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Aram Lintzel

Über "Auf verlorenem Posten" von Slavoj Zizek

Slavoj Žižek Slavoj Žižek

Dem slowenischen Psychoanalytiker und Philosophen Slavoj Žižek eilt bisweilen der Ruf voraus, um jeden Preis provozieren zu wollen. Besondere Freude macht es diesem viel schreibenden Energetiker, die Grundfeste der „political correctness“ in Theorie wie Politk herauszufordern.

Aram Lintzel hat Žižek neues Buch „Auf verlorenem Posten“, das in diesem Jahr in deutscher Übersetzung erschienen ist, genauer unter die Lupe genommen. Es war kaum zu erwarten, dass der Mann mit dem Abo zur Aufregung mit dem Alter milder geworden wäre. Schon die liebevoll lacanianische Widmung des Buches an Alain Badiou ließ Grundsätzliches erwarten.

In Zeiten der Klage über die angebliche „Alternativlosigkeit“ des politischen Mainstreams findet Slavoj Žižek mit seinen Maximalforderungen immer ein offenes Ohr. Dass er sich mit dem Ernst- Jünger-haften Titel seines neuen Buches trotzdem in die heroische Einsamkeit imaginiert, darf getrost als Koketterie verstanden werden. Längst wird er als Chefintellektueller zu allen denkbaren Themen angefragt, vom Nahostkonflikt über Opernpremieren bis hin zur Finanzkrise. Rigorismus und Kompromisslosigkeit sind Kennzeichen seines stalinistic turn – schon in „Die Revolution steht bevor: Dreizehn Versuche über Lenin“ (2002) hofierte er die „innere Größe des Stalinismus“.

Die politischen Texte des slowenischen Psychoanalytikers und Philosophen leben von einem performativen Kontrast: Antiliberale, gegen die Toleranzidee gerichtete Vorschläge werden in einem assoziativen Blogging-Stil vorgetragen, in dem sich lacanistische Episoden, paradoxale Zuspitzungen und aus der Hüfte geschossene Zeitdiagnostik lässig vermischen. Žižeks Beob-achtungen sind insofern hilfreich, als dass sie gegen Kulturrelativismus und postideologische Indifferenz einen „maßlosen“ Universalismus neu ins Spiel bringen. Er erinnert uns daran, dass der demokratische Gedanke – auch wenn demokratische Gesellschaften je nach Kontext mal so, mal so aussehen – einen normativ radikalen Maßstab anbietet, der mehr verspricht als pragmatischen „Interessenausgleich“: eine die Verhältnisse überschreitende Kritik.

In „Auf verlorenem Posten“, 2008 unter dem Titel „In Defense of Lost Causes“ erschienen, empfiehlt sich Žižek wieder als Diskurs- Charismatiker, der von weit oben draufschaut und mit klaren Ansagen höchstpersönlich in die Bresche des seit der Postmoderne fehlenden „großen Anderen“ treten könnte. Wer nicht an große Erklärungen glaube, könne das Buch wegwerfen, lesen wir gleich zu Beginn. Die knappe Diagnose des Buches lautet: Wir leben in einer „atonalen Welt“ aus lauter lokalen Erzählungen, in der kein Herrensignifikant mehr globalen Sinn verbürgen könne. Die Situation sei klaustrophobisch, denn alle für die liberale Demokratie konstitutiven Unterscheidungen basieren auf dem ausgeschlossenen Dritten: „Die derzeitige falsche Wahl ‚liberale Demokratie oder Islamfaschismus‘ beruht beispielsweise auf der Auslöschung der radikalen säkularen emanzipatorischen Politik“, schreibt Žižek. Neuere postmoderne und postmarxistische Theoriebildungen seien Komplizen dieses Status quo, linke Theorie verneine, verwerfe, verdränge oder verleugne die vollständige Hegemonie des globalen Kapitalismus. Unter anderem an Negri und Agamben arbeitet sich Žižek kritisch ab. Auch gegen neoanarchistische Strategien der Blockade hat er Einwände.

Gerade das Fehlen jeder realistischen revolutionären Perspektive gebe uns aber „die sonderbare Freiheit, zu experimentieren“. Man solle einfach so handeln, als ob die erhoffte Zukunft, der versöhnte Zustand radikaler und globaler Egalität, schon da sei. Dieser pathetisch beschriebene Möglichkeitsraum schließt identitäts- und mikropolitische Geplänkel aber offensichtlich aus. Žižeks Dramapolitik kennt nur noch große Unterschiede. In bester Bürokratismustradition kümmert er sich wenig um konkrete Lebensverhältnisse und die Widersprüche des Alltags. Die globale Klassenspaltung wird behauptet, nicht analysiert. Ausgeschlossene und „Anteillose“, insbesondere Slumbewohner, verkörpern für Žižek zwar die Allgemeinheit, es bleibt gleichwohl unklar, wie sie – um in der marxistischen Logik Žižeks zu bleiben – zur revolutionsfähigen „Klasse für sich“ werden könnten. Zu Symptomen degradiert, spielen sie in Žižeks Aufstellung eine seltsam kontextlose Statistenrolle.

Es geht Žižek auch gar nicht um konkrete Bewegungen und Allianzen, sondern viel grundlegender darum, in die Zone einer „Politik der Wahrheit“ (Alain Badiou / Jacques Rancière) vorzudringen. Dazu beschwört er das messianische Konzept des Glaubenssprungs, des Aktes, der „nicht nur innerhalb eines gegebenen Rahmens wirkt, sondern dessen Koordinaten stört und ihn somit als Rahmen sichtbar macht“. Diese fundamentale, sich über realpolitische Widersprüche und Widerstände hinwegsetzende Anmaßung verändert das politische Schicksal. Und sie erfordert als ein Willensakt Härte und Opferbereitschaft.

Mit seiner Begriffswahl – „Terror“, „egalitärer Schrecken“ – und seiner Feier der chinesischen Kulturrevolution gibt Žižek einmal mehr den konsensfeindlichen, anti-antitotalitären Provotheoretiker. Dabei wirkt er wie der ewige Punk, der sich obsessiv an seinen linksliberalen, repressiv-toleranten Eltern abarbeiten muss. Postmodernen Theoretikern der Differenz hält er entsprechend „Verklemmtheiten“ und Blindheit für den ökonomischen Hauptwiderspruch vor. Umso mehr überrascht es, dass Žižek doch ähnliche Problematiken wie seine liberalen Feinde sieht, wenngleich unter anderen Vorzeichen: Die ökologische Krise, Fragen des Urheberrechts und Entwicklungen in der Biowissenschaft sind für ihn potenzielle Trigger des kommunistischen Ereignisses. Der „Glaubenssprung“ scheint nun doch kein blanker voluntaristischer Akt zu sein, der im autonomen Off landet. Es gibt drängende Anlässe im realpolitischen Raum, die sich nicht „überspringen“ lassen – lange Passagen handeln etwa von Ökologie. Es widerspricht der eigenen ideologiekritischen Emphase, dass Žižek sich auf diesen von allen realpolitischen Lagern längst anerkannten Sachzwang willig einlässt.

Doch das heftige Ende kommt noch. Ganz am Schluss plädiert Žižek angesichts der ökologischen Herausforderung dafür, „eine der Gestalten der egalitär-revolutionären Schreckensherrschaft, die für die Kombination aus Schrecken und Vertrauen steht, wiederzubeleben: den ,Informanten‘, der die Schuldigen bei den zuständigen Stellen denunziert“. Abgesehen von der Frage, wozu der ganze ideologiekritische Aufwand betrieben wird, wenn am Ende doch nur„Schuldige“ gefunden werden müssen, wird die eingangs versprochene experimentelle Freiheit erbarmungslos verknappt. Nichts anderes als ein ökokommunistischer Kontrollstaat schwebt Žižek offenbar vor. Das Perfide an diesen Schockerstrategien ist allerdings, dass jedes stirnrunzelnde „Problematisch-Finden“ schon in die Provofalle geht. Und so bleibt dem Leser – ähnlich wie bei Alain Badiou, dem „Auf verlorenem Posten“ gewidmet ist – nur das dezisionistische Entweder-Oder: entweder zum apologetischen Gefährten werden oder zum liberalen Langweiler, der für Pluralität und den Kompromiss- und Streitcharakter demokratischer Politik eintritt. Tertium non datur. Auch Ironie hilft nicht weiter, zu unangenehm dürfte der egalitäre Schrecken auch für jene ausfallen, die Žižek in kritischer Solidarität verbunden sind. Weil Žižek antikapitalistische Kämpfe mit allen Mitteln totalisieren will, wird sein Universalismus letztlich ein Moralismus, der keine Abweichung zulässt.