UNAUSGESPROCHENES KOLLEKTIV Ein Roundtable-Gespräch zwischen Matthias Dell, Marlene Engel, René Pollesch und Vanessa Unzalu Troya
MATTHIAS DELL: Wir wollen über Kollektivität sprechen. Was heißt das denn am Theater, wenn man das historisch betrachtet?
RENÉ POLLESCH: Mitbestimmung.
DELL: Ist das denn das Gleiche? Oder anders gesagt: Wie verhält sich die Volksbühne heute zu den historischen Mitbestimmungsmodelle an der Berliner Schaubühne oder am Schauspiel Frankfurt zur Kollektivität heute und hier?
MARLENE ENGEL: In der Musik ist oft die Rede von Plattformen, das Wort wird zum Beispiel für Festivals benutzt, aber auch für Vertriebe wie Spotify und Soziale Medien wie Facebook oder Mischformen wie YouTube. Alles ist plötzlich eine Plattform. Und die Frage ist, wie auf solchen Plattformen Austausch entstehen kann. Ich glaube, das Wort kommt eigentlich von der Theaterbühne, die Bühne ist dabei die Plattform. Da geht es darum, dass man auf der Bühne kollektiv arbeitet und etwas Ungeplantes passiert. Und in diesem ungeplanten Miteinander kann man vielleicht etwas antizipieren, was zeitgenössisch oder zukünftig ist. Und bei dieser Theaterbühne, zumindest verstehe ich Renés Arbeit so, geht es darum, dass eben das Ungeplante passiert und kollektiv Kunst formuliert wird.
POLLESCH: Das finde ich ganz wichtig, dass du den Begriff sofort ins Theater ziehst. Es ist auch total einleuchtend. Alle sind darauf angewiesen, dass man vorher nicht weiß, was passieren wird, oder keiner eine Vision hat, die alle teilen müssen, sondern dass das aus den Leuten kommt, die zusammenarbeiten.
ENGEL: In der Musik ist es noch mal anders. Da gibt es dieses Image der independent, also unabhängigen Musiker*in, das zumindest im Bereich der elektronischen, gegenkulturellen Musik aus den 1980ern stammt. Da wurde Musik produziert, dann gab’s ein Label, das die Musik vertrieben hat, einen PR-Menschen – alles eigenständige Leute, aber zugleich wurde in Anspruch genommen, das Ganze zusammen formuliert zu haben. Independent existiert in dem Sinne nicht mehr, weil die Labels weniger geworden sind oder andere Rollen einnehmen; der Verkauf abseits des Mainstreams hat massiv abgenommen, der Vertrieb und damit das Kapital wird auf sogenannten Plattformen wie Spotify zentralisiert. Die Musiker*innen sind zu Einzelkämpfer*innen geworden, die ihre Arbeit auf diesen Plattformen bewerben und vertreiben und auf denen sie kein Mitbestimmungsrecht haben, sondern in Konkurrenz zu Personen stehen, mit denen sie eigentlich eine Community bilden. So ist man dann independent im Sinne von: alle Rollen auf einmal. Man macht seine eigene Buchhaltung, seine eigene PR, seine eigene Produktion, alles. Das Image lebt von seiner kollektiven Geschichte, und das gilt es zu durchbrechen, denn diese Form von independent funktioniert weder finanziell noch künstlerisch. Immer nur seine eigene Position zu formulieren, darin liegt halt nicht so viel Kraft.
POLLESCH: Ich finde gut, dass du damit sagst: Reclaim Plattform, also wieder zurück auf die Bühne!
ENGEL: Der Begriff wird oft auch für bildende Kunstfestivals genutzt, das sind dann Plattformen, in die man sich einkauft und auf denen man Kunst zeigt, die sich gut verkaufen lässt. Schon okay, um Geld zu verdienen, aber man sollte sich inhaltlich nichts vormachen. Um Kollektivität geht es da nicht. Irgendeine Kurator*in stülpt ein allgemeines Thema über alles und bucht ein paar hippe Musikprojekte, damit das Publikum bespaßt wird. Es sollte aber die Kunst sein, die Fragestellungen formuliert.
DELL: Aber wenn man etwa den Plattform-Begriff des Internets nimmt, die Social-Media-Kultur, da heißt Mitbestimmung Partizipation, was auch nur bedeutet, dass alle einen Facebook-Account haben und mit ihren Daten bezahlen. Kollektiv wird da gedacht, was früher Rezeption hieß. Aber bei der Arbeit der Volksbühne geht es doch um die Produktionsseite.
POLLESCH: Das habe ich aber auch so verstanden. Es gibt diesen Begriff: Plattform-Kapitalismus, Airbnb und so weiter. Aber seinen Ursprung hatte der Begriff auf der Bühne, wo bestimmte Leute etwas miteinander machen und sich darauf einlassen, dass man nicht vorher weiß, was passieren wird.
ENGEL: In dieser Selbstbestimmung liegt der Unterschied. Bei den Internet-Plattformen gibt es kein Mitbestimmungsrecht. Da gebe ich meine Daten her, und wenn sich was ändert in der Firmenpolitik, klickst du auf „Zustimmen“. Und wenn dir das nicht gefällt, dann wirst du rausgehauen. Das widerspricht dem Kollektiv. Da hat man das Recht, seinen künstlerischen Content einzubringen, ohne seine Selbstbestimmung aufzugeben.
POLLESCH: In dieser Erklärung steckt auch, dass wir unsere Praxis nicht nach einem Begriff wie „Kollektivität“ ausrichten, sondern tatsächlich gemerkt haben: Wenn wir so arbeiten – also wenn die Grundlage nicht ein Text ist, sondern vielleicht ein Bühnenbild, mit dem man startet –, dass dann etwas anderes passiert und auch etwas sehr Gutes passieren kann auf der Bühne. Also dass man sich nicht an dem Begriff der Kollektivität abarbeitet, sondern an einer Praxis, die dem entspricht, was Marlene gerade mit der Plattform entworfen hat. Ich würde lieber sagen: Wir sind unsere Plattform, die Plattform VB. Wir reden auch nicht vom Kollektiv die ganze Zeit. Wir haben mal „Träger*innen der Volksbühne“ gesagt. Aber reden wir vom Kollektiv hier?
VANESSA UNZALU TROYA: Eigentlich nicht. Wir sind ein unausgesprochenes Kollektiv!
DELL: Noch mal zu den Internet-Plattformen. Da gibt es auch die Kritik, dass die – anders als die alte Industrie – nichts produzieren. Ich spiele mit meinem Auto Taxi oder mit meiner Wohnung Hotel; das große Geld landet aber bei denen. Nun geht es da um Wertschöpfung aus dem Nichts, aber wenn man das mal kreativ oder künstlerisch denkt, hat das nicht vielleicht auch was mit dem Theater zu tun, diese Schöpfung aus nichts?
POLLESCH: Das ist für die angloamerikanische Welt das Theater, ein Theater, das sich auf die Vorstellungskraft des Publikums bezieht und das nicht viel Geld kostet. Die beziehen sich immer noch auf Shakespeare. Der Prolog von Heinrich V. zum Beispiel: Da sitzt man im Globe Theatre in London, das eigentlich nur ein Holzgestell ist, und jemand sagt, ihr müsst euch hier die Felder von Azincourt vorstellen und jetzt hier die Pferde und da ein Schloss. Das ist heute noch im angloamerikanischen Raum so. Ich war mal mit Bert Neumann in New York. Die haben da kein Geld für Bühnenbilder, die kennen den Job gar nicht. Die haben nur einen Gegenstand oder Licht-Spots auf der Bühne. Und dann geht ein Licht an, und sie sagen, wir sind hier in der Columbine High School; und dann geht ein Licht an, und sie sind beim Attentäter zu Hause oder so. Das soll man sich alles vorstellen. Damit hatte Bert Neumann nichts am Hut, der stellte was auf die Bühne. Der machte nicht das weiße leere Blatt, das sowieso vollgeschrieben ist mit normativem Zeug, da hat die Vorstellungskraft eben ihre Grenzen. Aber die Engländer*innen und US-Amerikaner*innen operieren immer noch damit, als wäre die Wirklichkeit zu kurz gekommen. Aber die Wirklichkeit ist ja nicht zu kurz gekommen, sondern deren Budget. Ein Zimmer auf der Bühne ist da nur ein Fenster, das an Fäden hängt, weil für mehr kein Geld da ist. Das Ganze appelliert an die Vorstellungskraft des Publikums – eine totale Mogelei: Das Publikum wird sich keine Utopie vorstellen können, das wird das alles immer nur auspinseln, so wie es eh schon da ist.
DELL: Das wäre im Plattform-Kapitalismus die Selbstausbeutung: Die Leute müssen mit ihrer eigenen Imaginationskraft die Lücken auffüllen, die das Budget hinterlässt.
POLLESCH: Wir machen das nicht so. Die Bühnenbildner*innen bauen bei uns Räume, da kommt die Fantasie von einer Zuschauer*in nicht mehr dazwischen. Gottseidank. Und auch die Schauspieler*innen müssen gucken: Was machen wir jetzt hier?
DELL: Noch mal zurück zu den historischen Beispielen. Wenn man ein Theater neu macht, spielt es da eine Rolle, dass es diese Mitbestimmungsversuche gegeben hat?
UNZALU TROYA: Das hat bei meiner Arbeit keine Rolle gespielt. Leute von P14, dem Jugendtheater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, kommen hier mit ganz vielen Vorstellungen an, wie das funktionieren soll, und das zerbricht dann. Sie nennen sich Regisseur*innen und denken, sie brauchen eine Regieassist*in, so, wie sie das gelernt haben. Und das geht kaputt. Die Plattform, die Bühne, ist so stark, dass sie merken: Ich kann das nicht allein. Und plötzlich brauchen sie die anderen. Und es entsteht etwas. Viele wollen als Schauspieler*innen ankommen, und im Laufe der Proben machen sie was anderes, es wird fluide, man begegnet sich anders und kommt ganz anders raus nach der Inszenierung.
DELL: Woran zerbricht das?
UNZALU TROYA: An der Kraft. Oder am Premierentermin. Oder dass plötzlich jemand sagt: Wieso soll ich dein*e Assistent*in sein, wenn du nicht mehr bist als ich? Kopier dein Ding selber! Oder dass man merkt: Oh, ich habe die Erfahrung nicht, ich muss auf jemand anderen zurückgreifen und versuchen, das zusammen zu lösen.
DELL: Steht bei den Jugendlichen auf diesem weißen Blatt Papier nicht weniger?
UNZALU TROYA: Das weiße Blatt Papier ist ziemlich voll. Die Vorstellungen von bestimmten Rollen und Hierarchien sind sehr stark, aber die zerbrechen im Arbeitsprozess, weil klar wird: Das bringt uns nicht weiter. Und weil es auch andere Erfahrungen bei P14 gibt, die weitergetragen werden.
POLLESCH: Meine Eltern zum Beispiel hatten nichts mit Theater zu tun. Die hatten aber trotzdem eine Vorstellung davon, was ein*e Regisseur*in ist und was ein*e Schauspieler*in, dass es diese Leute gibt, die den anderen sagen, was sie machen sollen. Das wissen alle. Und das sind halt die falschen Vorstellungen. Aufhebung der Klassengesellschaft bedeutet ja auch Aufhebung der Arbeitsteilung, und da gibt es bei P14 dann den, der Regie geführt hat, der beim nächsten Mal das Bühnenbild macht und beim übernächsten Mal mitspielt. Man ist nicht nur das eine.
DELL: Und wie werden Entscheidungen getroffen? Theater braucht ja auch Festlegungen.
POLLESCH: Nicht jedes Theater lebt von Festlegungen.
UNZALU TROYA: Doch, bei uns gibt es Festlegungen, und es ist auch nicht immer schlecht, damit lässt sich auch was abgeben an Verantwortung. Aber Selbstbestimmung gehört dazu.
DELL: Lässt sich das Aushandeln noch konkreter beschreiben?
UNZALU TROYA: Ich erinnere mich an ganz viele Diskussionen über Kostüme. Das ist ganz wichtig, weil es so nah am Körper ist. Da gibt es viele Diskussionen, es wird viel ausgehandelt. Zum Beispiel, ob das Kostümkonzept die Selbstbestimmung der Spieler*innen übergeht.
POLLESCH: Wenn es die normalen Hierarchien nicht gibt und sich plötzlich herauskristallisiert, dass das Kostüm der Punkt ist, worüber am meisten diskutiert wird, dann kann ich sagen, das ist in unserer Praxis auch so. Es ist ein Riesenproblem, wenn wir auf Proben besprechen, was wir zusammen vorhaben, und dann gehen ein paar von uns ne Viertelstunde weg und kommen anders angezogen wieder zurück, als wären sie Schaufensterpuppen. Das stimmt dann auch nicht damit überein, dass man sagt, das Kostüm ist zentral. Normalerweise denkt man ja, das Kostümbild ist nicht ganz so wichtig wie Dramaturgie, Regie, Text oder so. Das mit den Kostümen, das ist ein Knackpunkt, das haben wir noch nicht geknackt: Wie kann man das beseitigen, dass sich ein paar Leute bei einer Probe umziehen müssen? Ich muss bei der Probe nicht irgendwohin gehen, meine Hosen ausziehen, andere Hosen anziehen und wiederkommen. Es bedeutet ja was, wenn ich weiterhin kein Körper sein muss, die anderen aber schon. Wie wird man das los?
DELL: Gibt es eine Idee?
POLLESCH: Ich habe noch keine. Ich fand nur bemerkenswert, dass Vanessa sagt, das Kostüm ist der Hauptdiskussionspunkt. Und das kann nur so sein, wenn man eine andere Praxis hat.
DELL: Wenn man sich noch mal das Aushandeln anschaut: Die feministische Kritik hat immer auch auf Machtverhältnisse in Diskussionen hingewiesen: dass es keine Lösung ist, wenn nur die lang und breit sprechen, die sowieso immer sprechen. Um das zu verhindern, gibt es etwa gemischte Redelisten und eine Begrenzung der Redezeit, damit die Laberbacken auf den Punkt kommen oder zumindest nicht alle vollquatschen. Spielen solche Konzepte bei den Diskussionen an der Volksbühne eine Rolle?
UNZALU TROYA: Wir haben es versucht, weil es den Einwand gab, dass Gespräche irgendwann nur zwischen dreien stattfanden und andere nicht zu Wort kommen. Also haben wir Redelisten gemacht und sind fast gestorben; das war so unorganisch, richtig anstrengend. Und dann ging die Diskussion darum, ob man das so weiterführt, das hat dann auch Stunden gedauert. Wie sinnvoll ist es, wenn ich meinen Redeimpuls stoppe und warte, und dann ist man irgendwann dran, aber das Gespräch ist schon ganz woanders. Und dann gab’s die, die sagten: Aber so fühle ich mich die ganze Zeit.
DELL: Also sind die Erfahrungen eher gemischt?!
UNZALU TROYA: Ich gebe fast keine Regeln vor, die müssen gemeinsam immer wieder aufs Neue entstehen. Es kommen ja auch immer wieder neue Leute, und ich mag es nicht, wenn eine Gruppe sich schließt, P14 soll offenbleiben. Das finde ich als eine der wenigen Regeln wichtig.
ENGEL: Ich habe in Wien in Kollektiven eher negative Erfahrungen mit einer gewissen Basisdemokratie gemacht, das führt bei großen Gruppen eher zu Starre. Es gibt gewisse Talentverteilungen, und das funktioniert organisch besser als Redelisten. Das funktioniert schon deshalb, weil es ein feministisches Grundverständnis gibt. Es gibt eine organische Abmachung. Es ist schon okay, dass manche Leute mehr leiten, solange die Leute im Hintergrund alle wahrgenommen und gesehen werden.
POLLESCH: Ich glaube auch, das ist ganz wichtig, dieses feministische Grundverständnis.
ENGEL: Auf so einer Basis kann man das halt machen. Ich bin mir sicher, dass es genug Theater gibt, wo das nicht funktioniert, weil sich gewisse Personen zu viel Raum nehmen.
DELL: Um diesen Prozess der Aushandlung etwas nickelig bis ins Detail zu verfolgen: Wer hat denn das letzte Ja oder Nein? Wenn die Leute auf der Bühne fünfmal zum Kostümbild sagen: Nee, will ich nicht – wer hat dann das letzte Wort?
POLLESCH: Das letzte Wort? Die, die das Kostüm tragen werden. So wie auch beim Text die, die den Text sagen werden Es gibt Leute, die hören, wenn jemand einen Vorschlag macht, und das Nein wird auch gehört.
DELL: Es war von „organisch“ die Rede. Alle teilen das Grundverständnis, deswegen funktionieren die Diskussionen. Ohne dieses Grundverständnis geht es nicht.
ENGEL: Ich würde schon sagen, dass man zusammenarbeitet, weil man ein gemeinsames Verständnis davon hat. Wie das dann ist, wenn man komplett fremd zusammengewürfelt wird, ist wieder etwas anderes. Und ich will auch nicht sagen, die Idee der Redeliste ist falsch, da geht es nicht um richtig oder falsch. Für manche Leute ist das bestimmt sinnvoll.
DELL: Wäre die politische Frage dann aber nicht, wie sich das nach außen kommuniziert? Mal etwas zugespitzt, ließe sich das Organische an der Volksbühne auch so beschreiben: Unsere Prozesse sind in Ordnung, wir haben es schön, und was draußen passiert, ist egal.
POLLESCH: Die Öffentlichkeit ist im Moment daran gewöhnt, dass Theater Bekenntnisse abgeben: Das machen wir jetzt so. Und dann gibt es die Hoffnung, dass das auch so erkannt wird. Aber vielleicht wäre es spannender, wenn man es nicht an die große Glocke hängt. Vielleicht guckt dann wieder jemand hin.
DELL: Aber wie kann dann Außenwirkung, Kommunikation aussehen? Pressekonferenzen sind nur dazu da, die Bedürfnisse von Medien zu bedienen. So wie Dieter Kosslick mal auf einer Berlinale gesagt hat, es ginge in jenem Jahr um „starke Frauen in extremen Situationen“, was sexistischer Unsinn war; da ging es ja nur darum, dass in drei Filmen nicht Männer den ganzen Dialogtext hatten und einer in der Arktis spielte oder so. Aber das wird dann berichtet, und manche Medien fangen an, das riesige Programm unter so einer Ansage fassen zu wollen.
POLLESCH: Warum sollten wir eine solche Pressekonferenz geben? Ich finde bestimmte Errungenschaften so wichtig, dass man sie veröffentlichen sollte, etwa dass das Bühnenbild die erste Autor*in unserer Abende ist. Das finde ich wichtig, auch um die Bühnenbildner*innen davor zu bewahren, dass gesagt wird, René Pollesch hat sich von Bert Neumann ein Schiff bauen lassen. Das muss man richtigstellen: dass die Bühnenbildner*innen keinen Auftrag entgegennehmen, sondern uns einen Auftrag geben.
ENGEL: Und vielleicht sollten wir mehr über schwache Männer in faden Situationen reden.
DELL: Noch mal ins Hausintern-Organische hineingefragt: Wie geht die Volksbühne mit Konflikten um?
UNZALU TROYA: Wir verbringen sehr viel Zeit mit Reden und Aushandeln, das lasse ich zu, weil es wichtig ist. Wir hatten eine Schauspielerin, die nicht mehr P14 ist, aber daher kommt, die jetzt in Bochum ist und sich „Nicht-Schauspielerin“ nennt, im Sinne von nicht professionell, weil sie den offenen Prozess der Arbeit immer betont, um auf Schwierigkeiten bei der Erarbeitung des Abends aufmerksam zu machen. Das ist ein Stolz, eben nicht professionell in dem Sinne sein zu wollen, nur etwas zu erfüllen, weil es wichtiger ist, Sachen offenzulegen oder anzusprechen, die stören oder die man nicht machen will.
POLLESCH: Mir fällt dazu ein: Ich tauge nicht als Regisseur, der eine Vision hat und der dann alle darauf einübt, sie zu verwirklichen, und der dann zu sich sagt: Ja, das ist es; das ist jetzt alles so, wie ich es wollte. Wir erzielen gute Ergebnisse, weil keine*r sich an irgendwas festklammert, weder die Kostümbildner*in an ihrem Kostüm, das niemand tragen will, noch die Autor*in an ihren Texten, die niemand sagen will.
DELL: Noch mal zur Frage, wie sich das vermittelt. Nehmen wir die Theaterkritik, die kommt von außen und sagt: Wo ist jetzt die kollektive Inszenierung, da stehen jetzt nur drei Sachen von René Pollesch auf dem Spielplan?
POLLESCH: Aber es sind kollektive Inszenierungen. Und ich weiß auch, dass sich das abbildet. Auch wenn ich interviewt werde, veröffentliche ich unsere Praxis, und wenn Schauspieler*innen interviewt werden, tun sie das auch. Wenn sich das bloß deshalb nicht abbildet, weil wir das nicht auf eingeübte Weise inszenieren, ist das das Problem der anderen, finden wir.
DELL: Aber wie lange ist es das Problem der anderen? Bei der Kommunikation, der Lesbarkeit. An den einen Namen lässt sich ein Image heften, während Kollektive immer auch Versuche waren, solche marktwirtschaftlichen Zuschreibungen zu unterlaufen.
POLLESCH: Rimini Protokoll war eines der ersten Kollektive, das als solches wahrgenommen wurde und über das man nicht gesagt hat, viele Köch*innen verderben den Brei. Aber die Öffentlichkeit hat dann doch Stefan Kaegi ein bisschen herausgehoben: Wenn der dabei ist, ist es geil. Das sind Mechanismen, die kommen von außen, die wollen Leute spalten. Das ist wie der Konflikt, der auf uns zukam, weil Vegard Vinge und Ida Müller nicht wie angedacht an die Volksbühne kamen. So was wird dann inszeniert als Künstler*innen, die aneinandergeraten. Man will das Drama, aber wir sind nicht in der Lage, das zu bieten.
DELL: Als letzte Frage noch: Gemeinschaft der Träger*innen, Kollektiv …?
POLLESCH: … Plattform, vielleicht reden wir jetzt nur noch von Plattform.
DELL: … die Plattform und das Geld. Das war in den historischen Mitbestimmungsmodellen ja auch immer ein Thema. Wie materialisiert sich das? Gibt es an der Volksbühne so was wie einen Einheitslohn?
POLLESCH: Noch nicht.
Matthias Dell arbeitet für das Deutschlandradio und schreibt als Kritiker für Zeit-Online über den wöchentlichen ARD-Sonntagabendkrimi.
Marlene Engel ist seit 2021 musikalische Leitung an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
René Pollesch ist seit 2021 Intendant der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Vanessa Unzalu Troya ist seit 2008 Leiterin von P14, dem Jugendtheater der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Image credit: 1. Foto: Luna Zscharnt; 2. Foto: Sabine Gudath; 3. Foto: Leonie Jenning; 4. & 5. Foto: Thomas Aurin