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DARA BIRNBAUM (1946–2025) Von Brigitte Weingart

Dara Birnbaum, 2020

Dara Birnbaum, 2020

Das erfüllte Leben sei ein ständiges Sterben der Vergangenheit, vergangene Erfahrungen und gegangene Menschen seien jedoch keineswegs verloren, sondern blieben reichhaltig in uns erhalten – diese Gedanken des Psychiaters und Psychotherapeuten Robin Skynner gab Dara Birnbaum in ihrem Nachruf für ihren langjährigen Freund und Kollegen Dan Graham wieder, den wir vor gut drei Jahren publizierten. Wie reich- und nachhaltig das Wirken der im Mai diesen Jahres verstorbenen Birnbaum die Videokunst geprägt und um eine so wesentliche, weibliche Perspektive erweitert hat, hebt Brigitte Weingart in ihrem Nachruf hervor. Zudem erinnert sie uns an die Aktualität, die auch Birnbaums frühe Arbeiten bis heute haben.

Wenn im Kunstdiskurs von den Arbeiten Dara Birnbaums die Rede ist, wird ihnen nahezu unisono eine medien- und/oder ideologiekritische Programmatik bescheinigt. Zum Standardrepertoire gehört auch, den männlich-kolonialen Konnotationen dieser Begriffe zum Trotz, [1] die Beschreibung der Videokünstlerin als „bahnbrechende“ „Pionierin“, die häufig in einem Atemzug mit der Würdigung der feministischen Stoßrichtung ihrer Arbeiten genannt wird. Aber vielleicht verhält es sich ja mit der etwas reflexhaften Zuschreibung von Medien- und Ideologiekritik ein bisschen so wie mit der Bezeichnung als „feminist artist“, die Birnbaum verschiedentlich in Interviews relativiert hat: „There was a wonderful poster by the Guerilla Girls, which in part stated: ‚Don’t worry, any art you make will be called feminist.‘“ [2] Dabei ging es ihr, die nicht nur in der Kunstszene, sondern auch als studierte Architektin mit Diskriminierung vertraut war („Dara, you order the pizza.“ [3]), offenbar nicht darum, dem feministischen Projekt ihre Solidarität zu verweigern, sondern um die Problematisierung reduktiver Lesarten ihres Werkes. Und wenn ich diesen Nachruf aus der Perspektive eines (immerhin medienwissenschaftlich gebildeten) Fan-Girls schreibe, dann nicht um Affekte gegen Analyse und Faszination gegen Kritik auszuspielen, sondern um der Art und Weise Rechnung zu tragen, wie Birnbaums performative Mediendiagnostik ihre Rezipient*innen in einen kognitiven Schwebezustand versetzt.

Es ist vor allem Birnbaums wohl bekannteste Arbeit, Technology/Transformation: Wonder Woman (1978/79), die ihren Ruf als mit feministischer Medien- und Ideologiekritik befassten Künstlerin begründet hat – und ihren Ruhm als pirate queen: Für die Aneignung der damals populären Fernsehserie, in der sich die ehemalige Miss World USA, Lynda Carter, als Wonder Woman, wie ihr Comic-Vorbild, mittels einer telegenen Drehung um die eigene Körperachse von einer gewöhnlichen Sekretärin in die mit allerlei Zauberkräften ausgestattete Superheldin verwandelte, musste Birnbaum noch ihre Beziehungen zu Mitarbeiter*innen des Senders spielen lassen. (Damit hat sie die Appropriation Art und Medienanalyse mit Mitteln des Bewegtbilds um ihre eigene Heldinnen-Geschichte bereichert, die ich in jedem Videoessay-Seminar aufs Neue erzähle, um den Teilnehmenden ihre digitalkulturelle Privilegiertheit vor Augen zu führen). Wie in anderen Remix-Videos aus dieser Phase arbeitete die Künstlerin hier mit Unterbrechung und Wiederholung (vor allem des qua Loop künstlich verlängerten transformation spins) – auch auf der Tonspur, die mit Explosionsgeräuschen und Sirenen Stress erzeugt, bevor ein uplifting Popsong zum Mitwippen einlädt und die Arbeit zu einem eigenwilligen Musikvideo mutiert. Das Oszillieren zwischen criticality und Affirmation, das sich von der Produktion auf die Rezeption dieser Bewegtbilder und Sounds überträgt (zumindest in meinem Fall), verdankt sich dabei wohl nicht zuletzt den gewählten Gegenständen: So ist die Superheldin Wonder Woman, die 1941 als erste Frau ins Universum der DC Comics eingeführt wurde, ohnehin eine ambivalente Figur, die zwischen Fetischobjekt (mit Bondage-Lasso) und feministischer Ikone (die 1972 auf dem Cover der von Gloria Steinem mitgegründeten Zeitschrift Ms. zu sehen war) changiert. Wenn in Birnbaums Video mit der Transkription des Songtexts von „Wonder Woman Disco“ die schon mehr als latente Sexualisierung der Figur im Klartext ausformuliert wird („I AM WONDER / WONDER WOMAN […] SHOW YOU ALL THE POWERS / THAT I POSSESS / AND OO-OU-U-UU-UUU-UUUU […] SHAKE THY WONDER MAKER“ usw.), gerät der Song zu seiner eigenen Parodie – im präzisen Sinne eines Mit- und Gegengesangs (para/ode) zum Original. Und auch wenn Birnbaums viel zitierte Beschreibung ihrer Verfahren den Aspekt der Widerrede betont („talking back to the media“ [4]), scheint mir im Umgang mit Wonder Woman nicht nur ein Gegen-, sondern auch Mitsingen und -schwingen im Spiel zu sein. [5]

Wie in der Pop-Pop Video-Serie (1980) oder den Clips der Installation PM Magazine (1982) wird hier dem angeeigneten Material durch den dekonstruktiven Umgang damit sein Faszinationspotenzial eben nicht vollends ausgetrieben. Womöglich trägt das Abwerfen von narrativem Ballast zugunsten der ostentativen Verdichtung TV-typischer Darstellungskonventionen sogar eher zum Gegenteil bei: Entgegen aller Brecht’schen Didaktik bekommt man es hier mit Verfremdungseffekten zu tun, die eine mal ansteckende, mal quasihypnotische Wirkung zeitigen. Und offenbar handelt es sich bei dieser Wirkung nicht nur um einen retrospektiven Rezeptionseffekt – schließlich hat Benjamin Buchloh, der sich um die Würdigung von Birnbaums Werk schon früh verdient gemacht hat, bereits 1987 in seinem Vorwort zu dem Band Rough Edits mit Werken aus den Jahren 1977 bis 1980 versucht, der Vereinnahmung dieser Arbeiten als „a ressource for the juvenation of the cultural apparatus and for media imagery itself“ entgegenzuarbeiten und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, man möge in ihnen „the original potential of resistance and the actual critique of the imperialism of media“ entdecken. [6] Gut möglich, dass er bei seiner Richtigstellung etwa die Rezeption von Kritiker*innen wie Craig Owens im Sinn hatte, der in der mehrkanaligen Installation PM Magazine (1982) eine Fortschreibung des Medienspektakels erkannt hat, das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als Phantasmagorie die irrationale Kehrseite der Aufklärung bebilderte. [7] In Owens’ Text findet sich eine wunderbare Beschreibung jenes Schlingerns zwischen Affizierung und Distanzierung, in das Birnbaums Faszinationsanalysen von und mit Medien mitunter auch professionelle Kritiker*innen versetzen: „She focuses on the ambivalence of our relationship to the media: we are simultaneously seduced and alienated by them, fascinated and at the same time critical of our fascination – even when our critical attitude functions only as an alibi.“ [8]

Wenn Aneignung als Verfahren, in den massenmedialen bzw. televisuellen Bilderflow zu intervenieren, nicht nur gegen, sondern notwendig – parasitär – auch mit dessen Mitteln der Ideologieproduktion arbeitet, dann besteht eine (auch mediendidaktische) Pointe von Birnbaums Remix-Arbeiten darin, diese Kompliz*innenschaft denk- und spürbar zu machen. Konsequenterweise hat sie sich angesichts der Verbreitung von Home-Videorecording und Amateur*innenfilm, die das Aufbrechen der einseitigen Medienkommunikation zumindest technisch in Aussicht stellten, für ihr „talking back to the media“ anderen Themen und Methoden zugewandt, auch wenn sie weiterhin die Bilder verwendete, die das Fernsehen ihr lieferte. Ein wiederkehrender Begriff in Birnbaums Arbeiten der 1990er Jahre ist „transmission“, wobei sich der thematische Fokus auf die mittels Medien hergestellten Machtverhältnisse verschiebt – etwa in der Fernsehberichterstattung über politische Ereignisse, aber auch in Dispositiven der Überwachung (ein nahezu durchgängiges Thema: Studierendenproteste, die Birnbaum aus eigener Erfahrung nicht unvertraut waren). Dabei ist es vor allem die Suggestion einer verlustfreien und neutralen Aufzeichnung und Übertragung, die die Arbeiten durchkreuzen, indem sie die bedeutungsstiftenden Aspekte technischer Vermittlung amplifizieren und als solche sichtbar machen: In der Videoinstallation Tiananmen Square: Break-In Transmission (1989/90) werden die Demonstrationen der Studierenden für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Beijing als Medienereignis reinszeniert, das ganz buchstäblich auf allen Kanälen (nämlich den an mehreren Metallleitungen im Raum befestigten Bildschirmen) zu sehen ist. Oder eben nicht, macht doch gerade die inszenierte Vielstimmigkeit Ausschlüsse und Kontingenzen erfahrbar: TV-Berichte mit dem autoritativen Anspruch, „Eyewitness News“ zu liefern, stehen neben Aufnahmen der Kommunikationsprozesse vor Ort (zum Beispiel mit Fax-Geräten), inklusive einer Unterbrechung der Übertragung aufgrund von Zensur. Die Vorstellung einer sinnstiftenden Narration der Ereignisse, wie sie der Remix dieser Bilder auf einem größeren, vermeintlich übergeordneten Monitor nahelegt, wird durch die willkürliche Zusammenstellung ad absurdum geführt. Mit dem für die Documenta IX angefertigten Transmission Tower: Sentinel (1992) reagierte Birnbaum auf die Verflechtungen von Telekommunikation und Militär, die der Erste Golfkrieg überdeutlich zum Vorschein gebracht hatte. Und wieder schafft die Installation in Form eines Sendemasts bzw. Wachturms eine Mock-Infrastruktur, die hier die auf den Bildschirmen zitierten politischen Diskurse – von Alan Ginsbergs Rezitation seines Antikriegsgedichts Hum Bom! vor einer Studierendenversammlung bis zu George W. Bushs Amtsantrittsrede – mit den medialen und materiellen Bedingungen der Kriegsführung konfrontiert.

Auch wenn diese aufs Fernsehen bezogenen Arbeiten vielleicht angesichts der aktuellen Medienlandschaft schon deshalb ein wenig dated wirken mögen, weil TV als Leitmedium ausgedient hat: Birnbaums Dekonstruktionen von Rhetoriken der Unmittelbarkeit, mittels derer sich Mediatisierung als solche vergessen macht, sind es nicht. Ihre Vorreiter*innenrolle in der Videokunst hat einen langen Schatten auf die gegenwärtige digitale Partizipationskultur vorausgeworfen: Zwar werden heutigen User*innen mit den Apps auf unseren Endgeräten und den Affordanzen sozialer Plattformen Möglichkeiten des „talking back to the media“ handlich bereitgestellt. Doch auch wenn dies dazu beigetragen hat, dass Appropriation in den allgegenwärtigen Remix-Formaten online als memetische Alltagspraxis normalisiert wurde, hat sich die Frage nach der „critical attitude“ (Owens) – samt ihrer möglichen Alibifunktion – alles andere als erledigt. Birnbaum hatte die Aufmerksamkeitsökonomie des digitalen Kapitalismus durchaus auf dem Schirm: In der mehrkanaligen Videoarbeit Arabesque (2011) bringt sie Ausschnitte aus einem Biopic über Robert und Clara Schumann mit Amateur-Performances zweier Kompositionen der beiden zusammen, die auf YouTube kursierten – wo, Symptom für einen anhaltenden Gender-Bias, von Claras Werk nur eine einzige Interpretation zu finden war. Für die Verwendung der YouTube-Clips hat die pirate queen ihre Ethik der Appropriation den Machtverhältnissen im digitalen Raum angepasst und deren Urheber*innen um Erlaubnis gefragt.

Unter kommunikativen Bedingungen wie den gegenwärtigen, die den context collaps auf Dauer stellen, erscheint Birnbaums Projekt, die Kontextwechsel von Bildern (und Klängen!) so zu inszenieren, dass sie potenziert erfahrbar und der Reflexion zugänglich sind, von anhaltender Dringlichkeit. Ich hoffe, bald ihre mehrkanalige Installation Psalm 29(30) von 2017 sehen zu können, über die ich gelesen habe, dass die Herausforderungen, vor die uns die Unmengen an Bildern und Informationen stellen, wie sie derzeit mit jeglicher Kriegsberichterstattung einhergehen, hier anhand des syrischen Bürgerkriegs verarbeitet werden. Der affektiven Resonanz, die wiederum das einzelne Bild erzeugt, wird durch die Ausstellungsarchitektur mit einer abgegrenzten Herzkammer, wie es im Pressetext hieß, Raum gegeben – das klingt nach einem geeigneten Ort für Trauerarbeit.

Brigitte Weingart ist Professorin für Medientheorie am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation an der Universität der Künste Berlin (UdK). Ihre Arbeit konzentriert sich auf Medienpraktiken der Aneignung, Darstellungen von Ansteckung und Viralität, Faszination, Celebrity-Kultur, Gerüchte und Klatsch. Seit 2022 leitet sie eine Fachgruppe zu Internet-Memes am Sonderforschungsbereich „Intervenierende Künste“.

Image credit: Courtesy of Dara Birnbaum studio and Marian Goodman Gallery, Foto Rehan Miskci

Anmerkungen

[1]Siehe dazu Lauren Cornell, „Reaction“, in: Dara Birnbaum, Reaction, Ausst.-Kat., Hessel Museum of Art, Bard College, Annandale-on-Hudson 2022, S. 12–41, hier: S. 12.
[2]Dara Birnbaum im Gespräch mit Dr. Kostas Prapoglou, in: XIBT Contemporary Art Magazine, Juli 2020. Tatsächlich lautet einer der Punkte, die auf dem Poster der Guerilla Girls unter der Überschrift „The Advantages of being a woman artist“ (1988) genannt werden: „Being reassured that whatever kind of art you make it will be labeled feminine.“ ‚Feminine‘/,feminist‘ – die Verwechslung tut der sarkastischen Pointe keinen Abbruch, im Gegenteil.
[3]„When we were doing charrette [an intense design discussion … the guys would say, ,Dara, you order the pizza‘.“ D. B. im Gespräch mit Linda Yablonsky, Oral history interview with Dara Birnbaum, 30./31. Mai 2017, Archives of American Art, Smithsonian Institution.
[4]Der Text, nach dessen Titel auch eine Ausstellung im n.b.k. 2022 benannt wurde, erschien zuerst im Katalog zur Ausstellung „Talking Back to the Media“, De Appel, Amsterdam 1985, S. 46–49.
[5]Ähnlich sieht das T. J. Demos; Dara Birnbaum, Technology/Transformation: Wonder Woman, London 2010.
[6]Benjamin Buchloh, Editors Note, in: Dara Birnbaum, Rough Edits. Popular Image Video. Works 1977–1980, Halifax 1987, S. 11.
[7]Craig Owens, „Phantasmagoria of the Media“, in: Art in America, Mai 1982.
[8]Ebd.