Cookie Warnung
Für statistische Zwecke und um bestmögliche Funktionalität zu bieten, speichert diese Website Cookies auf Ihrem Gerät. Das Speichern von Cookies kann in den Browser-Einstellungen deaktiviert werden. Wenn Sie die Website weiter nutzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Akzeptieren

182

FEED NO SPEED Stefanie Diekmann über Nina Könnemann im Haus am Waldsee, Berlin

Nina Könnemann, „BLOCKEN Frankfurt, ­Marathon en direct“, 2023

Nina Könnemann, „BLOCKEN Frankfurt, ­Marathon en direct“, 2023

Während die intendierte Sendeverzögerung von Liveübertragungen im US-Fernsehen einen Abbruch bei unvorhersehbaren Ereignissen ermöglicht, wurde bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 auf Echtzeit verzichtet, um ein pannen­freies und der Selbstinszenierung der russischen Regierung zuträgliches Spektakel in die Welt senden zu können. Bei den Videoarbeiten aus Nina Könnemanns Serie „BLOCKEN“ wird das Zeitfenster der Sendeverzögerung zwischen den als Livestream verarbeiteten Bildern und ihrer Wiedergabe im Ausstellungsraum zur Blackbox eines komplexen Kompositionsprozesses. Letzteren beleuchtet Stefanie Diekmann in ihrer Rezension von Könnemanns jüngster Schau mit Fokus auf medien- und produktionsästhetische Aspekte. Dabei setzt sie die Reihe in Beziehung zum Frühen Kino sowie zu den skulpturalen Objekten, die den zweiten Teil der Ausstellung bilden.

Im Jargon der Filmpraxis bezeichnet „Blocking“ die Festlegung der Konstellationen und Bewegungen von Figuren und Objekten innerhalb eines Sichtfelds. Wer, was, wann, wo, auf welcher Position, aus welcher Richtung und in welchem Abstand gefilmt wird: Blocking ist ein essenziell choreografisches Verfahren und Ausdruck eines Denkens, in dem das bewegte Bild zuallererst als Ort der Mise en Scène begriffen wird und eher sekundär als Schauplatz der Narration.

Nina Könnemanns Videos aus der Serie BLOCKEN (2023–25), die gerade in den verdunkelten Erdgeschossräumen im Haus am Waldsee gezeigt werden, erinnern an dieses ­Verfahren, modifizieren das Konzept der planvollen Anordnung jedoch in mehr als einer Hinsicht. Zum einen, weil die Positionen und Bewegungsabläufe vor der Kamera nicht in Skripten und Protokollen festgelegt sind, sondern ungesteuert im öffentlichen Raum erfolgen und erst durch die Positionierung der Kamera und das Framing eine formale Fassung erhalten. Zum anderen, weil das Prinzip der choreografischen Anordnung nicht nur Bewegungen im Bild und den Bildausschnitt, sondern auch die Bilddaten der Übertragung erfasst, wenn in jedem der ausgestellten Videos drei Livestreams gemischt und in ein hybrides Kompositbild übersetzt werden. Die eingespeisten Aufnahmen entstammen verschiedenen Kameraperspektiven und Standorten, zum Beispiel einer olympischen Kanustrecke bei Augsburg in BLOCKEN It’s not a stream (2024), der Skiregion Oberstdorf in BLOCKEN Garaging (2025) oder der Frankfurter Innenstadt am Tag des jährlich stattfindenden Marathons in BLOCKEN Frankfurt Marathon en direct (2023). Welche Ausschnitte in welchem Umfang übertragen werden, entscheiden indes weder die Künstlerin noch eine Editorin, sondern die Software „Lightning“, und zwar abhängig vom Grad der Lichtintensität, der durch die Personen an den Kameras während der Aufzeichnung durch das manuelle „Blocken“ der Linse beeinflusst wird.

Nina Könnemann, „BLOCKEN Garaging“, 2025

Nina Könnemann, „BLOCKEN Garaging“, 2025

Die Videos der Serie sind Dokumente dieses Prozesses. Abfolgen gemischter, gespleißter Bewegtbilder, die sich auf dem Screen drängen, teils im Modus der Interferenz, meist aber in jenem der Kopräsenz von Orten, Perspektiven, Personen, was ihre Betrachtung zu einer ziemlich schwindelerregenden Erfahrung macht. Insbesondere BLOCKEN Frankfurt Marathon en direct oder auch BLOCKEN Finals (2025), dessen Feeds von drei öffentlichen Orten am Rande von Veranstaltungen in Berlin und Cannes eingespeist werden, unterhalten darüber hinaus eine intensive Beziehung zu den Arbeiten des Frühen Kinos: lange Einstellungen, kaum Perspektivwechsel, die Bewegung erfolgt vor allem vor der Kamera in Form eines Gewimmels oder beständigen Kommens und Gehens, das auch in den Filmen der Brüder Lumière (besonders einschlägig in: La Sortie d’usine oder Le débarquement du Congrès, beide 1895), der Edison Company und anderer Filme­macher um 1900 die zentrale Handlung ist.

Was sich in Könnemanns Videos der Serie BLOCKEN figuriert, ist jedoch vor allem die verhal­tene und die erratische Bewegung. Frankfurt Marathon und Finals sind, ebenso wie Garaging, dezidiert außerhalb oder am Rande der ­medienwirksamen Rennen, Abfahrten, Aufholjagden oder der ­koordinierten Auftritte situiert, auf die die Künstlerin mit ihren Titeln und der Wahl ihrer Locations Bezug nimmt. Anstatt der Massener­eignisse, die bereits das Frühe Kino faszinierten und heute in den Liveübertragungen von Sport- und Medienereignissen gefeatured werden, zeigen sie deren Peripherie. Im Blickfeld liegen nicht das Spielfeld oder das Podium, sondern Orte, die bei anderen Aufzeichnungen im Off bleiben: Vorplätze, Wege, Übergänge und Zonen, in denen nichts Aufsehenerregendes passiert und wo die Bewegung teils sehr langsam abläuft, wie in der Warteschlange, die sich im dritten Feed der Arbeit Finals dem Imbiss Mustafas Gemüsekebab entgegenschiebt, einer beliebten Destination nach Kino-, Konzert-, oder Partyabenden auf dem Berliner Mehringdamm. Die beiden anderen Feeds zeigen derweil Wartende und Schaulustige vor dem Palais des Festivals et des Congrès in Cannes sowie Gruppen von Fußballfans auf dem Weg von der U-Bahn zum DFB-Pokalspiel im Berliner Olympiastadion: Kopräsenzen und parallele Abläufe, die auf dem Screen zu einem unwahrscheinlichen Tableau zusammengeführt werden.

Dem Topos der Peripherie – im Off, im Vorfeld, außen vor etc. – entsprechen im temporalen Register die Vor- und Nachzeit. BLOCKEN Finals zeigt in einem Feed den Ausklang des Filmfestivals, im zweiten die Wartezeit vor dem Imbiss zum Ausklang des Abends, im dritten den Zustrom der Zuschauer*innen vor dem Pokalspiel. (Da Könnemann letzteren am Abend der Vernissage selbst aufnahm und die Feeds live in den Ausstellungsraum geschickt wurden, konnte die Künstlerin erst mit Verzögerung im Haus am Waldsee erscheinen.) In BLOCKEN Frankfurt Marathon mischen sich Aufnahmen der letzten Wettkampfstunde, in der noch Läufer*innen unterwegs sind, während die Aufräumarbeiten bereits begonnen haben. In BLOCKEN Garaging sind es Bilder eines ausgedehnten Übergangs, in dem die Skisaison zu Ende geht, die Lifte aber noch fahren. BLOCKEN It’s Not a Stream zeigt vergleichbare Off-Season-Ausschnitte an einer olympischen Kanustrecke, wo nach der Trainingssaison die Schleusenwärter das Wasser ablassen.

BLOCKEN It’s not a Stream lässt sich als programmatische Arbeit mit einem ebenso program­matischen Titel bezeichnen. Das betrifft die besonderen Zeitverhältnisse (nicht mehr, noch nicht, demnächst, erst wenn etc.), aber auch die Übersetzung der temporalen Stauung in eine Erzählzeit, die vor allem mit der langen Phase befasst ist, in der fast nichts geschieht. Der qualitative Wechsel zwischen Wartezeit und aktiver Zeit (Wasserspiegel sinkt) ist den Bewegungen des gefilmten Wassers ebenso wenig anzusehen wie denen der Schleusenwärter. (Anweisung aus dem Off an den Wärter im Bild: „Gib uns ein Zeichen.“) Dafür sind in der Übertragung die Momente der Stauung des ursprünglichen Livestreams zu erkennen, wann immer das Szenario auf dem Screen im Ausstellungsraum in einzelnen Bereichen einfriert. It’s not a stream, tatsächlich. Vielmehr ist das, was zunächst als ein direkter Zulauf von Livebildern erscheinen mag, das Ergebnis einer hypermedialen Anordnung, in die Personen, Kameras, Kabel, Glasfasernetze sowie eine komplexe Software involviert sind. Die Aktivität dieses Ensembles wird im Bild wie auf der Tonspur kontinuierlich in Erinnerung gebracht, wenn etwa Hände beim Blocken der Linse erscheinen, eine Kamera ruckartig bewegt wird, Bildteile einfrieren oder das Throbber-­Symbol des gestauten Streams sich über das gemischte Tableau legt.

Nina Könnemann, „Further Reductions“, 2025

Nina Könnemann, „Further Reductions“, 2025

Der repetitiv auftauchende Throbber im Zentrum der Screens ebenso wie die ­stockenden Bilder in der Übertragung gehören zu jenen „Signalen der Störung“, für die sich die Medienwissenschaft begeistert, seitdem sie darin vor gut zwanzig Jahren einen indirekten Verweis auf jene Formen medialer Aktivität erkannt hat, die dort unbemerkt bleiben, wo alles läuft und funktioniert. [1] Das Video BLOCKEN Animation (2024) im Eingangsbereich des Hauses inszeniert den rotierenden Throbber vor grauem Hintergrund sogar als solistischen Akteur. Das händische Blocken wiederum, das den einzelnen Feed modelliert, [2] wird durch die Kamera sichtbar gemacht, während auf den Tonspuren vereinzelte Ansagen auftauchen, die enigmatisch bleiben („I am at eleven“, „I am at twelve“), aber zu verstehen geben, dass jede Liveübertragung mit einer Reihe kommunikativer Akte einhergeht, die sich um Standorte und um Fragen der Koordination drehen. Das alte Postulat Marshall McLuhans, mediale Kommunikation zuallererst als eine Kommunikation der Medien über sich selbst zu betrachten, geistert durch alle Videos der Serie. Zugleich ist diese nicht nur mit den medialen Aktanten befasst, sondern hält neben den Kameras und Übertragungsprozessen auch die Akteur*innen präsent, die filmen, blocken, rätselhafte Cues austauschen, gelegentlich die Position wechseln und sich zuweilen sogar zu dem äußern, was die Kamera im selben Moment registriert. (Blick auf die abgefilmte Leinwand vor dem Palais des Festivals et des Congrès in Cannes: „Da ist Maren Ade.“)

Der Wechsel in den ersten Stock des ­Gebäudes bestätigt die Zäsur, die der Ausstellungstitel, „BLOCKEN / Further Reductions“, ankündigt: Auf die verdunkelten Räume im ­Erdgeschoss folgen ein Stockwerk darüber taghelle, auf die Zweidimensionalität der Videoscreens eine dreidimensionale Szenografie aus freistehenden Borden, Tischen und Podesten, auf die betonte Flüchtigkeit der Feeds die konkrete Materialität der Scherben und Splitter aus Porzellan, aus denen Könnemanns Serie Lithic Reducations (seit 2015) besteht. Flintknapping ist der Fachbegriff, der das Verfahren zur Produktion solcher Abschläge bezeichnet. Eine ­steinzeitliche Technik der Produktion von Werkzeugen, deren künstlerische Reaktivierung hier zahlreiche Objekte hervorgebracht hat, deren Status nicht einfach zu bestimmen ist. Die Präsentation ist szientifisch: Mobiliar mit metallischen, ­glatten Oberflächen, in Reihen oder in andere Anordnungen gebrachte Artefakte, die museale Umgebungen oder Ausgrabungsstätten evozieren. Das Dispositiv der Glaskästen, Leuchttische und Schrifttafeln, auf das die reduzierte Szenografie anspielt, ist das eines archäologischen Museums: eine Welt der Klassifizierungen, die auch von den diskret platzierten Wandtexten mit Bezeichnungen wie „Faustkeile“, „Klingen“, „Spitzen“ aufgerufen wird. Eine in die Schau integrierte Soundaufnahme von Könnemanns Performance Haben Frauen Steinwerkzeuge hergestellt?, die im August 2024 im Haus am Waldsee stattfand, [3] verweist auf einen Arbeitsprozess, der trotz klarer produktionstechnischer Bezüge vieles offen lässt und dessen Ergebnisse nicht zuletzt im Modus der Mimesis funktionieren.

Vielleicht ist es vor allem die Ambivalenz ­zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Effekten, zwischen kontrollierter und akzidenteller Formgebung, der die zwei Werkgruppen der Ausstellung verbindet. Formale Ähnlichkeiten, wie etwa die Tatsache, dass die fragmentierten Bildzuflüsse im Erdgeschoss nicht selten Keil- und Splitterformen ­annehmen, sind eher oberflächlicher Natur: Marker einer Arbeitsweise, die an spezifischen formalen ­Resultaten viel weniger interessiert ist als daran, die Prozesse, Einwirkungen, Aktanten ­kenntlich zu machen, die in die Entstehung etwaiger ­Ergebnisse involviert sind.

„Nina Könnemann: BLOCKEN / Further Reductions“, Haus am Waldsee, Berlin, 25. Mai bis 14. September 2025.

Stefanie Diekmann ist Professorin für Medienkulturwissenschaft an der Universität Hildesheim, lebt in Berlin und forscht zu Nebenfiguren, Audiovisualität des Interviews und Medienreflexion im Film.

Image Credits: 1. © Nina Könnemann, courtesy Haus am Waldsee; 2–3. Courtesy Haus am Waldsee, photo Julian Blum

Anmerkung

[1]Vgl. Albert Kümmel-Schnur/Erhard Schüttpelz (Hrsg.), Signale der Störung, Paderborn 2003.
[2]De facto handelt es sich um eine zweistufige Modellierung: Das händische Blocken modifiziert zunächst den einzelnen Feed, indem es den Bildausschnitt ­verändert. Das hat wiederum direkte Auswirkungen auf das gemischte Gesamtbild, da die „Verdunkelung“ ­einzelner Bildpartien Platz für die anderen Feeds schafft. Der ­Algorithmus entscheidet nach Grad der Helligkeit, wo diese ins Kompositbild integriert werden.
[3]Nina Könnemann, Haben Frauen Steinwerkzeuge hergestellt?, Haus am Waldsee, 20. und 21. August 2024, dokumentiert auf der Website.