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DROPPING SCULPTURE BY THE POUND Luis Camnitzer über Kot in der Kunst und über Nic Guagninis „Skatologisches Kompendium“

Ricardo Lanzarini, „A lomo de caballo criollo se hizo la patria”, 1996, Urbane Intervention

Ricardo Lanzarini, „A lomo de caballo criollo se hizo la patria”, 1996, Urbane Intervention

Einige Schlüsselmomente der Verwendung von Fäkalien als Material von Kunst – Manzoni! – sind auch nur marginal an Kunst Interessierten geläufig. Am Beispiel von Nic Guagninis Seven Reviews of Monkeys and Shit und einer Genealogie des Skatologischen rekonstruierte Luis Camnitzer 2005 in unserer 57. Ausgabe die Entwicklung und den Zusammenhang von Scheiße und Politik. Wir reproduzieren den Beitrag in loser Anküpfung an unsere aktuelle Ausgabe, „Reviews”, zu der auch Guagnini beitrug – ebenso wie John Miller, der in Seven Reviews of Monkeys and Shit eine entscheidende Rolle einnimmt. Guagninis Publikation aus den Jahr 2004 versammelt eine Reihe von Rezensionen, die er im Auftrag der Zeitschrift Time Out verfasste. Inwiefern sie eine interessante Intervention ins Rezensionswesen darstellt, erläutert Camnitzer im hinteren Teil dieses Textes.

Am 16. Oktober letzten Jahres präsentierte Nicolàs Guagnini, ein in New York lebender argentinischer Künstler und Kritiker, sein Buch The Seven Reviews of Monkeys and Shit in der New Yorker Galerie Printed Matter. Die Publikation ist Teil eines umfangreicheren Werks, das Guagnini in der skatologischen Tradition der westlichen Kunst situiert. Die Tradition ist lang, wenn auch nicht lückenlos. So hat man im frühen 19. Jahrhundert Simón Rodríguez (1769-1864), Hauslehrer von Simón Bolivar und später dessen Beauftragter für die Reform des bolivianischen Erziehungssystems, nachgesagt, er habe ein Abendessen für General Sucre in Bettpfannen serviert. Das Gerücht wurde von der bolivianischen Oligarchie verbreitet, die sich über Rodríguez' pädagogische Reformen verärgert zeigte. Als Rodríguez, dessen Ansichten Sucre nicht teilte, davon hörte, gefiel ihm das Gerücht dermaßen, dass er es selbst weiter zu verbreiten begann. Hier haben wir es vermutlich mit dem ersten Auftreten von Pissbecken in der Kunstgeschichte des Westens zu tun.

Ein halbes Jahrhundert später, 1917, stellte Marcel Duchamp, höchstwahrscheinlich in Unkenntnis der hervorragenden Arbeit seines Vorgängers, in einem Pariser Salon ein Pissoir aus. Er schaffte es, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: das Readymade als Form künstlerischer Produktion in die Kunst einzuführen und zugleich die Mitglieder des Salons zu schockieren, denen er seine Arbeit vorstellte. Weit weniger bekannt ist das "Manifeste pour la plastique physiologique" von Isidore Isou, der mit seiner Ausstellung einer Bettpfanne voller Kot unbewusst auf Rodríguez antwortete. Isou war der Gründer des Lettrismus: "In einer bestimmten Entwicklungsphase der Kunst sucht der Künstler die persönlichste und individuellste Form". Während Isous Bettpfanne ein Schattendasein beschieden war, kam Manzonis Merda d'artista (1961) fast schlagartig zu Ansehen. Durch Konzeptualismus, Post-Konzeptualismus und Neokonzeptualismus erfreute sich seine Scheiße wachsender Bekanntheit, bis zu dem Punkt, an dem sie Guagninis Bedürfnissen entgegenkam (siehe unten). Manzoni ließ seine Exkretionen sorgsam für die Nachwelt abfüllen und ließ sie nach dem aktuellen Goldpreis bezahlen, bevor sie in den Secondary Market gelangten und ihr Wert bald exponenziell anstieg. Drei Jahre später stellte ein heute fast vergessener amerikanischer Künstler namens Sam Goodman Nachbildungen des Kots verschiedener Spezies aus: als Kommentar auf die Vernarrtheit der Pop Art in die Konsumgesellschaft. Unter dem Titel "No-Art" füllte er die New Yorker Galerie Gertrude Steins mit Darstellungen verschiedener Sorten von Scheiße, und so auch der menschlichen. Jedes Stück war fein aus Polyesterharz nachgeformt - mit solcher Detailverliebtheit, dass es den Besucher leicht auch den entsprechenden Geruch halluzinieren ließ. Der über die skatologische Tradition erstaunlich schlecht informierte Pressetext pries das Ereignis fälschlicherweise als das erste seiner Art in der Geschichte der Kunst an und beschrieb es als "Teil einer neuen Welle künstlerischen Ausdrucks, der es um sozialen Realismus, einen Gesellschaftskommentar und eine extrem persönliche Ausdrucksart geht." Ganz im Gegensatz zu seiner Absicht, die Pop Art zu kritisieren, kann man Goodmans Arbeit natürlich im Rückblick ebenso als Teil der Pop Art und des Post-Pop-Hyperrealismus lesen. Tatsächlich ist es einfach, sich Goodmans Arbeit etwa Seite an Seite mit den Skulpturen von Duane Hanson vorzustellen, dessen Produktion einige Jahre später in den Kunstmarkt einging.

2001 begann Wim Delvoye mit seinem "Cloaka"-Projekt, das einen dreistufigen Optimierungsprozess durchlief: Cloaka-Original, Cloaka-Neu und Cloaka-Turbo. Die verbesserte Form der Maschine kann, dank der Hilfe eines Teams von Biolog*innen, Ingenieur*innen und Chemiker*innen, nach der Fütterung mit Restaurantabfällen die Nahrung innerhalb von sechs Stunden verarbeiten und einen überzeugend aussehenden Scheißhaufen produzieren.

Nach Rodríguez war die skatologische Tradition in der lateinamerikanischen Kunst unterbrochen, in der Dichtkunst dagegen blieb sie halbwegs lebendig. In seinen Poemas y Antipoemas (1954) präsentierte der chilenische Poet Nicanor Parra folgendes Stück: "Schau, sogar in der Kanalisation ist ein wenig Scheiße." Decio Pignatari folgte 1957 mit seinen Variationen auf "Trink Coca-Cola" (bebe coca cola), die mit dem "Abwasserkanal" (cloaca) enden:

bebe coca cola
babe   cola
beba   coca
babe cola caco
caco
cola
cloaca

Detail von Léon Ferraris Taubenkäfig mit Taubenkot auf Reproduktion von Michelangelos „Weltgericht,“ 1984

Detail von Léon Ferraris Taubenkäfig mit Taubenkot auf Reproduktion von Michelangelos „Weltgericht,“ 1984

Durch Nachforschungen kämen unzweifelhaft viele weitere Beispiele ans Licht, eine umfassende Untersuchung jedoch würde den Rahmen dieses Artikels eindeutig sprengen. Springen wir also direkt ins Jahr 1986, als das Skatologische mit einem Knall in die Kunst zurückkehrte. In diesem Jahr stellte der argentinische Künstler Leon Ferrari auf der Biennale in Sao Paulo einen Käfig mit zwei Tauben aus, deren Exkremente durch eine kreuzförmige Schablone auf eine Reproduktion des "Jüngsten Gerichts" von Michelangelo fielen. Zwei Jahre später ließ Ferrari den Taubenkot auf Dollarscheine fallen, die er daraufhin an Präsident Ronald Reagan sandte, mit dem Ersuchen, diese frei nach Ermessen als Beitrag zur Tilgung entweder der lateinamerikanischen oder der US-amerikanischen Schuld(en) zu verwenden. Hier wird die Wiederbelebung der von Rodríguez eingeführten politischen Strategie der skatologischen Kunst klar sichtbar. In den frühen neunziger Jahren begann der brasilianische Künstler Cildo Meireles mit seiner Arbeit KU KKA KA KKA. 1994 sollte sie in Spanien in der Ausstellung "Lo crudo y lo cocido" im Museo Reina Sofia gezeigt werden, doch erlaubten die spanischen Behörden die Aufstellung aufgrund geltender Gesundheitsbestimmungen nicht. Zwei drei mal drei mal drei Meter große Glaskuben enthielten Glasregale, in denen sich Vasen mit echten und künstlichen Rosen und Nachttöpfe mit echtem und künstlichem Kot abwechselten. Den philosophischen Hintergrund verdankt diese Arbeit einer Geschichte, die Meireles' Vater ihm als Kind erzählt hatte. Ein Hütte in einem Dorf trug ein Schild mit der Aufschrift: "Entdecke die Wahrheit." Für einen Cruceiro konnten Menschen in den Bretterverschlag gehen und erhielten ein mit Papier bedecktes Töpfchen. Das Publikum sollte mit dem Finger das Papier durchstechen - nur um dann darunter die Exkremente zu entdecken. [1] Die skatologische Tradition Lateinamerikas hatte eine stärkere Politisierungstendenz, als dies im Mainstream der Fall war, doch haben sie durchaus Gemeinsamkeiten: Beide bemühen sich bei ihrer Neubewertung des Status quo um kritische Distanz. [2] Alle in diesem Essay aufgeführten Beispiele teilen die Strategie der Substitution. Fäkalien und/oder ihre Behältnisse werden anstelle von Kunst gezeigt. Hier geht es um eine Kritik der Kunst, in der die Hauptaussage nicht ist, dass "dies ein Stück Scheiße ist", auch wenn es so aussieht, sondern dass "das - diese Kunst - ein Stück Scheiße ist". Auch wenn diese Botschaft nicht explizit gemacht wird, ist sie durch die bloße Ausstellung im Kontext einer Galerie implizit gegeben. Was also Außenstehenden leicht als billiges, krudes und sogar beleidigendes Statement erscheinen könnte, zeigt sich Eingeweihten eher als subtiler, kritischer Bezug auf die das Kunstobjekt umgebenden Rituale. Wie schockierend, wunderlich oder kindisch dieser Tausch der Bedeutungen auch erscheinen mag, es ist unleugbar ein simpler Austausch eines Gegenstands durch einen anderen Gegenstand. Und, was noch bedeutsamer ist, es ist ein Tausch, in dem der kritische Akt in der Gesamtgeschichte der Kunst aufgeht, wodurch ein zweiter Tausch erfolgt: An die Stelle von Kritik wird ein konkreter Geldwert gesetzt.

Das unweigerliche Scheitern des skatologischen Kunstwerks wirft interessante Fragen über Wert und Nutzen von Beleidigungen auf. Ein einfache Verunglimpfung wirkt wie ein Mückenstich: Sie mag für einen Moment unangenehm sein, lässt aber schnell wieder nach. Eine aufwendige und gut gemachte Beleidigung vermag nachhaltig zu wirken - allerdings nicht mit demselben Effekt. Mit dem Ansehen ergibt sich eine Wertsteigerung, die qualitativ gerechtfertigt wird, aber dadurch wiederum den Schrecken des Moments einbüßt. Einem erstklassigen und ausgefeilten Beiwort fehlt irgendwie die unmittelbare Ärgerwirkung, die man von einer zielgenauen Beleidigung erwartet. Vielleicht ist es ja auch unmöglich, mit den Mitteln der Kunst einen guten Affront zu landen.

Tja, vielleicht aber auch nicht. Eine direkte und ungemilderte Beleidigung kann man umso mehr als Akt des Terrorismus verstehen, als sie auf einen Schlag wirkt, dabei allerdings keine Langzeitwirkung hat, wohingegen eine gute künstlerische Beleidigung eher ein subversiver Akt ist, mit einem Potenzial, verändernd auf die Kultur zu wirken (manchmal wird das eine zum anderen [3]). Als Manzoni seine Dosen abfüllte, arbeitete er, vermute ich, vorwiegend im Beleidigungsmodus, da er nicht vorhersehen konnte, welche spätere Wirkung sie haben würden. Mit ihrem breiten Erfolg haben sie zwar ihre terroristische Qualität eingebüßt - er garantierte ihnen aber zugleich auch kulturelle Anerkennung. Das Schicksal von Manzonis Dosen zeigt beispielhaft, wie der Markt die Schlagkraft einer Beleidigung durch deren Umwandlung in Warenförmigkeit entzieht, die sie im Gegenzug bekannter macht und es ermöglicht, Kritik in die Geschichte der Kunst zu schmuggeln. Auf welche Weise man es auch betrachten mag - Manzonis Dosen haben die Kunstgeschichte unterwandert: Entweder musste die Scheiße als Kunst angesehen oder alles rundherum Katalogisierte neu definiert werden. Etwas Ähnliches lässt sich über das Bild Piss Christ (1989) von Andrés Serrano sagen, bei dem er ein Kruzifix in ein Glas mit Urin steckte.

Beleidigung oder Kritik sind nicht immer Teil des Kunstwerks selbst. Als der britische Künstler Chris Ofili 1999 seine Holy Virgin Mary (1996) im Brooklyn Museum als Teil der Ausstellung "Sensation" zeigte, strich Bürgermeister Giuliani dem Museum die Subventionen. Ofili hatte Elefantenkot auf der Leinwand verteilt, und Giuliani (und mit ihm der Kardinal von New York und viele andere, die die Ausstellung nicht einmal gesehen hatten) fasste dies als Beleidigung auf. Ofili antwortete darauf richtig, dass "die Leute, die diese Arbeit angreifen, ihre eigene Interpretation angreifen - und nicht meine." [4] Glaubt man Ofili, dann wollte er mit dem Bild das Gefühl vermitteln, "es komme aus der Erde und hänge nicht einfach nur an der Wand". Zur Zeit des Interviews malte Ofili das Bild eines "magic monkey", der die Hände nach "drei Elementen des Lebens: Sex, Geld und Drogen" ausstreckt, die durch drei Haufen aus Elefantendung symbolisiert wurden.

Das Goldene Zeitalter der Fäkalien in der Mainstream-Kunst mag hinter uns liegen. Nicht jedoch in der lateinamerikanischen Tradition. Hier scheint die Verwendung der Skatologie in der politischen Kunst dieser ein längeres Leben zu bescheren. Zum Beispiel fand ich mich selbst, im Nachdenken über den Kontext, in dem Guagninis Arbeit erscheint, beim erneuten Betrachten einer Installation, die der uruguayische Künstler Ricardo Lanzarini 1996 angefertigt hatte. Am 6. Juli des selben Jahres stellte Lanzarini eine Arbeit fertig, die Gebrauch von einem Reiterdenkmal in Montevideo machte, das zu Ehren von Aparicio Saravia errichtet worden war, einem der Nationalhelden der Region. Auf eine Seite des Sockels des Monuments schrieb Lanzarini in großen schwarzen Buchstaben: "The fatherland was built riding horses." [5] Auf die andere Seite schrieb er: "Like good shitting horses, the horses of the fatherland smell rotten." [6] Über dem Text hingen frische blutige Knochen von einem Metzger. Am 8. Juli wurde Lanzarini in Gewahrsam genommen (kurz darauf durch einen Gerichtsbeschluss wieder auf freien Fuß gesetzt) und damit belastet, "vorsätzlichen Schaden" angerichtet zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war Lanzarini öffentlicher Angestellter in einem städtisch verwalteten Museum. Für viele Betrachter*innen machte dies seine vandalistische Tat noch verwerflicher. Zur Verteidigung seiner Arbeit erzählte Lanzarini der Presse, dass, "was ich zu tun versucht habe, einer Reformulierung der Monumentalität gleichkommt, die nicht wahrgenommen wird, aber das ist, was uns in die Zukunft trägt. Andernfalls wird das bronzene Pferd Bronze bleiben, und was mich interessiert, ist die Wahrhaftigkeit des Pferdes. Das um zu sagen, dass wir in schlechter Verfassung sein mögen, aber eigentlich lebendiger denn je sind. [...] Darum ist da kein Verbrechen festzustellen, keine Schädigung. Darüber hinaus wurde das Monument niemals so häufig fotografiert wie jetzt; ich habe ihm neues Leben gegeben." [7] Durch sein im Museum angesammeltes Wissen konnte Lanzarini versichern, dass seine Aktion komplett rückbaubar war, und eine Woche später engagierte er eine Firma zur Reinigung des Denkmals. Ganz beschäftigt mit dem zum nationalen Skandal erwachsenen Vorfall bemerkte damals keiner, dass Lanzarini eigentlich gar kein Recht hatte, eine private Firma mit der Reinigung eines nationalen Monuments zu betrauen. Vom gesetzlichen Standpunkt betrachtet machte er sich der Beschädigung von Beweismitteln schuldig. Am 6. Februar des folgenden Jahres erklärte der Gerichtshof Lanzarini in den gegen ihn vorgebrachten Anklagepunkten für unschuldig. Der Richter führte aus, dass er keine der Funktionen irgendeines Teils des Monuments beschädigt oder in Mitleidenschaft gezogen hätte ("Die natürliche Bestimmung des Monuments, der Statue von Aparicio Saravia als Sockel zu dienen, wurde nicht beeinträchtigt"). Ganz im Gegenteil wollte der Gerichtshof die Aktion als künstlerische verstanden wissen, "wenn auch als eine sehr zweifelhafte". Zu keinem Zeitpunkt wurde der skatologische Aspekt dieser Arbeit auch nur erwähnt.

Lanzarini war klar, dass er den künstlerischen Charakter der Arbeit nachweisen musste und dass er keine vandalistische Tat begangen hatte. Er schrieb einen Brief an den lokalen Polizeichef, in dem er um Schutz für seine Arbeit bat, und legte zum Nachweis seiner Professionalität sein Kunstschuldiplom bei. In einer Erklärung an den Kommandanten schrieb er: "Ich frage mich: Was ist Vaterland? Was ist Kunst? Das sind Fragen, die vom gleichen Zweifel zehren. Eine Frage wie 'Welche Form des Engagements?' korrespondiert stark mit der Frage: 'Mit welchem Pferd möchte ich mein Vaterland bauen, mit einem lebendigen oder mit einem aus Bronze?'" [8] Unterdessen hörte Lanzarini bei seiner Verhaftung einen der Polizisten (unwissend um seinen Brief) zum anderen murmeln: "Mörder und Diebe - meinetwegen. Aber lasst uns in Ruhe mit Künstlern, die machen uns nur das Leben schwer." [9]

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die politischen Wellen um Lanzarinis Arbeit geglättet hatten. [10] Uruguay hat traditionellerweise ein Zwei-Parteien-System: die "blancos" (die Weißen) und die "colorados" (die Roten). Aparicio Saravia ist ein bei den "blancos" verehrter Held. Eine dritte Partei, die "Frente Amplio" (Breite Front), erstarkte in den letzten Jahrzehnten. Sie stellt eine linke Koalition aus kleinen Parteien dar und regiert seit vielen Jahren die Hauptstadt. Die "blancos" versuchten das Vorkommnis mit Lanzarini für ihre Zwecke zu benutzen und den Bürgermeister von Montevideo, einen Politiker der Frente Amplio, in Verlegenheit zu bringen. Sie forderten Lanzarinis Kündigung und Streichung von der öffentlichen Gehaltsliste. Lanzarini antwortete: "Das ist lächerlich. Als ich den Preis der US-Uruguayischen Allianz, einer Kultureinrichtung der US-Botschaft gewann und ein New York-Stipendium erhielt, habe ich keine Gehaltserhöhung gefordert." [11] Zeitgleich mit der Reinigung organisierten die "blancos" einen öffentlichen Akt zur Rehabilitierung des Monuments. Nach einigen Reden wurde ein Kranz zu dessen Füßen niedergelegt. Die Reinigungskräfte warteten das Ende der Zeremonie ab, um dann schließlich den Text zu entfernen. Später wurde der Kranz dem um das Ende seiner Arbeit klagenden Lanzarini zugeordnet.

Die Kommentare in der uruguayischen Presse reichten von der Frage nach geistiger Kontrolle ("Auch Fantasie muss sich vor dem Gesetz verantworten." [12] ) bis zu Empathie ("Ich meine, Monumente sind eher lächerlich, und damit gibt es nichts, was sie angreifen kann. Vögel scheißen jeden Tag auf sie." [13] ). Inziwschen ist Lanzarini von seinem städtischen Job zurückgetreten. Nachdem Gras über die Sache gewachsen wäre, so hatte er gehofft, würde er wieder angestellt werden. Das aber passierte nicht.

Im Vergleich zu Lanzarinis Arbeit von 1986 ist Guagninis Arbeit aus Affendreck zwar weniger spektakulär - aber dafür auch hinterhältiger. Sie wurde zwischen dem 26. Dezember 2002 und 16. Oktober 2004 ausgeführt und gipfelte in der Publikation einer Broschüre. Im Auftrag von Time Out New York sollte Guagnini interessante Ausstellungen besprechen, besonders solche, an denen nicht zum Mainstream gehörende Künstler teilnahmen. Guagnini beschloss, seine Aufgabe zweigleisig zu definieren. Seine Hauptaufgabe lag darin, eine informierte und informative, intelligente und kurze Ausstellungsbesprechung zu schreiben. Die geheime, selbst gestellte Aufgabe lag darin, sicherzustellen, dass in jeder Besprechung entweder Affen oder Scheiße erwähnt werden. Die zur Erreichung seines doppelten Ziels einfachste Besprechung: ein Text über das Werk von Manzoni. Wie aus dem oben Geschilderten einsichtig wird, hatte er einfach nur den Titel von Manzonis Dosen zu erwähnen. [14] Eine andere Besprechung über einen französischen Maler des 19. Jahrhunderts, Théodore Chassériau, erwies sich als glückliche Wahl. Er schrieb: "Der Sohn eines französischen Diplomaten und einer französisch-kreolischen Frau, der kleine dunkelhäutige Chassériau - eine Hauslehrerin nannte ihn "den kleinen Affen" -, besuchte das Atelier von Jean-Auguste-Dominique Ingres im erstaunlichen jungen Alter von zwölf Jahren." Eines der Objektschilder in der Ausstellung lieferte ihm die Information für die Parenthese. [15] Später, in einer anderen Besprechung über die Arbeit von Oyvind Fahlstrom, konnte Guagnini folgendes schreiben: "Die gesamten Kompositionen suggerieren sofort gigantische Verdauungsapparate, und die von ihnen beschriebenen Ereignisse [...] haben die unausweichliche organische Logik von Verdauungsbewegungen." [16] Guagnini beendete den Zyklus schließlich mit einer Besprechung der MoMA-Ausstellung zu lateinamerikanischer Kunst im Museo del Barrio von 2004, in der er die Ankaufspolitik des Museums in den dreißiger und vierziger Jahren als "'monkey see, monkey do' approach" genau beschreibt. [17]

Bezeichnenderweise endete Guagninis Projekt nicht mit dieser Besprechungsreihe. Seine vier Artikel wurden daraufhin in einer Broschüre abgedruckt, der noch einzelne Essays von Dan Graham und John Miller hinzugefügt wurden. Dan Grahams Beitrag erinnert den Leser daran, dass er, Graham, am 10. April 1969 während einer Präsentation der Art Workers Coalition erklärt hatte: "The art world stinks; it is made of people who collectively dig the shit; now seems to be the time to get the collective shit out of the system."

John Miller spielt eine interessantere Rolle in Guagninis Broschüre. In seinem Essay macht er deutlich, was bis dahin die versteckte und fast nicht wahrnehmbare Struktur in den Aktionen von Guagnini war. Wir lesen darin auch, dass Miller für seinen Beitrag engagiert wurde und dafür exakt den gleichen Betrag erhielt wie Guagnini für seine Besprechungen in Time Out New York. Miller sorgt damit für die kritische bedeutsame Information, dass Guagnini sich selbst darauf beschränkte, das Time Out-Geld an Miller zu schleusen. Anders ausgedrückt: Guagnini hat sich auch selbst subvertiert.

Die für Guagninis Buch geschaltete Anzeige erreichte den Kunstredakteur der Time Out, der wiederum dem Chefredakteur der Zeitschrift voller Bewunderung davon erzählte. Dessen Reaktion jedoch hätte durchaus erfreulicher ausfallen können: er feuerte Guagnini umgehend - wegen Urheberrechtsverletzung.

Rückblickend erscheint Grahams Hoffnung von 1969, die Scheiße aus dem System herauszuschaufeln, wie eine angejahrte Utopie. Die Scheiße sichtbar zu machen ist jedoch noch immer dringend notwendig. Bei einer Challenger-Mission von 1985 flogen zwei Affen als Versuchstiere zur Erforschung der Schwerelosigkeit mit. Die Affen wurden in einen normalen Käfig gesteckt. Als die Schwerelosigkeit erreicht war, flogen ihre Stoffwechselendprodukte durch die Gitterstäbe ihres Käfigs und behinderten die Crew bei der Arbeit. "Die Affen waren nicht gerade Colonel Overmyers Lieblingspassagiere: er zeigte sich sichtlich verärgert, als ihre Ausscheidungen von den Käfigen in Labor und Cockpit des Shuttles vordrangen." [18] Man könnte sagen, dass die Affen die Möglichkeiten des Systems ausgenutzt haben, das sie am Leben erhielt. Unter den gegebenen Bedingungen gelang es ihnen, das System zu unterlaufen. Bei ihnen war das ein glücklicher Zufall; sie mussten nicht strategisch vorgehen oder auch nur darüber nachdenken. Im Lanzarinis Fall und danach in dem von Guagnini schafft die kritische Distanz eine Entsprechung zur Schwerelosigkeit und macht bestimmte Dinge sichtbar. Ganz gleich, wer das Ausgangsmaterial solcher Einsichten liefert. Wichtig ist, dass sie sichtbar gemacht werden.

Bearbeitet von Selby Hickey; Übersetzung Hannes Loichinger, Patricia Holder

Image credit: 1. public domain; 2. photo Stephan Lochner; 3. courtesy of Nic Guagnini

Anmerkungen

[1]Die Arbeit wurde schließlich 1999 in der Gallery Lelong in New York und im Kiasma Museum für zeitgenössische Kunst in Helsinki gezeigt.
[2]Manchmal besteht der Akt der Distanzierung vom Status quo eher im politischen Statement als in dessen Inhalt. 1997 malte der kubanische Künstler Tomás Esson sein SPOULAKK: den Rücken einer Person beim Geschäft. Wenn die Buchstaben beim Namen genommen werden, ergibt der buchstabierte Titel (esepeoueleakaka) übersetzt "dieser Furz riecht nach Scheiße". Die Verbindung von Bild und Titel sollte in der kubanischen Szene skandalös wirken. 1990, anlässlich der Ausstellung "El objeto esculturado (The Sculpted Objekt)" in Havanna, ging der Künstler Angel Delgado, der dort nicht ausstellte, zur Eröffnung, legte sorgfältig ein Stück Zeitung auf den Boden, ließ seine Hosen herunter und schied seine Arbeit aus. Konsequenz war eine sechsmonatige Haftstrafe.
[3]1986 wurde der mexikanische Künstler Roger Von Gunten, um einem Vertrag mit seinem Galeristen Serapíon Fernández Stark nachzukommen, vom Gerichtshof zur Bildproduktion verurteilt. Im Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, malte Von Gunten 19 Leinwände mit Texten, die seine Version des Falls illustrierten. Die erste Leinwand fing an mit: "Ich fertige diese Leinwände an, um dem Urteilsspruch des 'Superior Tribunal of Justice' zu folgen." (Sam Dillon, "Here's Paint in Your Eye, or the Artist's Revenge", in: 'The New York Times', 3. 4. 1996, S. A4). Eine längere Analyse des Falles wurde von Francisco Reyes Palma in 'Curare' Nr. 16 veröffentlicht. Nach einigen Revisionen mit wechselnden Schuldzuweisungen wurde der Fall 2004 schließlich gegen Von Gunten entschieden, mit dem Erlass, ein Haus zur Auktion zu stellen.
[4]Carol Vogel, "Chris Ofili. British Artist Holda Fast to his Inspiration", in: 'The New York Times', 28. 9. 1999.
[5]"A lomo de caballo criollo se hizo la patria."
[6]"Los caballos de la patria como buenos caballos cagadores tienen olor a podrido."
[7]"Arte y justicia", in: 'Tres', Montevideo, 12. 7. 1996.
[8]Letter to the Captain of the 12th Police Precinct, Montevideo, 6. 7. 1996.
[9]Lanzarini in einem Brief an den Autor, 7. 10. 1996.
[10]Lanzarinis Arbeit hatte viele Trittbrettfahrer zur Folge, und in der Innenstadt von Cerro Largo wurde ein Monument zu Ehren von Jose Artigas, dem Gründer von Uruguay, obwohl es vor der Polizeihauptwache stand, mit der Aufschrift "Sex and Drugs" versehen. Vgl. 'La Rebublica', Montevideo, 6. 8. 1996.
[11]"Arana Complice", in: 'Tres', Montevideo, 19. 7. 1996, S. 57. Mariano Arana ist der Bürgermeister von Montevideo.
[12]Ramon Diaz in einer Debatte mit Lanzarini, übertragen von Radio Sarandi.
[13]Gabriel Lagos, in: 'La Republica', Montevideo, 9. 7. 1996, S. 13.
[14]"Piero Manzoni. Achrome", in: 'Time Out New York', 16. 10. 2003, S. 82.
[15]"Theodore Chasseriau (1819-1856). The Unknown Romantic", in: 'Time Out New York', 26. 12. 2002, S. 53.
[16]"Oyvind Fahlstrom, The Complete Graphics and Multiples from the Bank One Art Collection", in: 'Time Out New York', 3. 4. 2004.
[17]"MoMA at El Museo. Latin American and Carribean Art from the collection of the Museum of Modern Art", in: 'Time Out New York', 1. 4. 2004.
[18]"Col. Overmayr, Commander of Shuttle Missions, Dies at 59", in: 'The New York Times', 24. 3. 1996, S. 48.