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Manufactum auf Leinwand. Zum Breitenerfolg figurativer Malerei Niklas Maak

„Sergej Jensen“, Galerie Buchholz, New York, 2015, Installationsansicht

„Sergej Jensen“, Galerie Buchholz, New York, 2015, Installationsansicht

Es ist verblüffend, aber wahr. Auch nach mehr als hundert Jahren einschneidender Kritik an der Malerei als vermeintlichem Inbegriff der autonomen bürgerlichen Kunst sind es Figuren in Öl, die das Herz vieler Sammler*innen und Feuilletonist*innen höherschlagen lassen. Gerade die gegenständliche Malerei aus deutschen Landen, gerne unter dem Begriff der „Leipziger Schule“ subsumiert, wird regelmäßig als Topseller auf Messen gehandelt und von neoliberalen Politikern heiß geliebt. Kritische Diskurse stören da nur das gern propagierte Bild des fern jeder Zivilisation einsam vor sich hin werkelnden Künstlers. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Niklas Maak machte sich 2010 für „Texte zur Kunst“ auf die Suche nach Antworten auf diese Frage. Die Spur führte ihn ins Rheinland. Mit der Wiederveröffentlichung von Maaks Beitrag zu Heft #77, „Painting Is Not the Issue“, blicken wir zugleich auf unser Juniheft zum Thema „Figuration“ voraus.

Am 10. November 2009 fand bei Christie’s in New York eine denkwürdige Auktion statt. Das angepeilte Spitzenlos, Basquiats „Brother Sausage“, floppte ebenso wie Warhols „Tunafish Disaster“, dagegen wurde überraschend Peter Doigs figuratives Gemälde „Reflection (What does your soul look like)“, das die Spiegelung eines Mannes in einer Pfütze zeigt, zum teuersten Kunstwerk der Auktion und ging für 10.162.500 US-Dollar inklusive Aufgeld an einen Telefonbieter – was nur etwas weniger als der bisherige Doig-Auktionsrekord von 2007 und mehr als das Doppelte der unteren Nettotaxe war. Offensichtlich lässt sich figurative Malerei auch in Krisenzeiten gut im Markt platzieren.

Der Erfolg von Doig ist kein Einzelfall. Jenseits aller künstlerischen Diskurse, für die im Bereich der Malerei in Deutschland etwa Sergej Jensen, Michael Krebber und Amelie von Wulffen stehen, und unberührt von der Tatsache, dass sich Strategien der konzeptuellen und institutionskritischen Kunst in der gegenwärtigen Kunstproduktion und -rezeption weitgehend durchgesetzt haben, hat sich mit der figurativen Malerei eine kommerziell ebenso erfolgreiche wie breitenwirksame künstlerische Biosphäre entwickelt, die man zunächst einmal als Galapagos-Syndrom beschreiben kann: als ein Biotop, in dem unberührt vom Stand einer kunstkritischen und -historischen Debatte um das Medium Malerei wieder Kriterien wie „Qualität“, „Handschrift“, „Inkarnat“ oder „malerische Virtuosität“ geltend gemacht werden. Diese Galapagoskunst, deren Vertreter*innen sich – was Teil einer ideologischen Strategie ist – selbst gern als Bewohner*innen ferner, vom Festland der hegemonialen Avantgarden abgeschotteten ästhetischen Inseln darstellen, ist allerdings oft alles andere als auf eine schrullige Weise anachronistisch und peripher; sie und ihre Propagandisten greifen mit antimodernem Furor in aktuelle Diskurse ein und stehen zumindest kommerziell mitten im Zentrum jener Welt, als deren sentimentaler Gegenentwurf ihre Malerei erscheint.

Wenn vom Erfolg „der“ figurativen Malerei die Rede ist, müssen mindestens zwei Phänomene unterschieden werden: einerseits die Arbeiten von Künstlern wie Peter Doig oder Neo Rauch und, in ihrer Folge, das Aufkommen einer figurativen Malerei, die vor allem bei Einsteiger*innen in den Kunstmarkt beliebt ist und überproportional mehr in privaten Kontexten, in Wohnzimmern, Praxen und Kanzleien als in Museen, Kunstvereinen oder auf Biennalen zu finden ist. Andererseits der anhaltende Erfolg figurativ arbeitender Künstler wie Baselitz, Lüpertz, Kiefer, die – wie auch der verstorbene Jörg Immendorff – ihre künstlerischen Karrieren allesamt mit dezidiert politischen, oft eher am Fluxus orientierten Gesten begonnen haben und dann fast zeitgleich eine Kehrtwendung zum Tafelbild und zu einer essentialistisch aufgerüsteten Ikonografie vollzogen haben, die extreme und anhaltende Markterfolge garantiert.

Wie aber funktioniert diese Malerei? Peter Doigs Bilder rekurrieren formal auf bekannte, kunsthistorisch abgesicherte Maltechniken; die schlierigen, flirrenden Farbüberlagerungen, die aus Turner und Monet destilliert scheinen, dazu eine symbolistische Entlichtung der Szenerie, die zwischen Hodler und Gauguin schwankende Farbigkeit garantieren das Prädikat „malerisch“; Snowboarder und Lastwagen garantieren wiederum, dass diese Gemengelage nicht als epigonal kritisiert werden kann, sondern in der Gegenwart verankert scheint. Ikonografisch setzt die figurative Malerei eine Ausweichbewegung fort, die die gegenständliche Malerei des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf das neue Dokumentationsmedium der Fotografie ausprägte – eine Flucht ins Fantastische oder Vorzeitliche. Feen und Mammuts brachte das beste Foto nicht ins Bild – hier hatte die figurative Malerei eine Nische, die erfolgreich auch von Symbolismus und Surrealismus bespielt wurde. Beide Subgenres sind als Code in der aktuellen Figuration stark vertreten. Eine eigenartige weiße Kauergestalt im Kanu bringt soviel David Lynch in Doigs Flussszene, dass sie sich nicht dem Vorwurf einer bloß dekorativen Landschaftsvedutenmalerei aussetzt. Der figurativ arbeitende Maler erscheint in der Presse als jene Klischee­figur, als die die Bohememythen des 19. Jahrhunderts ihn auch schon sahen. Kein Bericht, der nicht Neo Rauch als einsamen Eremiten in seinem Atelier in der Leipziger Baumwollspinnerei beschreibt, über die der Künstler selbst sagt: „Es ist der Ort der Konzentration und der Inspiration. Mir wachsen hier die besten Einfälle zu“, was wohl nicht im wörtlichen botanischen Sinn verstanden werden soll. Der Spiegel feiert Peter Doig, der „als bester und teuerster Maler seiner Generation“ gilt, sich aber, „statt den gierigen Kunstmarkt zu bedienen, auf die Karibikinsel Trinidad zurückgezogen“ habe, als sei das von dort aus nicht möglich. Die Süddeutsche Zeitung preist den Maler als „Einzelgänger“, der „allein in seinem Atelier“ arbeite – als sei das ein nennenswertes Alleinstellungsmerkmal. Doig ziehe sich „zurück aus dem Besiedelten“ in eine Abgeschiedenheit, in der er dann den „Urtraum von der Weite“ male.

Hier werden die essentialistischen Ideologeme sichtbar, auf die die Einsamkeitsmythen hinlaufen – der Unzeitgemäße führt „uns“ zum „Urtraum“, zu den überindividuell gültigen Quellen „unserer“ kollektiven conditio humana. Auch das Erhabene kehrt als Kategorie zurück. Doigs „grandiose Landschaft“ sei inspiriert von den entgrenzten Kompositionen der abstrakten Expressionisten. Sie ist erhaben, weil sie sich Barnett Newmans „The sublime is now“ „anverwandelt hat“ (Süddeutsche Zeitung vom 20.12.2008), entwickle eine „Leuchtkraft“ von „magischer Qualität“ (FAZ vom 20.09.2008). Der Kunstkritiker Ben Lewis schreibt, Doig sei nicht nur ein neuer Turner, sondern auch ein „virtuoser Maler“, dessen Einflüsse ebenso „weitreichend wie visionär“ seien, seine Motive hätten „ein Gespür für das Sublime“.

Es ist auffällig, dass nationale Geschichte in der figurativen Malerei der Nachkriegszeit eine große Rolle spielt – sei es in Richters raf-Zyklus oder Immendorffs „Café Deutschland“. Doch auch die neuere Malerei steuert offenbar ein als „typisch deutsch“ empfundenes Sujet bei. Die Malerei und ihre Exeget*innen suchen Motive nationaler Identifikation ebenso, wie Musiker*innen dies neuerdings tun – etwa der Dirigent Christian Thielemann, der „das Deutsche in der Musik“ ausfindig zu machen glaubt, als etwas „Dunkleres“ (FAZ vom 09.02.2010), und das auch bei Komponisten, die eher aus einem österreichisch-ungarischen Umfeld stammen. Ob Tim Eitels Trainingsjackenträger oder Eberhard Havekosts Campinganhänger – die neue Figuration durchziehen Fetische, die an „kollektive Erfahrungen“ einer Generation und eines geografisch verortbaren Milieus appellieren. Als „deutsch“ konnotierte Motive finden sich vermehrt auch bei Neo Rauch, dessen frühere Werke eine eher luftige, leichte Farbigkeit hatten und die Kollision zweier verfeindeter figurativer Bildsysteme, des sozialistischen Realismus und einer verbleichenden Pop Art, in Szene setzten. In seinen neueren Bildern ist die einst helle, lichte Farbigkeit dunklen Tönen und einem massiven Arsenal lokaler Objekte gewichen; Knappen, Traktoristinnen und surreale Viecher drängen sich zwischen Mansfelder Abraumhalden, mitteldeutschen Wehrtürmen, Fachwerk- und Spitzdachhäusern. Zum Markterfolg der figurativen Malerei trägt neben diesen ansonsten in der Kunst nirgendwo anzutreffenden nationalen Identifikationsangeboten sicher auch das bizarre Verhältnis von äußerst gefälliger Optik und dräuender Bedeutung bei. So elegant überbelichtet wie bei Luc Tuymans sind Themen wie NS-Vergangenheit oder Kolonialgräuel sonst nicht zu haben. Wie zur Entwarnung notiert der kurze Text des Sammelbandes „Art Now“ [1] , bei Tuymans gehe es zwar um historisch Bedeutsames und Schwerwiegendes, aber „der spezifische Horror bestimmter Bilder“ werde nur in Werktiteln wie „Gas Chamber“, nicht im Bild selbst ausgedrückt. Anders gesagt: Man kann es sich übers Sofa hängen, ohne dass es den Abend stört.

Als atmosphärisches Beiwerk wird die figurative Malerei derzeit besonders im Kontext privater Räume wichtig. Die Besitzerin eines Gemäldes von Tim Eitel erklärte mir einmal, von dem dunkelgrauen Bild gehe eine „Stimmung aus, in die man sich hineinträumen“ könne. Solche Kunst ist vielleicht dichter an Fragen des Home Improvement als an kunsthistorischen Diskursen. Natürlich sind die abgebildeten Figuren, die auf Wiesen stehen oder in Museen, auch Spiegelbilder ihrer Käufer*innen – so wie Kunstsammlungen ja überhaupt immer stärker als Porträts ihrer Besitzer angelegt werden. Die Werke, die Pinault in Venedig zeigt, erinnern allesamt an Champagnerverpackungen, sie sehen aus wie Artverwandte der Luxusprodukte, mit denen er seine Millionen verdient. Pinchuk kauft sich mit Gurskys Großformaten eine künstlerische Beglaubigung der Chefperspektive – während die frühen Fotografien noch eine „demokratische“, egalitäre Betrachter*innenposition einnahmen („Rhein“, „Montparnasse“), dominiert in den Dubai- und Rennstreckenbildern die autoritative Oligarchenposition; der Fotograf scheint mit seiner Kamera nicht mehr im öffentlichen Raum zu stehen, sondern aus der VIP-Loge, der Chefetage oder dem Privatjet heraus zu fotografieren.

Natürlich hängt der Erfolg der Figuration auch mit den Ritualen eines „neuen Bürgertums“ zusammen, das zur Positionsbestimmung ein Kontrapost braucht und es in der Künstler*in findet, der Exzess und Rätselhaftigkeit in den überregulierten Alltag bringen muss. Die Welt feierte Anselm Reyle als „Kunstmarktstar im Heavy Metal Shirt“, zitierte ihn mit den Worten „Neonfarbe ist wie eine stark aufgedrehte E-Gitarre“ und sorgte so für den Underground-Appeal, auf den das konservativ-gediegene Sammlermilieu so großen Wert legt, wenn es sich für viel Geld ein bisschen Bohemeglitzer in die Wohnung holt. Attraktiv erscheinen in diesem Zusammenhang auch die Informationen, dass Neo Rauch beim Malen Hardrock von Danko Jones hört und dass Daniel Richter Kampfsportler und Hausbesetzer war. Das Kunst kaufende Bürgertum kann dank Richters Großformaten die hochgepanzerten Einsatztruppen der Polizei einmal aus der Perspektive eines Demonstranten betrachten; mit den Bildern kauft man einen Optionsschein auf Teilhabe am wilden, ungesicherten Leben. Glücklich war der Arzt, der seinen verdatterten Klienten den neuen Meese im Wartezimmer erklären konnte, nicht ohne zu betonen, er kenne diesen Meese persönlich, der sei verrückt und „ein echtes Orginal“; die Klienten waren beeindruckt wie von jemandem, der gerade offenbart, er sei mit dem Motorrad illegal durch Iran und Nordkorea gerast.

Elementar für die Anerkennung des Kunstcharakters der figurativen Malerei und die Rechtfertigung ihrer erstaunlich hohen Preise ist die Behauptung, in den Bildern stecke ein scharfsichtiger analytischer Kern. Die Phalanx der Interpret*innen und Galerist*innen hat dazu aus dem Restesortiment kulturkritischer Sprachformeln ein Gorgonenhaupt zusammengezimmert, das allen Zweiflern energisch entgegengehalten wird – Tim Eitel etwa male keine privatistischen oder entkräfteten und dekorativen Bilder, sondern „reflektiere“ in seiner Kunst „kritisch“ eine zu ideologischen Backlashes, Entkräftung, Cocooning, soziokultureller Segregation und Dekorationswut neigende Gesellschaft. Ähnlich wird Anselm Reyle konzediert, er bediene bürgerliche Repräsentationswünsche keinesfalls naiv, sondern reflektiere diese (Reyles „Haupttalent“ bestehe „im Aufspüren des bildungsbürgerlichen Geschmackskonsenses – und im lustvollen Überschreiten seiner Schmerzgrenzen“, bemerkt die Website der Kunsthalle Tübingen). So wird eine bestimmte Malerei umstandslos als kritische Analyse jener Misere durchgewunken, deren Teil sie ist – als sei Kunst per se ein Akt der Bewusstmachung des Kontextes, in den sie eingespeist wird und funktioniert. Die Frage, was diese angebliche Kritik bewirkt, außer ein wenig Hinterfragungsglamour in die Deko-Effekte zu bringen, fällt dabei unter den interpretatorisch reich gedeckten Tisch.

Aber wenn man den Interpreten darin folgt, dass die figurative Malerei „uns“ etwas über irgendetwas erzähle: Was erzählen uns Symbole und Formsprache dann? Es gibt innerhalb dieser disparaten Gruppe figurativer Maler*innen einige, die man eher einem architekturtheoretischen Diskurs über Raumformen zuschlagen muss. Seltsam wird es meist dort, wo Menschen auftauchen. An dieser Stelle entpuppt sich vor allem die jüngste deutsche Bildproduktion als Schlachtfeld eines reaktionären Backlashs: Während Neo Rauchs eckig vor Spitzdachhäusern, Wehrtürmen und Lagerschuppen herumhantierenden rotnasigen Knappen und Traktoristinnen noch die Frage offenlassen, ob sie eine Angstfantasie oder vom Wunsch getragen sind, der urbanisierten Zivilisation in eine vormodern dunkle, rurale Welt zu entkommen, ist die Schüler*innengeneration oft offen reaktionär, nicht ohne die Ausdrucksformen emanzipatorischer Architektur- und Kunstbewegungen zu kapern. Was man sieht, sind Menschen in futuristischen Gehäusen und poppigen Kleidern – vergleichbar den grellorange leuchtenden, popbunten Wahlkampfständen neoliberaler Politiker*innen, die in einem Akt von sozioästhetischem Vampirismus die Aufbruchsästhetik der 1960er Jahre angezapft haben, um im modernen Kostüm gegen die politischen Errungenschaften dieser Zeit – Atomskepsis, Feminismus, Asylpolitik – anzukämpfen.

Es ist nicht nur der irritierende formale Rekurs auf präavantgardistische Kriterien wie „Handwerkliche Brillanz“, „Atmosphäre“, „Handschrift“, sondern auch der reaktionäre Geschlechterdiskurs, der etliche der neuen Figurativen so repressiv erscheinen lässt. Der Maler Ekkehard Tischendorf zeigt in seinem Gemälde „Feinkost“ von 2005 Beine, Bauch und Bikini-Unterteil einer Frau, darüber steht: „essbarer String“. Auf seinem Bild „Wildtulpe“ ist die Farbe vom Busen der gemalten Frau in Längsrichtung verwischt, als habe hier jemand fest nach der Brust und in die feuchte Farbe gegriffen. Wo Frauen in diesen Bildern nicht Fleischauslage oder bizarre Porn-Chic-Sexobjekte sind (wozu auch die schrillen Pornopudelfantasien von Martin Eder gehören), beschränkt sich ihre Rolle auf duldende, wartende Positionen; sie liegen wie in Tim Eitels „Erwartung“ auf Flokatiteppichen herum und starren ins Leere, sitzen knickhalsig da und harren der Dinge. So gesehen ist eine bestimmte figurative Malerei wirklich Salonkunst im übelsten Sinne des Wortes.

Der Erfolg einer neuen figurativen Malerei gerade in Deutschland (und anders als in Frankreich) wäre nicht denkbar ohne das Emanzipationsideologem der jüngeren deutschen Kunstgeschichtsschreibung, die die „Wiederentdeckung“ der Figuration Anfang der 60er Jahre als Befreiung vom angeblich eskapistischen Informel der Nachkriegsjahre, von K. O. Götz und E. W. Nay preist. Tatsächlich waren Arbeiten wie Kiefers „Besetzungen“, Immendorffs Aktionsprojekt „lidl“, Baselitz’ „Große Nacht im Eimer“ und auch die „Kunst, die im Wege steht“ des jungen Lüpertz wegweisend und wichtig. An diese Generation müssten aber endlich auch andere Fragen gestellt werden: Wie kommt es, dass parallel zur wirtschaftlichen auch eine künstlerische Ölkrise eintritt? Dass eine ganze Generation, die stark auf soziale Aktion setzte, sich in eine erstaunlich konventionelle Tafelbildmalerei zurückzog? Lag es an dem Galeristen Michael Werner, [2] der einige dieser Künstler*innen vertrat und ihre Flachware ausnehmend gut verkaufen konnte (besser jedenfalls als die Überbleibsel irgendwelcher Performances)? Und wie kam es, dass sich eine Kunstbewegung, die eigentlich die individuelle Erfahrung in den Vordergrund stellte, in einer Art essentialistic turn den Menschen an sich in den Blick nahm, die conditio humana, der Kiefer laut eigenem Bekunden intensiv nachforscht? Vielleicht liegt in diesem kaum erforschten Bruch einer Generation mit ihren eigenen Anfängen, ihrer bewussten Entpolitisierung, ihrer Hinwendung zu obsoleten Malerfürstenexistenzen in Schlössern (Baselitz) und Stadtpalästen (Kiefer) eine Erklärung für das, was als „Phänomen Figuration“ jenseits eines interessanten Diskurses über das Medium Malerei heute das Marktgeschehen bestimmt.

Niklas Maak leitet das Kunst- und Architekturressort im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und unterrichtet Architekturtheorie in Harvard. Zuletzt erschien von ihm der Roman Technophoria (Hanser Verlag).

Anmerkungen

[1]Uta Grosenick, „Luc Tuymans“, in: Art Now, Köln 2002, S. 512.
[2]Siehe Isabelle Graw, „Geld spielt eine Rolle. Über Marktbezüge und konzeptuelle Expression im Werk von A. R. Penck“, in: A. R. Penck, Ausst.-Kat., hrsg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M. 2007, S. 126–141, hier S. 136–140.