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Juliane Rebentisch

Spektakel

Juliane Rebentisch (2007)

Kaum ein anderer mit 68 assoziierter Begriff steht bei Kulturproduzent/innen heute noch so unbeschadet für „Criticality“ wie der des Spektakels. Heute oftmals etwas unglücklich auf Phänomene der Event- oder Erlebniskultur (oder auf das, was dafür gehalten wird) angewendet, impliziert der Begriff des Spektakels, deutlicher als „Event“ oder „Erlebnis“, eine kulturkritische Bedeutung. Eine eingehende Auseinandersetzung mit den Implikationen der Debord’schen Diagnose und Kritik einer „Gesellschaft des Spektakels“, auf die sich die entsprechende kulturkritische Rede mal mehr, mal weniger explizit bezieht, ist indes, jedenfalls jenseits der engen Grenzen wissenschaftlicher Diskussion, bislang ausgeblieben. Gerade der offensichtlich totalisierende Zug dieser Diagnose scheint sich vielmehr heute nur zu gut zu eignen, um die empfundene politische Ohnmacht in Radikalität umzumünzen, eine Radikalität freilich, die kaum noch mehr ist als eine Verfallsform heroischer Melancholie: Wir sind alle Teil des Spektakels, aber wir prangern es an. So – als gratisradikale Leerformel – eingesetzt, verstellt die Kritik des Spektakels allerdings gerade das Verständnis der ökonomisch-politischen Verhältnisse, auf das sie Anspruch erhebt.

Dies gilt auch dann noch, wenn man sich die Implikationen dieser Kritik etwas näher betrachtet. Denn schon bei Debord ist die Kritik des Spektakels in ihrem systematischen Kern keineswegs so kapitalismusspezifisch, wie sie sich präsentiert. Tatsächlich steht sie in einer außerordentlich langen, bis auf Platon zurückreichenden Tradition radikal repräsentationskritischer Gesellschaftskritik, die sich an der problematischen Utopie sozialer Authentizität ausrichtet. Problematisch ist diese Utopie, weil sie auch dort, wo sie sich als demokratische versteht, latent oder manifest Züge autoritärer Vergemeinschaftung trägt. Rousseau und Marx sind dafür die wohl einschlägigsten Beispiele. Dieses Problem ist in der Reflexion auf die totalitäre Erfahrung im 20. Jahrhundert ausdrücklich als Problem erkannt worden und steht im Zentrum der Demokratietheorie der Gegenwart; sie bestimmt Claude Leforts Denken der Teilung bzw. des Konflikts ebenso wie Jacques Rancières Denken des Unvernehmens oder Jacques Derridas Denken der différance.

In der Linie dieser Theorien stellt sich denn auch das Problem unserer Zeit gerade nicht als eines der Teilung dar, wie dies etwa in der sich auf Debord berufenden Forderung nach mehr unmittelbarer „Relationality“ im Kunstkontext angenommen zu werden scheint. Während ein Teil der kulturproduzierenden Linken – anscheinend ungerührt von dem eben genannten Stand politischer Reflexion – den alten Traum einer unschuldigen Gesellschaft jenseits jeglichen Konflikts weiterträumt, in der es deshalb auch keiner Instanzen politischer Repräsentation bedürfte, geht es in der politischen Theorie gerade um die Verteidigung von Teilungen: des gesellschaftlichen Konflikts ebenso wie, damit verschränkt, des Abstands zwischen Macht und Gesellschaft, wie er durch die Symbolisierung des Konflikts in der politischen Repräsentation gegeben ist. Und zwar richtet sich diese Verteidigung gegen eine ideologische Formation, die des Neoliberalismus, in der sich die Macht nicht mehr darüber legitimiert, dass sie dem Konflikt Ausdruck verleiht, sondern im Rekurs auf wirtschaftliche Notwendigkeit. In diesem Zusammenhang steht, dass sich die über ihre eigene Ohnmacht legitimierende Macht sich tendenziell mit dem Bild einer – nun allerdings neoliberal verstandenen – „klassenlosen Gesellschaft“ identifiziert, die noch den ärmsten Schlucker einschließt, indem sie ihm das Potenzial zur kreativen Selbstverwirklichung zuspricht. Damit aber wird nicht nur die gesellschaftliche Teilung auf bloße Faktizität reduziert, und das heißt: als Konflikt ausgelöscht. Auch der Abstand zwischen Macht und Gesellschaft verringert sich bis zur Unkenntlichkeit.

Angesichts einer Situation, in der sich die Demokratie, wie Rancière formuliert, in eine „Post-Demokratie“ zu verkehren droht – insoweit nämlich in ihr die Teilungen (diejenigen in/der Gesellschaft wie die zwischen Macht und Gesellschaft) negiert werden –, ist die Kritik des Spektakels doppelt unzeitgemäß. Sie partizipiert an einer in sich schon problematischen Utopie sozialer Authentizität, ohne zu merken, dass deren zentrale Motive mittlerweile von der Gegenseite aufgenommen worden sind. Demgegenüber ginge es darum, die Teilungen erneut zu exponieren und zu Konflikt und Abstand zu schärfen. Das ist indes nicht das Ende der Repräsentationskritik, sondern ihr Beginn. Sofern es Modi neoliberaler Repräsentation gibt, die durch die Suggestion einer „All-Sichtbarkeit“ von allem und jedem (Rancière) der Darstellung des Konflikts entgegenstehen, bedarf es einer Kritik der Repräsentation im ursprünglichen Sinne einer unterscheidenden Tätigkeit. Da die diffuse Rede von der Herrschaft des Spektakels aufgrund ihrer totalisierenden Züge und ihrer problematischen Implikationen eine solche aber gerade verstellt, sollte man sie auf unbestimmte Zeit suspendieren.