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BALLASTFREI Georg Imdahl über Niele Toroni in der Galerie Barbara Weiss, Berlin

„Niele Toroni“, Galerie Barbara Weiss, Berlin, 2024

„Niele Toroni“, Galerie Barbara Weiss, Berlin, 2024

Das gleiche Pinselmodel, immer im Abstand von 30 Zentimetern, drückt Niele Toroni seit Jahrzehnten auf seinen Malgrund: auf Leinwand, einfach auf die Wand oder auf Zeitungen. Warum sich eine Betrachtung dieser Arbeiten immer wieder lohnt, zeigt Georg Imdahl in seiner Rezension. Hierin verortet er die Position des mit minimalen Mitteln produzierenden Malers nicht nur in der Kunstgeschichte, sondern auch im gegenwärtigen Berliner Ausstellungsmoment. Durch den Vergleich mit einer andernorts in der Stadt präsentierten Position gewinnen die in der Galerie Barbara Weiss gezeigten Arbeiten an Spezifik.

Wer im INDEX Berlin eine interessante Ausstellung sucht, auf eine von Niele Toroni stößt und sich dann sagt: Die möchte ich sehen, muss ein spezielles Faible für Malerei haben. Toroni ist sich in seiner künstlerischen Praxis seit 1967 stoisch treu geblieben, alle seine Werke tragen seitdem denselben Titel: Abdrücke eines Pinsels Nr. 50, wiederholt in regelmäßigen Abständen von 30 cm. Er setzt seine Imprints konzentriert und knapp auf Wände, Fenster und Türen, versteht seine Praxis als ortsspezifisch, beflockt sozusagen Interieurs mit seinen Abdrücken. Nicht nur diese lässt der Künstler virtuell schweben, sondern mit ihnen auch den Raum und den gesamten Ort gleichsam auffliegen. Toroni malt auch auf Leinwand, produziert also konventionell Bilder, arrangiert sie aber in Form von Installationen und löst ihre Grenzen so wieder auf. Stets verwendet er für eine Arbeit eine einzige Farbe, reiht die Abdrücke in der gleichen seriellen Ordnung aneinander, sodass das Kontinuum von Figur und Grund pulsiert und atmet, wenn man so will. Toroni vergleicht seine Abdrücke denn auch selbst mit Atem und Herzschlag oder dem Fingerabdruck. [1] Seine Formationen figuriert er in den Umrissen als Band, Block oder Dreieck bzw. Pyramide (auch über Kopf), dann wiederum umrahmt er Türöffnungen, überspannt Wandecken, bildet rechte Winkel an der Wand oder hängt sie auch schon mal draußen im Außenraum wie an einer Wäscheleine auf. [2]

Die Einfachheit dieser betont reduktionistischen Setzungen erklärt sich auch aus einem essenzialistischen Geist der 1960er Jahre, der darauf abzielte, das Werk ohne heroisches Gewese auf seine basalen Elemente zurückzuführen, also von Narration und Anekdote freizuhalten, aber auch jegliche transzendente, metaphysische oder genialistische Überhöhung zu vermeiden. „Das Exerzitium der wahren, von allem historischen Bewertungs- und Rücksichtnahme-Ballast befreiten Malerei ist die Konstante, und so findet sie in jeder Arbeit ihr eigenes Wesen durch Rückführung auf ihr eigenes Wesen wieder“, [3] hat Harald Szeemann dazu – seinerseits in essenzialistischem Wesens-Wording – in einem Beitrag von 1991 festgestellt, den Toroni (nach Auskunft seiner Berliner Galerie) als seinen Lieblingstext empfiehlt.In seiner Malerei bleiben insgesamt nurmehr Restenergien von Autorschaft erhalten, die allerdings wichtig sind, denn ihm geht es programmatisch um Malerei und den Akt des Malens, nicht um Objektkunst, wie sie in den 1960ern favorisiert wurde, und er bewahrt in seinem konzeptuellen Ansatz eben auch deren intrinsisch-sinnliche Ausdrucksmöglichkeiten. Und schreibt mit jedem Abdruck, wenn auch maximal reduziert, seine Signatur ein, während er andere damit beauftragt, die Abstände der obligatorischen 30 cm auszumessen und die Positionen zu markieren, an denen die Farbe aufgetragen wird. So gleicht bis heute jeder Abdruck dem anderen zum Verwechseln, bleibt aber doch unterscheidbar wie jedes Blatt vom anderen in der Natur (ein Beispiel von Gottfried Wilhelm Leibniz). Es ist eben kein Siebdruck, mit dem Toroni arbeitet, sondern manuelle Setzung. Übrigens meint der Künstler die Arbeit an der Malerei buchstäblich und nennt „Arbeit/Malerei “ in einem Atemzug (versteht sie allerdings bestimmt nicht als entfremdete Arbeit).

In einer kurzen Phase um 1990 bemalte Toroni Zeitungen, zu begutachten in seiner Ausstellung in der Galerie Barbara Weiss. Offenbar wollte er damit demonstrieren, dass seine Malerei auf denkbar vielen Untergründen und Oberflächen visuell aktiv gemacht werden kann. Naheliegend, weil ebenfalls auf Zeitung gemalt, ist der Gedanke an Jasper Johns’ Flag, eines der ikonischsten Bilder im Ausgang der 1950er Jahre, oder an On Kawaras 1966 gestartete Endlosserie der Date Paintings, die Kawara in Kartons mit der jeweiligen Tageszeitung des Orts aufbewahrte. Toroni dreht die Zeitungen, ob deutsch, italienisch, japanisch, buchstäblich verstanden in die Abstraktion, indem er die Doppelseiten hochkant stellt. Seine auch hier ausschließlich vertikalen Pinselmarker arrangiert er darauf wie üblich wie die fünf Augen auf dem Würfel, rückt sie allerdings diskret aus dem Zentrum nach links und bricht damit die Symmetrie auf.

Niele Toroni, „Imprints of paintbrush No 50 repeated at regular intervals of 30 cm“, 1991

Niele Toroni, „Imprints of paintbrush No 50 repeated at regular intervals of 30 cm“, 1991

So oft man Toronis Abdrücke eines Pinsels Nr. 50, wiederholt in regelmäßigen Abständen von 30 cm auch hier, da und dort gesehen haben mag, ein erstes Staunen auch in der Ausstellung bei Barbara Weiss galt einmal mehr dem Eindruck: Ein ganzes Œuvre, über die Jahrzehnte hinweg, unbeirrt mit dem einen Abdruck des Pinsels zu bestreiten – das lebenslang durchzuziehen ist wahrlich konsequent. Und es kommt einem sehr singulär vor, selbst im Vergleich mit Toronis früherem Mitstreiter Daniel Buren und seinen Streifenformationen, die Buren dann mit der Zeit aber doch in unterschiedlichen Settings präsentierte.

Wenn alles im Haushalt der Mittel so sparsam ausgestaltet ist, so identisch wirkt, schaut man genauer hin. Warum findet sich unter diversen benachbarten Pinselabdrücken dieselbe waagerechte Linie? Auf die Antwort kämen wohl nur Maler*innen. Ein Video auf YouTube zeigt, wie Toroni den Pinsel stets erst mit der einen, dann mit der anderen Seite auf der Fläche abdrückt und sich dabei die metallene Halterung der Borsten als Linie abzeichnet. Natürlich spekuliert man auf mögliche Kontexte zwischen Malerei und Zeitungsartikeln aus den Sparten Sport, Wirtschaft, Politik, findet aber (wenig überraschend) keine. Es ist auch nicht wirklich vielversprechend, in jeder Zeitungsarbeit aufs Neue einen visuellen Mehrwert entdecken zu wollen.

Als ich die Ausstellung schon längst wieder verlassen hatte, begannen die Zeitungsbilder im Kopf zu arbeiten. Reihten sich in eine lange, antipathetische Tradition ein, die bis ins 19. Jahrhundert zu Georges Seurat und Paul Signac zurückreicht, und ihr sozusagen strukturalistisches Verständnis von Malerei, in der jeder malerischen Setzung derselbe Stellenwert zukommt – was zu Paul Cézannes Taches führen könnte. Toronis Abdrücke wären dann eine denkbar luftige Variante davon. Sie triggern auch Erinnerungen an Roy Lichtensteins Benday Dots (die allerdings tatsächlich mit Siebdruck aufgetragen sind), ließen an den wiederum, jedenfalls teilweise, strukturalistischen Bildaufbau und Bildbegriff von Robert Ryman denken oder an die frühen Exerzitien eines David Reed.

Schließlich ist da auch noch Lee Ufan, der zufällig zur gleichen Zeit eine Retrospektive im Hamburger Bahnhof hatte. Auch Ufans Pinselprints in Bildern um 1980 (From Point, From Line) sind manuell einfach, mechanisch; sie machen sichtbar, wie die Farbe auf dem Pinsel mit jedem Abdruck weniger wird, nachlässt und die Spuren auf der Leinwand kontinuierlich verblassen, woraus sich ein ungemein attraktives Sfumato ergibt, das an Naturlicht, manchmal auch an eine diesige Landschaft denken lässt, aber auch den Verlauf von Zeit visualisiert. Dabei liegt dem Œuvre Ufans fraglos ein ganz anderes, philosophisch geschultes Mindset zugrunde als jenem Toronis, es umfasst übrigens auch Skulptur und legitimiert sich in einer Reihe essayistischer Reflexionen. [4]

In Ufans Ausstellung, als ich mich fragte, welchem der beiden Konzepte ich eigentlich den Vorzug geben wollte, der kompromisslosen Matrix Toronis oder der malerischen Meditation Ufans, wurde mir klar: Es gibt keinen Grund, die beiden Positionen in Konkurrenz zu bringen. War wohl eher eine typische Kritikerfrage, in diesem Fall Szeemann’scher Bewertungsballast. [5]

„Niele Toroni“, Galerie Barbara Weiss, Berlin, 27. Januar bis 3. März 2024.

Georg Imdahl ist freier Kunstkritiker in Düsseldorf und Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Münster.

Image credit: Courtesy of Niele Toroni and Galerie Barbara Weiss, Berlin

Anmerkungen

[1]Siehe Francesca Pola/Niele Toroni, „Atmen Gehen Malen“, in: Eva Schmidt (Hg.), Niele Toroni, 13. Rubenspreis der Stadt Siegen, Köln 2017, S. 48–52, hier: S. 50 und 52.
[2]„Der Pinselabdruck, den ich ausführe, indem ich in festen Abständen den Pinsel zweimal aufdrücke, wobei ich einen Abdruck auf den anderen setze, war meine Art einer Formalisierung dieses Anspruchs, aus dem Bild herauszugehen, um eine Malerei ohne Begrenzungen zu erschaffen“, so Toroni in: Schmidt 2017, S. 48.
[3]Harald Szeemann, „Ohne Titel“, zit. nach: Schmidt 2017, S. 22.
[4]Siehe dazu Lee Ufan, Ausst.-Kat., hg. von Sam Bardaouil/Till Fellrath, Hamburger Bahnhof, Berlin, 2024.
[5]Dank an die Redaktion für die Anfrage, die Ausstellung von Niele Toroni zu besprechen.