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Tabea Metzel

Sei spezifisch "Para Sites - when space comes into play ..." im Museum Moderner Kunst in Wien

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Raum wird spätestens seit dem "spatial turn", den die anglo-amerikanischen Kulturwissenschaften in den Neunzigern diagnostizierten, nicht mehr ontologisch aufgefasst, sondern als Äußerungsprozess beschrieben. Der Frage, wie er als Gegenstand aktueller künstlerischer Praxis verhandelt wird, widmete sich ein Ausstellungprojekt der MUMOK Factory, Ort für experimentelle Wechselausstellungen im Museum Moderner Kunst in Wien.

Mit dem wortspielerischen Ausstellungstitel "Para Sites" bewegte sich das Projekt zugleich auch am Rande des Fahrwassers jüngst wiederbelebter biologistischer Systemmetaphorik, mit deren Strömungsstrudel Ward Shelley und Douglas Paulson die Besucher gleich in der Eingangshalle empfingen. Im hohen Lichtschacht des Gebäudes sponnen die beiden New Yorker ein gewaltiges Netz aus Seilen. Fetzen aus Teerpappe gliederten darin einen Bau und wiederholten in Farbe und Form die graue Basaltlava-Fassade des Museumsgebäudes, mit dem die Architekten Ortner und Ortner den musealen Raum abzuschotten und vor Durchdringung durch andere Räume verzweifelt zu verteidigen gesucht hatten. Den Titel der Intervention "W.A.S.P." - das Akronym für White Anglo-Saxon Protestant - noch mit ihren schwarz-gelb-geringelten Trikots illustrierend, kolonisierten Ward und Paulson symbolisch den Museumsraum.

Die Installation der Finnin Tea Mäkipää kehrte - entsprechend der anderen Bedeutung des Ausstellungstitels neben dem Museum platziert - das Prinzip der räumlichen Isolation des geschlossenen Baus um. Das Gerüst der Versorgungsinfrastruktur eines zweigeschossigen Gebäudes lieferte - gefährlich geneigt - eine räumliche Analogie menschlicher Beziehungen. Lautsprecher trugen Stimmen imaginärer Bewohner des Hauses durch den Hof des Museumsquartiers, wenn auch nicht bis zur Haltebucht an der Straße, wo Michael Rakowitz einen Vorschlag für die alternative Nutzung von öffentlichen Parkplätzen unterbreitete. Rakowitz ist wohl neben dem New Yorker Künstler/innenkollektiv "Parasite", in dem sich Ende der Neunziger im Umfeld der Kontextkunst Künstler/innen wie Julie Ault, Martin Beck, Andrea Fraser und Renèe Green formierten, heimlicher Pate des Ausstellungsprojekts. Als der frühere New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani in den Neunzigern Gesetze zu Verbesserung der "Lebensqualität" erließ, die vornehmlich der weiteren Ausgrenzung und Vertreibung Obdachloser und anderer Störenfriede der hegemonialen Konsenswolke Konsum dienten, hatte Rakowitz seine "paraSITES" konzipiert. Der New Yorker Architekt und Bildhauer hatte ephemere, dem Bedarf angepasste Architekturen entwickelt, die sich individuell gestalten und trotzdem kostengünstig produzieren ließen. Diese mobilen Wohneinheiten aus Müllbeuteln und Klebeband konnte man mit ihren breiten Schläuchen an die Austrittsöffnungen von Versorgungssystemen wie Klimaanlagen anschließen, so dass die pneumatischen Strukturen automatisch aufgeblasen und beheizt werden konnten. Für den aktuellen Beitrag ließ Rakowitz tragbare Zelte aus herkömmlichen Autoabdeckungen produzieren, die man an der Kasse des MUMOK ausleihen konnte.

Bei der Auswahl der insgesamt neun internationalen Projekte, von denen ein großer Teil eigens für die Ausstellung realisiert wurde, stand weniger die reine Verortung von Individuum und Gesellschaft im Vordergrund. Vielmehr interessierte die Kuratorin Manuela Ammer, wie die Künstler/innen den Raum als aktive und veränderbare Dimension thematisierten und dessen konkrete gesellschaftliche Äußerungen auf Alternativen hin befragten. Viele der Projekte operierten mit prozessualen Verfahren, Präsenz und eigenem performativen Einsatz der Künstler/innen oder bezogen das Publikum mit ein. So konnten die Besucher in der Videoinstallation von "eteam" (New York) ein Wüstengrundstück im US-Bundesstaat Utah besiedeln, das die beiden Künstler/innen bei Ebay ersteigert hatten. Es bestand die Möglichkeit, im Workshop mit dem britisch-kanadischen Duo "Visible Art Activity" die Reguliertheit des urbanen öffentlichen Raumes zu diskutieren, oder mit Gil & Moti ins Gespräch kommen. Die Arbeit der beiden aus Israel stammenden und in Rotterdam lebenden Künstler ist durch die Aufhebung der Trennung zwischen Privatleben und öffentlicher Inszenierung bestimmt. Seit einem Jahr verheiratet, sind sie im Rahmen ihres jüngsten Projekts "Dating Gil & Moti" in schwulen Internetforen auf der Suche nach einem arabischen Liebhaber und überschreiten politische wie soziale Barrieren.

Schon vor Betreten des eigentlichen Factory-Ausstellungsraums musste man sich entscheiden, Jennifer Alloras und Guillermo Calzadillas (San Juan/Puerto Rico) Bodenarbeit zu verschonen oder einfach darüber zu laufen - mit dem Effekt, die nicht fixierten Kohlezeichnungen zu zerstören. Die realistischen, extrem verkürzten Darstellungen Tanzender aus der Vogelperspektive waren von den oberen Etagen des Gebäudes sichtbar. Die Markierung von Räumen bezog sich hier auf die Individuierungsgeste der Markierung von Körpern in unterschiedlichen sozial und gesellschaftlich kodierten Räumen der Begegnung. Gerade die Absurdität und Beliebigkeit gesellschaftlicher Konventionen schien das Wiener Künstlerduo "kozek hörlonski" mit seiner hermetischen, durch die Kopplung an die Bewegungen des Fahrstuhls aleatorisch gestützten Performance unter Beweis stellen zu wollen.

Carola Dertnig und Stefanie Seibold, die 2003 zusammen "Mothers of Invention", die Schau vor "Para Sites" in der Ausstellungsreihe zur Vermittlung performativer Kunst am MUMOK, kuratiert hatten, setzten auf die konzeptuelle Geste der Hausbesetzung. Sie nahmen mit ihren eigenen Filmen zwei Videokabinen in Beschlag, die sonst den Wiener Aktionisten vorbehalten sind. Mit der performativen Vereinnahmung des institutionellen Raumes verstärkten sie die Sichtbarkeit für die museal unterrepräsentierten Arbeiten von Künstlerinnen und markierten die Definitionsmacht der Kunstgeschichte. Inwieweit die künstlerischen Praktiken Systeme affirmativ bestätigen oder deren Fehlstellen markieren, wird notwendige Verhandlungs- und Streitsache bleiben. Der Handlungsspielraum ist groß, das hat "Para Sites" gezeigt.

"Para Sites - when space comes into play ...", MUMOK Factory, Museum Moderner Kunst, Wien, 15. Oktober bis 7. November 2004.