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IN EIGENER SACHE Monika Baer, Susanne Leeb und Mirjam Thomann über „Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion“ im Hamburger Bahnhof, Berlin

Mit Blick auf unser Juniheft zum Thema „Figuration“, in dem wir u. a. das Verhältnis zwischen Figuration und Abstraktion diskutieren, veröffentlichen wir an dieser Stelle einen Text wieder, den Monika Baer, Susanne Leeb und Mirjam Thomann 2013 über die Arbeiten der schwedischen Künstlerin Hilma af Klint (1862–1944) geschrieben haben. Anlass für diesen Text war die Wanderausstellung „Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion“, die 2013 zunächst im Stockholmer Moderna Museet, anschließend im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen war. Dabei übersteigt, so die Autorinnen, af Klints Vorhaben, Darwinismus und Spiritismus, Symbole und Buchstaben, Begriffe und Figuren und andere polare Prinzipen wie männlich/weiblich, geistig/fleischlich und gut/böse zu einer über allen kulturellen und weltlichen Ordnung stehenden Einheit zu verschmelzen, jeden illustrativen Ansatz und wird so zu einem ihr völlig eigenen malerischen Darstellungsexperiment.

Hilma af Klint hatte sich mit Landschaftsbildern, Porträts und botanischen Studien soweit durchgesetzt, wie es für eine Künstlerin um die Jahrhundertwende (nicht nur) in Schweden möglich und akzeptierbar war. Durch diese eher reproduktive Tätigkeit [1] war sie finanziell unabhängig und konnte sich so ihrer öffentlichkeitsabgewandten Arbeit widmen. Mit vier Kolleginnen gründete Hilma af Klint die spiritistische Gruppe „de Fem“ (die Fünf), die regelmäßig Séancen abhielt, aus denen eine Vielzahl in offensichtlich erfolgreichen Kontakten mit Geistwesen und mit automatisch geführter Hand entstandene Zeichnungen und Schriftstücke hervorgingen, die entweder unsigniert oder von den Teilnehmerinnen abwechselnd signiert sind. Auf sie folgten die später ebenso mediumistisch ausgeführten großformatigen Weltdarstellungen, kosmologischen Serien und Altarbilder af Klints.

Aufgrund des naheliegenden Esoterikverdachts – der der Rezeption ihrer ebenso knietief in metaphysischen Gewässern stehenden Kollegen der Moderne wie Paul Klee, Wassily Kandinsky und Piet Mondrian keinen Abbruch tat – wurde eine umfassende Auseinandersetzung mit ihren abstrakten Erfindungen und der ihnen zugrunde liegenden anthroposophischen und parawissenschaftlichen Weltanschauung lange vermieden. Zu dieser Rezeptionsgeschichte gehört zudem, dass zwar die theosophische Ikonografie ihrer Bilder mittlerweile weitreichend erforscht ist, die Hunderte von Tagebüchern mit ihren eigenen Aufzeichnungen und Kommentaren zu den unterschiedlichen Bildreihen aber erst allmählich aufgearbeitet werden; ebenso ihr spezifischer Wissenshorizont und das Wissenschaftsinteresse, das sich in einzelnen Serien zeigt, wie beispielsweise in „Das Atom“ (1917) – kleinformatige Aquarelle, in denen das fast quadratische Papierformat wie in einer Art wissenschaftlicher Darstellungstafel ausgefüllt wurde und die immer gleichen Kreis-im-Quadrat-Anordnungen farblich variiert und mit erläuternden Texten versehen sind.

Das in Stockholm und Berlin verfolgte Interesse manifestiert sich im nach Ehrenrettung und Entdeckergestus klingenden Ausstellungstitel „Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion“. Den Machern und Macherinnen der ersten umfassenden Werkschau der 1944 gestorbenen Malerin im großen Stil ging es um die Neuerzählung der frühen Moderne. [2] „Die Kunstgeschichte muss umgeschrieben werden“ [3] , lautete so auch eine der Reaktionen auf den allgegenwärtigen Hinweis, af Klint habe bereits Jahre vor Kandinsky und seinen Zeitgenossen geometrisches Formvokabular angewendet. Ebenso weit verbreitet ist allerdings nach wie vor die Annahme, ihre frühen, von „höheren Wesen“ befohlenen Arbeiten seien dermaßen frei von einer ernst zu nehmenden und anschlussfähigen Künstler-/innenintentionalität, dass sich vor allem die eine ermüdende Frage wieder stellt: Ist das überhaupt Kunst? – eine Infragestellung, die paradoxerweise gerade diesen vermeintlichen höheren Kräften definitorische Autorität über den Kunstbegriff zuspricht. Selbst einer der Autoren des Ausstellungskatalogs endet seinen ansonsten geradlinig-historisch argumentierenden Beitrag über das Verhältnis der af Klint’schen Abstraktion zu botanischen Darstellungen mit der unschönen Aussicht, dass sich erst noch zeigen müsse, ob die Künstlerin tatsächlich „in ein Entwicklungsschema integriert werden kann oder ob sie dazu verurteilt ist, eine isolierte, wenn auch faszinierende Anomalie zu bleiben“. [4] So oder so klingt das nach keinem guten Schicksal: entweder als Vorreiterin in die längst geschriebene Erzählung der vorwiegend männlichen Abstraktionsgeschichte aufgenommen zu werden – wie sie etwa Kandinsky ganz in seinem eigenen Sinne verkündet hatte, ohne eine solche Genealogie und den dringlichen Wunsch nach ihr selbst zu hinterfragen [5] – oder aber als ein genau von jener Ideologie gefürchtetes, dem Spirituellen verfallenen Kuriosum im Marginalen auf den nächsten Einsatz im entdeckerfreudigen Kunstbetrieb auszuharren. Es gäbe zu diesem Entweder/Oder allerdings auch Alternativen, frappieren ihre Werke doch durch eine Nähe zum Surrealismus, zu Bildern von Francis Picabia und, noch weiter in die Zukunft, zu der Pragmatik der Figuration in den 1980er Jahren, beispielsweise der Arbeiten von René Daniels mit seiner unprätentiosen Malweise.

Es mag auf der Hand liegen, dass eine Fokussierung auf die esoterische Symbolik in den Bildern af Klints umgehend das Ressentiment auf den Plan ruft, sie kämen in ihrer Darstellung von gespiegelten schwarz-weißen Schwänen und pulsierenden Herzen über die Illustration eines in sich geschlossenen Weltbildes nicht hinaus. Nur fällt eine reflexartige Abwertung der künstlerischen Ambition und Auslassung dessen, was man auch noch beachten könnte, in diesem Fall umso leichter, als af Klint im Gegensatz zu ihren kanonisierten männlichen Kollegen nie umfassend kunstwissenschaftlich abgesegnet wurde und man sich insofern auch mit keiner Autorität anlegt, wenn man ihren spezifischen Zusammenschluss aus Form und Transzendenz als abseitig abwertet. Zur „Sicherheit“ wurden ihr in Berlin kanonische Positionen zur Seite gestellt. Die Unterbringung der Malereien im Beuys-Flügel des Hamburger Bahnhofs konnte man bestenfalls noch als Versuch lesen, Sonderausstellung und Sammlung korrespondieren zu lassen. Dass darüber hinaus aber auch Rudolf Steiner, der nicht zuletzt auch Beuys’ Hausheiliger war, qua Wandtext und mit stapelweise Literatur im musealen Buchladen als Pate af Klints installiert wurde, ließ die kuratorischen Verbindungsbemühungen letztlich eher danach aussehen, dass man sich nun doch nicht so recht traute, die Stelle einer männlichen Autorität unbesetzt zu lassen. Gerade Steiner, dessen Vorträge af Klint in Stockholm besuchte und von dem sie sich Unterstützung und Zuspruch in ihrem Bestreben versprach, über analytische Denkmodelle hinaus Einsichten in universelle Ordnungssysteme zu erlangen, empfahl ihr eindringlich, mit dieser Kunst aufzuhören. Es lässt sich insofern sagen, ihr Werk ist nicht wegen, sondern trotz ihrer Nähe zu Steiner entstanden, was seine Überpräsenz in ihrer Ausstellung recht absurd erscheinen lässt. Noch unsinniger war nur der massive Handapparat zur Botanik, was ungefähr so anmutete, als würde man das Publikum an eine Picasso-Ausstellung mit Ratgebern zur Stierzucht heranführen.

Dass die insgesamt über 1000 von af Klint hinterlassenen und von ihr selbst sorgfältig katalogisierten Werke auf eine andere Art diskutiert werden können, demonstrierte die mittlerweile legendäre Ausstellung „3 x Abstraction“, die 2005 im Drawing Center in New York gezeigt wurde. Der These folgend, dass gerade die Arbeit an konkreten geometrischen Formen körperliche und spirituelle Erfahrung und deren Changieren zwischen Realem und Ideellem, zwischen Systemischem und aufgehobenen Ordnungen, Wahrnehmung und der Transformation eben dieser zu fassen vermag, stellte die Kuratorin Catherine de Zegher eine Verbindung zwischen af Klints Schematisierungen von Weltreligionen, die sie durch schwarz-weiße Kräfteverhältnisse in Kreisform symbolisierte (Serie II, 1920), und den minimalistischen Bildern Agnes Martins bzw. den weniger bekannten Werken der Schweizer Heilerin Emma Kunz her. Nicht gegenständliche und geometrische Abstraktion wurden hier anhand von drei unterschiedlichen historischen Positionen nicht als formalistische Errungenschaft ausgestellt, sondern als Voraussetzung für den emanzipativen Akt der Überwindung eben solcher Kategorien selbst angeführt. [6]

Da af Klints Malerei dieser Anspruch immanent ist, macht es nur bedingt Sinn, ihre Bilder, wie in einem der Katalogtexte zu lesen ist, in zwei Phasen aufzuteilen – eine, innerhalb derer sie als offenbarendes Medium arbeitete und so Übersetzungsarbeit metaphysischer Zurufe leistete, und jene, in der sie die empfangenen Botschaften qua Malprozess zu verstehen versuchte. [7] Eine solche Einteilung führt unweigerlich wieder zu einer Kategorisierung in „unintentionale“ und „intentionale“ Arbeiten. In beiden Artikulationsformen aber ist sie immer schon Sprecherin ihres Werks, für das sie die Fiktion des besonderen Auftrags herstellen musste, wie es Rebecca Quaytman in ihrem Text „de Fem“ formuliert. [8] Besonders deutlich wird das in der Serie zur Evolution, die 1908 entstand: Das Vorhaben, Darwinismus und Spiritismus, Symbole und Buchstaben, Begriffe und Figuren und andere polare Prinzipen wie männlich/weiblich, geistig/fleischlich und gut/böse zu einer über allen kulturellen und weltlichen Ordnung stehenden Einheit zu verschmelzen, übersteigt jeden illustrativen Ansatz und wird zu einem ihr völlig eigenen malerischen Darstellungsexperiment.

Dass gerade af Klints abstrakte Bilder der Weg zur Moderne sein sollen – wie in der Berliner und Stockholmer Ausstellung behauptet –, ist möglicherweise symptomatisch für ein Geschmacksmuster, das nach reiner Formensprache verlangt; genauso wie die Brücke, die vorgeschlagen wird, um ihre Arbeiten in die Kunstgeschichte einschreiben zu können, eine kulturell abgesicherte Konstruktion ist. Und selbst wenn man die von ihr sehr eigenwillig kombinierten Elemente aus Kosmologie, Schrift, Botanik, Arabesken und geometrischen Formen und Formeln im einzelnen auf fernöstliche, mittelalterlich-kosmologische Vorstellungen und spiritistisch-theosophische Literatur des 19. Jahrhunderts zurückführen könnte – also auf abstrakte Ausgestaltungen, die es lange vor dem Aufkommen der Abstraktion in der Malerei gab –, ist ihre Arbeit nicht mit diesen Traktaten zu verwechseln. Af Klint artikulierte ihre Welttheorie als Künstlerin innerhalb der Möglichkeit des Bildes. Im Fall der „Zehn Größten“ (Gruppe IV, 1907) sind die Bilder zumal derart großformatig, dass sich schon hierin ihr Anspruch auf Relevanz zeigt, sich quer zu allen damaligen Regeln der Kunst stellend. Quaytman, die sich bereits vor der breiteren Entdeckung af Klints mit ihr zu beschäftigen begann, macht so auch darauf aufmerksam, dass af Klint eine ganz eigene und nicht allzu leicht zu vereinnahmende Erzählung der Abstraktion liefert: „This work has the ability to immunize abstraction’s terminal condition and gives license to representation via language, botany, geometry, symbolism and the diagram. […] It is […] interesting for my proposes to wonder how her practice enabled which strategies and permissions and where and why legibility occurs in relation to art today.“ [9] Af Klint ist keine „Anomalie“, weil sie früher als Kandinsky abstrakt malte, sondern weil sie einen unbeirrbaren Anspruch vertrat, dies im Verbund mit anderen Frauen tat und ihre Ambition trotz der engen Rollenzwänge der damaligen Kunstlandschaft intakt zu halten imstande war.

Anmerkungen

[1]So Iris Müller-Westermann, „Bilder für die Zukunft: Hilma af Klint. Eine Pionierin der Abstraktion im Verborgenen“, in: Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion, hg. von Iris Müller-Westermann mit Jo Widoff, Ausst.-Kat., Moderna Museet, Stockholm/Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, Ostfildern, 2013, S. 33–51.
[2]Eine weniger umfangreiche Ausstellung der Werke Hilma af Klints fand 2006 im Camden Arts Centre, London, statt. Vgl. hierzu die Besprechung von Esther Buss in: Texte zur Kunst, 62, 2006, S. 246–250.
[3]So die Überschrift eines Artikels von Julia Voss über die Ausstellung der Werke af Klints im Moderna Museet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Februar 2013.
[4]David Lomas, „Die botanischen Wurzeln der Abstraktion im Werk von Hilma af Klint“, in: Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion, a. a. O., S. 223–241, hier: S. 239.
[5]Längst ist die „Ursprungsgeschichte“ der Abstraktion pluralisiert; vgl. u. v. a.: Aux Origines de l’abstraction, Ausst.-Kat., Musée d’Orsay, Paris, 2003/2004.
[6]Auf diese Ausstellung wurde im Berliner Katalog lediglich in einer Fußnote rekurriert. Vgl.: 3 x Abstraction. New Methods of Drawing, Ausst.-Kat., hg. von Catherine de Zegher/Hendel Teicher, The Drawing Center New York, Yale/New York, 2005.
[7]Vgl. Müller-Westermann, „Bilder für die Zukunft: Hilma af Klint. Eine Pionierin der Abstraktion im Verborgenen“, a. a. O., S. 50.
[8]Vgl. Rebecca Quaytman, „de Fem“, in: The Legacy of Hilma af Klint. Nine Contemporary Responses, hg. von Daniel Birnbaum/Ann-Sofi Noring, Köln 2013.
[9]Ebd. Quaytman kam bereits 1989 in Kontakt mit den Arbeiten af Klints, als sie, wie sie in ihrem Text schreibt, als Program Coordinator am P.S.1 in New York an der Ausstellung „The Secret Pictures of Hilma af Klint“ beteiligt war.