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Vorwort

So wie diese Zeitschrift ihren eigenen Institutionalisierungsprozess nicht leugnen kann, haben wir auch intern feststellen müssen, dass sich zahlreiche unserer Autor/innen und Mitarbeiter/innen und auch Teile der Redaktion mittlerweile als Lehrende in Bildungsinstitutionen wiederfinden und betätigen. Auf diese Weise stehen sie zwar im Verhältnis zu früheren selbst organisierten oder „freien" Tätigkeiten nicht unbedingt „auf der anderen Seite" aber sie tragen immerhin zur Reproduktion der Produktionsbedingungen bei -- ob sie nun wollen oder nicht. Das Individuum, das in einem solchen System agiert, ist wie es John Miller in dieser Ausgabe treffend formuliert — von diesem System selbst überdeterminiert. Auch wenn sich seine Spielräume und Handlungsmöglichkeiten als von vornherein begrenzt erweisen, gibt es doch Methoden, mit dieser Platzierung in einer Ausbildungssituation fertig zu werden (vgl. die Umfrage im Heft). Und zwar auf beiden Seiten — auf der Seite der Studierenden, die ja ihrerseits nicht etwa die bloße Materie für einen Formungsprozess abgeben, sondern ihre Situation so aktiv gestalten oder ihr Widerstand entgegenbringen können oder müssen, wie sie ihr natürlich bis zu einem gewissen Grad auch ausgeliefert sind. Auf der anderen Seite können Lehrende versuchen, Distanz zu ihrer Position zu gewinnen oder die Distanz, die sie schon aufgrund ihrer Funktion von den Studierenden trennt, zu überwinden. Daran, dass die einen als „Professoren" und die anderen als „Studierende" einsortiert und in ein hierarchisches Verhältnis eingespannt sind, vermögen diese Uberschreitungsversuche, so wichtig und lehrreich sie auch sein mögen, jedoch letztlich nichts zu ändern. Diese Ausgabe ist in Zusammenarbeit mit Beatrice von Bismarck und Sabeth Buchmann aus den Erfahrungen mit Veränderungen entstanden, die das eigene Arbeiten durch den Wechsel in die Lehrposition beeinflusst haben — und dem Umstand der Nähe eigener Erfahrungen ist auch die weitgehende Fokussierung auf Fragen der Künstler/innen-Ausbildung zuzuschreiben. Sicher wird gerade beim Blick auf diesen Bildungsbereich eine besondere Kluft spürbar, die sich einerseits zwischen dem Anspruch von Akademien und anderen Kunstschulen auf institutionelle Macht und einem dem Kunstdiskurs seit langer Zeit innewohnenden Anspruch auf methodischen Zweifel unter dem Tätigkeitsbegriff der Institutionskritik andererseits auftut. Diese Kluft ist nichts Neues und zeigt sich übrigens auch als ungeklärte Passepartout-Machtstruktur der „Education in der Kunstvermitdung. Sie wird aber als unkorrigiert stehen gelassener Widerspruch mit der Zeit wirkungsmächtiger und führt nicht zuletzt zu den sprichwörtlichen institutionalisierten Institutionskritiker/innen — damit zu einer komplexen und auch unbequemen Gedankenkonstruktion, die als Ausgangsbasis eines Studiums wahrscheinlich wenig reizvoll ist. Fängt man allerdings an, diese vermeintlichen Aporien wieder auf der Ebene von Curricula zu verhandeln, also im vollen Bewusstsein der Paradoxie der eigenen „Bodenlosigkeit" disziplinäre und hierarchische Strukturen zu schaffen — dann tritt unter anderem zutage, dass das vermeintlich neutrale Wort von der „Ausbildung" als Teppich über subjektpsychologischen Falltüren liegt, die sich auf den Machtdiskurs namens „Erziehung" öffnen. Das mag zur Zeit nicht die Hauptsache sein, wenn man sich die Perspektiven europäischer Bildungspolitik vergegenwärtigt, wie sie Ulf Wuggenig in seinem Text skizziert. Die Gleichzeitigkeit und Verwobenheit institutioneller und politischer Probleme hat bislang die Probleme Einzelner immer nur als Indiz der Notwendigkeit eines Einschwenkens auf den ökonomistischen Generalkurs gewertet.

Was unterscheidet nun Ausbildung von Erziehung? Ausgebildet werden soll dem herkömmlichen Verständnis zufolge derjenige, der bereits erzogen ist. Und „Erziehung" wird als etwas erachtet, was mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben abgeschlossen sein soll — eine mehr oder weniger sanfte Form der „Zurichtung", gegen die sich die Betreffenden regelmäßig zur Wehr setzen. In Wahrheit ist die Sache komplizierter. „Man lernt nie aus" ist ein Gemeinplatz, der nicht von ungefähr kommt und für die Unabschließbarkeit von Erziehungs- und Ausbildungsprozessen steht. Es wäre tatsächlich ein müßiges Unterfangen, den Zeitpunkt bestimmen zu wollen, als man „fertig erzogen" war. In subjekttheoretischen Begriffen ausgedrückt: Subjekte werden ihr Leben lang durch Institutionen ins Leben gerufen, durch Institutionen, die sie ihrerseits prägen und gestalten. Aus dieser Sicht betrachtet, sind wir alle die vielbeschworenen „ewigen Studenten". Gerade im Bereich kultureller oder künstlerischer Produktion berichten Theoretiker/innen oder Künstler/innen darü- ber, dass sie zu Beginn eines neuen Texts oder einer neuen Arbeit regelmäßig das Gefühl überfalle, bei Null anzufangen — als wüssten sie gar nichts, als hätten sie nie etwas gelernt. Dem entsprechend muss man sich auch als Lehrender fragen, wie es Gareth James in seinem Statement vorgeschlagen hat, ob es überhaupt etwas zu unterrichten gibt.

Wissen ist also nichts, was von vornherein feststeht oder was man sich ein für allemal aneignen könnte, es bedarf der ständigen Aktualisierung und Überprüfung, und es muss zuweilen verloren gehen. Schon einmal — als in den siebziger Jahren der autoritären Erziehung die antiautoritäre entgegengesetzt wurde, war „Erziehung" die Zielscheibe linksradikaler Initiativen — von den Kinderläden angefangen, bis zu den frühen Aktivitäten späterer RAFMitglieder, die die Situation in den Heimen anprangerten und deren Zöglinge zur Revolte anleiteten, Dass auch antiautoritäre Strukturen von ihrem Gegenpol durchsetzt bleiben, ist heute kein Geheimnis. Erziehung steht augenblicklich wieder, dieses Mal im Gewande der „Bildung", im Mittelpunkt des allgemeinen und medialen Interesses, wozu die „narzisstische Kränkung" (Tom Holert in seinem Text) der Pisa-Studie nicht unerheblich beigetragen hat. Dabei wird stets so getan, als habe man es bei Kindern und Jugendlichen mit unmündigen Wesen zu tun, die nur richtig und früh genug „programmiert" werden müssen. Auf die instrumentelle Ausdehnung eines solchen rückwärts gewandten Begriffs von Erziehung weist Tom Holert in seinem Text zur visuellen Kultur neurowissenschaftlicher Lernmodelle hin, Eva Geulen vermisst einen besseren Erziehungsbegriff bei dem zur Zeit meistdiskutierten Autor im Bereich der politischen Philosophie, Giorgio Agamben.

Das für Kunstakademien konstitutive Paradox lautet folgendermaßen: Dass die Kunst einerseits als nicht lehrbar erachtet wird, während andererseits genau das — Unterrichten — getan wird. Wo die Frage im Raum steht, ob es überhaupt etwas zu unterrichten gibt, wurde etwas — eine bestimmte Form des Selbstzweifels — weitergegeben. Das gilt in beiden Richtungen: Es sind die Studierenden, von denen die wichtigsten Impulse ausgehen, die sich andere, außerinstitutionelle Instanzen suchen (Text von Isabelle Graw) oder innerhalb der Kunstakademien Gruppen bilden, die auf diese weniger angewiesen sind. Im Zuge der bildungspolitischen Umstrukturierungen sehen sich jetzt auch Kunstakademien der Notwendigkeit ausgesetzt, ihr Tun zu legitimieren, und das mit Hilfe von Evaluierungen und Bewertungskriterien, die sich aus der „Beratung" des gehobenen Managements großer Industriekonzerne ableiten und klarerweise gar nicht erst versuchen, einem neuen und möglicherweise widersprüchlichen Gegenstand gerecht zu werden. Da hilft keine Erziehung.

ISABELLE GRAW / CLEMENS KRÜMMEL