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ZURÜCK ZUM REKURS Paula Stoica über „Serialität und Wiederholung: revisited“, hg. von Martina Dobbe und Francesca Raimondi

„Sturtevant: The Dark Threat of Absence“, Galerie Thaddaeus Ropac, Paris, 2003, Ausstellungsansicht

„Sturtevant: The Dark Threat of Absence“, Galerie Thaddaeus Ropac, Paris, 2003, Ausstellungsansicht

In der Kunst hat die Befragung des Seriellen und Repetitiven lange Tradition. Angefangen bei den historischen Avantgarden über Minimalismus und Pop Art bis zu appropriierenden künstlerischen Verfahren seit den 1980er Jahren – mit dem Paradigma der Wiederholung verband sich stets die Problematisierung der dichotomischen Entgegensetzung von Original und Kopie. Ein aktueller Sammelband widmet sich nun künstlerischen Praktiken, die Serialität und Wiederholung in zeitgenössischer Perspektive verhandeln. Inwiefern die hier diskutierten Formen der Reproduktion, des Reenactments und der Reinszenierung vor dem Hintergrund gegenwärtiger sozialer Entwicklungen überzeugen, argumentiert Paula Stoica.

Serialität und Wiederholung haben seit den 1960er Jahren veränderte Formen und Funktionen angenommen, was ihre Neubetrachtung erforderlich macht. Diesem Unterfangen widmet sich ein kürzlich von Martina Dobbe und Francesca Raimondi herausgegebener Sammelband. Erwiesen sich Wiederholung und Serialität in den Neoavantgarden der 1960er Jahren sowie in der Appropriation Art der 1980er Jahre noch als wirksame Strategien der Dekonstruktion modernistischer Kategorien (etwa des Neuen, der Originalität oder des autonomen Kunstwerks), gilt es vor dem Hintergrund sozioökonomischer Phänomene wie Neoliberalismus, Digitalisierung und Globalisierung nach ihrer aktuellen Funktion und Signifikanz zu fragen.

Mit Schwerpunkt auf künstlerische Praktiken der Gegenwart liefert der Band einen wichtigen Beitrag zur Forschung. Während im Diskurs um Serialität und Wiederholung unlängst die Neoavantgarden dominierten [1] , zielen jüngste Analysen unter anderem auf die Etablierung der Wiederholung als ästhetischen Grundbegriff. [2] Mit Reproduktionen, Reenactments, Reinszenierungen, Reperformances und weiteren rekursiven künstlerischen Formen rücken im vorliegenden Band eher lose Einsätze von Wiederholung und Serialität in den Fokus, wodurch, so die These der Herausgeberinnen, „bislang unbekannte Objekt- und Akteurverständnisse“ zum Vorschein kommen (10). Berücksichtigt werden in den zehn Aufsätzen, unter denen sich auch zwei künstlerische Beiträge befinden, die bildende und die darstellende Kunst sowie der Bereich des Kuratierens, was einen multiperspektivischen Blick auf die Thematik ermöglicht. Den besprochenen künstlerischen Strategien ist eine Abwendung von linearen Chronologien und Dichotomien – etwa Singularität und Wiederholbarkeit, Hoch- und Popkultur oder Moderne und Postmoderne – gemein, welche zugleich kritisch auf deren oft nicht weiter hinterfragte Reproduktion in den kunsthistorischen Diskursen verweisen.

Pierre Huyghe, „Untilled“, 2011–12

Pierre Huyghe, „Untilled“, 2011–12

So zeigt Dorothea von Hantelmann in ihrem Aufsatz zur Situierung des Kunstwerks bei Pierre Huyghe, dass prägende Gegensätze des 20. Jahrhunderts wie beispielsweise das autonome, mobile Kunstwerk und seine Negation im Ereignis in Huyghes Praxis aufgehoben sind. Einerseits sind seine komplexen, kontingenten Environments ortsspezifisch, da sie sich durch die Einbettung lebendiger und lebloser Elemente in bestehende Ökosysteme und deren Interaktionen entfalten. Künstlerische und organisch-biologische, sich wiederholende (Re-)Produktionsprozesse – und damit Natur und Kultur – greifen hier ineinander. Andererseits kann das Kunstwerk, als wiederholbare „strukturelle Entität“ (46), neu situiert werden. Huyghe verdeutlichte dies anhand der Variationen (Toronto, 2016; Japan 2017) seiner ursprünglich für die Documenta (13) angelegten Arbeit Untilled (2012). Wiederhol- und Unwiederholbarkeit treten hier nicht länger als Widersprüche auf. Der Rückgriff auf organisch-biologische Formen des Generativen relativiert die Rolle des Künstler*innensubjekts als produktive Kraft und knüpft an Bemühungen zur Überwindung des Anthropozentrismus (z. B. bei Donna Haraway oder in den Ansätzen der objektorientierten Ontologie) an.

Ähnlich verhält es sich mit den Begriffen Produktion und Reproduktion. Maria Muhle zeigt anhand von Elaine Sturtevants Reproduktionen der Werke anderer Künstler, wie Andy Warhol, Claes Oldenburg, Roy Lichtenstein und Jasper Johns, dass sich Sturtevants künstlerische Praxis nicht nur außerhalb der Repräsentationskritik der Appropriation Art bewegt, sondern auch die modernistische Frage nach der Essenz der Kunst wiederaufnimmt. Mit der Wiederholung des Produktionsprozesses leiste Sturtevant, so Muhle, eine Mimesis „nach dem Autor, nach dem Genie, nach dem Subjekt“ und damit eine „mindere Mimesis“ (62): Nicht nur unterlaufe sie die etablierte Moderne-Postmoderne-Dichotomie, auch leiste sie einen kritischen Kommentar auf das Konzept künstlerischer Autor*innenschaft und Originalität. Ihre Untersuchungen der Bildgenese mittels Reproduktion führten Sturtevant, wie Muhle argumentiert, in die Substruktur des Bildes und damit in das „Bildermilieu“, in dem die Bilder „zirkulieren und sich reproduzieren“ (77). Sturtevants Praxis nehme somit die spezifischen, von einer Subjektinstanz abgekoppelten Operations- und Zirkulationsmodi von Bildern im Digitalen vorweg.

Im Bereich des Performativen stellt der Sammelband anhand rekursiver Formate wie Reperformances und Reenactments die taxonomische Forschung infrage. Auf das Konzept des Körpers als alternative Archivform rekurrierend setzt Maren Butte die Performance als „Fortdauer des Flüchtigen“ dem gängigen Verständnis von den Aufführungskünsten als unwiederholbare, flüchtige Ereignisse entgegen (119). Sabine Huschka wiederum geht anhand tanzhistoriografischer Arbeiten, die sich den Herausforderungen einer Aneignung von vergänglichem Tanzwissen stellen, gegen das modernistische Verständnis von Tanz als ephemere und daher vermeintlich apolitische Gattung vor. Dabei adressiert die Autorin ein zentrales Problem der Tanzkunst und -geschichte: Wie kann vergangenes Körperwissen von Tänzer*innen angeeignet werden angesichts dessen Verlust durch den Tod?

Steve McQueen, „Caribs’ Leap“, 2002, Filmstill

Steve McQueen, „Caribs’ Leap“, 2002, Filmstill

Dass in der Wiederholung in Form rekurrierender zeitgenössischer Ausstellungsformate wie Biennalen und der Documenta auch eine Möglichkeit der Rekonfiguration unserer Gegenwart steckt, zeigt Nina Möntmann in ihrem Beitrag auf. Angesichts der Verschmelzung des Kunstsystems mit dem globalen Kapitalismus fragt die Autorin nach dem Vermögen der Kunst, nicht nur die aktive Beteiligung an der Etablierung der gegenwärtigen globalisierten (Kunst-)Welt zu reflektieren, sondern auch Möglichkeiten seiner Veränderbarkeit zu formulieren. Ihr Blick fällt zunächst auf die global angelegte Documenta 11 (2002). Mit Steve McQueens Videoarbeiten Carib’s Leap und Western Deep – beide für die D 11 produziert – habe die Kasseler Großausstellung, so Möntmann, für den Rückgriff auf historisch aufgeladene Momente plädiert, um ihre transformative Kraft für die Gegenwart und Zukunft produktiv zu machen. Western Deep zeige mit der Darstellung der kräftezehrenden, von Schwarzen Männern durchgeführten Arbeit in der südafrikanischen TauTona-Mine zugunsten des Profits multinationaler Corporations einen Missstand unserer vom globalen Kapitalismus geprägten Gegenwart auf. Carib’s Leap verweise dagegen mit dem von der Kamera begleiteten fallenden Schwarzen Körper auf den Widerstand der Bevölkerung auf Grenada gegen die Kolonialisierung im Jahr 1651. Der Ausbeutung durch die französische Kolonialmacht wurde mit dem Sprung von der Klippe namens Carib’s Leap der Freitod vorgezogen. Die Notwendigkeit einer korrektiven Alternative entspringe gerade dieser spannungsreichen Gegenüberstellung: Die Radikalität der widerständischen Geste angesichts der drohenden Kolonialmacht lasse die strenge Arbeit in der Mine als untätig hingenommene Ausbeutung durch aktuelle globalkapitalistische Kräfte zum Vorschein kommen. Ähnlich verhalte es sich Möntmann zufolge in Dora Garcías Arbeit auf der 11. Gwangju Biennale (2016). Diese bestand in einer Aktualisierung des Gründungsnarrativs der Biennale, nämlich des Gedenkens an den niedergeschlagenen Aufstand der zivilen koreanischen Demokratiebewegung von 1980. García rekonstruierte die Nokdu-Buchhandlung, die dem koreanischen Widerstand gegen die Militärdiktatur als Versammlungs- und Austauschort diente. Das an diesem historischen Ort kanalisierte widerständische Potenzial soll durch die Rekonstruktion der Buchhandlung als Austausch- und Erinnerungsort für die Gegenwart produktiv gemacht werden.

Die hier dargestellten rekursiven Akte, wie etwa McQueens und Garcías Rückgriffe auf historische Ereignisse, versuchen sich von hegemonialen Erzählungen zu befreien, indem sie diesen alternative Entwürfe der Gegenwart und der Zukunft entgegensetzen. Reproduktionen, Reenactments, Reinszenierungen und weitere rekursive Strategien markieren also nicht nur ein neu entfachtes Interesse der Gegenwart an Geschichte. [3] Auch koppeln sie künstlerische Produktion tendenziell vom Künstler*innensubjekt ab und stellen somit tradierte Konzepte wie Autor*innenschaft, Originalität und Singularität infrage. In der angebotenen Rehabilitierung rekurrierender Formate und dem Aufzeigen ihres aktiven Potenzials liegt der Verdienst dieses Bandes.

Serialität und Wiederholung: revisited, hg. von Martina Dobbe/Francesca Raimondi, Berlin: August Verlag, 2021, 220 Seiten.

Paula Stoica promoviert zurzeit über das Werk von Hanne Darboven an der Universität Basel. Seit Oktober 2021 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Documenta-Institut.

Image credits: 1. © Estate Sturtevant, Paris. Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London, Paris, Salzburg, Seoul; 2. Courtesy the artist, Marian Goodman Gallery, New York, Esther Schipper, Berlin; commissioned and produced by dOCUMENTA (13) with the support of Colección CIAC AC, Mexico, Fondation Louis Vuitton pour la création, Paris, Ishikawa Collection, Okayama, Japan, © Pierre Huyghe; 3. © Steve McQueen, commissioned by Documenta and Artangel, courtesy the artist, Thomas Dane Gallery and Marian Goodman Gallery; 4. © August Verlag

Anmerkungen

[1]Vgl. etwa Elke Bippus, Serielle Verfahren. Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism, Berlin 2003; sowie Joy Kristin Kalu, Ästhetik der Wiederholung. Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances, Bielefeld 2013.
[2]Vgl. Till Julian Huss/Elena Winkler (Hg.), Kunst & Wiederholung. Strategie, Tradition, ästhetischer Begriff, Berlin 2017.
[3]Vgl. Juliane Rebentisch, Theorien der Gegenwartskunst. Zur Einführung, Hamburg 2013; sowie Peter Osborne, Anywhere Or Not At All. Philosophy of Contemporary Art, London 2013.