Ambivalenz kennzeichnet große Teile der bisherigen Produktion und Rezeption des Malers Richard Phillips, dessen zumeist modischen, pornografischen, politischen oder künstlerischen Zusammenhängen entlehnte Bilder in etwa gleichen Teilen auf den Registern zweckgebundener kommerzieller Bildproduktion und malerischer Codes spielen. Eine Ambivalenz, die, um als symbolisch aufgeladene Malerei im Feld der zeitgenössischen Kunst Bestand zu haben und nicht mit anderen Produktionsfeldern zu kollabieren, oder nur mehr in Magazinen wie GQ, Playboy und Interview reproduziert zu werden, unbedingt aufrechterhalten werden muss. Benannt ist damit ein Umstand, den einige Autor/innen im Feld der Kunst in Form einer Rechtfertigung kommentieren. Sie sind geneigt, das mit dem Künstler, seinen Bildern, oder den für die notwendige Differenz zur kommerziellen Vorlage mitverantwortlichen Texten verbundene Unwohlsein als Qualität herauszustellen. Gerade dieses Unwohlsein sei es, das eine eingehendere und hinter die artifiziellen Oberflächen dringende Beschäftigung einfordere. Die für Phillips typische Übertragung von für Werbezwecke entstandenen Fotografien in überlebensgroße Ölmalerei wird vornehmlich positiv als kulturkritische Dislozierung bewertet, ihre Konventionen destabilisierende Kontextverschiebung als Kommentar und die installative Zusammenstellung von Phillips’ Bildern in Ausstellungen als essentieller Bestandteil ihrer Multidimensionalität, womit bereits einige der in Interviews mit dem Künstler wiederkehrende Topoi benannt sind.
Anlässlich des Gallery Weekends in Berlin stellte die Galerie Mathew vier Bilder des in New York lebenden Künstlers aus. Es handelte sich dabei um seine zweite Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Galerie, die bereits 2015 in ihrer Dependance in New York in der Ausstellung „Conversations“ ähnliche Bilder von Phillips präsentierte. „Canyons I“ und „Canyons II“ (beide 2015) zeigen die mit dem emblemhaften Playboy-Hasen versehene Kombination eines von Christopher Wool entlehnten Musters („Untitled“, 1988) auf gestreiftem Untergrund, „Conversations I“ und „Conversation II“ (beide 2015) geben die aus einer Zusammenarbeit von Phillips mit der Zeitschrift Playboy entstandenen Fotografien in Überlagerung mit appropriierten Computerzeichnungen Albert Oehlens zu sehen. Die an dasselbe Kompositionsprinzip anknüpfenden Bilder der Ausstellung in Berlin vereinten auf Leinwand gedruckte s/w-Fotografien eines anonym belassenen Modefotografen mit kaum sichtbar gerasterten, neonregenbogenfarben aufgebrachten und dabei generisch anmutenden Abstraktionen Gerhard Richters. Bildinterne und –externe Verbindungen, oder, um dem Titel der New Yorker Ausstellung gerecht zu werden, Konversationen, über die sich nachzudenken lohnt, ergeben sich damit zur Genüge. Albert Oehlen wird von der Galerie Max Hetzler vertreten, die u.a. zwei Jahre zuvor auf dem Gallery Weekend mit Richard Phillips zusammen arbeitete. Christopher Wool hat, wie Phillips, bei Gagosian ausgestellt und beide werden, wie auch Gerhard Richter, auf dem Sekundärmarkt zu hohen Preisen gehandelt. Wer möchte, kann sie als Stars des Kunstmarktes bezeichnen und Verbindungen zu oder eine Weiterführung von früheren Arbeiten Phillips’ ausmachen. Die qua medialem Wechsel und mit deutlich sichtbarem Pinselduktus vorgenommene Zusammenführung von „high“ und „low“ doppelt sich durch die Präsentation eines bei Gagosian ausstellenden Künstlers in der Galerie Mathew – so Letzteres als Geste zu verstehen ist und nicht schierer Notwendigkeit entspringt.
Die Juxtaposition von abstrakter Malerei mit ehedem kommerziellen Zwecken dienenden Werbefotografien verweist auf eine unlängst in dieser Zeitschrift von der Philosophin Maria Muhle beschriebene „Urszene“ der Malerei nach 1960, die, als Dialektik von „Geste“ und „Spektakel“, „zwischen der radikalen Autonomie des high modernism und der absoluten Heteronomie der Warenbilderwelt“ laviert. Ein mehr oder minder dichotom gedachtes Verhältnis zwischen Abstraktion und Figuration, s/w und Farbe, Malerei und Fotografie, Substanz und Funktion zeichnet sich ab, das allerdings historisch spezifiziert und artikuliert werden muss, um jenseits des fade Illustrativen inhaltlichen Mehrwert zu generieren. Zu denken ist beispielsweise an Benjamin Buchlohs Aufsatz „Synekdoche und Spektakel“ über die von Richter seit 1976 fabrizierten „Abstrakten Bilder“, die, auch diese Feststellung ist mittlerweile historisch, als eine Art Geschichtsbild der Malerei betrachtet werden können, in dem sich die Dialektik „zwischen den unvereinbaren Anforderungen des Spektakels und der Synekdoche“ artikuliert und auf die damals gegenwärtigen Potentiale einer historisch und kontextuell informierten Malerei verweist. Allerdings fällt es schwer, in Phillips’ anachronistisch anmutendem und Richter im wahrsten Sinne des Wortes zum Abziehbild reduzierendem Re-entry – die Abstraktionen wurden per Folie auf Leinwand übertragen – vergleichbare oder eigenständige epistemische Potentiale zu entdecken. Wo 2002 noch für die Nachträglichkeit von „Darstellung[en] der Darstellung“ in Phillips Oeuvre und für eine malerisch disponierte Gegenüberstellung von massenkulturell geprägten, formalen, semantischen und politischen Bezügen argumentiert werden konnte, scheint dieser Zugang heute verstellt, auf jeden Fall aber allzu stark polarisierend.
In ihren besseren Momenten bearbeiten Verfahren der Aneignung Fragen der Autorschaft, kontextuelle und historische Bezüge oder verschaffen der Migration von Bildern und diskursiven Zuschreibungen eine erhöhte Sichtbarkeit. Die Grenze zwischen Symptom, Exploration, Kritik und Analyse ist dabei relativ dünn. Haben Phillips’ Kollaborationen wie die mit Lindsay Lohan („First Point“, 2012) durchaus relevante Fragen zur Zirkulation von Bildern aufgeworfen und Feedbackschlaufen zwischen der Produktion von Kunst, Film und deren medialer Distribution aufgezeigt, laufen die Projekte mit Playboy (2013), die Reproduktion des Bildes „Spectrum“ (1998) in der Serie „Gossip Girl“ (2008) oder Phillips’ Auftritt in der Casting-Show „Work of Art“ (2010) ebenso wie die bei Mathew in Berlin ausgestellten Bilder Gefahr, „indifferente Mimesis“ zu betreiben, wie Verena Krieger aneignende Verfahren typologisierte, die, um distinkt zu werden, einer „exterritorialen“ Interpretation bedürfen. Sie stellt damit das auch in der zeitgenössischen Kunst nahezu prinzipiell mit Ambivalenz verbundene emanzipatorische Moment in Frage und übergibt dies in die Hände der auf diese Weise konstitutiv gewordenen Rezeption.
Eine in Village Voice veröffentlichte Besprechung der Ausstellung „Conversations“ bei Mathew NYC sah in „Gossip Girl“, Werbeanzeigen für MAC Kosmetik oder Magazinen wie Texte zur Kunst gleichwertige Orte für die positive Entfaltung von Phillips Bildern. In dieser tendenziell homogenisierenden Lesart kommt die Spezifität des Ortes und der konkrete geschichtliche und gesellschaftliche Kontext abhanden, der, bis auf subjektive Vorlieben, wenig zur Erhellung der ausgestellten Bilder beiträgt, dafür aber umso mehr über diese Ausstellung und ihre Rezeption: David Lieske von Mathew war Gastredakteur für das jüngste Heft „Fashion“ von Texte zur Kunst und zeigt bei Mathew NYC genau das Bild von Richard Phillips, dessen Miniatur zum 25-jährigen Jubiläum ebendieser Zeitschrift im Dezember 2015 als Edition vertrieben wurde und auf deren Seiten dieser im Auftrag geschriebene Text veröffentlicht wird.
Um doch noch etwas mehr über die Bilder zu sagen: Die von Phillips bemühte und in der Rezeption immer wieder herangezogene, mediale Eigenheiten hervorkehrende Gegenüberstellung verschiedener Bildtypen und Ikonografien bleibt in der Ausstellung der „New Paintings / Neue Bilder“ merkwürdig unscharf. Sie verdeckt in ihrer Essenzialisierung von Kunst und der mit ihr verbundenen Potentiale die komplexen und einzig in ihrer Historizität zu ergründenden Problemstellungen des Vergleichs kultureller Produktionsfelder. Letzteres könnte auch im Interesse des Künstlers sein. Es sei an dieser Stelle nur an die jüngste Ausgabe dieses Magazins und die darin akzentuierten Veränderungen im Feld der Mode erinnert, dessen Transformationen in Phillips’ Bildern nicht berücksichtigt werden. Ein nochmaliges Durcharbeiten des Verhältnisses von historisch gewordener Werbefotografie der 1970er Jahre, die eine popkulturelle und dekontextualisierende Bezugnahme durch „hohe Kunst“ bereits durchstanden hat, wirkt, wenn es nicht beliebig werden soll, ein wenig aus der Zeit gefallen. So verbleibt erneut die Frage, von der auch dieser Text nicht ganz ausgenommen ist, wie eine Kulturproduktion aussehen könnte, die nicht nur mitteilt, was sowieso schon jeder weiß. Ein Desiderat wäre eine Arbeit an Unterscheidungen – und nicht an deren Kollaps.
Richard Phillips, „New Paintings / Neue Bilder“, Mathew, Berlin, 29. April –11. Juni 2016
Hannes Loichinger ist Kunsthistoriker und lebt in Hamburg.