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Vorwort

Jubiläen gehen gewöhnlich mit „Rückblicken" einher — man hält Sozusagen kurz inne, um erstaunt festzustellen, dass es einen immer noch gibt. Der Rückblick ist aber auch eine Blickrichtung, die der des Zeitschriftenmachens genau entgegengesetzt ist. Schließlich hat man die Augen im redaktionellen Alltag zwangsläufig nach vorne gerichtet, auf die Konzeption der nächsten Ausgaben und auf die damit immer wieder neu aufgeworfenen Fragestellungen und Probleme. In diese Abläufe bricht nun das zehnjährige Jubiläum ein — es kommt einem gleichsam in die Quere. Man weiß jedoch aus eigener Erfahrung, dass sich Geburtstage auch beim besten Willen nicht ignorieren sen — diese Daten sind mächtig und haben eine unbestrittene Auswirkung die eigene Psyche. Besser, man nutzt sie wie einen willkommenen Anlass: Zehn Jahre Texte zur Kunst, das muss gefeiert werden!

Diese Zeitschrift hatte sich von Anfang an der Kunstkritik verschrieben, und Kunstkritik ist auch das, was wir unseren Leser/innen in dieser Jubiläumsausgabe offerieren. Aus gegebenem Anlass haben wir mit „Justify Love" eine neue Rubrik eingerichtet, in der ein Team von Kritiker/innen Ausstellungen besucht und diskutiert. Dieses Format hat den Vorteil, agiler und reaktionsschneller zu sein, ohne dass dies auf Kosten der kritischen Reflexion ginge. Auch dem dialogischen Moment, der jeder Auseinandersetzung mit Kunst ohnehin innewohnt, wird auf diese Weise Rechnung getragen. In letzter Zeit stellte sich verstärkt die Frage, wie man überhaupt zu einem ästhetischen Verständnis bzw. Urteil komme, und das tastende Vorgehen soll in dieser Rubrik ein wenig transparenter werden.

Ein Anteil von Willkür und Subjektivität, der in unserem bisherigen Verständnis von Kunstkritik als theoretischer Reflexion eher latent blieb, kommt in dem sprichwörtlichen Jubiläumsbeitrag „ 10 x 10" zu seinem Recht. Künstler/innen und Kritiker/innen nennen die zehn ihrer Meinung nach gelungensten Ausstellungen der letzten zehn Jahre, die wiederum mit ihren jeweiligen Vorgehensweisen in aufschlussreichen Korrespondenzverhältnissen stehen.

Nach zehn Jahren Texte zur Kunst stellt sich aber auch die Frage, inwiefern heute fast schon vergessene Postulate der späten achtziger Jahre, wie das der antisubstantialistischen Kunstkritik, derzeit wieder Aktualität besitzen könnten? (Helmut Draxler). Gerade in Anbetracht der zahlreichen methodischen Revisionen, die seit der Gründung von Texte zur Kunst vorgenommen wurden, erweist sich die Erinnerung an ein solches Dispositiv vor dem Hintergrund von „Distanz" und „Involvierung" als produktiv. Zumal die unausgesetzte Verschiebung ohnehin zur charakteristischen Denkbewegung dieser Zeitschrift gehört.' Keine Überzeugung, etwa die Rede von der „kritischen Kunst", vermag fortzubestehen, ohne dass auf ihre unhinterfragten Voraussetzungen aufmerksam gemacht würde. Sobald die Mängel eines bestimmten Modells, etwa im Fall von „Social History" oder „Identitätspolitik" , offensichtlich werden, läuft dies nicht etwa auf seine Verabschiedung, sondern auf seine Differenzierung hinaus. Geradezu obsessiv widmet man sich jenen Sackgassen und Grenzen, an die noch die aktuellsten Ansätze sogleich stoßen. Dies bedeutet aber auch, dass in jedem methodischen Postulat die darin eingeflossenen Bedenken mitschwingen. Diese geschichtliche Tendenz reicht — um es mit Adorno zu sagen — tief in die ästhetischen Kriterien hinein. Vor diesem Hintergrund hat Kunstkritik nicht nur die der Kunst eigene Formensprache, wie auch die in ihr aufgeworfenen Gegenstände, sondern auch ihre eigene Methode, sowie die in diese Methode hineinragenden theoretischen Debatten zu vermitteln.

Diese Auffassung von Kunstkritik als einer „vermittelnden" Instanz wäre in den Gründerjahren von Texte zur Kunst — als Vermittlung um jeden Preis vermieden wurde — gar nicht vorstellbar gewesen. Denn' damals galt es, Kunstkritik wieder mit methodischer Stringenz auszustatten, sie von ihrer Rolle als poetisierender und frei assoziierender Erfüllungsgehilfin zu befreien. Es gibt noch zahlreiche andere Beispiele für methodische Vorschläge, die gewisse situationsbedingte Veränderungen, Abwandlungen und Aktualisierungen erfahren haben. So war es beispielsweise noch im ersten Vorwort befreiend, von der Notwendigkeit einer „gesellschaftlichen Funktion" von Kunst auszugehen. Doch die daraus häufig resultierende Tendenz zur Instrumentalisierung von Kunst erwies sich schnell als fragwürdig bzw. „reduktionistisch" Man ging eher dazu über, der Frage nachzugehen, wie sich beide Momente — künstlerische Formalisierung und Gesellschaftsbezug — im ästhetischen Phänomen wechselseitig vermitteln. Heute kommt der allerorten geäußerte Reduktionismus-Verdacht geradezu einem akademischen Reflex bzw. einem theoretischen Glaubenssatz gleich, dem durchaus mit Skepsis zu begegnen ist.

Als Stefan Germer und ich 1990 Texte zur Kunst gründeten, schienen die stark zu machenden künstlerischen Praktiken auf der Hand zu liegen: Konzeptkunst, neuere kontextuelle Ansätze wie auch „uneigentliche" Malerei. Darüber konnte, auch angesichts der damaligen Konjunktur von „smart objects" , kein Zweifel bestehen. Heute hingegen stellt sich der positive Bezug auf eine künstlerische Vorgehensweise weniger „natürlich" ein, zumal die damaligen Prämissen, etwa „Ortsspezifik" oder „Institutionskritik" auch von den Künstler/innen selbst hinterfragt wurden. Tatsächlich müssen positive Bestimmungen von künstlerischen Arbeiten heute kompliziert und situativ argumentieren. Dies schon deshalb, weil es weniger denn je eine eindeutig auszumachende, gegnerische Front gibt, die als Kontrastfolie dienen könnte. Hinzu kommt, dass jene künstlerischen Entwürfe, die zu einem bestimmten Zeitpunkt „relevant" erscheinen, diese Relevanz unter veränderten Bedingungen möglicherweise einbüßen. Nichts ist evident oder von vornherein gegeben. Als Konstante wäre hingegen eine Präferenz für „involvierte“ Kunstkritik zu nennen – für eine Kunstkritik, die ihrem Milieu verbunden bleib. Diesem Modell des „connected critic“ (Michael Walzer) hat diese Zeitschrift immer den Vorzug gegeben. Tatsächlich sind Kunstkritiker/innen ja auf unterschiedliche Weise in das verwickelt, was man gewöhnlich den Kunstbetrieb nennt: Neben der offensichtlichen ökonomischen Abhämgigkeit von Auftraggebern wie Museen und Galerien unterhalten Kunstkritiker/innen seit jeher Freundschaften mit Künstler/innen, deren Arbeiten sie rezensieren. (Siehe auch das Interview mit Lucy R. Lippard von Astrid Wege) Diese Situation, dass man von unterschiedlichen Seiten unter Druck steht, habe ich jedoch immer als eine große Herausforderung begriffen und als produktive Einschränkung erfahren. Gewöhnlich wird dem Modell des „connected critic“ entgegengehalten, dass es die Autonomie von Kunstkritik erheblich gefährde. Nur darf Autonomie eben nicht mit „Unabhängigkeit“ oder „Freiheit“ verwechselt werden. Kunstkritik ist relativ autonom im Sinne ihrer Eigengesetzlichkeit, und sie ist zugleich heteronom insofern, das zwischen kinstkritikinternen und gesellschaftspolitischen Debatten ohnehin fließende Übergänge.

Ein anderer Vorwurf gegen „involvierte" Kunstkritik lautet, dass sie Kunst letztlich nur legitimiere, den Fortbestand der Institution Kunst garantiere. Einmal abgesehen davon, dass zu fragen wäre, was daran eigentlich so schlimm ist, liegen die Probleme von Kunstkritik meines Erachtens anderswo. Nur wenn sich Kunstkritik auf die Rahmenbedingung „Kunst" pragmatisch einlässt, vermag sie einen Unterschied zu machen. Der Wert von Kunstkritik lässt sich daran bemessen, ob und in welcher Situation sie bestehende Annabmen über Kunst schlicht reproduziert oder eine abweichende Interpretation in den Raum stellt. Wobei „Abweichung" allein natürlich noch kein Kriterium ist — zuweilen kann auch die „kritische Vollendung" des Kunstwerks im Sinne der romantischen Kunstkritik eine Errungenschaft darstellen. Kritiker/innen mögen prinzipiell verwickelt sein — dies hindert sie jedoch nicht daran, bestimmte Akzeptiertheiten in Frage zu stellen, Hierarchien zurückzuweisen oder Machtbeziehungen auszumachen, die zu Ausschlüssen, etwa von Künstlerinnen führen. Allein dadurch, dass in einer kritischen Interpretation andere Aspekte in den Vordergrund gerückt werden, kann mit gängigen Zu- und Festschreibungen, mit ihren ideologischen Tendenzen gebroChen werden. Und das ist schon sehr viel.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit all jenen herzlich danken, die die Existenz dieser Zeitschrift ermöglicht haben: Den Autor/innen, der Redaktion, der Verlagsleitung, den Grafiker/innen, dem Beirat, den Gesellschafter/innen, den Abonnent/innen, den Editionskund/innen, den Künstler/innen und allen anderen Mitarbeiter/innen und Unterstützer/innen von Texte zur Kunst. Die nächsten zehn Jahre werden noch besser!

ISABELLE GRAW (für die Redaktion)