Ausprobieren, ob’s noch geht. Esther Buss über Ula Stöckls „Neun Leben hat die Katze“
Ula Stöckl, "Neun Leben hat die Katze", 1968
„Neun Leben hat die Katze“ beginnt mit einer Irritation, einem Systemfehler: rund eine halbe Minute dauert es, bis der Ton dem Bild folgt. Dabei sieht man schon die ganze Zeit eine Frau (es ist Katharina, eine der Hauptfiguren des Films) mit dem Auto durch die Stadt München fahren, mit ihr im Wagen die Kamera, die ihre Blicke und den Rhythmus der Fahrt aufnimmt – eine atmosphärische Sequenz also, die nach Musik oder zumindest ein wenig urbanem Sound verlangt. Nun ließe sich der akustische Ausfall ohne Weiteres einem technischen Defekt bei der Filmkopie oder einer schlechten Projektion zuschreiben, würde dieser nicht relativ bald als eine programmatische Entscheidung erkennbar werden. Ula Stöckls „Neun Leben hat die Katze“, 1968 nach eigenem Drehbuch und in Farbe und Techniscope gedreht, ist voll von akustischen Ausfällen, Verschiebungen und Dissonanzen, bis hin zur expliziten Lippenasynchronität in einer Szene. Ebenso arbeitet der Film konsequent mit visuellen und erzählerischen Brüchen, mit Einschnitten in Ästhetik, Stil, Genre – etwa unvermittelt opulente, posterkitschige Traumsequenzen, „verunglückte“ Kadrierungen oder räumliche und perspektivische Sprünge. Diese Löcher in der Textur des Films finden nicht zuletzt in den wiederholten Kommunikationsverfehlungen der Frauenfiguren ihre Entsprechung, eine Sprachlosigkeit, die umgelenkt wird in Ersatzhandlungen: nicht antworten, vorgeben nicht zu verstehen oder absichtsvoll begriffsstutzig nachfragen, sich in nichts sagende Floskeln flüchten („Warum bist du eigentlich gekommen?“ - „Einfach so. Ist das schlimm?“), von sich in der dritten Person sprechen. Aber auch: ungerichtete Gesten und vor allem häufiges Lachen in sämtlichen Tonlagen und Intensitäten. Diese überwiegend non-verbalen Handlungen sind ebenso regressiver wie progressiver Natur, richten sie sich doch gegen die Sprachordnung der anwesenden Männer und ihre patronisierend-geschwätzigen Rationalisierungsversuche[1].
Nun gehörte episches, geschliffenes Erzählen ohnehin nicht zu den Lehrinhalten an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, an deren neu eingerichtetem Institut für Filmgestaltung Stöckl 1963 ihr Studium bei den Lehrern Alexander Kluge und Edgar Reitz begann. Doch die episodische, fragmentierte Struktur, die Stöckl für ihren Abschlussfilm an der Hochschule wählte, steht weniger für die formalen Aufbruchbewegungen des Neuen Deutschen Films als eher für ein offensichtliches Unbehagen an den herrschenden Geschlechterverhältnissen, das sich vor der Entstehung einer organisierten Frauenbewegung und des so genannten „Frauenfilms“, eben nicht rhetorisch ausformuliert, sondern vielmehr diffus und mitunter verholpert artikulieren konnte. So ließ sich „Neun Leben hat die Katze“ erst in der Rückschau als erster feministischer Film (Christa Maerker) innerhalb des deutschen Kinos klassifizieren – auch wenn Stöckl selbst der sich formierenden Frauenbewegung eher distanziert gegenüberstand und von dieser auch nicht gerade umarmt wurde[2]. Ohnehin vergingen bis zur Entdeckung des Werks im Rahmen einer vom Berliner Kino Arsenal ausgerichteten Retrospektive[3] zu Ula Stöckl knapp zehn Jahre; vorausgegangen war seine wenig erfolgreiche Aufnahme bei der Erstaufführung 1968 während der Internationalen Filmwoche in Mannheim und eine desaströse Vertriebsgeschichte: der kleine Verleih, der den Film erworben hatte, ging pleite und „Neun Leben hat die Katze“ verschwand in der Versenkung, ohne jemals regulär im Kino gezeigt worden zu sein.
Bei einer aktuellen, erneut im Kino Arsenal veranstalteten und sehr lebhaften Vorführung in Anwesenheit der Regisseurin beeindruckten vor allem Stöckls am Cinéma Verité geschulten und ins Humoristisch gewendete dokumentarische Strategien – Improvisation, authentische Drehorte, Vermischung von Laiendarsteller/innen und professionellen Schauspieler/innen, gepaart mit scharfen Beobachtungen – durch ihre Unverbrauchtheit und ihren Witz. Aber auch als feministischer Film wirkt „Neun Leben hat die Katze“ 45 Jahre später keineswegs „outdated“ – selbst wenn die prä-neoliberalen Verhältnisse aus heutiger Sicht fast utopisch anmuten. Stöckl erzählt von vier Frauen und ihrer prekären Balance zwischen emanzipatorischen Bestrebungen einerseits (Autonomisierungs- und Positionierungsversuche, Selbstentwürfe) und Fremdzuschreibungen andererseits (durch die patriarchale Gesellschaft, aber auch durch vermeintliche weibliche Verbündete). Im Zentrum stehen Katharina und Anne, zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die eine ist eine allein lebende und erfolgreiche frei schaffende Journalistin, deren berufliche Unabhängigkeit sich in den Liebesverhältnissen nicht fortsetzt: als die Geliebte eines verheirateten Mannes wartet sie, reagiert, macht keinen Ärger. Ihre gerade geschiedene französische Freundin Anne scheint auf den ersten Blick männlichen Wünschen zu entsprechen, sie ist verträumt, melancholisch, kindhaft und sieht aus wie die Schauspielerin Anna Karina. Allerdings verbergen sich hinter ihrer Unentschiedenheit, der demonstrativ zur Schau getragenen Langeweile und ihren wiederholten regressiven Anwandlungen (Löcher in Nylonstrumpfhosen brennen, mit Streichhölzern herumzündeln, orale Befriedigungen durch Lollis, Pralinen und Blumen-essen) doch mehr widerständiges Potential als den Männern angenehm ist. Um diese von nicht-sexueller Zärtlichkeit wie von Konkurrenz bestimmte Frauenfreundschaft ordnen sich weitere Frauenfiguren oder vielmehr: Stereotypen an: Gabriele, eine populäre, nach konventionellen Vorstellungen „maskulin“ agierende Schlagersängerin, die glaubt, von Frauen gehasst zu werden, die Ehefrau von Katharinas Liebhaber (eine klassische Opferrolle) und die leicht damenbärtige Kirke, die Stöckl als Phantasiegestalt mit mythologischer Vorgeschichte anlegt – eine mitunter etwas diffus wirkende Mischung aus weiblicher Selbstbestimmung und männlicher Phantasien.
Ula Stöckl, "Neun Leben hat die Katze", 1968, Filmstill
Konsequent filmt Stöckl an den Standards des Erzählkinos vorbei, wenn Handlungsverlauf und Linearität zugunsten von Figuren- und Situationsbeschreibungen aufgegeben werden. Mit im Vordergrund und nicht als das übliche Hintergrundrauschen zeigt der Film weibliche Arbeit: Katharina beim Tippen, Recherchieren, Interview führen und in einer Redaktionssitzung, Gabriele bei der Probe und im Aufnahmestudio. Flexibilität ist hier noch kein Imperativ des neoliberalen Arbeitsmarkts, sondern ein kleiner Spaß fürs Ego. In einer Szene bewirbt sich Katharina selbstbewusst für einen Posten als Chefsekretärin und fordert gleich mal ein in den 60ern vergleichsweise hohes Einstiegsgehalt von 1500 DM, nur um auszuprobieren, „ob’s noch geht“ (es geht). Abgesehen von dem Luxus, selbst üppige Honorarforderungen zu stellen, scheint Katharina ohnehin von ihrer freiberuflichen Tätigkeit ganz gut leben zu können – knapp zehn Jahre später schildert Helke Sanders in „Eine allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers“ (1977) die Arbeitsverhältnisse schon weitaus realgesellschaftlicher und konkreter: Da muss die freiberufliche Pressefotografin Edda Chiemnyjewski den Lebensunterhalt für sich und ihre kleine Tochter aus entwürdigenden 35-DM-Honoraren zusammenverdienen. Und während Katharina und Anne sich auf Partys oder in blühenden Rapsfeldern die Zeit vertreiben, versucht Edda dem Alltag mühsam einen Rest von Privatleben abzutrotzen.
Wo Sander organisierte, solidarische Zusammenschlüsse zeigt – Edda ist in einer Frauenfotogruppe aktiv[4] – sind Stöckls Frauenfiguren letztlich isoliert und führen absurde Kriege um Männer, von denen sie eh nicht allzu viel halten. Und immer wieder werden ihre einzelkämpferischen Emanzipationsbewegungen von Anpassungsreflexen durchkreuzt – ein Mechanismus, den auch Tatjana Turnanskyj in „Eine flexible Frau“ (2010) beschreibt, wobei sich für die zwischen Affirmation und Kritik schwankende Greta die Lebens- und Arbeitsverhältnisse weitaus undurchsichtiger gestalten.
Auch wenn Stöckls Frauenfiguren sich kaum zu feministischen „role models“ eignen, stören sie die etablierte Ordnung. Und bei aller Typisierung entziehen sie sich einer Essentialisierung, was nicht zuletzt an der hybriden Form des Films liegt, die systematisch Identifizierungsangebote und Authentizitätsnachweise zerstört. So etabliert Stöckl wiederholt einen vermeintlich authentischen Dokumentarismus, um ihn dann mit stilistischen Eingriffen wieder zunichte zu machen – wie in einer Szene, in der Gabriele den Titel gebenden Song „Neun Leben hat die Katze“ einstudiert. Mitten im Dialog wird ihre Stimme einen Satz lang cartoonhaft nach oben gepitcht („ich würd’s nur hinterhältig sexy vorbringen...nicht tragisch...hinterlistig sexy, weißt Du?“) und die vermeintlich unabhängigste Figur des Films zeigt sich durch diesen bösartigen Streich plötzlich als fremdbestimmte Karikatur, die nun selbst Katharina lächerlich erscheinen muss. Katharina, Anne und Gabriele führen vor, „wie sehr wir gelebt werden von einem Leben, das uns nicht gehört“[5], sie stellen aber auch in der Geschichte des deutschen Films erstmals ganz explizit Fragen nach Handlungs- und Autonomisierungsmöglichkeiten. Das schließlich macht sie zu Pionierinnen eines feministischen Aufbruchs.
„Neun Leben hat die Katze“ (Regie: Ula Stöckl, BRD 1968) wurde am 15. Juli 2013 im Kino Arsenal im Rahmen der Reihe „Filmspotting: Erkundungen im Filmarchiv der Deutschen Kinemathek“ gezeigt.
[1] “Wie können Frauen sagen, wie sie sich ihre Welt wünschen, wenn zu ihrer Existenz eine grundsätzliche Sprachlosigkeit gehört, weil immer einer von ihnen da war und ihnen nichts bleibt, als ewig zu reagieren.“ (Frieda Grafe, „Elektras Trauer“, aus: Süddeutsche Zeitung, München, 27. Jg., Nr. 109, 7.5.1971).
[2] Ula Stöckls Versuch, spezifische Interessen und Wünsche von Frauen darzustellen, traf zunächst auf ein Vakuum. Erst im Zuge der Frauenbewegung bildete sich ein kritisches Publikum für geschlechterpolitische Ansätze heraus und auch für Regisseurinnen innerhalb des Neuen Deutschen Films erfolgte der Durchbruch nicht vor 1977. Stöckl lehnte das Etikett „Frauenfilm“ allerdings vehement ab: „Denn der Begriff ‚Frauenfilm’ ist keine Erfindung von Frauen, sondern eine Erfindung von Männern, um uns aus der Konkurrenz rauszuhalten“ (Renate Fischetti, „Das neue Kino“, Dülmen 1992, S.100).
[3] Ula Stöckl zählt zu den wenigen Regisseurinnen, die während der ganzen 1970er Jahre hindurch Spielfilme drehten. Bis 1978 entstanden insgesamt 10 Filme, zwei davon in Zusammenarbeit mit Edgar Reitz und fast alle für das Fernsehen; im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen war es für die meisten Vertreterinnen des Neuen Deutschen Films schwierig, für den Kinomarkt zu produzieren.
[4] Helke Sander spricht hier aus eigener Erfahrung. Sie war Mitinitiatorin der neuen Frauenbewegung in Westdeutschland. Schon 1968 hatte Sander den „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“, eine Fraueninitiative, gegründet, aus dem schließlich die bundesweite Kinderladenbewegung hervorging. 1975 gründete sie die feministische filmtheoretische Zeitschrift „frauen und film“, die sich in einer Ausgabe auch dem Werk von Stöckl widmete.
[5] Grafe, a. a. O.