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VORWORT

Der Titel dieser Ausgabe – „Country“ – ist dezidiert zweideutig: Beackert werden zum einen spezifische Vorstellungen und kulturhistorische Implikationen des ländlichen Lebens, die mit der andauernden Stadtflucht Berliner Kulturschaffender in enger Verbindung stehen. Zum anderen thematisieren die Beiträge die politische Lage im eigenen Land: Das Heft entstand unter dem Eindruck der bevorstehenden Landtagswahlen, bei denen die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) in Brandenburg, Thüringen und Sachsen stärkste Kraft zu werden droht. Obgleich der stetig wachsende Zuspruch rechter und rechtsextremer Positionen vielerorts zu beobachten ist, erlaubt die Fokussierung auf unseren eigenen Standort in Deutschland einen schlaglichtartigen Ansatz, in dem einzelne Fälle und kulturpolitische Auswirkungen in den Blick genommen werden können.

Vor diesem Hintergrund soll der Titel keineswegs suggerieren, dass hier die Großstadt als Bastion gegen rechtes Gedankengut ins Feld geführt wird. Vielmehr ist es das Anliegen dieser Ausgabe, auf die historisch gewachsene Beziehung zwischen Landleben und rechter Propaganda zu verweisen. Entsprechend lässt sich immer wieder feststellen, dass rechte Akteur*innen die angeblich reine, unkompromittierte ländliche Kultur im Sinne völkischer Rhetoriken gegen den vermeintlich woken Kulturimperialismus der Großstädte ausspielen. Im Fokus dieses Heftes stehen aber nicht nur die ideologische Instrumentalisierung und Verklärung gemeinhin als ländlich verstandener Regionen, sondern ebenso die Funktion der countryside als Sehnsuchtsort.

In seinem Porträt über das Theaterhaus Jena skizziert Peter Laudenbach, wie Kultureinrichtungen in städtischen Strukturen von rechts außen unter Druck geraten – und sich dennoch Freiräume erhalten, indem sie konservativen Ideen von institutioneller Organisation ein kollektives Modell mit flachen Hierarchien entgegensetzen. Dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Museen, Theater, Kunstvereine und Erinnerungsstätten auch von gemäßigteren politischen Gruppierungen instrumentalisiert werden, zeigt der Fall von Sophia Süßmilch auf, deren Ausstellung jüngst im Fokus einer Boykottkampagne der Osnabrücker CDU stand. Im Gespräch mit Antonia Kölbl macht die Künstlerin nicht zuletzt die misogynen Züge dieses Angriffs auf die Kunstfreiheit deutlich.

Der Vereinnahmung der vermeintlichen Idylle ländlicher Regionen durch sozialkonservative oder rechte Kräfte stehen die Kulturschaffenden entgegen, die – nicht erst seit den Pandemiejahren und aufgrund stetig steigender Mieten in den Städten – aufs Land gezogen sind oder die Gebiete außerhalb städtischer Ballungszentren temporär als Freiräume für alternative Gesellschaftsentwürfe nutzen. Beobachten lässt sich zum einen, dass die Stadtflucht gelegentlich mit der Verklärung ländlicher Realität und einer ausbleibenden Reflexion eigener Privilegien einhergeht. Andererseits nehmen Initiativen wie Musik- und Kulturfestivals oder auch Artist Residencies für sich in Anspruch, soziokulturelle Infrastrukturen auf dem Land zu stärken und wirtschaftlich schwache Regionen aufzuwerten. So auch das 2008 ins Leben gerufene UM Festival, das im Zweijahresrhythmus zeitgenössische Künstler*innen in die Uckermark einlädt. Zu seinen Mitbegründer*innen gehört die Berliner Musikerin Gudrun Gut. Guts Landleben steht im Zentrum der nach ihr benannten Miniserie, deren Selbstverständnis als „Anti-Doku“ Anna Sinofzik im Kontext von konventionellen Naturdokus, Dokuporträts und (sub-)kulturgeschichtlichen Narrativen der ruralen Region kritisch beleuchtet.

Als Marke etabliert, verspricht die Uckermark, wie Claudia Stockinger argumentiert, seit der Jahrtausendwende explizit Zugezogenen ein „gutes“ Leben und ist so längst zum beliebten (Zweit-)Wohnsitz für viele Berliner Künstler*innen, Akademiker*innen, Kulturunternehmer*innen und TZK-Beiratsmitglieder geworden – auch Christian Boros, Coverboy dieser Ausgabe, hat hier einen alten Vierkanthof samt Hühnern erworben und ihn von Ólafur Elíasson umgestalten lassen. Während die Uckermark im Sinne eines bereits in den 1990er Jahren etablierten Stadt-Land-Narrativs zum Gegenbild von Berlin in Stellung gebracht wird, verfälschen die damit eingehenden Wunschvorstellungen Stockinger zufolge mitunter den Blick auf die Gegebenheiten vor Ort.

Auch die deutsche Kunstgeschichte hat ihre Vorannahmen auf das Ländliche projiziert: Die Idealisierung des Ländlichen zieht sich wie ein roter Faden durch die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, angefangen von der romantischen Malerei über deren Rezeption im Nationalsozialismus bis hin zum sozialistischen Realismus der Deutschen Demokratischen Republik. Gleichzeitig, so legt Eckhard Gillen dar, nutzten in der DDR Maler*innen wie Wolfgang Mattheuer die oberflächlich als unpolitisch betrachtete Landschaftsmalerei als Möglichkeit zur (verdeckten) Systemkritik. Die offensichtliche politische Vereinnahmung der Landschaftsmalerei kommt hingegen bei Tom Holert zur Sprache, der sich – ausgehend von der Instrumentalisierung Caspar David Friedrichs im Sinne völkischer Rassenideologien – mit verschiedenen Methoden beschäftigt, anhand derer im NS eine bruchlose und indigenisierende Beziehung zwischen „den Deutschen“ und „ihrer“ Landschaft historisch behauptet und durchgesetzt wurde.

Zentral für eine solche faschistische Besetzung der Landschaft ist laut Eva von Redecker die verdinglichende Transformation von Natur zu einer völkischen Konzeption von Eigentum. Dieser Imagination stellt sie den im Zweiten Weltkrieg entstandenen Bilderzyklus Triebkräfte der Erde von Fritz Winter entgegen. Als „antifaschistische Abstraktion“, wie von Redecker den Zyklus nennt, konterkarieren Winters Naturdarstellungen die Idee autoritärer Verdinglichung, da sie Dynamiken darstellen und den Menschen – im Gegensatz zu jenen in Friedrichs Gemälden – als wesentlichen Teil der Natur begreifen.

Wenn die politischen Bedrohungen so groß sind wie aktuell, erlauben Schlaglichter auf kleinere kulturelle Felder abseits der viel beleuchteten Schauplätze, sowohl gesellschaftliche Gefahren als auch Potenziale klarer zu sehen. In diesem Sinne wirken die Beiträge der Ausgabe, die sich einzelnen Akteur*innen und spezifischen Themen, Topoi und Terrains widmen, nicht nur einer Tendenz der Generalisierung entgegen, sondern demonstrieren auch konkrete Handlungsspielräume – im sowie auf dem Land.

Isabelle Graw, Antonia Kölbl, Christian Liclair und Anna Sinofzik