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TEKTONISCHE VERSCHIEBUNGEN Anna Voswinckel über Mona Hatoum im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.), im KINDL – Zentrum für Zeitgenössische Kunst und im Georg Kolbe Museum, Berlin

Mona Hatoum, „All of a quiver“, 2022

Mona Hatoum, „All of a quiver“, 2022

Der Körper in seiner Konfrontation mit geopolitischen Kräften steht im Zentrum von Mona Hatoums Werk, dem sich jüngst eine umfassende Retrospektive an drei Berliner Ausstellungshäusern widmete. Während der eigene Körper der Künstlerin in ihren frühen Performances der 1980er Jahre noch als Ausdrucksmittel zum Einsatz kam, zeigen spätere Arbeiten einen zunehmend abstrakten Zugriff auf Fragen der Exilerfahrung und menschlicher Verletztlichkeit. Die Gliederung der Ausstellung auf drei Orte ist an inhaltlichen Schwerpunkten orientiert, die sich im Lauf der Zeit in Hatoums künstlerischem Schaffen herauskristallisierten. Wie Anna Voswinckel in ihrer Rezension darlegt, lief die räumliche Trennung unterschiedlicher Werkgruppen der Komplexität von Hatoums Werk teilweise zuwider.

Auf den ersten Blick erscheint die geometrische Gitterkonstruktion, die in die gewaltige Höhe des Raums ragt, in ihrer Strenge und Büromöbel-Materialität fast schnöde. Ihr starres Raster wirkt zugleich bedrohlich. Die raumbezogene Skulptur All of a quiver (2022) wurde eigens für das schmale, hohe Kesselhaus des KINDL anlässlich der ersten Retrospektive zum Werk von Mona Hatoum in Berlin produziert. Wie um diesen flüchtigen Eindruck zu konterkarieren, sorgt ein externer Mechanismus in zeitlichen Intervallen dafür, dass die Konstruktion einer Marionette gleich zusammensackt und sich dabei für einige Minuten leise quietschend verschiebt. Diese zitternde (englisch: quiver) Bewegung der Skulptur erinnert an die unbewusste und unkontrollierbare Reaktion menschlicher Körper.

Hatoums künstlerisches Schaffen nahm seinen Anfang in den 1980er Jahren in ihrer Exilheimat London, in die sie vor dem Libanon-Krieg geflüchtet war. In sorgfältig choreografierten Performances setzte sie sich physischen oder psychischen Belastungen aus, sei es im urbanen oder im Galerienraum. Kriegstraumata, die sich in die Stadt wie in die Psyche einschreiben, der menschliche Körper und seine Verletzlichkeit und die für Migrant*innen besonders spürbare partriarchale und staatliche Macht sind bis heute bestimmende Themen ihrer Arbeit. Ab den 1990er Jahren wandelte sich Hatoums Praxis hin zu einem abstrakteren, skulpturalen und raumbezogenen Ansatz, der geopolitische Fragen von Kontrolle über Körper und Raum indirekter und formaler adressiert. Was beide Werkphasen verbindet, ist die Auseinandersetzung mit dem Raster als strukturierendem wie auch Gewalt ausübendem Element. Hatoums jüngeres Werk ist wiederholt als postminimalistisch beschrieben worden. Vergleichbar mit dem von Eva Hesse, steht es einerseits in der Tradition und gleichzeitig im trotzigen Widerspruch zum Minimalismus. In All of a quiver wird dieser ambivalente Moment deutlich: Mit der Fixierung auf ein strukturgebendes Raster lässt die Künstlerin die Assoziation von Vernunft und Rationalität entstehen; durch die Destabilisierung der Struktur verweist sie gleichzeitig auf das Irrationale, das sich im Raster und der abstrakten Formsprache der Moderne verbirgt.

Mona Hatoum, „Home“, 1999

Mona Hatoum, „Home“, 1999

Für die erste umfängliche Retrospektive Hatoums in Berlin haben sich die drei über die Stadt verteilten Kunstinstitutionen Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) in Mitte, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln und das Georg Kolbe Museum in Westend zusammengetan, um je einzelne Werke und Werkkomplexe der britisch-palästinensischen Künstlerin in ihren Räumen zu zeigen. Diese Verteilung über die drei Institutionen ermöglicht es, verschiedene Facetten und Phasen des umfangreichen Œu¬v¬res zu erfahren: Das KINDL präsentiert im Kesselhaus, kuratiert von Kathrin Becker, die eingangs beschriebene Neuproduktion All of a quiver (2022). In der von Marius Babias konzipierten Ausstellung im n.b.k. sind sowohl die selten gezeigten Installationen Home (1999) und Mobile Home II (2006) zu sehen, die einen prekären Exilzustand abbilden, sowie Skulpturen und Arbeiten auf Papier, die geopolitische Fragen (Projection, 2006; Projection (velvet), 2013), globale Krisen (Hot Spot III, 2009), Kriege und Zerstörung (Beirut (major), 2022; Bourj A, 2011; 3-D Cities, 2008–2010) in den Fokus nehmen. Die Schau umfasst überwiegend Werke aus den letzten 15 Jahren, die inhaltlich und ästhetisch gut miteinander kombiniert werden konnten. Julia Wallner hat sich im Georg Kolbe Museum der kuratorischen Herausforderung gestellt, das ästhetisch heterogene Gesamtwerk zu präsentieren – was leider nicht gänzlich geglückt ist.

Die Ausstellung im Georg Kolbe Museum ist in gewisser Weise der Hauptort der Retrospektive, da hier der umfänglichste Teil des Werks präsentiert wird. Angefangen von Hatoums direkten und emotional aufgeladenen Performances aus den 1980er Jahren bis zu ihren späteren, vergleichsweise kühl-formalen, maschinell gefertigten Arbeiten wird hier anschaulich, wie sich das zentrale Motiv des politischen Körpers vom Gebrauch des eigenen Körpers über den Einsatz von Materialien und Technologie in die Abstraktion verlagert.

Die erstmals in Berlin gezeigte Arbeit Performance Documents (1980–1987/2013) besteht aus Skizzen, Bild- und Tonmitschnitten und Schwarz-Weiß-Fotos von In- und Outdoor-Performances, die erst 2013 von der Künstlerin zu einem Werk zusammengeführt wurden. In der Videoaufzeichnung der Performance Road Works (1985) sieht man die Künstlerin barfuß durch Brixton und das Zentrum von London schreiten, schwere Dr. Martens an den Schnürsenkeln um ihre Fesseln gebunden. Die Stiefel stolpern merkwürdig zeitversetzt hinter ihr her, ohne die Künstlerin je erreichen und ihren nackten Füßen Schutz geben zu können. Die Beobachtung, als Exilantin aus dem gewohnten Takt gerissen und der neuen Heimat schutzlos ausgeliefert zu sein, zieht sich durch viele von Hatoums Arbeiten dieser Zeit. Die Asynchronität, aber auch die grundsätzliche Brüchigkeit des Medialen werden in der Videoarbeit So much I want to say (1983) thematisiert, die im Treppenhaus des Museums gezeigt wird. Sie basiert auf einem kurzen Audioausschnitt eines Telefongesprächs der Künstlerin, kombiniert mit wechselnden Videostandbildern ihres Gesichts, die sich extrem langsam aufbauen. Wie auf einer gesprungenen Schallplatte wiederholt die Künstlerin den Satz: „There’s so much I want to say.“ Technologie, die eingesetzt wird, um Distanz zu überwinden, kann uns durch Verbindungsabbrüche stumm schalten und am Sprechen hindern. Wie bei Road Works ist Hatoum ein starkes Bild für die Erfahrung des Ausgeschlossenseins und der Prekarität in der Diaspora geglückt.

Mona Hatoum, „Remains of the day“, 2016–2018

Mona Hatoum, „Remains of the day“, 2016–2018

Das Thema der Brüchigkeit zieht sich als ein roter Faden durch Hatoums Werk. Für Ausstellungsbesucher*innen des Georg Kolbe Museums wurde dies im Oktober auf unbeabsichtigte Weise deutlich: Die neue, im Hauptraum gezeigte Arbeit Tectonic (2022), bestehend aus quadratischen, im Raster angeordneten, auf Murmeln liegenden Glaskacheln, in die eine Weltkarte eingefräst ist, war versehentlich angestoßen worden, was zum Bruch mehrerer Scheiben führte – „a tectonic shift“, wie es die Künstlerin selbst im Rahmen des Diskursprogramms Ende Oktober im KINDL formulierte. Die ungeplante Intervention machte umso anschaulicher, wie die einzelnen Teile der Installation verbunden sind und in welcher Abhängigkeit sie zu einander stehen. Ein Perpetuum mobile– vergleichbar mit der in Blickweite präsentierten Installation aus Küchenutensilien, Electrified (varaible) V (2022), deren miteinander verbundenen Einzelteile elektrischen Strom weiterleiten können, wodurch die eigene Wohnung zur Gefahrenzone wird. Spuren der Zerstörung, die bis in die Privatsphäre vordringen, werden in der Installation Remains of the day (2016–2018) im nächsten Raum sichtbar gemacht. Die Arbeit aus Überresten verkohlter Möbel, die eine Wohnsituation andeuten, ist für eine Ausstellung in Hiroshima entstanden. Die verstörende Wirkung der Installation hätte sich stärker entfalten können, wäre sie als alleiniges Exponat in dem Raum platziert worden – und nicht mit der Teppicharbeit Shift (2012) kombiniert, die in dem Kontext vergleichsweise dekorativ wirkt. Die Performance Documents wiederum komplett in den Keller zu verbannen, erschließt sich in Anbetracht des vielseitigen Gesamtwerks nicht, denn gerade in der Gegenüberstellung ausgewählter Performances mit abstrakteren Arbeiten späterer Werkphasen hätten sich die Kontinuitäten in Hatoums Arbeitsweise deutlicher herausstellen lassen.

Als ausgezeichnetes Vermittlungsangebot wurde das eintägige Diskursprogramm „Critical Distance. Body Politics and Displacement in the Work of Mona Hatoum“ im Rahmen der Retrospektive konzipiert. Bei der Veranstaltung, die Ende Oktober im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst stattfand, führte die Künstlerin persönlich in ihr Werk ein, gefolgt von einem Gespräch zwischen Natasha Ginwala, Tamar Garb, Polly Staple und Sam Bardaouil, die seit vielen Jahren mit und zu Hatoums Werk arbeiten. Wenig allerdings wurde hier über die aktuelle Brisanz ihrer Arbeiten gesprochen, beispielsweise vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der weltweiten Auswirkungen der Klimakrise sowie der jüngsten Revolutionsbewegung im Iran, die sich auch aus einem Widerstand gegen die Reglementierung des weiblichen Körpers entwickelt hat– ein Thema, das die Künstlerin immer wieder, vor allem in ihren frühen Performances und Videoarbeiten, adressiert hat.

„Mona Hatoum“, n.b.k., 15. September bis 13. November 2022; „Mona Hatoum: all of a quiver“, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, 8. September 2022 bis 29. Mai 2023; „Mona Hatoum“, Georg Kolbe Museum, Berlin, 15. September 2022 bis 8. Januar 2023.

Anna Voswinckel ist Künstlerin, Kuratorin und Gestalterin. Sie lebt in Berlin und lehrt Fotografie und visuelle Kommunikation an verschiedenen deutschen Kunsthochschulen.

Image credits: 1. Courtesy of KINDL – Centre for Contemporary Art; 2. Courtesy of n.b.k.; 3. Courtesy of Georg Kolbe Museum; all photos Jens Ziehe