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Anna Sinofzik

LIVING THE „GUT“ LIFE Die Uckermark als ländliches Setting der Serie „GUT“

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Als vor etwa zehn Jahren Gudrun Guts zweites Soloalbum „Wildlife“ erschien, betonte sie in einer Berliner Tageszeitung die Bedeutung von ländlichen Freiräumen für ihre musikalische Arbeit. Dass Guts uckermärkische Wahlheimat sowie andere Regionen im Berliner Umland Großstädter*innen schon seit geraumer Zeit ein Experimentierfeld für gesellschaftliche Lebensformen jenseits kapitalistischer Verwertungslogik versprechen, legt Anna Sinofzik in ihrem Beitrag dar. In dessen Zentrum steht eine aktuelle Dokureihe über Guts (mehr oder weniger) wildes Leben in der Uckermark, die Sinofzik unter medientheoretischen Gesichtspunkten und vor dem Hintergrund (sub-)kultureller Narrative untersucht.

Auf dem Land gibt es mehr Mücken als in der Stadt, und auch die Gründungsmitglieder von Malaria!, die mittlerweile lieber unter dem Namen der Überträgerinnen dieser Tropenkrankheit auftreten, haben längst Stadtflucht begangen. Bettina Köster lebt im Süden Italiens, Gudrun Gut pendelt wie viele Kreative und Kulturschaffende zwischen Berlin und Uckermark. Mit ihrem Partner Thomas Fehlmann (ehemals Palais Schaumburg) hat sie in den späten Nullerjahren das Gut Sternhagen in Seenähe erworben und umfangreich sanieren lassen. Letztes Jahr wurde hier die erste Staffel der Miniserie GUT gedreht, die die „Grande Dame des Berliner Undergrounds“ (Deutschlandfunk, taz, Groove) als liebenswert-rebellischen Alien in idyllisch-ländlichem Setting porträtiert.

In drei kurzen Episoden sehen wir Gut bei der Gartenarbeit, beim Schaukeln im seichten Abendlicht, beim Basteln im hauseigenen Studio, beim Small Talk mit Bewohner*innen der nächstgelegenen Nachbardörfer, beim Barbecue mit Besuch aus Berlin. Und immer wieder beim Waten durch Wiesenhaine, hohe Gräser und ganze Maisfelder, die man in der Postproduktion für manche Szene pink eingefärbt hat und die wankend-traumwandlerischen Schrittes von Gut durchkämmt werden wie vermutlich einst der Dschungel in der Nürnberger Straße

Anstelle einer klassischen Dramaturgie setzt GUT auf Mittel des poetischen Dokumentarfilms, auf Farbe, Stimmung, Sound, visuelle Effekte und Techniken wie Crossfades oder Vignetten, die typisch für Traumsequenzen sind. Denn um Träume soll es in der Serie ebenso gehen wie um Musik, den Alltag und das Leben. Das verspricht nicht nur die Tagline, [1] sondern auch Gut selbst, als sie zu Beginn der ersten Episode den selbstreflexiven Modus der Reihe vorwegnimmt, über ein Moodboard gebeugt das Konzept kontemplierend. „Was meinst du, wird das ne gute Serie?“, fragt sie die schwarze Katze, eine wiederkehrende Komparsin der Reihe, die schnurrend über am Boden ausgelegte Zettel mit Skizzen und Schlüsselwörtern steigt. Dann erklingt Malaria!s Hit „Kaltes Klares Wasser“. Gut holt sich ein kaltes Bier.

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Immer wieder wird im Folgenden die Produktionssituation thematisiert, Guts Rolle, [2] die Wahl ihres Outfits (Latzhose), das mögliche Sequel. Die vierte Wand, die in Dokus ohnehin meist durchlässig ist, durchbricht die Protagonistin kontinuierlich, um ihr Publikum und Produktionsteam direkt anzusprechen. So macht sie die kollektive Arbeit am Projekt GUT zum Thema und schafft ein Framing, das – passend zu ihrer musikalischen Praxis – Aspekte autonomer Produktion unterstreicht und die Serie alternativ zu marktorientierten Formaten positioniert.

Die Grundidee sei die einer Anti-Doku gewesen, erklärt Gut gegen Ende der ersten Episode, damit habe Heiko Lange –Regisseur der Reihe, der bereits am Essayfilm B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989 (2015) mitwirkte, in dem Gut neben anderen Akteur*innen der Berliner Szene auftrat – sie letztlich „gekriegt“. Wer jedoch erwartet, dass diese Serie sich den Konventionen ihres Genres vehement widersetzt, dürfte enttäuscht sein. Anders als avantgardistische Anti-Filme ist GUT extrem kurzweilig und unterhaltsam. Zudem ist ein Großteil der Einstellungen und Bilder aus diversen Doku-Genres bestens bekannt: Drohnenaufnahmen und Panoramen der idyllischen Landschaft wechseln sich ab mit Close-ups von Tieren und Pflanzen, szenischen Long Takes samt Lens Flares mit Talking Heads (vorrangig Guts eigenem) und Halbtotalen vor Themen untermalenden Hintergründen (Garten, Studio, die geräumige Diele des Anwesens, seine Küche). Eine frühe Szene, in der Gut die Kameradrohne lange genug rasant um sich selbst kreisen lässt, um sie über wildem Seegras zum Absturz zu bringen, bricht das Muster als Sinnbild jener Attitüde, die auch auf der Textebene immer wieder zum Ausdruck kommt: Angst hat Gudrun Gut keine. Weder davor, Fehler zu machen, noch vor dem Altern oder dem Tod.

Während klassische Naturdokus – so auch die frühen Kulturfilme der Ufa, die vor gut 100 Jahren vorwiegend im ländlichen Brandenburg gedreht wurden – zum Beispiel von den Strapazen im Leben eines Hirschkäfers erzählen, [3] sehen wir Gut in ihrem temporären Habitat einem vergleichsweise mühelosen Tagesablauf nachgehen. Abgesehen von einigen Abstechern in ihre Berliner Vergangenheit, die ab und an auch in den Gesprächen und Monologen der Serie vorkommen, scheint sie hier völlig im Jetzt zu leben. Unterstrichen wird dies vom Motiv des Schaukelns, in dem neben der Leichtigkeit des vermeintlichen Fliegens seit Effi Briest der Generalverdacht des Leichtsinns mitschwingt.

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Während Guts Lässigkeit auf dem Bildschirm wohltuend rüberkommt, hätte der Redaktion der Website, die sie und Fehlmann für Feriengäst*innen des Guts Sternhagen eingerichtet haben, etwas mehr Gewissenhaftigkeit gutgetan. Um die „eklektische“ Historie des idyllischen Landsitzes für die entsprechende Unterseite zusammenzufassen, wurden die weiten Felder der Geschichte bestenfalls leichtfertig beackert. Konnte das Gut ausgerechnet im Besitz von Ludwig Klitzsch und nach dessen Berufung zum Generaldirektor der Ufa 1927 tatsächlich „weltoffener“ werden? Lässt sich das Aus- und Eingehen von Ufa-Stars wie Zarah Leander guten Gewissens zu Werbe­zwecken hervorheben, ohne die „illustre Filmprominenz“ und damalige kulturpolitische Entwicklung historisch kurz einzuordnen? [4] Was ihre Rolle(n) im Nationalsozialismus betrifft, mag Leander nach biografischen Revisionen und Hommagen wie Nina Hagens Coverversion von „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ landläufig als rehabilitiert gelten. Von der Kultur der 1930er Jahre so unvermittelt zum eigenen kulturellen Engagement in der Uckermark überzuleiten, wie Gut und Fehlmann es auf der Website tun, wirkt dennoch unglücklich und unüberlegt. Doch zurück zur Serie GUT: Abgesehen von der Anschaulichkeit mancher Einstellung unterscheidet die sich so grundlegend von Kulturfilmen der Ufa wie ihre Protagonistin von einem Hirschkäfer.

Der Vergleich mit dem bemerkenswerten Vorbild, das Lange für GUT ursprünglich im Blick hatte, hinkt weniger – gibt dann aber doch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu erkennen: Der Regisseur bezog sich zunächst auf die Serie Fishing with John (1991), in der der Musiker und Schauspieler John Lurie (The Lounge Lizards, Down by Law, Stranger than Paradise) mit einer Handvoll berühmter Kollegen (einem pro Folge) fischen geht, begleitet von einem klassischen Off-Kommentar und einer wackeligen Handkamera. [5] Ob infolge von Guts Input oder Anforderungen des Senders – das Ergebnis hat sich offenbar recht weit von der Referenz entfernt, auch hat es wenig Ähnlichkeit mit Langes früheren Produktionen; es ist also weder home- noch B-­moviesque. Statt verwackelter Kameraeinstellungen gibt es szenische Shots und effektvoll übersteuerte Farben, statt der schlechten Tonqualität in die Jahre gekommener Außenaufnahmen einen perfekt produzierten Soundtrack, der neben einem neuen Edit der Single „Garten“ experimentelle Stücke wie „Freischneider“ beinhaltet, die auf dem Lärm des Landlebens bzw. titelgebenden Gartengerätes basieren.

Zoomt man gedanklich aus den Einzelheiten zum Gesamtbild der Serie, wird ein Wechselspiel zwischen downkeying und upkeying erkennbar, zwischen einer Bewegung, die (in loser Anlehnung an Erving Goffman) hin zur Realität führt und einer, die sich dezidiert vom realen Ereignis entfernt. Zum einen ist da die präsent gemachte Produktionssituation, die ab und an ins Performative abdriftet und doch Authentizität suggeriert. Zum anderen sind da betont artifizielle Szenen, technische Spielereien und kalkulierte glitches, die alle Natürlichkeit brechen und in ihrer Absurdität doch konsequent sind. Wenn sich die Landstraße auf wundersame Weise um eine Art Erdkugel legt (sphere mapping macht’s möglich) oder Gut und Fehlmann bei Mondschein im Zweierkanu auf dem See treiben, der in eine nicht ganz eindeutig definierbare Süßspeise mutiert, dann ist das zunächst überraschend. Zuschauer*innen, die mit der Musik der beiden vertraut sind, dürfte die dadaeske Störung des Programms dennoch programmatisch und stimmig erscheinen.

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Heiko Lange with Gudrun Gut, “GUT,” 2023

Was Fishing with John und GUT tatsächlich teilen, sind die mäandernden Gespräche – im ersten Fall exzentrisch-existenzielle Dialoge unter männlichen „Entdeckern“, im zweiten zumeist Monologe, die zwar keinesfalls frei sind von Floskeln („Nur die Harten kommen in den Garten.“ „Ich habe nie mit dem Mainstream geflirtet.“) und manchmal zu gefällig dahinplätschern, aber doch erfrischend ehrlich rüberkommen. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden grundverschiedenen Serien: Ihre urbanen, in die Natur verpflanzten Protagonist*innen insistieren zwar, sich in letzterer zu Hause zu fühlen, um dann doch wie Fische auf dem Trockenen zu wirken. Wen wundert’s, dass Gut am Drumcomputer eher in ihrem Element ist als beim Angeln von Regenbogenforellen? (Ja, einmal geht’s auch mit Gudrun zum Fischen.) Das Erwartbare wird in GUT ebenso kultiviert wie das Faszinosum der nahe liegenden Fremde.

De facto sind Gut und Fehlmann in der Umgebung bestens bekannt und vernetzt. Unter anderem gehören sie zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Freunde der Uckermark e.V., der seit 2007 als Förderverein für das UM Festival fungiert, dessen Musikprogramm Gut kuratiert. Hauptorganisator ist Dimitri Hegemann, Gründer des Berliner Technoclubs Tresor. Weder Verein noch Festival werden in GUT direkt erwähnt, sind als Subtext jedoch ebenso implizit wie die Anziehungskraft der Uckermark auf zahlreiche Berliner*innen. [6] So finden sich einige Ideen und Ideale, die zu den staples des „Gute-Leben-Skripts der Uckermark“ zählen, [7] in der auch in dieser Hinsicht trefflich betitelten Serie wieder: Neben der Natur selbst als Lieferantin von Energie und Lebensmitteln ist der Genuss ein wiederkehrendes Thema – sei es in Form eines entschleunigten Alltags oder einfachen, regional erzeugten Essens. (Die dritte und letzte Episode verbindet beides unter dem Titel „Sauerteig“.)

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Akteur*innen der Musikszene wie Gut und Fehlmann zu den Impulsgeber*innen gehören, die das Image der Uckermark für zahlreiche Städt­er*innen positiv prägen, und das Phänomen, das qua Guts Lebensentwurf indirekt Inhalt der Serie ist, lässt sich kaum losgelöst von (sub-)kulturgeschichtlichen Narrativen betrachten. „Auch wenn Stadt und Natur in der Tradition von Subkulturen dichotomische Projektionsräume darstellen, […] ist das hippieske Hinausschwärmen in die Natur nur konsequent“, schreibt Anja Schwanhäußer 2010 in ihrer Ethnografie der Berliner Techno­szene. Teile ihrer Beobachtungen gelten für Guts Generation, die im Westberlin der Vorwendejahre mit Electropunk, Industrial, Noise und bildender Kunst experimentierte, gleichermaßen: „Tendenzen, die schon in den kulturellen Praxen innerhalb des städtischen Raums angelegt und in den Stil der Szene eingeschrieben waren“ – ­Schwanhäußer nennt die Transformation von Brachen zu temporären locations, die Aufwertung sinnlicher Aspekte (Speisen, Getränke, Drogen etc.) sowie die Sehnsucht nach gesellschaftlichen Lebensformen jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik –, „finden in der Natur eine Projektionsfläche und einen konkreten Ort.“ [8] Bevor es das UM Festival gab, haben Angehörige urbaner Subkulturen auf Events wie der Fusion ländliche Freiräume und linke Utopien gefeiert.

Mara von Kummer, Gudrun Gut in her studio, 2023

Mara von Kummer, Gudrun Gut in her studio, 2023

Was in GUT ebenso vorherrscht wie beim Feiern, ist eine Haltung der Zerstreuung, die sich manch ungeschriebener Regel eines Fernsehens widersetzt, dessen Produktionen kaum ohne Pointe, Moral oder Payoff auskommen. Obschon diese Zerstreuung mitunter etwas elitär und eskapistisch erscheint, lässt sie sich doch als Gegenentwurf lesen, der über die Dichotomie von Gemeinschaft und Gesellschaft, von Zentrum und Peripherie hinausweisen und damit ein wenig am medial gehegten Klischee der Provinz als Bastion von Regression und populistischem Ressentiment kratzen kann, ohne es darauf anzulegen oder die Realität zu verkennen. Wenn Gut beim Smalltalk an Gartenzaun oder Fleischtheke ebenso fremdelt wie manch alteingesessene*r Uckermärker*in gewiss gleichfalls mit ihr, wird das weder inhaltlich aufgegriffen noch kaschiert. So harmonisch die Welt auf Gut Sternhagen auch aussieht: Statt ein Trugbild gesellschaftlichen Einklangs zu zeichnen, macht Gut keinen Hehl aus persönlichen Privilegien.

Zwar kommt die Serie kaum umhin, ihre Protagonistin nicht nur als Menschen, sondern auch ein bisschen als Marke zu porträtieren. Dass Gut letztere von Beginn in Eigenregie und mit unabhängigem Label aufgebaut hat, wird dabei zu Recht hervorgehoben, ebenso wie ihr Engagement für die Szene und speziell deren Akteurinnen. Wenn sie in der zweiten Episode mit den Bandkolleginnen von Malaria! beziehungsweise den Mücken ihre Karriere reflektiert oder in Folge drei Besuch von Musikerinnen ihres Kollektivs Monika Werkstatt bekommt, das die Sichtbarkeit von Frauen in der Musikindustrie fördern möchte, wird klar, dass das Setting eigentlich zweitranging ist. Glaubt man den Lyrics des Tracks „Garten“, wohnt dieser ohnehin in Gut selbst.

Anna Sinofzik ist Autorin und Senior Editor bei TEXTE ZUR KUNST.

Image credits: 1.-4. Courtesy of Gudrun Gut and Heiko Lange; 5. Photo Mara von Kummer

Anmerkungen

[1]Zusätzlich zum Titel wird sie zu Beginn jeder Folge eingeblendet: „Musik Alltag Traum Leben“.
[2]Sie spricht von sich selbst zunächst als Regisseurin, wird im Abspann jedoch als Creative Director geführt.
[3]Vgl. Der Hirschkäfer (1921) von Ulrich K. T. Schulz, als früher Kulturfilm der Ufa ebenfalls in Brandenburg gedreht.
[4]https://www.sternhagengut.de/geschichte.php.
[5]Boris Kurse, „Doku über Gudrun Gut: Avantgarde und Brotbacken in Potzlow – Miniserie über Musikerin“, in: Märkische Oderzeitung, 5. März 2024.
[6]Der Distanz Verlag hat ihnen einen Porträtband gewidmet, auch Gut und Fehlmann sind darin vertreten. (­Jonathan Teklu, York Christoph Riccius, Alard Von Kittlitz, „Uckermark Porträts,“ Berlin: 2021).
[7]Claudia Stockinger, „Ende eines Traums?“, in diesem Heft, S. 83–93.
[8]Anja Schwanhäußer, Kosmonauten des Underground. Ethnografie einer Berliner Szene, Frankfurt/M. 2010, S. 205.