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Aus eins mach viele Sabeth Buchmann über Heinrich Dunst in der Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Wir beginnen heute mit einem Ausstellungsrundgang durch Wien, der in der kommenden Woche mit drei weiteren Artikeln fortgesetzt werden wird. Auftakt bildet Sabeth Buchmanns Besprechung einer Ausstellung des österreichischen Künstlers Heinrich Dunst. In ihrer Kritik erläutert Buchmann die Aktualität von Dunsts konzeptueller Umwandlung des analogen Filmmaterials in sozialkritische, sprachliche Rauminstallationen.

Peter Kubelkas 1960 entstandener Film Arnulf Rainer unterstrich einmal mehr die Beispielhaftigkeit des Experimentalkinos für den Abstraktionsbegriff der Nachkriegsavantgarden. 2012 wurde er anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Viennale gemeinsam mit dessen eigens für dieses Event produziertem „Gegenstück“ Antiphon [1] wiederaufgeführt. Die um ihre Umkehrversion ergänzte Projektion des auf vier Grundelementen (Schwarz/Weiß, Sound/Stille) basierenden sogenannten Flickerfilms – die vormals schwarzen Kader erschienen nun weiß, die Soundpassagen nun stumm und vice versa –, war von einem performativen Vortrag Kubelkas begleitet, in dessen Rahmen er zerschnittene Kaderstreifen ans Publikum verteilte: Der von ihm so bezeichneten „feindliche[n] Übernahme der analogen Kinotechnologie durch digitale Medien“ [2] , die der österreichische Filmemacher und Künstler mit Antiphon gleichsam am eigenen Werk vollzog, setzte er mit reflexiv nostalgischer Geste die haptische Qualität des Zelluloids entgegen.

Sechs Jahre später erschien dieses Event als Grundmotiv von Heinrich Dunsts „A. B. a. P. Antonio Banderas als Picasso“ [3] betitelter sechster Ausstellung in der Wiener Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, bildete doch der von ihm seit damals aufbewahrte Kaderstreifen den Auftakt: Kubelkas medienreflexive De- und Rematerialisierung des Zelluloids adaptierend, platzierte der Wiener Künstler auf Papier ausgedruckte Vergrößerungen des zuvor gescannten Filmfragments im ersten Raum seines dreiteiligen Parcours. Angesichts der Tatsache, dass Arnulf Rainer zu der vom Galeriegründer Otto Mauer [4] geförderten und in Dunsts ausnahmslos männlichem Referenzkanon widerhallenden österreichischen Avantgardeszene gehörte, lässt sich die Appropriation des Filmfragments sowohl in einem orts-, medien- und autorreflexiven Sinne lesen. So scheint die im Ausstellungstitel anklingende Referenz auf die TV-Dramaserie Genius: Picasso (2018) eindeutig mehrdeutig – Geniekult als Avantgardemythos und Unterhaltungsgenre – und brach so die heilige Referenz mit jenem Humor, der auch in einer vergrößerten, im dritten Raum gezeigten Fotoreproduktion von Dunsts Intermezzo als Fashionmodel für die Wiener Hutmanufaktur Mühlbauer zur Geltung kam. Das „Als-Ob“ – „der Künstler als …“, „das Medium als …“, „das Objekt als …“ – war somit gesetzt: Entsprechend war im Pressetext von „Platzhaltern“ und „Doubles“ die Rede, die, zumal mit Blick auf die verfremdete, gleichwohl freundliche Übernahme von Kubelkas Filmfragment, den postmodernen Simulationsdiskurs auf den Plan rief: Mit dem alles entscheidenden Unterschied, dass dieser nicht allein auf virtuelle Realität, sondern auf deren konstitutiv materielles Substitut hier in Gestalt eines Papierausdrucks – gemünzt war. So ist es in diesem Zusammenhang vermutlich kein Zufall, dass einer der frühesten Prototypen des digitalen Algorithmus „Papiermaschine“ hieß, wobei Alan M. Turing, deren Erfinder, das zweidimensionale Papier mit einem „durch Felder unterteilten Band“ [5] ersetzen sollte. Vor diesem Hintergrund erschien Dunsts auf Papier vergrößerte Simulation des vom digitalen Film verdrängten Zelluloids daher genau diese, für gängige Immaterialitätsdiskurse entscheidende Redimensionierung zu vollziehen; demonstrierte er doch zugleich die „Unterteilung“, sprich: die „Nicht-Identität“ [6] des Mediums als Bedingung seiner konstitutiv simulierten Darstellungsform.

„Heinrich Dunst: A.B.a.P / Antonio Banderas as Picasso“, Galerie nächst St. Stephan, 2019, Wien, Ausstellungsansicht

„Heinrich Dunst: A.B.a.P / Antonio Banderas as Picasso“, Galerie nächst St. Stephan, 2019, Wien, Ausstellungsansicht

Solche für Dunsts Praxis charakteristischen trans-, inter- und intramedialen „Übersetzungen“ rekurrieren, kunsthistorisch betrachtet, auf ein zwischen (post-)linguistischer Konzeptkunst, Konkreter Poesie, neodadaistischer Montage und erweiterter Skulptur angesiedeltes Praxisfeld. Dem in Arnulf Rainer und Antiphon ansichtigen Algorithmus entspricht in Dunsts Fall das bis ins letzte Elementarteilchen ausbuchstabierte Prinzip der Wiederholung als Differenz, das sich folgerichtig auch nicht auf einen genrespezifischen Werkbegriff bringen lässt: So ist „A. B. a. P. Antonio Banderas als Picasso“ weder Film noch Malerei, weder Skulptur noch Medienkunst, sondern disjunktives, auf Verfahren der Verdoppelung und Vervielfältigung, Vergrößerung und Verkleinerung, Spiegelung und Umkehrung, Positiv- und Negativform, nicht zuletzt des Schnitts und der Montage beruhendes Material- als Zeichengeschehen. Dunsts signature style ist dabei die rosa Dämmplatte und der aus ihr gesägte Buchstabe „A“: Von Dunst zugleich als „Platzhalter“ und „Doubles“ verstanden, erscheint die Kombination der Industriematerialien, darunter Zobernig-hafte Spanplatten, mit Bild-Text-Objekten als ein Widerspiel von Aufladung und Entleerung. Form ist demzufolge immer von produktions- als auch rezeptionsästhetischer Verknüpfung und Übersetzung abhängige Be-Deutung – ein Moment, das sich auch in dem bereits angesprochenen Prinzip des Scalings, das heißt in perspektivischen Größenverhältnissen, manifestiert: So korrespondierte die serielle Anordnung des vergrößerten Filmkaders mit der Dimensionierung und Positionierung der schwarzen Quadrate, die die in der Tradition des Suprematismus stehenden und auf Dibond gefertigten Monochrome aus zugleich kunst- und kinogeschichtlicher Perspektive spiegelten. Die Verräumlichung der synchronen Filmmontage erwies sich in Dunsts Version somit als eine diachrone Intervention in das von Kubelka zugrunde gelegte algorithmische System. So wurden die horizontal präsentierten Papiermontagen vertikal durch eine mehrteilige Dämmplatte mit unter- und nebeneinander applizierten Begriffen gekreuzt: „Abstraktion“, „Tür“, „Volumen“, „Marx“, „Wort“, „Film“ – letzterer in Kosuth’scher Manier durchgestrichen.

Entsprechend las sich der zweite Raum als referenzielle und verdinglichte, das heißt im Unterschied zur orthodoxen Konzeptkunst, nicht als logische oder semiotische Abstraktion: Auf drei bzw. vier nebeneinander aufgestellten, stellenweise überlappenden Türen wiederholte sich das im ersten Raum eingeführte Kombinations- und Umkehrprinzip, indem Kader und Quadrat nun von einem alltäglichen Gegenstand „ersetzt“ wurden. So erinnerten die Tür-Montagen vermutlich nicht zufällig an Duchamps Motiv der halb offenen, halb geschlossenen Ateliertür von 1927, deren Subtext kaum der Ausbuchstabierung durch die im dritten Ausstellungsraum applizierten Sentenzen – „Türen sind Worte. Worte sind Türen. […]“ – bedurft hätte. Pointierter fand ich vielmehr, dass die an sozialen Wohnbau erinnernden Exemplare doch als beredte Gegenstücke des großbürgerlichen Galerieambientes den Raum einnahmen. Spätestens hier erhellte sich Dunsts Referenz auf Marx, stellt doch das Motiv der Tür ein paradigmatisches Anschauungsbeispiel für die gebrauchswertorientierte Produktionsform dar. Wiederholung als Differenz hier einmal mehr im wortwörtlichen Sinne; sind doch Türen nicht gleich Türen, da sie sich nicht mit Türen entgelten lassen. Abstraktion erscheint somit als Ausdruck der durch Geldwerte repräsentierten fiktiven Äquivalenz. Aus dieser Perspektive nahm ich auch die vergrößerte Reproduktion eines Zeitungsbildes wahr, das zwei qua Hautfarbe markierte Hände dabei zeigt, wie sie eine Zeitung halten und so ihre*n Leser*in verbergen: Der darüber gelegte Schriftzug „Je ne suis pas“ las sich einmal mehr als repräsentationskritische Allegorie [7] – so auf Magrittes „Dies ist keine Pfeife“ [8] und Lacans „la femme n’existe pas“: Negierte Simulation des realen Objekts einerseits, negierte Repräsentation nicht weißer Subjekte andererseits: Die Fotoreproduktion, die unversehens an Frantz Fanons Schwarze Haut, weiße Masken (1952) denken ließ, überschrieb das für Dunsts Ausstellung konstitutive Motiv sichtbarer „Abwesenheit“ mit dem institutionsanalytischen Diskurs sozialer Ausgrenzung: Auch ein Moment, das die Absenz weiblicher Referenzen umso wahrnehmbarer machte. Dabei destabilisierten die zwischen Bedeutungsleere und -überschuss oszillierenden „Platzhalter“ und „Doubles“ – so das in Korrespondenz zur Baumarktplatte im ersten Raum stehende hybride Türobjekt im dritten Raum – patrilineare Originalitätsmythen, denn in Kombination mit Dunsts Modelperformance für die Mühlbauer-Werbung im Sommer 2019 gerieten diese zur (Selbst-)Travestie. In Nachbarschaft mit seinem rosafarbenen A-Monument erschien der in exzentrischem Hut-Schal- und Streifenkleid-Outfit gewandete Künstler als fraglos autorreflexives Double von A. B. (Banderas), dem Als-ob-Picasso serieller Geniesimulation – eine Geste, die nicht zuletzt auch Arnulf Rainer und damit referenzielle Bedeutungsproduktion schlechthin betraf.

„Heinrich Dunst: A. B. a. P. / Antonio Banderas as Picasso“, Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, 26. Juni bis 31. August 2019.

Titelbild: „Heinrich Dunst: A.B.a.P / Antonio Banderas as Picasso“, Galerie nächst St. Stephan, 2019, Wien, Ausstellungsansicht / Foto: Markus Wörgötter und Courtesy Galerie nächst St. Stephan, Rosemarie Schwarzwälder

Anmerkungen

[1]Die beiden Filme wurden zuerst nach-, dann neben- und schließlich übereinander projiziert.
[2]Siehe https://www.viennale.at/de/schiene/monument-film, gesehen am: 15.08.19.
[3]„A.B. a. P. Antonio Banderas als Picasso“ war vom 25. Juni bis 31. August zu sehen.
[4]Otto Mauer war neben seiner Tätigkeit als Galerist und Kunstsammler als Priester und Prediger im Wiener Dom St. Stephan tätig.
[5]Alan M. Turing, „Über berechenbare Zahlen mit einer Anwendung auf das Entscheidungsproblem“, in: Ders.: Intelligence Service Turing, Berlin 1987, S. 1760, hier: S. 36.
[6]Zit. nach dem ausstellungsbegleitenden Galerietext.
[7]Ich beziehe mich hier auf die von dem Kurator und Autor Maximilian Geymüllers in seiner Eröffnungsrede von Dunsts Ausstellung herausgestellte Bedeutung der Allegorie für die augenscheinlich auf postkonzeptuelle Appropriation verweisende Praxis des Künstlers.
[8]Ebd.