Hüter des Unterpfands. Jens Asthoff über Nina Könnemann in der Galerie Karin Guenther, Hamburg
Nina Könnemann, „Sommerleute“, Galerie Karin Guenther, Hamburg, Ausstellungsansicht
Nina Könnemann hat ihre zweite Einzelausstellung bei Karin Guenther „Sommerleute“ genannt und zeigte zwei Videoarbeiten von 2009. Eine davon, ebenfalls mit „Sommerleute“ betitelt (10 min 30, HD-Video), war nach einem ersten Screening im MoMA nun erstmals in Europa zu sehen. In der Galerie Karin Guenther zeigte sie das Video als wandfüllende Projektion mit Sound. „Kraft unsres Amtes“, die zweite Videoarbeit (4 min 55, HD-Video), lief auf einem an der Wand montierten Flachbildschirm, der Sound kam via Kopfhörer.
Der sonnig beschwingte Titel des ersten Films macht einen irritierenden Kontrast zum bürokratischen Appeal des zweiten auf, während beide Arbeiten motivisch und thematisch auf den ersten Blick dicht beieinander liegen. Spätestens beim Hören des Soundtracks zu „Kraft unsres Amtes“ wird klar: Es handelt sich um ein Musikvideo[1]. Könnemann hat es für den gleichnamigen Track der „Söhne Mannheims“[2] realisiert. Das verwendete Material ist dem von „Sommerleute“ eng verwandt. Beide Arbeiten wurden offenbar im gleichen Umfeld gedreht, ein paar Sequenzen, auch einzelne Protagonisten und allemal Schauplätze tauchen jeweils identisch in beiden Filmen auf. Der dokumentarische Gestus der Bilder ist ähnlich, doch ihre Rhythmen unterscheiden sich. In „Kraft unsres Amtes“ stehen sie deutlich im Zusammenhang mit dem gesellschaftskritischen Text des Musikstücks und sind zudem vom Schnitt her auf die rhythmische Struktur des Tracks abgestimmt. Auch die Auswahl der Drehorte ist hier breiter angelegt. Charakteristisch für Könnemann – und ungewöhnlich für einen Musikclip – ist allerdings, dass sich die Bilder eher assoziativ auf den Songtext beziehen, ihn jedoch an keiner Stelle illustrieren. Etwa die Zeile „...ihr seid nicht mehr die Hüter unsres Unterpfandes...“, welche die Künstlerin mit ihrem zentralen Motiv der Pfandflaschen sehr frei paraphrasiert. Das Musikvideo entstand zuerst, war Anregung für den Film „Sommerleute“, für den Könnemann komplett neue Aufnahmen machte. Das Material dafür hat sie im Laufe von zwei Monaten, im Juli und August 2009, gesammelt und dabei einzelne Passagen auch nachinszeniert, was der Arbeit allerdings kaum anzumerken ist. Schauplatz beider Videos ist unübersehbar Berlin. „Kraft unsres Amtes“ macht gleich mit den Insignien der Hauptstadt auf: Die Handkamera schwenkt, bezeichnenderweise, von einem Mülleimer (verziert mit dem Aufkleber „Eine von 20.356 Filialen“) aufs Kanzleramt, den Reichstag, den Fernsehturm und landet wenige Sekunden später erneut bei zwei anthrazitgrauen breitmäuligen Müllbehältern auf dem Alexanderplatz. Die beiden Exemplare sind vorm Schaufenster der dortigen Galeria Kaufhof aufgestellt, doch die dezent dekorative Spezies schmückt – wie dann insbesondere in „Sommerleute“ gut zu sehen ist – mindestens den gesamten Alex. Und mit diesem Motiv, pars pro toto, ist Könnemann bei ihrem Thema. Sie zeigt den öffentlichen Raum Berlins und fokussiert dabei die Müllbehälter als Umschlagplatz fürs heute alltäglich gewordene Ersatzgewerbe des Sammelns von Pfandflaschen. Die mobile Handkamera fokussiert immer wieder einzelne Personen aus der Menge luftig bekleideter Menschen, die über Straßen und Plätze flanieren und begleitet sie ein Stück weit.
Dabei wahrt sie trotz der offensichtlichen Neugier einen respektvollen Abstand, der sich auch in kurzen Einstellungen äußert. Der in diesen Bildern formulierte Blick bewegt sich insgesamt auf Augenhöhe. Von dort aus richtet er sich abwärts oft auf Hände, manchmal auch auf den Boden. Man hat, wie auch in anderen Filmen Könnemanns, den Eindruck von teilnehmender Beobachtung, man steht mitten drin und wird zum Augenzeugen. Diese Kameraperspektive wird dann insbesondere in „Sommerleute“ rasch auf Dosen und PET-Getränkeflaschen gelenkt, die in der Großstadthitze praktisch jede/r dabei hat. An diesem Motiv entwickelt Könnemann das dramaturgische, wortwörtlich: „Handlungs“-Moment beider Filme – konzentrierter allerdings in dem Video „Sommerleute“, das ausschließlich auf dem Alexanderplatz rund um den „Brunnen der Völkerfreundschaft“ spielt. Hier sind die Szenen des Suchens und Sammelns auf der einen sowie des Tragens, Wegwerfens oder Abgebens auf der anderen Seite viel dichter verwoben als in „Kraft unsres Amtes“ – so sehr, dass sich gleichauf mit dem Eindruck eines „unkomponiert“ wirkenden Dokumentarismus eine beinahe balletthaft rhythmisierte Abfolge der Gesten und Handgriffe, der Auftritte und Abgänge einzelner Protagonisten herauskristallisiert. Mit diesem dichten Ineinander von präzise geschnittenen Sequenzen, die dabei stets auf der Direktheit subjektiver Kameraführung basieren, erzeugt Könnemann eine Bildsprache bzw. regelrecht einen Wahrnehmungsmodus der subtil übersteigerten Unmittelbarkeit. Sie nutzt die Subjektivierung der Bilder in ihren Filmen nicht primär zur Behauptung eines „persönlichen“ Blicks, sondern setzt die scheinbare Direktheit gezielt als ästhetisches Mittel ein: So funktionieren die Bilder in „Kraft unsres Amtes“ und „Sommerleute“ gleichsam als Folie geborgter Authentizität, in der komprimiert und drastisch gesellschaftliche Wirklichkeit vor Augen tritt.
Nina Könnemann, „Sommerleute“, Galerie Karin Guenther, Hamburg, 17. April – 22. Mai 2010