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Die Freude am Zündeln. Über Carsten Höller in der Galerie Esther Schipper, Berlin

Carsten Höller, "Vogel, Pilz Mathematik", Galerie Esther Schipper, Berlin, 2009, Ausstellungsansicht

Eine alte Werber-Weisheit besagt, Tiere ziehen immer. Mit Affektproduktionen kennt Carsten Höller sich bekanntlich aus, und so ließ er für seine letzte Ausstellung in der Galerie Esther Schipper den zentralen Raum pink streichen und ein überdimensioniertes, grau lackiertes Mobile installieren, an dessen Ende sieben runde Käfige baumelten. Darin saßen zwitschernde Kanarienvögel auf dünnen Holzstangen, nuckelten von Zeit zu Zeit an einem Wasserspender und hinterließen Federn auf dem Holzboden der Galerie (Gesangskanarienmobile, 2009). Man ist Kunst, die lebt, einfach nicht gewohnt, und so fühlte man sich von der Anwesenheit der harmlosen, gelben Vögel im Ausstellungsraum zunächst überrumpelt – das Readymade kann jetzt also auch singen. Die Übertragung von vertrauten Gegenständen aus der Alltagswelt in den Ausstellungsraum hat Höller zumeist in aufwendig hergestellten Kulissen erprobt, die durch kleine mechanische Details oder technische Raffinessen an wissenschaftliche Versuchanordnung erinnerten – wie beispielsweise das sich verlangsamt bewegende Karussell, die über mehrere Etagen verlaufende Rutsche, das sich drehende Hotelzimmer oder die halluzinatorische Effekte erzeugenden Lichtinstallationen. Im Vergleich zu diesen Räumen, deren Zustände sich stetig veränderten, und in denen die Erfahrung der Besucher/innen als fetischisiertes Moment aktiver Teil des Experiments wurde, wirkte die letzte Ausstellung Höllers in der Berliner Galerie buchstäblich in sich ruhend. Denn selbst wenn die Bezugnahmen zu wissenschaftlichen Feldern, oder eher die Parodie solcher, auch hier nicht fehlte – worauf schon der Titel der Ausstellung „Vogel Pilz Mathematik“ hinwies – überwog zunächst der Eindruck, das in Farbe und Aufbau ebenso stilisierte wie bizarre Setting gleiche einer räumlich gewordenen Phantasie und würde lynchmäßig auch unter der Oberfläche leben – wobei die Möglichkeit einer Wendung des Vertrauten ins Unbekannte beiläufig suggeriert wurde. Der Pressetext klärte darüber auf, dass die Dialekte der Vögel unterschiedlich sind, was einem Laien nicht auffiel. Die Vögel waren überhaupt erstaunlich still, ebenso wie die Wand erstaunlich pink war und das Mobile erstaunlich groß. Dessen Gleichgewicht schien trotz der materiellen Potenz fragil und die in ihrer Isolierung über die Konstruktion miteinander verbundenen Vögel produzierten metallische Geräusche, die wie geheime Codes klangen. Das Unheimliche stellte sich so allerdings nicht als das Gegenteil von „heimlich“ dar, sondern war bunt, offen zugänglich und konnte trällern.

Carsten Höller, "Doppelpilzvitrinen", 2009, Galerie Esther Schipper, Berlin, 2009, Installationsansicht

Wie Requisiten aus einem magischen Traum wirkten auch die Arbeiten im Nebenraum. Hier stand in drei Vitrinen akkurat aufgereiht eine Sammlung von Pilzkreuzungen, aus jeweils einer giftigen und einer essbaren Art (Doppelpilzvitrinen, 2009). Den zwitterartigen Pilzmodellen aus Kunststoff sah man ihr Vorleben in der Natur noch deutlich an, die Abgüsse zeichneten beispielsweise angenagte Ränder detailgetreu nach. Die von allen Seiten einsehbaren aber stets auf Distanz haltenden Vitrinen hatten auch etwas von einem naturwissenschaftlichen Schaulager, zumal die Exponate auf kleinen runden Glastellern befestigt waren, die an Equipment aus einem Forschungseinrichtung erinnerten. Bereits 2000 ließ Höller in seiner Arbeit „Upside-Down Mushroom Room“ riesige Fliegenpilze aus Polyester aus der Decke wachsen, die zuvor zum Boden umgestaltet wurde, so dass die Besucher/innen das Gefühl hatten, sie klebten an der Decke und die Pilze, die sich zudem um die eigene Achse drehten, bewegen sich auf sie zu. Das Erzeugen einer räumlichen Illusion und Manipulation blieb in der aktuellen Pilzarbeit jedoch aus. Die nüchtern präsentierten Kreationen wirken wie eine präzise Versuchsanordnung, und zeugten zurückhaltend und auf ansprechend aussehende Weise davon, dass es Zustände gibt, die als natürlich verstanden werden, andere, die als künstlich gelten, und weitere, die auch noch denkbar sind. Diese Annahme schien auch der dritten Werkserie in der Ausstellung zugrunde zu liegen. In einer museal inszenierten Ahnengalerie wurden auf mintgrünem Hintergrund in regelmäßigen Abständen großformatige Abbildungen von Kanarienvögelmotiven gehängt (Canaries, 2009). Die golden schimmernde Drucke ließen die abgebildeten Vögel als eine kostbare Seltenheit erscheinen, wobei ein Teil der Darstellungen, die die Vögel im klassisch im Profil zeigten, an Schulbuch-Tafeln erinnerten und den Prototypen eines Kanarienvogels glichen, andere Vögel wiederum sahen absolut absurd und ausgedacht aus, hatten riesige Toupets, zerzaustes Gefieder und waren dünn bis auf die Knochen.

Carsten Höller, "Canary 9", 2009

Was die drei unscheinbar im Hauptraum platzierten Gemälde (Teilung (Punkt), Teilung (Linie), Teilung (Fläche), alle 2009) mit dem Wechselspiel aus künstlich aussehender Natürlichkeit und natürlich wirkender Künstlichkeit zu tun hatten, blieb zunächst schleierhaft. Die Serie verhandelt das Prinzip der Teilung, wobei die quadratische Fläche in immer gleiche Hälften unterteilt wurde, so dass wiederum ein Quadrat entstand. Das Prinzip der Halbierung lag nicht nur den Malereien zugrunde, sondern war auch auf die räumliche Konstruktion des Mobiles und die Kombination der Pilze übertragen worden. Der Verweis darauf, dass das Spiel mit der Verwandlung einer mathematischen Ordnung folgte, suggerierte, man könne die skurrile Visualität der Objekte logisch nachvollziehen. Dazu kam es aber nicht mehr. Denn im Vergleich zu manch anderen Ausstellungen Höllers, in denen den Besucher/innen körperlicher Einsatz abverlangt wurde, und dem „Ereignis“ kaum zu entkommen war, fühlte man sich diesmal angenehm eingelullt und wie sanft fort getragen.