Mit einem Bein im Marktgeschehen – Joseph Beuys
Joseph Beuys zusammen mit Andy Warhol
Kunstwerke wie Aktionen basieren bei Joseph Beuys zumeist auf Slogans und Formeln, die so griffig wie einprägsam und humorvoll sind. So z.B. eines seiner vielen Motti „ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“, das er in der für ihn typischen Manier mit altdeutsch anmutender Schrift auf einen (leeren) Würstchenteller aus Pappe schrieb, wie um der Erwartung an den Künstler, dass er seine ganze Lebensenergie der Kunst widmen müsse, zugleich zu ent- und widersprechen. Denn auch wenn auf diese Weise behauptet wird, dass er sich durch Kraftvergeudung allein – sprich durch körperlichen Einsatz und Hingabe an seine Arbeit – ernähre, zeugt doch der leere Würstchenteller vom Gegenteil. Irgendjemand muss dieses Würstchen schließlich gegessen haben. Was den Humor und das Spiel mit paradoxalen Botschaften betrifft, haben jüngere Künstler wie Kippenberger und Oehlen viel von Beuys gelernt und dies obgleich oder gerade weil sie sich vehement von ihm abzugrenzen suchten. Zahlreiche Beuys-Arbeiten funktionieren wie ein Sprechakt – Worte werden zu Taten, Redensarten werden buchstäblich genommen und materialisieren sich. Dies bezeugt auch die Hintergrundsgeschichte, die in der aktuellen Beuys-Ausgabe der Zeitschrift „Sediment“ über eine seiner zahlreichen Postkarten erzählt wird, auf der „Staeck ist mein politischer Gegner“ zu lesen steht. Klaus Staeck war langjähriges SPD-Mitglied und im Zuge seines Engagements für die Grünen musste sich Beuys öffentlich von seinem alten Freund distanzieren. Auf einer Eröffnung soll er ihn als seinen politischen Gegner beschimpft haben, um diesen Ausspruch auf Verlangen von Staeck sogleich schriftlich festzuhalten und in besagte künstlerische Arbeit zu überführen. Solche Anekdoten sind zwar nicht mit der wahren Bedeutung von künstlerischen Arbeiten zu verwechseln, dennoch haben sie bei Beuys eine präzise, Bedeutung stiftende Funktion, weshalb sie den Arbeiten nicht äußerlich bleiben. In dem selben Maße, wie diese einen sozialen Hintergrund aufrufen insinuieren sie unausgesetzt, dass ihnen Leben, Erlebtes zugrunde liegt. So kommt es zu dem bis heute währenden Eindruck, dass die Arbeiten von Beuys irgendwie beseelt sind, dass sich in ihnen etwas verlebendigt. Sie legen Spuren, die unmittelbar in das (imaginierte) Leben von Beuys zurückführen.
Natürlich gibt es dieses Leben an sich gar nicht, es handelt sich dabei vielmehr um eine im hohen Maße vermittelte Angelegenheit. Der inszenierte Charakter dieses Lebens verstärkt sich bei Beuys noch dadurch, dass es inzwischen Gegenstand einer massiven retrospektiven Verklärung ist. Dennoch war es Beuys selbst, der für diese Unterfütterung seiner Arbeiten mit realen oder imaginären Lebensdaten gesorgt hat, was die berühmte Geschichte mit dem Flugzeugabsturz und seinem Leben unter Tartaren beweist. Obgleich dieser Flugzeugabsturz gar nicht stattgefunden hat, zeugt er doch von der Anstrengung von Beuys, Legenden zu produzieren und seine Arbeit an Lebensdaten zurückzubinden. Dies gilt auch für die kollektive Aktion „Wir betreten den Kunstmarkt“ von 1970, der die oben erwähnte Zeitschrift „Sediment“ dankenswerter Weise in diesem Jahr eine Sondernummer widmet. Man muss sich diesen Slogan „Wir betreten den Kunstmarkt“ einmal auf der Zunge zergehen lassen. In der Formulierung „betreten“ ist eine Schwelle impliziert, die erst überwunden werden muss. Der Kunstmarkt wird dadurch zu etwas territorial eindeutig Abgrenzbarem erklärt, das erst betreten werden muss. Die heute plausible Vorstellung, dass Marktverhältnisse die ganze Gesellschaft wie ein Netz umschließen, wäre damals wohl eher abwegig erschienen. Die ausschließlich männlichen Teilnehmer dieser Aktion suggerieren vielmehr, dass sie sich vor dem Betreten des Kunstmarkts noch auf Kunstmarktfreiem Terrain befunden hätten. Offenkundig wähnten Beuys, der Galerist Helmut Ryweklski, Wolf Wostell, und Klaus Staeck sich in einem Außerhalb des Markgeschehens – eine Verkennung, wie sich zeigen wird. Die Pointe dieser Aktion besteht nämlich darin, dass man sich mit ihr Einlass in den Kunstmarkt zu verschaffen suchte. In die Annalen der Geschichte ist diese Aktion denn auch als „Protestaktion gegen die Exklusivität des 1967 gegründeten Kunstmarkts“ eingegangen. Man protestierte folglich gegen die Abschottung dieser Veranstaltung, von der man verlangte, dass sie sich auch für Künstler und Editeure wie Staeck öffnen solle. In demselben Maße, wie man sich also außerhalb wähnte, wollte man rein in den Kunstmarkt. Dies wurde recht vehement zu verstehen gegeben – die Gruppe klopfte mit Schlüsseln an die Glaswand der Kölner Kunsthalle, um ihrem Wunsch nach „Öffnung“ mit dieser absichtlich platt wirkenden Symbolik Ausdruck zu verleihen. Interessant ist aus heutiger Sicht, dass es damals im Grunde darum ging, die eigene Vermarktung selbst in die Hand zu nehmen, indem man sich einen direkten Zugang zur Kunstmesse verschaffte. Rückblickend betrachtet handelt es sich bei dieser Aktion um die Urszene eines erweiterten Kompetenzprofils, das dem Künstler auch die Arbeit der Vermarktung zumutet. Je weniger Galerien heute selbstverständlich als Filter zwischen Künstler und Sammler fungieren, desto mehr müssen sich Künstler/innen selbst vermarkten, Anwesenheit zeigen, ihr Archiv verwalten und mit Sammlern verhandeln.
Man könnte diese Aktion auch als Allegorie für den Sachverhalt lesen, dass der Künstler generell mit einem Bein im Kunstmarkt steht und dies um so mehr, als er sich von ihm ausgegrenzt wähnt. Bei Beuys kann man sogar zeigen, wie eng er seine Arbeit mit dem Schicksal seines Galeristen verknüpfte. Dies konnte so weit gehen, dass die Semantik seiner Aktionen das Galeriegeschehen unmittelbar aufgriff. Als die Galerie René Block ihre Galerietätigkeit beendete, tat sie dies mit einer Beuys-Ausstellung und Aktion am 15.9.1979, die entsprechend „ja, jetzt brechen wir den Scheiss ab“ betitelt war. Wenn auch die Rede vom „Scheiss“ eine gewisse Distanz zum Marktgeschehen markiert, stellte sich Beuys mit dieser Aktion doch ganz in den Dienst der Galerie, um ihr einen perfekten Abgang zu sichern. Auch das von einem „Wir“ die Rede ist, scheint mir bezeichnend zu sein – beide, Galerist und Künstler, ziehen in der Perspektive von Beuys an einem Strang. Dafür, dass Beuys den Galeristen nicht als seinen Feind betrachtete und ausgesprochen geschäftstüchtig war, liefert diese Ausgabe zahlreiche Belege. So soll er sorgfältig abgewogen haben, welchem seinem Galeristen es welche Arbeiten zu geben galt und er vermied auch Exklusivverträge, was dafür spricht, dass er die Vermarktung seiner Arbeiten nicht aus der Hand geben wollte. So wie er als ausgesprochen großzügig geschildert wird, wird aber auch an die Preispolitik für seine phantastische Arbeit „Rudel“ erinnert, die sein Galerist René Block durchaus mit ihm abgestimmt habe. Block verlangte die damals horrend erscheinende Summe von 110.000 DM für diese Arbeit – ein Preis, von dem er heute sagt, dass er sich an den damaligen Preisen eines Warhol oder Rauschenberg orientiert hätte. Gegen eine solche Preispolitik, die eine künstlerische Bedeutung analog zu den Heroen der Pop Art (zu Recht) reklamiert, hatte Beuys offenkundig nichts einzuwenden. Zugleich machte er aber auch unausgesetzt Freundschaftspreise und verschenkte großzügig seine Arbeiten, wie um das Gesetz von Gabe und Gegengabe im Kunstbetrieb zu befolgen. Gefragt, was eigentlich an Beuys so faszinierend gewesen wäre, antworten alle in dieser Ausgabe Befragten mit dem gleichen Refrain – faszinierend sei er gewesen, weil er seine theoretischen Prinzipien gelebt und sich verausgabt hätte, bei ihm seien Leben und Arbeit vollständig zur Deckung gekommen. Diese Gleichsetzung zwischen Leben und Arbeit ist die zentrale Beuys-Fiktion, die er beständig zu beliefern wusste. Seine Arbeit ruft in der Tat unausgesetzt sein Leben auf, nur dass dieses mit seinem wahren Leben in einem Spannungsverhältnis steht, um eben nicht mit ihm in eins zu fallen.
Unerwähnt bleibt von den hier befragten Augenzeugen – in erster Linie seine ehemaligen Galeristen wie René Block, Erhard Klein und Heinz Holtmann - die Tatsache, dass es bei Beuys ganz klassisch Frau und Kinder waren, die ihm den Rücken freihielten und ihm diese Verausgabung erlaubten. Auch wenn es einige Aktionsphotos gibt, auf denen Beuys mit seinen Kindern in Erscheinung tritt, musste sich in seinem wirklichen Leben schließlich irgendjemand um diese Kinder kümmern, wenn er 48 Stunden lang in eine Decke gerollt lag. Dass Beuys von allen Zeitzeugen ein enormes Durchhaltevermögen bescheinigt wird, beweist jedoch einmal mehr, wie sehr die Überzeugungskraft seiner Arbeit von der Überzeugungskraft seiner Person lebte. Beides – Person und Arbeit – befeuern sich gegenseitig, ohne jemals – und dies ist meines Erachtens entscheidend - deckungsgleich zu werden. Womöglich hat das augenblicklich zu beobachtende Nachlassen der Beuys-Faszination unter jüngeren Künstler/innen auch damit zu tun, dass sich die Präsenz dieses Künstlers, auf die sein Werk so sehr angewesen war, posthum auf die Dauer doch ein wenig verflüchtigt?
Literatur: Sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels, Zentralarchiv des Internationalen Kunsthandels Zadik, Heft 16, 2009