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Isabelle Graw

Zur Erinnerung an Mike Kelley

Als abwesender „Vater von Texte zur Kunst“ wurde Mike Kelley einmal von Tom Holert bezeichnet. [1] Zu Recht, wie ich meine; denn schon die Spannbreite von Mikes vielfältigen Interessengebieten könnte als ein Modell für den Spagat angesehen werden, den die ersten Ausgaben dieser Zeitschrift programmatisch zu leisten versuchten – zwischen Identitätspolitik und Malerei, zwischen High Art und Punkrock, zwischen Cultural Studies und akademischer Kunstwissenschaft, zwischen Psychoanalyse und Soziologie etc. Mike war ein unermüdlicher Forscher, mit dem man stets anregende Gespräche, etwa über den starren Kanon einer Zeitschrift wie October, die disziplinarischen Zumutungen von Einschließungsmilieus (Schule/Kunstakademie), sexistische Strukturen im Kunstbetrieb oder über die von ihm favorisierte (und interessanterweise von Künstlern/Künstlerinnen dominierte) Bewegung des Pattern Painting der späten 1960er Jahre, führen konnte. Ich erinnere mich gut daran, wie er mir in den frühen 1990er Jahren nahelegte, mich mit Pattern Painting zu befassen und diese Formation zu propagieren.

Als guter Vater, der für seine Kinder sorgt, hatte Mike schon früh eine Edition für diese Zeitschrift produziert – jenen Beistelltisch, den wir damals günstig bei Ikea einkauften, um Mikes Manuskript zum Leben und Werk des damals noch kaum bekannten Künstlers Peter Saul darauf zu platzieren. Mike war ein Spezialist auf dem Gebiet der Durchsetzung von „Künstler-Künstlern“, wobei diese Arbeit den Wert bildenden Aspekt seiner Gutheißung ebenfalls reflektiert. Eine Peter-Saul-Monografie hätte demnach das Zeug dazu, als Coffeetable-Buch zu fungieren.

Seine zweite Edition entstand unmittelbar im Anschluss an seinen Beitrag zur Ausstellung „Skulptur Projekte Münster“ (2007), wo er einen fantastischen Streichelzoo errichtet hatte, mit Tieren, die Lots Frau – zur Salzsäule erstarrt – ableckten. Wir erhielten Lots Frau en miniature – in Form eines an einer Kordel befestigten Seifenobjekts, dessen Form nun ebenfalls von Auflösung bedroht zu sein scheint. Die durch ihre potenzielle Benutzung zerfließende biblische Gestalt lässt sich als Allegorie auf einen Kunstbetrieb lesen, dessen feste, quasi religiöse Regeln und Rituale von einer informellen Ökonomie abgelöst wurden, die keine ethische Dimension mehr kennt.

Mike indessen trat stets vehement für oder gegen eine Sache ein, um sein Anliegen entsprechend in heftigem Ton vorzubringen. Es war oft anstrengend, mit ihm zu reden, zumal die Ausein­andersetzungen gelegentlich in ein Schreiduell mündeten. Mit dem vollen Einsatz seiner Person machte er aber auch deutlich, dass für ihn in jeder Diskussion viel auf dem Spiel stand. Aus heutiger Sicht könnte man deshalb sagen, dass er einen in Zeiten der Celebritisierung des Kunstbetriebs selten gewordenen Künstlertypus verkörperte, der die vorherrschenden Überzeugungen anzweifelt, falsche Zuschreibungen und Etikettierungen seiner Person (wie etwa das Etikett des Bad Boy) vehement zurückweist und für die Durchsetzung seiner Version der Geschichte, seines ästhetischen Ideals, mit allen Mitteln kämpft. Zuerst wollte ich es deshalb nicht glauben, als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt. Er konnte nicht tot sein, er war immer so vital, so unglaublich energiegeladen gewesen. Dass er sich getötet hat, worin sich eine unfassbare Härte gegen sich selbst und andere manifestiert, macht seinen Tod besonders fürchterlich. Es ist unmöglich, die Tatsache seines endgültigen Verschwindens, seiner zukünftigen Abwesenheit, zu diesem Zeitpunkt in all ihren Konsequenzen zu begreifen. Sein Tod ist „too abstract“, um es mit Warhol zu sagen. Zwar bemüht sich sein Umfeld im Moment verständlicherweise darum, sich diesen Tod eines Freundes zu erklären – mit Depressionen, persönlichen Problemen oder Mikes Leiden an den strukturellen Veränderungen im Kunstbetrieb der letzten Jahre, die auch andere zur Verzweiflung treiben. Dennoch bleibt sein Selbstmord ein acte gratuit – eine gewalttätige und zerstörerische Handlung, die sich jeder Kausalität entzieht. Nicht zu verstehen und doch so schmerzhaft, dass man wie im Rahmen einer psychoanalytischen talking cure darüber nachdenken und reden muss.

Anmerkung

[1]Tom Holert, „Mike Kelley: Vater, Lehrer, Kind“, in: I. Graw/H. Draxler/A. Rottmann (Hg.), Erste Wahl, 20 Jahre „Texte zur Kunst“, 1. Dekade, Hamburg 2011, S. 344–375.