bd. 43, 2, Winter 2017, S. 506–527 (Sondernummer zur Komödie hg. von Lauren Berlant und Sianne Ngai).
[14]Eastman, „To Diagram a Joke“, S. 279.
[15]Ebd., S. 280.
[16]Édouard Glissant, Poetics of Relation, übers. von Betsy Wing, Ann Arbor: University of Michigan Press, 1997, S. 193; Stephen Best, None Like Us: Blackness, Belonging, Aesthetic Life, Durham: Duke University Press, 2018, S. 64, 38 (übers. von NP).
[17]Die Arbeit wurde gezeigt in Made in L.A. 2016: a, the, though, only, 12. Juni bis 28. August 2016, Hammer Museum, Los Angeles. Ich danke Michael Golec, der mir eine Aufnahme der Arbeit zur Verfügung gestellt hat.
[18]Siehe das Statement der Künstlerin zu SHE MAD: Laughing Gas auf https://martinesy.ms/projects/she-mad.
[19]Diesen „Strom popkultureller Bilder“ beschreibt Syms als „eine Art kollektives Unterbewusstsein, wie eine fortlaufende Annotation“. Siehe Deborah Vankin, „At Hammer Museum’s ‚Made in L.A.‘ biennial, Martine Syms makes her moment“, in: Los Angeles Times, 11. Juni 2016, https://www.latimes.com/entertainment/arts/la-et-cm-martine-syms-20160606-snap-htmlstory.html.
[20]Für Analysen des Films siehe Jacqueline Najuma Stewart, Migrating to the Movies: Cinema and Black Urban Modernity, Berkeley: University of California Press, 2005, S. 44–49, sowie Maggie Hennefeld, Specters of Slapstick and Silent Film Comediennes, New York: Columbia University Press, 2018, S. 74–76.
[21]Stewart, Migrating to the Movies, S. 47–48.