Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

47

WERT SCHÖPFENDE FIGUREN Ein Gespräch zwischen Isabelle Graw und Kerry James Marshall

„Kerry James Marshall: Dollar for Dollar“, Jack Shainman Gallery, New York, 2013, Ausstellungsansicht / installation view

„Kerry James Marshall: Dollar for Dollar“, Jack Shainman Gallery, New York, 2013, Ausstellungsansicht / installation view

Die figurative Malerei unterhält traditionell eine innige Beziehung zum Kunstmarkt. In einer Gesellschaft, in der sich alles um Eigentum und Besitz dreht, ist die Gattung wie kaum eine zweite mit der Warenform vereinbar; ihr Zirkulieren auf dem Markt wirft jedoch wichtige politische Fragen auf. Im Kontext ihrer umfangreichen Studien zu Fragen des Werts in der Kunst sprach Isabelle Graw, Mitbegründerin und Herausgeberin von „Texte zur Kunst“, mit dem Künstler Kerry James Marshall, um diesen Problemzusammenhang näher zu erörtern. Bekannt ist Marshall vor allem für seine unbeschwerten Darstellungen Schwarzer Alltagsszenen in der Tradition der Historienmalerei, aber auch für Arbeiten, die ihren eigenen Warencharakter explizit thematisieren. Die Figuren sind in diesem Fall Zahlen oder Begriffe, die Marshall in der Art von Figuren im herkömmlichen Sinne einsetzt, da sie alle Produkte desselben Bewusstseins sind – Marshalls Bewusstseins.

ISABELLE GRAW: Über deine Ausstellung „History of Painting“ (2018) habe ich lange nachgedacht. Vor allem die Auktionsbilder haben mich angesprochen, denn ich betrachte sie in zwei Weisen als „wertreflexiv“: in formaler Hinsicht, aber auch in Bezug auf deine eigene Marktsituation. Formal, weil sie durch die malerische Formensprache der Preisetiketten eine gewisse Pop-Art-Ästhetik in Erinnerung rufen. Jedes zeigt den Namen des Künstlers oder der Künstlerin, dessen Werk versteigert wurde, noch deutlicher sieht man die Geldsumme, für die das Werk verkauft wurde, und dazu gibt es noch eine Miniaturdarstellung des Werks selbst. Die leuchtenden Farben, die du verwendest – wie etwa das Pink und das Türkisblau bei dem Bild History of Painting (May 16, 2009) (2018) – lassen mich an Schilder im Supermarkt denken, mit denen Sonderangebote ausgezeichnet werden. Man kann diese Bilder aber auch als Reflexionen auf den Marktstatus deines eigenen Werks verstehen. Da denke ich natürlich an den Rekordverkauf deines Gemäldes Past Times (1997) an den Rapper Sean Combs („P. Diddy“), zu dem es nur wenige Monate vor der „History of Painting“-Ausstellung bei David Zwirner in London kam. Sind die Bilder eine Reaktion auf den Eintritt deines Werks in die Auktionssphäre, oder willst du nur darauf hinweisen, dass Gemälde zu Waren werden, wenn auch zu Waren der besonderen Art, sobald sie auf Auktionen angeboten werden?

KERRY JAMES MARSHALL: Na ja, das stimmt alles, nur würde ich eher sagen, dass ich nicht gegen die Warenförmigkeit meiner Werke angehe, es soll eher als eine Anerkennung der Tatsache verstanden werden, dass dies ein Zustand ist, in dem wir Bilder antreffen. Ich finde es interessant, darauf hinzuweisen. Auf dem Umschlag deines Buchs Die Liebe zur Malerei sieht man dieses Gemälde von Watteau …

GRAW: Ja, L’Enseigne de Gersaint von Watteau – ein Bild, auf dem ein Bilderladen zu sehen ist, der auch als Boutique für Luxuswaren diente.

MARSHALL: Widerstand gegen die Anerkennung der den Gemälden, vor allem den Leinwandbildern, inhärenten Warenförmigkeit zu erheben, scheint mir sinnlos. Ich verstehe nicht, wie man zu dem Schluss kommen kann, Malerei solle irgendwie anders als andere verkäufliche Güter sein. Verfolgt man den Weg der Malerei durch die Pop Art, durch Warhol und Lichtenstein hindurch, dann versteht man, dass sie lediglich die Idee unterstreichen wollten, dass Malerei ebenso dem Warenstrom zugehört wie alles andere. Jeff Koons hat vorgeführt, wie man Objekte mit niederem Status im Markt, die allgemein verstanden werden, zu Kunstobjekten machen kann, deren Wert sich exponenziell steigern lässt, nur weil sie dazu entwickelt wurden, zu etwas Hochwertigem zu werden, das Kunst genannt wird. Ich bin mir dessen fast schmerzlich bewusst, und eine Sache, die ich mit diesen Bildern tun wollte, war, darauf einfach noch einmal hinzuweisen, ganz real. Ich weiß nicht, ob du schon mal meine Skulptur 99 cent piece (2012) gesehen hast?

GRAW: Die war 2013 in deiner Ausstellung „Dollar for Dollar“ bei Jack Shainman zu sehen – da lagen riesige Münzen auf dem Boden, durch die auf programmatische Weise Kunstwerke mit dieser Art von Geld gleichsetzt wurden, das sich noch auf einen materiellen Träger stützt.

MARSHALL: Ja – wenn man über den Weg nachdenkt, den Kunstwerke als Waren zurücklegen, und darüber, wie man gewöhnliche Waren in Kunstwerke verwandeln kann, liegt der nächste logische Schritt nicht in der Transformation „gewöhnlicher“ Objekte in Kunstwerke, sondern in der Repräsentation von Geld. Man macht lediglich den Wertaustausch sichtbar, indem man sich auf das Geld konzentriert und es selbst zum Kunstwerk macht. Das geht einen Schritt weiter als Warhol, der einfach das Geld als Bild reproduziert hat. Statt ein billiges Kommerzobjekt zu wählen und es in rostfreiem Stahl gießen zu lassen, wie Jeff Koons es tat, habe ich mich entschieden, einfach das Geld zu machen. Es sollte drei Versionen dieses Werks in allen klassischen skulpturalen Darstellungsformen geben: eine aus vergoldetem Messing, eine andere sollte naturalistisch erscheinen, sodass alle Münzen die Farbe aufweisen, die sie in Wirklichkeit haben.

GRAW: Das ist die Version, die ich gesehen habe.

MARSHALL: Und die dritte Version sollte aus Marmor sein. Dann würde man sagen: Okay, darum geht es eigentlich. Nun wird aber der Unterschied zwischen dem Produktionswert des Werks und dem monetären Wert des Bildes betont, der mit „99 cents“ dargestellt ist. Der Untertitel der Arbeit lautet one hundred thirty six thousand dollars in change (136.000 Dollar Wechselgeld), 99 Cents ist die Billigversion. Jenseits davon wird die Sache langsam teuer.

GRAW: Ich bin mit dir einer Meinung, dass die Warenform der Kunst inhärent ist – dies gilt insbesondere für die Malerei. Das Leinwandbild wurde ja im 16. Jahrhundert vor allem aus kommerziellen Erwägungen erfunden – es ließ sich leicht transportieren und schien für die Warenform sehr geeignet. Ich finde auch interessant, dass du Warhol erwähnst, denn als ich das 99 cent piece sah, dachte ich gleich an Warhols Dollar Sign-Bilder – z.B. an sein fantastisches Bild 200 One Dollar Bills (1962) – bei denen Malerei mit Geld enggeführt wird. Sie verweisen darauf, dass Kunstwerke als Währung funktionieren, vor allem im hochspekulativen Auktionsbereich, und wie sie finanziellen Wert repräsentieren. Aber Warhols Dollarnoten wirken auch wie Figuren, die im Zuge des Siebdruckvorgangs verschwinden oder verblassen. So als würden sie sich nicht auf ihren Marktwert reduzieren lassen und an ihren Symbolwert erinnern wollen. Kunstwerke machen symbolische Setzungen, die angeblich nicht in Geld aufzuwiegen sind und doch einen Preis haben. Ihr nach oben hin offener Preis hängt von der Annahme ihrer unschätzbaren symbolischen Leistung ab.

Norman Lewis, „Promenade“, 1961

Norman Lewis, „Promenade“, 1961

MARSHALL: Oh, ja. Man muss mit Sicherheit die Frage stellen, worin der Unterschied zwischen Kunstwerken und gewöhnlichen Objekten liegt, jenseits der äußeren Ähnlichkeiten, die das Readymade zu Bewusstsein gebracht hat. Man könnte sagen, dass Kunstwerke mehr tun als notwendig, aber weniger als erforderlich ist. Das „Mehr“ bezeichnet, wie Künstler*innen den Maßstab eines Gegenstands, sein Material, seine Textur verändern, wie auch Claes Oldenburg das getan hat: Man nimmt harte Dinge und macht sie weich, man nimmt große Dinge und macht sie klein, man nimmt kleine Dinge und macht sie groß. Das zu tun ist mehr als das, was zur Repräsentation der Objekte notwendig ist. Aber „weniger als erforderlich“ bedeutet bei einem gewöhnlichen Vertauschen von Werten auch eine Einbuße im Bereich der Nutzbarkeit. Kunstwerke sind keine Werkzeuge, keine Geräte. Sie sind nicht essbar. Und sie sind oft nicht sehr präzise. Eine Wirkung des Siebdrucks ist in Warhols Fall, dass das Bild mit jedem Abzug undeutlicher wird. Und dieser Aspekt der Wiederholung und des Verfalls ist genau das, was das Ding zum Kunstwerk macht. Die Dollarnoten, die in der Münze gedruckt werden, sehen dagegen exakt gleich aus. Ihr Wert bemisst sich am Grad der Gleichheit zwischen ihnen.

GRAW: Ja, Warhols Siebdruckserie mit den Dollarnoten verweist auf ein Moment der Gleichheit zwischen Kunst und Geld, zeigt aber auch die Unterschiede zwischen ihnen auf. Aus meiner Perspektive weisen einige der Bilder, die in deiner „Dollar for Dollar“-Ausstellung zu sehen waren, einen ähnlichen Doppelcharakter, eine ähnliche Spannung auf: Einerseits könnte man viele dieser Arbeiten wegen der in sie hineingeschriebenen Botschaften – „Why pay more“ oder „Low low price“ – als linguistische Propositionen beschreiben. Andererseits entzieht sich die genaue Bedeutung dieser Botschaften; und sei es nur, weil sie oft schwer zu entziffern sind. Allerdings werden die Mitteilungen dann auch wieder durch die Titel wiederholt (und nochmals betont). Für mich stehen diese Bilder für eine andere Art von Figuration in deinem Werk. Neben den Gemälden, die Figuren und damit einen morphologischen Typus der Figuration zeigen, sind dies hier scheinbar abstrakte Gemälde, die ein rhetorisches Verständnis der Figuration aufweisen, das eine lange Tradition besitzt: von Mallarmé über Broodthaers bis hin zu aktuelleren Künstlern wie Glenn Ligon oder Merlin Carpenter. Du malst die Buchstaben ziemlich körperlich, und deswegen funktionieren sie auch wie Figuren, die wertreflexive Fragen über sich selbst stellen, wie „Why pay more?“. Diese Frage scheint auf das Zögern mancher Käufer*innen Bezug zu nehmen, mehr für die Werke Schwarzer Künstler*innen zu zahlen. Du verweist in diesen Bildern also auch auf die Auswirkungen rassistischer Diskriminierung auf Wertbildungsprozesse.

MARSHALL: Ja, die Buchstaben werden in diesen Gemälden wie Figuren behandelt, aber die Gemälde als Objekte werden auch so behandelt, wie man es bei Gemälden erwarten würde. Gemälde sollen etwas Außergewöhnliches sein. Diese Gemälde weisen auch all die malerischen, all die modernistischen Werte auf, die oft bei der Fixierung auf ein Thema in den Hintergrund geraten. Sie üben sämtliche kodifizierten, modernistischen Funktionen aus. Sie sollen eine ganz bestimmte Art von Gemälde sein. Aber sie sind auch dazu bestimmt, zu enthüllen und dann wieder zu verhüllen, welche Bedeutung auch immer die Figur transportieren soll. Eines heißt On Sale Black Friday, es ist Schwarz auf Schwarz gemalt. Es gibt aber mehr als nur zwei Schichten: Ich denke, es gibt darin drei oder vier Bedeutungsschichten, die ich freigelegt sehen möchte.

GRAW: Ja, du setzt die Farbe Schwarz mit all ihren Schattierungen und Nuancen wie bei deinen figurativen Gemälden als ein rhetorisches Mittel ein. Und auch der Titel On Sale Black Friday funktioniert wieder als bildliche Rede. Bei deinen Auktionsbildern aus „History of Painting“ sorgen die Titel für eine historische Situierung des Werks, indem sie Zeit und Ort jeder Auktion angeben.

MARSHALL: Ja. Weil ich mich in gewisser Weise zu einem Historienmaler gemacht habe. Ich setze mich auf sehr grundsätzliche Weise mit der Historienmalerei auseinander, damit, was sie ist und was sie tut, und dies geschieht in einem ziemlich großen Maßstab. Ausgewählte Momente verschiedener Historien werden dargestellt, mit denen alle vertraut sein sollten.

GRAW: Für mich zeigen deine Auktionsgemälde in „History of Painting“ aber auch auf einer malerischen Ebene, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich die Behauptung, man könne Geschichte „in einem ziemlich großen Maßstab“ darstellen, heute geworden ist. Was wir sehen, sind Bruchstücke einer höchst selektiven Auswahl von Bildern auf Auktionen. Bei den dargestellten verkauften Werken, die wie Fotokopien en miniature ausgeführt sind, sucht man vergeblich Heroisches oder Grandioses.

MARSHALL: Das ist tatsächlich die sehr selektive Darstellung einiger Auktionen. Wenn man darüber nachdenkt, dann beeinflussen die Auktionspreise die Vorstellung, die viele Leute von dem haben, was in der Kunst wichtig ist. Denn jedes Mal, wenn bei einem Auktionspreis ein hoher Kaufpreis erreicht wird, wird das in den Abendnachrichten zum Thema. Was die Leute wissen, ist, dass da jemand ein Bild gemalt hat, für das jemand anderes diesen Geldbetrag ausgegeben hat. Über das Objekt, über das Bild wissen sie vielleicht überhaupt nichts. Die meisten werden es nie zu Gesicht bekommen. Aber wie viel Geld es wert ist, das wissen sie.

GRAW: Deswegen steht der Geldwert der Werke visuell im Vordergrund deiner Bilder. Die Arbeiten führen vor, wie sich der Marktwert im Preis ausdrückt – in einem Preis, der oft fälschlich mit dem symbolischen Wert des Werks gleichgesetzt wird. Künstler*innenname und Preis treten in deinen Auktionsbildern visuell ziemlich deutlich hervor, während die dargestellten Kunstwerke zu einer quantité négligable, fast austauschbar werden.

Kerry James Marshall, „History of Painting (May 17, 2007)“, 2018

Kerry James Marshall, „History of Painting (May 17, 2007)“, 2018

MARSHALL: Richtig. Ich sage dir mal was: Als ich jung war, vor meinem Schulabschluss, wurde eine der „Flaggen“ von Jasper Johns bei einer Auktion für eine Million Dollar verkauft. Das war damals der höchste Preis, der jemals für das Werk eines lebenden amerikanischen Künstlers gezahlt worden war. Mein Vater sah das in den Nachrichten, und als Erstes fragte er mich: „Kerry, wann malst du denn ein Bild, das man für eine Million Dollar verkaufen kann?“ Das war alles, was er wissen wollte.

GRAW: Du wolltest also einfach ansprechen, wie Kunstwerke – auch deine eigenen – in der Welt der Auktionen warenförmig gemacht werden? Oder wolltest du auch eine Art Misstrauen gegen das von Auktionen verkörperte Wertesystem säen?

MARSHALL: Da liegst du jetzt nicht falsch.

GRAW: Es ist tatsächlich auffällig, dass die Künstler*innennamen auf deinen Auktionsbildern wie allgemein bekannte Namen dargestellt sind. Sie erinnern uns daran, dass es letztlich Subjekte sind, die auf den Markt geworfen werden, und zwar aufgrund der Bedeutung singulärer Autor*innen, die diese Werke qua Signatur beglaubigen. Wenn man es so sieht, dann verweist dieser Verkauf subjektähnlicher Produkte auf die Geschichte des rassistischen Kapitalismus und auf den Verkauf menschlicher Wesen auf den auction blocks. Der Begriff „Auktion“ hat für Schwarze Künstler*innen wegen der Geschichte der Sklaverei einen ganz besonders negativen Klang. Wolltest du in diesen Gemälden, wenn auch indirekt, auf diese Geschichte anspielen?

MARSHALL: Indirekt, ja, das kann man so sagen, aber es hängt auch von der Betrachter*in ab. Ob die Verbindung eher rasiermesserscharf ist oder stumpf und undeutlich, das hängt von denen ab, die diese Bilder sehen. Ich habe die Entscheidung, wen ich hier einbeziehen wollte, wirklich mit viel Bedacht getroffen. Das eine Bild – History of Painting (February 6, 2007) (2018) – mit all den Schwarzen Künstlern stammt aus den Swann Auction Galleries. Swann ist das einzige Auktionshaus, das ausdrücklich afroamerikanische Malerei in seinem Programm führt; das macht kein anderes Haus. Seit ewigen Zeiten war Jean-Michel Basquiat der einzige Schwarze Künstler, dessen Werke man auf elitären Mainstream-Auktionen zu sehen bekam. Später kamen Martin Puryear, Glenn Ligon und ein paar andere dazu. Aber für lange Zeit besaß nur Basquiats Werk wirklich hochklassigen Tauschwert. Darauf wollte ich ganz klar anspielen, ich wollte das als Wirklichkeit aufzeigen. Aber es gab noch eine andere Dimension meines Interesses: Der Tauschwert ist auf vielen Ebenen willkürlich – das ist das, was du als Misstrauen angesprochen hast. Der Wert von Kunstwerken bei der Swann-Auktion und der Wert von Kunstwerken bei Auktionshäusern wie Sotheby’s und Christie’s verweist auf Unterschiede in der Schichtung des Markts. Tatsächlich ist der Wert eines Kunstwerks nur das, was jemand dafür zu zahlen bereit ist. Ein Kunstwerk erreicht erst dann seinen Geldwert, wenn dir jemand anderes mehr dafür zahlt, als du dafür ausgegeben hast. Das ist der Wert, der von Auktionshäusern produziert wird: Sie helfen, den Tauschwert zu ermitteln, indem sie jemanden finden, der mehr als den ursprünglich angesetzten Verkaufspreis bezahlen will. Für die meisten Schwarzen Künstler*innen gab es bis vor Kurzem nicht so viele Schwarze Sammler*innen, die das getan hätten, auch nicht für die Werke Schwarzer Künstler*innen. Der vergleichsweise niedrige Wert der meisten Werke Schwarzer Künstler*innen bei Swann zeugt von dieser Realität. Das ist ein weiteres Problem, das man aus diesen Bilder herauskitzeln kann.

GRAW: Ja, die Abstände auf der Preisebene sind extrem, wenn man etwa das für 67.200 Dollar versteigerte Gemälde von Norman Lewis, das auf dem Bild History of Painting (February 6, 2007) (2018) zu sehen ist, mit dem für 1.496.000 Dollar verkauften Gemälde von Gerhard Richter auf History of Painting (May 17, 2007) (2018) vergleicht. Die unterschiedlichen Symbol- und Marktwerte, die für diese Werke veranschlagt werden, sind auch Symptom eines strukturellen Rassismus, vor allem, wenn man bedenkt, welch ungeheuren Einfluss Norman Lewis auf viele Künstler*innen hatte. Deine Auktionsbilder zeigen auch, wie Künstlerinnen lediglich als „Ausnahmefrauen“ in diesen Kreisen geduldet wurden – Ausnahmen gab es für Künstlerinnen wie z.B. Joan Mitchell. Und schließlich verweisen deine Auktionsbilder auch auf die Verknüpfung von Vertrauen und Marktwert: Wie kommt es bei Werken von (meist weißen und männlichen) Künstlern zu einer Vertrauensbildung, bei anderen dagegen nicht?

MARSHALL: Vertrauen ist ein wichtiger Faktor, denn alles, was Menschen tun, ist sozial. Es ist ganz und gar um Annahmen herum strukturiert, auf die alle ihre Hoffnungen setzen, von denen man weiß, dass sie wahr sind, oder von denen man dies zumindest annimmt. Warum wird das Werk einer Künstler*in als wertvoller angesehen als das einer anderen? Man kann diese Frage ab dem Moment stellen, da die Überschussproduktion von Bildern und Objekten strukturell formalisiert wurde. Früher wurde Kunst einmal im Dienst einer Elite produziert – ob das nun die Elite einer Priesterschaft, einer Aristokratie, eines Herrscherhauses war, sie war es, die bestimmte, worum es bei der Bildproduktion gehen sollte. Ihre Ideale wurden Werken als ein Wert zugetragen, der dann internalisiert und über die Generationen weitervererbt wurde. Aber worüber sprechen wir in der Kunstwelt? Man hat ebenfalls Ideen, die Veränderung und Wandel in die Richtung bewirken, die als gut bewertet wird: Warum macht ein*e Künstler*in eine Sache, eine andere Künstler*in dagegen eine ganz andere? Ein Grund ist, dass sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. So ist das nun mal. Von der Renaissance bis ins 18., 19. und 20. Jahrhundert waren Künstler*innen immer stärker sich selbst überlassen – die Struktur der Auftraggeber*innenschaft wandelte sich. Damals verwandelten sich Künstler*innen, die zuvor vor allem Handwerker*innen waren, in Spezialist*innen, die Dinge für einen Luxusmarkt produzierten. Es gab einen Punkt – und der ist wohl immer noch da –, an dem niemand mehr etwas von dem Zeug braucht, das wir herstellen.

GRAW: Niemand braucht es, stimmt. Kunstwerke sind weniger „nützlich“ selbst im Vergleich zu Luxusgegenständen; denn eine Handtasche von Chanel oder eine Uhr von Cartier hat zumindest einen Gebrauchswert. Doch die meisten Kunstwerke sind nicht in diesem Sinne nützlich – ihr Nutzen besteht darin, dass sie nicht in Zwecken aufgehen. Sie sind durch das definiert, was sie symbolisch leisten, was über das Messbare hinausgeht.

MARSHALL: Aber das gilt nur in einem eng umgrenzten Bereich. Außerhalb der Wirkungsstätte, an der wir dies für wichtig halten, hat nichts davon Bestand. Wenn Künstler*innen über ihre Arbeit reden, ist das immer eigennützig; wir sind zwingend daran interessiert, unsere eigenen Interessen voranzutreiben. Unser Lebensunterhalt und unser Wohlbefinden hängen davon ab. Wenn also Künstler etwas über das sagen, was sie tun, werden sie immer ihre eigentümliche Wahrnehmung des Guten über die anderer stellen. Darum ging es im Grunde genommen beim Schreiben all der Manifeste: Alles, was vor uns passiert ist – dieser Mist ist vorbei, es geht um das, was jetzt und hier ist. Das ist es, was Manifeste bewirken. Es muss aber eine bestimmte Grundlage haben. All die ambitionierten Künstler*innen im Westen suchen verzweifelt nach Aufmerksamkeit für sich selbst. Bei ihren Strategien geht es eher um Störungen als um kulturelle Anpassung.

Charles White, „Skipping“, 1960

Charles White, „Skipping“, 1960

GRAW: Und sie wollen unbedingt Singularitäten produzieren – Kunstwerke, die vermeintlich einzigartig sind und eine Differenz schaffen, die kein anderes Produkt bieten kann.

MARSHALL: Richtig, auch wenn man es in zahlreiche Illusionen verpacken muss, denn vieles davon ist natürlich eine Illusion; selbst der Anschein von Differenz kann eine Wirkung entfalten. Aber manchmal gibt es eine signifikante Differenz, selbst wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht. Auch begriffliche Differenz kann einen intrinsischen und monetären Wert besitzen. Du hast gesagt, Norman Lewis habe ungeheuer viel Einfluss gehabt – wie kommst du dazu? Ich glaube nicht, dass er so einflussreich war.

GRAW: Sein Werk war wichtig für Künstler wie z.B. Jack Whitten.

MARSHALL: Mag sein. Aber für wen ist Whitten wichtig? Und welche Rolle hatten Lewis’ oder auch Whittens Werk bei der Entwicklung der abstrakten Malerei?

GRAW: Whitten war zunächst einmal ein unglaublich einflussreicher Lehrer, er hat seine Lehre lange als wesentlichen Teil seines Werks angesehen …

MARSHALL: … Aber das ist doch etwas anderes. Für viele war, wen immer sie als Lehrer*in hatten, enorm einflussreich. Und jetzt sage ich, dass Charles White der einflussreichste Schwarze Künstler in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewesen ist. Doch das liegt eben teilweise daran, dass ich ein ganz besonders inniges Verhältnis zu ihm und zu seinem Werk hatte. Trotzdem sage ich, er war einflussreicher, weit einflussreicher, und das für mehr Menschen als Norman Lewis oder Jack Whitten. Whites Werk war der wahre Grund, warum ich in meinen Bildern Schwarze Figuren verwende. Aber ich weiß auch, dass ich mich von Whites Art, seine kraftvollen, Schwarzen Figuren zu präsentieren, abgrenzen muss.

GRAW: In deinen figurativen Bildern, einschließlich derjenigen in der „Dollar for Dollar“-Ausstellung und der Auktionsbilder, erkenne ich zwei Bestrebungen: Sie alle schreiben dein Werk gleichzeitig machtvoll in den sogenannten westlichen Kanon und in die Geschichte der Schwarzen Malerei ein, wobei das eine nicht ohne das andere funktioniert. Die mit diesen Geschichten verbundenen Wertesysteme zeigen sich nicht voneinander isoliert, sondern miteinander verknüpft.

MARSHALL: Das ist absolut richtig. So könnte man das, was ich mache, als ein Projekt beschreiben. So sehe ich es jedenfalls. Und das ist auch einer der Gründe, weshalb ich sagen würde, dass die Figur für mich ungeheuer wichtig ist. Wenn du dir ein paar meiner Vorträge anhörst, wirst du mich einen Satz von W. J. T. Mitchell zitieren hören. Er ist für mich zu einer Art Mantra geworden. Er schreibt: „Bilder bringen die Begierden zum Ausdruck, die wir bereits in uns tragen, gleichzeitig lehren sie uns überhaupt erst, wie man begehrt.“ [1] Das beschreibt meine Zielsetzung als Maler und verleiht allem, was ich tue, einen Sinn. Für mich hat diese Funktion von Bildern größere Bedeutung als alles, was wir allgemein über Abstraktion denken, denn die Bilder lehren uns, wie man Dinge liebt.

GRAW: Ich würde dieses Mitchell-Zitat etwas anders interpretieren. Ich schätze ja seine Bemühungen, eine Art autonome oder eigenständige Handlungsfähigkeit anzuerkennen, die von Bildern ausgeht …

MARSHALL: Er hat gesagt, Bilder wollen geküsst werden!

GRAW: Stimmt. Aber damit sie etwas „wollen“ und in diesem Sinn quasi lebendig sein können, bedarf es einer Betrachter*in, die bereit ist, diese Energie, dieses Begehren auf sie zu projizieren.

MARSHALL: Ja, eine Betrachter*in muss es geben, aber ich will nicht sagen, dass die Betrachter*in bereit sein muss. Ich glaube, es gibt Bilder, die ihre Präsenz behaupten, die sich dem Bewusstsein der Betrachter*in aufdrängen. Ich denke, einige Bilder haben diese Wirkung. Und das ist eben die Art Bild, zu der wir uns hingezogen fühlen: Bilder, die nicht nur passiv dahängen und darauf warten, dass jemand mal auf sie projiziert, sondern Bilder, die etwas tun, das ihre Produzent*innen mit ihnen erreichen wollen.

GRAW: Und doch bedarf es eines Wechselspiels zwischen Betrachter*in und Werk – einer Art Austausch im Wechselspiel.

MARSHALL: Ja, aber das liegt daran, dass die Bilder von Menschen gemacht sind.

GRAW: Und das ist interessant, denn jetzt kommen wir zu den Figuren. Ich habe über den Punkt nachgedacht, dass du für eine positive Darstellung Schwarzer Menschen optierst. Du hast oft selbst gesagt, dass du kein Schwarzes Leiden oder Trauma zeigen willst, du stellst deine Figuren in Alltagsszenen dar – zu Hause oder in Freizeitsituationen. Einige deiner Arbeiten haben mich an Watteaus fêtes galantes erinnert. Aber du verlierst auch niemals das Thema der Rassendiskriminierung aus den Augen, das ja in Ausstellungen wie „Dollar for Dollar“ oder „History of Painting“ durchaus angesprochen wurde. Wir sind hier mit nichtgleichberechtigten Annahmen von künstlerischer Bedeutung konfrontiert, mit einer Wertediskriminierung, wenn es um Schwarze Künstler*innen geht. Dieses Thema findet sich auch in deinen scheinbar abstrakten Bildern, die zugleich ausgesprochen figurativ sind, wenn man bedenkt, dass du die darin enthaltenen Wörter und Zahlen wie Figuren behandelst. Warum thematisierst du Diskriminierung vor allem in deinen scheinbar abstrakten Bildern?

MARSHALL: Eigentlich unterscheide ich nicht so sehr zwischen den beiden Arbeitsweisen. Für mich haben sie beide eine ähnliche Art von Wirksamkeit in dem, was sie zu tun beabsichtigen oder wie sie die Betrachter*in auffordern, anzuerkennen, was da ist. Aber diese andere Sache mit der Ungleichheit – was könnte da heilend wirken? Ich unterscheide! Für mich ist nicht alles gleichwertig. Manche Dinge sind eben besser als andere. Das Heilmittel gegen Ungleichheit liegt nicht darin, zu sagen „Hey, das da ist auch gleich!“ Ich glaube, dass die Arbeit selbst und das Projekt zu arbeiten, die Menschen dazu bringen muss, die Gleichwertigkeit mit anderen Dingen anzuerkennen. Gleichheit wird nicht separat, also außerhalb des Werks zugesprochen. Das ist mit einer Reihe von Begriffen verbunden, die heute viele nicht mögen: Begriffen wie Autorität. Ich glaube, das Werk muss eine bestimmte Art Autorität haben.

Es gibt einzellige Organismen, aber auch komplexere Organismen. So kann man Kunstwerke auch verstehen. Manche sind einfach und rudimentär, andere sind kompliziert, vielschichtig. Wir wissen genug über die Wirkungsweise von Bildern auf die menschliche Psyche, um sehr bewusst mit ihnen zu verfahren. Kunstwerke sind keine mystischen Zauberwerke. Ich verstehe Kunstwerke als Dinge, die man baut.

GRAW: Ich stimme dir zu, Kunstwerke werden produziert, und das oft ganz bewusst. Aber ich glaube nicht, dass es das Werk an sich ist – die Autorität, die es begründet –, was seine Gleichbehandlung sicherstellt. Der Wert eines Kunstwerks hängt nicht allein von dem ab, was es selbst mitbringt, er hängt auch von Ungleichheits- und Diskriminierungsstrukturen ab, die sich in einem kollektiven Begehren manifestieren, das ein Werk für relevant hält oder eben nicht. Aber ich stimme dir wieder zu, dass starke autoritative Behauptungen gewagt werden müssen, wie etwa als du dich in History of Painting (February 6, 2007) (2018) für Faith Ringgold entschieden und dadurch darauf bestanden hast, dass ihr Werk Teil des Kanons ist. Du hast eine autoritative Behauptung aufgestellt, ein Werturteil.

Kerry James Marshall, „History of Painting (May 16, 2007)“, 2018

Kerry James Marshall, „History of Painting (May 16, 2007)“, 2018

MARSHALL: Jemanden auszuwählen – das ist natürlich ein Werturteil. Es bedeutet, dass die betreffende Person für ausreichend wichtig erachtet wird, um auf diese Weise anerkannt zu werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass man den Wert von Faith Ringgolds Werk beeinflussen kann. Wer glaubt, dass sie im Verhältnis zu anderen unterbewertet ist, kann jetzt etwas dagegen unternehmen. Sobald jemand Aufmerksamkeit auf etwas lenkt, macht er es zugleich verfügbar. Man kann dann dementsprechend handeln. Aber wenn niemand die Aufmerksamkeit darauf lenkt, kann man auch nichts tun. Dann muss man es noch nicht einmal in Betracht ziehen.

GRAW: Faith Ringgolds Werk wird in deinem Werk anerkannt und zu weiterer Würdigung vorgeschlagen. Aber kann man nicht auch sagen, dass du durch deine malerische Privilegierung des Namens der Künstlerin und des Preises ihrer Arbeit und dadurch, dass du ihr Werk wie eine winzige Fotokopie aussehen lässt, in gewisser Weise die Funktionsweise der Auktionswelt reproduzierst, die den symbolischen Wert zugunsten der Preisbildung herunterspielt? Riskierst du mit deinen Auktionsbildern nicht ein wenig die Wiederholung dieses Handlungsmusters?

MARSHALL: Das kann sein. Aber das ist eine Art Henne-Ei-Problem: Was war zuerst da? Sehen die Leute tatsächlich den symbolischen Wert eines Objekts, nachdem es ihnen als fantastisches Hochpreis-Objekt präsentiert wurde? Sehen sie jemals, was da vor ihnen steht? Ich weiß es nicht. Vielleicht ja, vielleicht nein.

GRAW: Vielleicht sind sie dann eher bereit, die Werke ernst zu nehmen und sie genauer zu betrachten.

MARSHALL: Ja, vielleicht, aber ich kenne mehr als nur ein paar Sammler*innen, die in ihren Sammlungen Hunderte von Kunstwerken haben, ganze Häuser, die mit Dingen vollgestopft sind, aber sie haben von den meisten Sachen keinen Schimmer, was das ist.

GRAW: Es ist sicher richtig, dass die symbolischen Errungenschaften von Kunstwerken in der Auktionswelt nicht eingehend diskutiert werden, aber langfristig wird das doch wichtig – der Marktwert fordert eine Grundlage. Langfristig spielt es durchaus eine Rolle, ob eine Künstler*in in ihrer Wirkungszeit von anderen Künstler*innen, Kritiker*innen oder Kunsthistoriker*innen geschätzt wurde. Kurzfristig dagegen ist es möglich, dass Kunstwerke, die sehr hohe Marktwerte erreicht haben, von den Expert*innen nicht für relevant befunden werden.

MARSHALL: Das stimmt teilweise. Aber es gibt auch einen Wettbewerb unter Leuten, die Ideen generieren.

GRAW: Ja, sie konkurrieren auf dem „Wissensmarkt“.

MARSHALL: Das ist ja auch ein Markt, oder? Ganz verschiedene Ökonomieformen treiben die Kunstwelt voran. Manche Künstler*innen behaupten, sie machten unverkäufliche Dinge. Als ich Mitte der 1970er Jahre in Otis auf die Kunstschule ging, wurde diese Auffassung vom Kunstwerk als Ware, als verkäufliches Objekt, sehr heftig vonseiten der Conceptual Art infrage gestellt. Die immaterielle Vorstellung von Kunst ist eines der Grundprinzipien der Konzeptkunst. Ihr selbst erteilter Auftrag ist die Untergrabung der Warenfunktion von Kunstwerken. Aber diese Künstler*innen wollten ja schließlich auch ihren Lebensunterhalt verdienen, auch sie wollten anerkannt werden. Die Ökonomie, in der diese Künstler*innen ihren Lebensunterhalt verdienten, fand in der Akademie, beim Wettkampf um Stipendien statt. Das ist gar nicht so anders. Die grundlegenden Qualitäten des Denkens, die in ihre Stipendienanträge eingehen, werden immer noch bewertet.

GRAW: Einige der Künstler*innen, die mit früher Konzeptkunst oder Institutionskritik in Verbindung gebracht werden, verlangen sehr hohe Honorare für ihre Vorträge. Oder sie sind nebenbei noch im Immobiliengeschäft tätig.

MARSHALL: Weil ja jeder überleben muss.

GRAW: Genau. Da dein Werk ja nun symbolisch und finanziell sehr erfolgreich ist – spürst du Solidarität mit Schwarzen Künstler*innen, die nicht so viel Erfolg haben?

MARSHALL: Ich kenne keine Schwarzen Künstler*innen, die außergewöhnliche Werke schaffen und dabei übersehen worden wären. Es gibt einige mittelmäßige Schwarze Künstler*innen, die in höherem Kurs stehen, als ihnen zukommt.

GRAW: Ich kann dir nicht zustimmen, wenn du sagst, alle, die „außergewöhnliche“ Werke schaffen, seien auch anerkannt. Im Gegenteil, ich kenne viele Schwarze und weiße Künstler*innen, die nicht die institutionelle Anerkennung und den Markterfolg haben, den ihr Werk verdient hätte.

MARSHALL: Aber nichts hat irgendwie zu sein. Niemand hat ein Recht auf Aufmerksamkeit, niemand! Aufgrund meines Erfolgs konnte ich Leute an Positionen bringen, an die ich sie ohne den Erfolg nie hätte bringen können. Ich habe auch Arbeitsmöglichkeiten eröffnet und andere Künstler*innen unterstützt. Aber Solidarität ist etwas anderes als verdienter Erfolg. Als Mensch, der Dinge herstellt, brauche ich einen Bezugsrahmen, der das, was ich tue, legitim und meiner Mühe wert macht. Ich muss wissen, dass das, was ich tue, eine Chance zur Konkurrenz mit allem anderen hat, was sonst so getan wird. Ich muss erkennen können, dass ich es jetzt richtig mache. Das ist etwas, das man weitestgehend allein schaffen muss. Wenn ich das nicht habe, dann habe ich eigentlich gar nichts. Und ich kann dann auch für niemanden etwas tun, wenn ich es selbst nicht habe.

GRAW: Ich wollte mit dir noch kurz über ein Gemälde sprechen, das in der „Dollar for Dollar“-Ausstellung zu sehen war. Ich habe es nur in einer Reproduktion gesehen, aber es hat mich fasziniert. Es heißt Red Hot Deal. Mich hat es an eines von Morris Louis’ Veils-Bildern in leuchtendem Orange und Rot erinnert. Erneut scheint auch dieses Bild seine sprachliche Aussage zu verschleiern. Das Rot lässt einen an etwas Figürliches denken – den Körper, Fleisch, die menschliche Gestalt. Beziehst du dich auf die hot deals, die möglich werden, wenn in Kunstwerken menschliche Figuren zu sehen sind? Für mich ist das eine sehr körperliche, fleischige Malweise, ganz, als wolltest du einen Ausgleich dafür liefern, dass keine buchstäblichen Figuren darin vorkommen.

Jack Whitten, „Natural Selection“, 1995

Jack Whitten, „Natural Selection“, 1995

MARSHALL: Wir könnten an dieser Stelle über einige Themen reden. Vorhin hast du gesagt, wie Figuren in meinen Bildern agieren – dass es eine Art positivistischen Impuls gibt, kein Trauma, kein Leid. Gleichzeitig muss ich mir darüber klar sein, dass das Malen von Figuren Bilder von Schwarzen Menschen auf den Markt wirft, die dort verkauft werden sollen. Alle diese Aspekte fließen in mein Denken ein, wenn ich die Arbeit produziere; sie bestimmen, wie ich den Charakter oder die Figuren gestalte, die ich male. Selbst dann, wenn die Figuren buchstäblich abwesend sind, sind sie in diesem Verständnis immer noch da. Ich weiß, wie der Kunstmarkt funktioniert: Die Leute, die das meiste Kapital für Kunstwerke ausgeben können, vor allem im obersten Marktsegment, sind wahrscheinlich weiß – das ist einfach die Realität. Deswegen kümmere ich mich ganz besonders um die Figuren, die ich präsentiere. Deshalb würde ich Dinge sagen wie: „Ich male kein Trauma“, „Ich male keine abjekten Bilder“ oder „Ich bin ein Historienmaler“. Ich lese viel über die Geschichte Schwarzer Menschen in aller Welt. Tragisches und Problematisches lässt sich viel zu leicht ausschlachten. Ich arbeite langsam und konstruiere Dinge gerade deshalb, weil ich darin so viele Aspekte meines Themas durchdenken möchte wie möglich. Ich will, dass es später etwas auszugraben gibt, wenn jemand die Zeit dafür aufbringen will. Aber ich sehe auch, dass die erste Ebene der Begegnung manchmal eine sinnliche sein wird. Das könnte auf das zutreffen, was du als Körperflüssigkeiten bezeichnest. Es sieht irgendwie nach Blut aus. Aber auch wie Hitze, wie Flammen.

GRAW: Auf mich hat Red Hot Deal ziemlich psychedelisch gewirkt.

MARSHALL: Ja, das hat etwas davon. Aber hier ist es etwas anderes: Ich glaube, ich bin ein recht komplexes menschliches Wesen. Ich agiere in vielfältigen Dimensionen, ziehe zu einem bestimmten Zeitpunkt das eine dem anderen vor. Alles ist das Produkt desselben Bewusstseins: meines Bewusstseins.

GRAW: Die Person im Produkt …

MARSHALL: … Ja, das bin alles ich selbst. Und ich versuche alles, dass alles, was ich bin, auch Teil des Werks wird. Ich versuche, Schwarze Subjekte als Objekte und als Betrachter*innen anzusprechen. Aber ich interessiere mich auch für das, was du tust, für den Grad an Engagement, den man als Historiker*in und als Kritiker*in hat – das interessiert mich auch. Für Leute, die Dinge herstellen, ist es genauso wichtig, zu lesen und zu verstehen, was du schreibst oder sagst, wie es der Ausdruck eines inneren Drangs ist, der aus dem Inneren der eigenen Psyche motiviert ist. Es sieht aus, als sei vieles, was den Widerstreit zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Moderne und Tradition anheizt, ein Missverständnis von Beweggründen. Diese fortdauernden Probleme sind auch Versuche von Künstler*innen, mit der platonischen Idee aufzuräumen, Künstler*innen seien nichts als Scharlatane. Sie halten sich an Schatten auf. Das ist Herumgetrickse. Es geht doch nur um den Spaß.

GRAW: Und Herumtricksen und Spaßhaben – das tun sie auch, richtig?

MARSHALL: Genau das tun sie!

GRAW: Gerade dachte ich, dass es ja sehr nett von dir ist, meine Arbeit als gleich wichtig zu bezeichnen, aber wir sollten hier doch nicht aus den Augen verlieren, dass meine Produktion, reproduzierbare Aufsätze und Bücher, im monetären Sinn weit weniger wert ist als etwa ein einzigartiges Gemälde.

MARSHALL: Aber deine Texte funktionieren auch in keinem vergleichbaren Tauschsystem. Du könntest ja, was du schreibst, in Songs verwandeln und vielleicht Sängerin werden, dann würdest du mehr Geld verdienen.

GRAW: Da ich sehr gern singe, werde ich das mal ausprobieren und dir dann berichten, ob es geklappt hat! Mich hat fasziniert, was du gesagt hast: dass du sehr bewusst Schwarze Figuren produzierst, die auf einem Markt zirkulieren sollen, der weitgehend von weißen Sammler*innen beherrscht wird. Kannst du genauer schildern, wie du die Bilder für diese Zirkulation wappnest?

MARSHALL: Die Figuren, die ich male, sind allesamt konstruiert. Sie sind fabrizierte Ideale. Ich stelle niemanden an, der posieren soll, während ich sie Schwarz male. Ich mache Figuren, die ich auf Bildern sehen will. Neulich habe ich jemandem gesagt, dass ich Figuren male, die Schwarz geboren wurden. Ich verändere niemandes Hautfarbe, damit er oder sie meinen Vorstellungen entspricht. Ich will, dass ihre Anwesenheit in den Bildern auf eine bestimmte Weise wirkt. Es gibt noch einiges mehr, das ich ebenso wenig male wie Darstellungen abjekter Bedingungen und traumatisierte Figuren: Ich versuche zu vermeiden, dass meine Figuren zu Ornamenten, zu dekorativen Gegenständen unter anderen dekorativen Gegenständen werden. Ich versuche sicherzustellen, dass meine Charaktere selbstbeherrscht wirken, dass sie ihre eigene Psyche haben, die nicht von der Projektion der Betrachter*in abhängt. Ich male keine Zombies. Die Figuren sind keine Chiffren. Wenn sie für etwas Größeres stehen, dann für die Tatsache des Schwarzseins. Und doch unterscheiden sie sich alle voneinander.

GRAW: Sie verfügen über eine gewisse Selbstreflexivität.

MARSHALL: Ja. Es geht für sie immer darum, dass sie in einem Bild sind. Wenn man auf einem Bild Schwarzen Figuren begegnet, sollte man sich fragen, was sie dort tun. Ich richte diese Frage immer wieder an meine Bilder: Warum sind sie zur Betrachtung verfügbar? Sind sie sich ihrer selbst bewusst?

GRAW: Sie sind sich der Tatsache bewusst, dass sie auf einer Bühne stehen.

MARSHALL: Genau. Das ist sehr wichtig. Und es ist nicht nur das Bewusstsein, auf einer Bühne zu stehen. Ihre Blicke sind oft auf eine Stelle außerhalb des Bildes gerichtet, auf ihre eigene, private Involviertheit.

Übersetzung: Clemens Krümmel

Anmerkungen

[1]Zit. nach W. J. T. Mitchell, Das Leben der Bilder. Eine Theorie der visuellen Kultur, übers. von Achim Eschbach/Anna-Victoria Eschbach/Mark Halawa, [orig. 2005], München 2008, S. 92.