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Beatrice von Bismarck

Hinter dem Studio Bruce Naumans Auseinandersetzung mit dem Atelierraum

Bruce Nauman in seinem Atelier in Las Madres, New Mexico, 1997 Bruce Nauman in seinem Atelier in Las Madres, New Mexico, 1997

Bruce Nauman, bekannt für seine Verschlossenheit gegenüber der Öffentlichkeit, vermeidet es auch, in seinem Werk als Person explizit in Erscheinung zu treten. Dabei macht er gleichzeitig sein Atelier zum Gegenstand und Material seiner Arbeit. In seinen frühen Videos, in welchen er vor laufender Kamera selbst auferlegte Regelspiele vollführt, überprüft er das Verhältnis des eigenen Körpers zum Raum, jedoch ohne dabei den Eindruck von Anonymität und Austauschbarkeit aufzulösen.

In „Mapping the Studio II“, seiner jüngsten Video-Installation im Museum für Gegenwartskunst Basel, in der die Werkstatt des Künstlers bei Nacht und während seiner Abwesenheit zu sehen ist, kartografiert Nauman keinen konkreten Raum, sondern vielmehr die Bedingungen von Kunst und seine Rolle als Künstler, indem er selbst zum Betrachter seiner Arbeitsstätte wird.

Es ist ein Atelierbesuch geworden – aber im wörtlichen Sinne: Ein Besuch, der nicht dem Nutzer des Raums gilt, sondern den Räumlichkeiten selbst. Denn in dem Atelierraum, den Bruce Nauman in der Ausstellung „Mapping the Studio ii“ auf sieben großformatigen Projektionsflächen um die Besucher/innen herum installiert, fehlt er selbst. [1] Auf einer Länge von knapp sechs Stunden sieht man sich einem Materialkonvolut gegenüber, das mit der Infrarot-Kamera im Sommer 2000 während zweiundvierzig Nächten in Galisteo, New Mexico, aufgenommen wurde, wo der Künstler seit 1989 lebt und arbeitet. Aus sieben unterschiedlichen Positionen entstanden jeweils sechs fast einstündige Aufnahmen, die Nauman für die installative Präsentation hintereinander montierte. Betitelt nach ihren prominentesten Details – etwa „Waschbecken“, „Zwei Köpfe“, „Innere Tür“ oder „Bild an der Wand“ – lassen die Sequenzen ausreichend Zeit, sich auf den Mangel an Aktivitäten in der nächtlich verlassenen Szenerie einzustellen und minimale Veränderungen wie lang erwartete Ereignisse zu verbuchen: das Durchqueren des Raums durch Katzen, Mäuse oder Motten, die Geräusche von Hunden, Kojoten und Pferden oder die durch Benutzung verursachten leichten Verschiebungen von Gegenständen im Atelier von einem Aufnahmetag zum nächsten.

Mit den vier Fassungen von „Mapping the Studio“ vollzieht Nauman eine ausgreifende Geste, die seine Praxis der vergangenen fast vierzig Jahre zusammenzubinden scheint. Nicht nur schließt er motivisch an seine in den späten sechziger Jahren entstandenen Auseinandersetzungen mit dem Atelierraum an, in der Installation bündeln sich auch die verschiedenen Verfahren, mit denen der Künstler sich der für seine Praxis zentralen Frage nach den Grundlagen und Bedingungen von Künstlerschaft in der Postmoderne bislang näherte. Die Funktion von Orten, der Umgang mit Öffentlichkeit, die Definition von künstlerischer Arbeit und vor allem das Verständnis von Autorschaft waren ebenso zentral für die zahlreichen zwischen 1967 und 1970 entstandenen Videoaufnahmen von im Atelier ausgeführten Aktivitäten: „Wall Floor Positions“ (1968) oder „Bouncing Two Balls Between the Floor and the Ceiling with Changing Rhythm“ (1967–68), die Korridor-Konstruktionen der siebziger Jahre und die Rückkehr zum Medium Video etwa mit „Green Horses“ (1988). Aber auch für solche Arbeiten, die inhaltlich nachdrücklicher auf gesellschaftliche Entwicklungen gerichtet waren, „South America Triangle“ (1981) etwa, sind diese Aspekte von Bedeutung, setzen sie doch Naumans Überzeugtheit von seiner gesellschaftlichen Position als Künstler voraus.

Sie mit einer Arbeit wieder zusammenfassend aufzunehmen, die ausdrücklich das Atelier zu ihrem Gegenstand erklärt, mag man nahe liegend bezeichnen, ist doch in der Zuschreibung kein Ort des Kunstfelds so ausschließlich dem (überwiegend männlichen) Künstler vorbehalten und leistet darin so sehr mythisierenden Vorstellungen von Künstlerschaft Vorschub. Das Atelier gilt seit der Romantik weniger als Werkstatt, als handwerkliche Produktionsstätte von Künstler/innen, als vor allem als geniebestimmter Ereignisort. Von Caspar David Friedrich bis zur Klassischen Moderne ist es gekennzeichnet durch seine Abgrenzungen gegenüber der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und dem Leben, die als Voraussetzung und Begleiterscheinungen von traditionell mit schöpferischen Prozessen verbundener Konzentration und Introspektion angesehen wurden. In ihm verborgen spielen sich die handwerklichen und konzeptionellen Vorgänge ab, die – entlang einer produktorientierten Ästhetik – dem künstlerischen Werk vorausgehen, weshalb dem Blick in das Atelier die Hoffnung auf „Einblick“ anhaftet, auf Erkenntnis über Ursprung und Verlauf eines Schöpfungsakts, auf Nähe zum Schöpferischen. Schon immer beinhaltet die künstlerische Repräsentation des Ateliers damit eine – der Selbstdarstellung nicht unähnliche – Inszenierung der eigenen Tätigkeit und Rolle. Insofern ließ sich auch von dort aus in den Sechzigern eine grundsätzliche Befragung dessen, was ein „Künstler“ ist, durchführen – eine Befragung, mit der sich Nauman in die damalige von Warhol bis Buren reichende Reihe der Angriffe und Neudefinitionen des Ateliers einstellt. Mit der neuerlichen Rückkehr an diesen Ort verbindet Nauman mehr als dreißig Jahre später allerdings keine nostalgische Rückwendung; er verleiht dem Atelier eine Funktion, die nicht die einzelnen an es geknüpften Mythologeme aufgreift, sondern den zwiespältigen Informationscharakter der Atelierdarstellung insgesamt. Denn mit dem Versprechen auf Authentizität kann die Präsentation des Ateliers Nähe vermitteln, ohne notwendigerweise Aufklärung zu bieten, da sie die romantisierte Vorstellung des Orts gleich mitliefert. Die Attraktivität dieses widersprüchlichen Effekts macht sich „Mapping the Studio“ zunutze. In der Funktion einer Visitenkarte – als die schon Gustave Courbet das Atelierfoto verwendete – finden sich in Naumans Atelierpräsentation Befragung und Inanspruchnahme des Künstlermythos untrennbar ineinander verzahnt.

Schon die sich so lapidar gebende faktische Aufzeichnung von Teilbereichen des Atelierraums gerät zur Verklärung, da Nauman dem Ort Eigenleben, gleichsam Subjektstatus einräumt. So als besitze er eine über seine Nutzung hinausgehende, verborgen gehaltene Bedeutung, lässt Nauman ihn beobachten. Katze, Mäuse und Falter treten nachts an die von ihm tagsüber eingenommene Stelle, werden zu Atelierbesuchern, so wie es später diejenigen werden, die die Installation in der Ausstellung betreten. Eine Metapher für ein lebenslanges Katz-und-Maus-Spiel, in dem sich Nauman im Verhältnis zum Publikum sieht? In jedem Fall ein Beweis für die von ihm perfektionierten Verfahren der Kontrollausübung darüber, in welchen Portionen Informationen verteilt oder zurückgehalten werden. Nauman gewährt Einblick nur wohldosiert und verweigert in „Mapping the Studio“ letztlich genau die Nähe zum künstlerischen Arbeitsprozess, die vom Besuch im Atelier erwartet wird. [2] Er zeigt einen Ort ohne Künstler. Seine Auftritte beschränken sich darauf, den Raum – nach dem Einstellen der Kamera – zu verlassen. Praktiziert wird ein Ausschlussverfahren, das integraler Bestandteil der Vorstellung vom Künstleratelier ist, da nur im religionssoziologischen Sinne „Eingeweihte“ Zutritt erhalten. [3] Dass es diese Eingeweihten auch im Falle Naumans gibt, darauf kann die Vielzahl von zum Teil zur Sitzecke gruppierten Stühlen verweisen, vor allem aber die in Galisteo gewährten Interviews. Ihnen kommt der Charakter von Enthüllungsgeschichten zu, betrachtet man gerade die von Joan Simon geführten Gespräche: Mit einem dramatischen „Breaking the Silence“ war 1987 das eine überschrieben, ein weiteres aus dem Jahre 1998 listet akribisch die heterogenen Materialansammlungen im Atelier – von Kaffeetassen über Pinsel, Papier, Videokassetten bis zu Sattelzeug –, um in ihnen Beziehungen zu aktuellen und älteren Arbeiten aufzudecken. [4]

Die Abbildungen zu diesem Interview zeigen ein in seiner Atmosphäre ganz anderes Atelier als „Mapping the Studio“: Während das Video Blickwinkel wählte, die nur wenig Rückschlüsse auf den Gesamtraum oder die in ihm verrichteten Arbeiten zulassen, sieht man in den Groß- und Detailaufnahmen Joan Simons einen randvoll gefüllten Ort, in dem nicht zuletzt auch Nauman selbst auftaucht. Mit dem Profil zum Betrachter wendet er sich diesem zu und, die Hand vor dem Gesicht, zugleich auch ab, eine Form des sich im Vollzug der Verweigerung Zeigens, die er schon 1970 in der Anzeigenkarte zu einer Ausstellung bei Konrad Fischer in Düsseldorf zugespitzt hatte. Nachdenklich sieht man ihn so auf einem der Stühle sitzen, wie zur Illustration einer Aussage, die er Joan Simon gegenüber zum Atelier gemacht hat: „Es ist der Ort, an dem die Arbeit getan wird. (…) Ich sitze hier; ich blättere in einem Buch, irgendwann gegen fünf springe ich vielleicht auf und werfe ein, zwei Striche aufs Papier. Dann kann ich gehen.“ [5] Abgesehen von den genialischen Untertönen kommt in der Text- und Bildkombination dieses Interviews ein Verständnis von künstlerischer Arbeit zum Ausdruck, das auf dem Primat des Werks besteht, neben dem alle übrigen Handlungen lediglich vorbereitende Funktionen übernehmen. Ganz so, wie Roberta Smith 1987 über die Zeichnungen Naumans schrieb – obwohl diese im Werk Naumans eine sehr eigenständige Ausrucksform darstellen –, dass sie den Eindruck eines Atelierbesuchs vermittelten. [6] Diese Auffassung widerspricht letztlich derjenigen, mit der Nauman in den späten sechziger Jahren Bewegungsabläufe und Handlungen gegenüber dem materiellen, geschlossenen Einzelprodukt zu favorisieren begann. Die in Film und Video festgehaltenen Atelieraktivitäten demonstrieren nicht nur solche auf Dauer angelegten Arbeits- und den Betrachter/innen abverlangte Rezeptionsprozesse, sondern auch die Definition des Ateliers als einen Ort, in dem, mit dem und über den sich künstle- rische Arbeit entwickelt. Die Strenge und Radikalität dieser frühen Arbeiten, die nicht zuletzt einer bedrängenden Unsicherheit über die Bedingungen künstlerischer Existenz geschuldet war, ist einer Gelassenheit gewichen, die sich sowohl auf die Erfolge als auch die Verfahren der eigenen Vergangenheit verlassen kann. „Mapping the Studio“ lässt Nauman zwischen all den sehr gegensätzlichen Haltungen zum Atelier changieren: Mit einer gewissen ironischen Brechung überlässt er die Handhabung des Studios den Tieren; er verzichtet auf konkret erhellende Indizien anderer Arbeitsabläufe, ohne die erkennbare funktionale Spezifik des Raums aufzugeben; und mit der Mischung aus faktischer Aufzeichnung von Banalem und mytho-poetischer Verrätselung des Nächtlichen scheint er sich selbst in die Rolle des staunenden Betrachters manövrieren zu wollen.

In dieser für Naumans Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsbedingungen charakteristischen Ambivalenz gründet letztlich die ihm zugeschriebene, aber auch von ihm selbst beanspruchte Position eines intakten, selbstbestimmten und außergewöhnlichen Subjekts. Das Atelier dient ihm dabei als der Schauplatz, an dem diese Behauptung ihre Wirkung entfaltet. So wie er zu Beginn seiner Karriere das unschlüssige Sitzen im Studio für sich mit der Frage verband, was den professionellen Künstler eigentlich ausmache, [7] so sieht er sich mehr als dreißig Jahre später – wie er im Interview 2001 erklärte – selbst als professionellen Künstler, der weiß, wann und wie die eigene Arbeit zur Kunst wird. [8] Er dringt darauf, die definitorische Macht zu behalten und zu kontrollieren. Und solchermaßen ausgestattet tritt er in „Mapping the Studio“ auch auf – als derjenige, der den Blick in das Atelier, nach exakt bestimmten zeitlichen und räumlichen Vorgaben und Begrenzungen, freigibt, um dann selbst aus dem Bild zu treten. Ein Echo auf das frühe Spiel mit Abwesenheit, das Nauman mit den verschiedenen um den Körper gelegten, auf ihn aufgetragenen oder von ihm im Negativabdruck abgenommenen Schichten betrieb. Aber auch eine Variante der autoritär ausschließenden Geste, die er 1968 mit dem aus Lautsprechern kommenden Befehl „Get Out of My Mind, Get Out of This Room“ ausführte. Die romantische Vorstellung vom Atelier als mit dem Körperinneren, der Seele, korrespondierendem architektonischem Raum findet hier eine Wiederbelebung und scheint dazu aufzurufen, das nächtliche Atelier mit dem Unbewussten der künstlerischen Arbeit gleichzusetzen. [9] Aber auch hier liegen Affirmation und kritische Befragung eng beieinander, versteht man die Präsentation des Studios eher als Aufführung denn als Aufzeichnung. Gerade in der zweiten Version der Arbeit, in der die sieben Projektionen nicht mehr einheitlich monochrom-grünlich, sondern jeweils unterschiedlich eingefärbt sind, vollzieht Nauman eine Verfremdung, die derjenigen, die er in „Art Make-Up, No. 1–4“ (1967–68) durch Bemalung des eigenen Körpers mit Weiß, Pink, Grün und Schwarz vornahm, entspricht. Befragte letztere das Verhältnis von Künstlerkörper und Werk, rückt erstere den Werkcharakter des – schon immer als Repräsentation gedachten – Ateliers in den Blick. So wie mit der Bildwerdung des Körpers ein Teil der bedeutungsverleihenden Macht des Autors beansprucht werden sollte, so konnte auch das Atelier zu einem Authentizität garantierenden Werbeschild werden – Naumans an der Fensterscheibe seines Ladenateliers angebrachtes Neonzeichen „The true artist helps the world by revealing mythic truths“ (1967) steht dafür beispielhaft. In beiden Fällen besitzt der Rückgriff auf romantisierende Vorstellungen von Künstlerschaft in der Moderne auch die Funktion einer maskierenden Folie, die tradierte Privilegien des Autors zu reklamieren hilft. In „Mapping the Studio“ kommt dieses in den späten Sechzigern entwickelte Verfahren Naumans noch einmal mit besonderer Effizienz zum Einsatz.

Anmerkungen

[1]„Mapping the Studio ii“ ist eine von vier Versionen der Arbeit, deren erste vom 10. Januar bis 27. Juli 2002 im Dia Center for the Arts, New York gezeigt wurde. „Mapping the studio ii“ war vom 9. November 2002 bis 26. Januar 2003 im Museum für Gegenwartskunst Basel zu sehen. Zu einer ausführlichen Beschreibung der Arbeit vgl. Ausstellungskatalog Basel, Museum für Gegenwartskunst 2002: „Bruce Nauman. Mapping the Studio“.
[2]Eine solche Kontrolle zum Schutz des Privaten versteht Beate Rössler als Voraussetzung für die Herausbildung, den Entwurf und die Ausübung von Autonomie, vgl. Beate Rössler, Der Wert des Privaten, Frankfurt/M. 2001, S. 136–139.
[3]Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1982, S. 140.
[4]Joan Simon, „Breaking the Silence. An Interview with Bruce Nauman“, in: Art in America, Bd. 76, Nr. 9, Sept. 1988, S. 140–149 sowie dies., „Work in Progress“, in: „Bruce Nauman. Versuchsanordnungen. Werke 1965–1994“, Ausstellungskatalog, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1998, S. 27–32.
[5]Joan Simon, „Work in Progress“, a.a.O., S. 28.
[6]Vgl. Roberta Smith, „Art: Bruce Nauman Retrospective“, in: The New York Times, 30.10.1987.
[7]Zu den frühen Verfahren Naumans, mit dieser Frage umzugehen vgl. auch Beatrice von Bismarck, „Professionalität auf dem Prüfstand: Bruce Naumans frühe künstlerische Praxis“, in: Künstlerhaus Schloß Balmoral, Jahrbuch 1998, Mainz 1999, S. 185–202.
[8]Vgl. http://www.pbs.org/art21/artists/nauman/clip1.html
[9]Diese Deutung legt Philipp Kaiser in seinem Text nahe, vgl. Philipp Kaiser, „Atelierstücke“, in: „Bruce Nauman. Mapping the Studio“, a.a.O., S. 6.