WHO LET THE MEN OUT? Steph Holl-Trieu und Sophia Rohwetter über Raphaela Vogel in der Galerie Meyer Kainer, Wien
Nachdem sie auf ihre Frage „Where have all the interesting women gone?“ keine Antwort gefunden zu haben scheint, widmet sich die Philosophin und Kulturkritikerin Nina Power (der man angesichts ihrer Hinwendung zu neokonservativen Positionen diese Frage wohl selbst stellen könnte) nun den Männern, insbesondere Incels und anderen Men Going Their Own Way (MGTOW). Ihr neues Buch What Do Men Want? Masculinity and Its Discontents (2022) befragt das Begehren des Mannes und findet es in der Vaterfigur, jener paternalistischen Instanz, die laut Power vom feministischen Kampf gegen das Patriarchat und der infantilisierenden Cancel Culture zu Unrecht mit abgeschafft werden soll. Unter dem Vorwand einer Kritik am Lifestyle-Feminismus, der mit „Smash the Patriarchy“ bedruckten Tassen auskommt, begibt sie sich auf die Suche nach den verloren gegangenen Vätern und greift dabei nach einer anderen Tasse: „I have a mug with Putin riding a bear and Trump holding a gun and riding a lion that a friend brought back from Russia.“ [1] Obwohl diese Formen der Männlichkeit oft Ekel und Abneigung hervorriefen, müsse ihr Erfolg, so Power, auf ein bestimmtes Bedürfnis, Begehren oder gesellschaftliches Desiderat hindeuten.
Verkörperungen von dominanter, monumentaler Männlichkeit finden sich auch in „Mit der Vogel kannst du mich jagen“, Raphaela Vogels erster Einzelausstellung in der Wiener Galerie Meyer Kainer. Vogel behauptet und betrauert aber im Gegensatz zu Power nicht den Verlust dieser Männlichkeit. Vielmehr konfrontiert sie diese mit einem heterogenen Ensemble männlicher Archetypen aus Mensch- und Tierwelt, verdichtet und zerschlägt maskuline Bilder und patriarchale Vorbilder und setzt dabei zeitgenössische sowie historische Männlichkeitsfantasien in surrealen Bilderwelten und absurden Kompositionen neu zusammen. Besinnt Power sich zurück auf traditionell männlich kodierte Werte und Tugenden wie Ehre, Treue, Mut und die „gute“ Vaterfigur, treten bei Vogel König, Hooligan, Liebhaber, Exfreund, Protz und Schlappschwanz in einer Fabel ohne Epimythion auf.
Der König der Tiere, der auf Powers Tasse von Trump geritten wird, hängt als erster Teil der Installation Für uns (2021) herrenlos und vom Sockel geschlagen in zweifacher Ausfertigung, Pfote an Pfote, den Hintern in Richtung Decke gestreckt, an einer Stahlrohrkonstruktion im Vorraum der Galerie. Aus Kugellautsprechern, die jeweils von einem Septumpiercing aus der Nase des Tieres hängen, skandiert ein Männerchor: „Für uns!“ Dass es sich hierbei um Stimmen von Fußballfans handelt, wird erkennbar, sobald die Borussia-Dortmund-Torhymne „Olé, hier kommt der BVB“ ertönt. Diese entstand 1993 während eines Auswärtsspiels bei Bröndby Kopenhagen, in jenem Jahr, als das Pet Shop Boys-Cover des Village-People-Disco-Hits „Go West“ die Charts stürmte. Fußballfans ersetzten den Songtext „Go West! Life is peaceful there“ mit ihrem eigenen Schlachtruf. So kam es, dass die kommunistische Hymne – „Go West“ beruht ursprünglich auf der Melodie und Harmonie der Nationalhymne der Sowjetunion – von der Gay Liberation zum BVB wanderte und die gleiche Fußballkultur, die bis heute mit Maskulinismus und Homophobie zu kämpfen hat, die Erfolge „ihrer Jungs“ mit der Melodie einer „Schwulenhymne“ ehrt. Aber was und wen meint „Für uns“ eigentlich? Versteht es sich als kommunistische Forderung (als Expropriation der Expropriateure), als Siegesruf (eines Sportvereins, einer Gemeinschaft, einer Nation), als Solidaritätsbekundung unter Männern oder doch als Rückzug ins Private (in die RZB, in die Kernfamilie)?
Der zweite Teil der Installation Für uns (2021) besteht aus einer Videoskulptur, die sich im Mezzanin der Galerie befindet. Der aus Bronze gegossene griechisch-mythologische Held Bellerophon hält den Beamer, während er den sich aufbäumenden Pegasus zu zähmen versucht, aus dessen Maul die Verkabelung austritt. Das Video erscheint auf einer gelb gefärbten, ledernen Leinwand. Wieder ertönt der Sound aus Kugellautsprechern, die von gedoppelten Bronzegüssen an Stahlrohrkonstruktionen herabhängen. Diesmal sind es keine Löwen, sondern Gefäße, die an die Rubinsche Vase erinnern, bei der die visuelle Wahrnehmung zwischen dem Bild einer Vase und dem Bild von zwei einander zugewandten Gesichtern oszilliert. Das Video, das in typisch Vogelesquer Manier im Kugelpanorama Schwindel erregt, beginnt mit einer ein Reklameheft fressenden Katze, die von dem aggressiven Flügelschlag einer Drohne wie von einem Helikopter-Vater umkreist wird. Die geografisch unspezifische Straßenkatze wird im Begleittext von Rollo du Chateau (vermutlich ein Pseudonym Diedrich Diederichsens und nicht Rollos, Vogels Pudel) in Thailand lokalisiert. Gerade weil sie keine thailändische Siamkatze ist, sondern eine „universelle, skeptische, lakonische“, verschlinge die Katze neben den Versprechungen der Konsumgesellschaft auch die exotistischen Erwartungen westlicher Tourist*innen.
Mit der universellen Katze und dem Kugelpanorama, das zugleich sphärisch und klaustrophobisch wirkt, evoziert das Video eine glokale Welt, in der Bangkok nur einen kurzen Drohnenflug von Berlin entfernt ist. Dieselbe Drohne steigt jetzt über das vom Architekturatelier Bruno Paul entworfene Kathreiner-Hochhaus am Kleistpark, dessen Bau 1928 unter der Bedingung genehmigt wurde, dass auf der anderen Seite der barocken Königskolonnaden ein weiteres Hochhaus errichtet werden würde. Als dieser Forderung nachgekommen wurde, war es bereits 1938, die Nazis waren an der Macht, und die Bauleitung der Reichsautobahn zog ein, gleich neben der Hauptvereinigung der Deutschen Milch- und Fettwirtschaft. Über Ecken und Rotationsbewegungen verbindet sich die Geschichte des Kleistparks wieder mit dem BVB, erinnern Akronym und Logofarben des Vereins doch an die BVG (Berliner Verkehrsbetriebe), die das Verwaltungsgebäude unmittelbar nach Kriegsende bezogen.
Die Drohne in Vogels Video dreht sich Richtung Westen, im Hintergrund ist nun das Kammergericht zu sehen, wo 1971 das letzte Viermächteabkommen unterzeichnet wurde. Rollo (Diederichsen, nicht der Hund) läuft ins Bild und auf die Künstlerin zu, küsst sie zur Begrüßung. Ein Kamel nimmt den Kuss auf. Indem der Kleistpark als historischer Ort und unmittelbarer Lebensraum der Künstlerin mit dem Mittelmeerraum, wo sie Tiere aus Südeuropa und Nordafrika trifft, eingemeindet wird, wird ein gewisser Bedeutungszusammenhang und ein bestimmtes „Für uns“ zwar arbiträr, aber bestimmt konstruiert. Grenzziehungen zwischen „uns“ und „nicht uns“, wie diejenigen entlang der Nord-Süd-Achse, des eigenen und des gegnerischen Teams, vermengen sich mit privaten Ein- und Ausschlüssen. Fußballgegröl wird von Babygeschrei überlagert, der Kussversuch des Kamels wird von Vogels gesanglicher Interpretation eines passiv-aggressiven Briefes ihres Exfreundes und einer Schubert-Paraphrase begleitet: „Wenn du mir etwas Gutes tun willst, dann geh mir aus dem Weg.“ Ähnlich beleidigt erscheint ein balzender Pfauenhahn, der, obwohl er einer Henne sein Federkleid protzend zur Schau stellt, von dieser kaum beachtet wird. Das Bild des Pfaus (wie Vogels Exfreund, ein verlassener MGHOW) mutiert zur Drohne, die, umgeben vom Schaum brechender Wellen über das Mittelmeer fliegt, um auf Vogels Po zu landen, die in fliegender Hocke ihr Revier markiert. Wieder Rollo (also Diederichsen): „So entstand das Mittelmeer.“
Weit weniger schöpferisch als Vogels Urin mutet im Hauptraum der Galerie die raumgreifende Installation Können und Müssen (2022) an, die aus einem überlebensgroßen anatomischen Modell eines erektionsgestörten Penis besteht. Eine feine goldene Kette zieht sich durch die Harnsamenröhre und ist über eine penispumpenartige Maschine an eine skeletthafte Giraffenkarawane gespannt, die versucht, den Schwanz abzuschleppen oder ihn wieder aufzurichten. Eine erschöpfte Männlichkeit, die das Pendant zu Vogels Arbeit Uterusland (2017) bildet, bei der ein Pferd in Pesade an ein anatomisches Modell einer ebenfalls kranken weiblichen Brust vernabelschnurt wird. Pferd und Giraffen sind aus Polyurethan gefertigt – ein Material, das an erstarrte weiße Flüssigkeit, an Muttermilch oder Sperma erinnert. Edukative Plaketten benennen die anatomische Struktur des Penis und weisen auf die Genitalwarzen und Karzinome des schlappen Gliedes hin. Der Penis ist mehr phobisches Objekt als Phallus. Kein symbolischer Vater, einfach nur krank. „Einen Penisneid krieg ich sicher nicht davon“ [2] , bemerkt eine Kritikerin. Der Penis wird vollständig zum Mangel, als er kurz vor Ausstellungsende tatsächlich abtransportiert wird, um auf der Venedig-Biennale ausgestellt zu werden. Statt seiner müssen in Wien dann am Boden kriechende Tiger mit Eiern und Augen aus Christbaumkugeln und einem mit Polyurethan-Sperma bespritzen Engelskopf als Symptom, als Ersatzbefriedigung herhalten. Wo ist der Penis? Where has all the interesting art gone?
Das fragt sich auch Adam Lehrer, der wie Power Kolumnist des kürzlich gelaunchten Onlinejournals compact ist, dessen behauptete Radikalität sich in vorhersehbaren Provokationen erschöpft. In einem Essay, der nur als geistig impotenter Versuch verstanden werden kann, argumentiert Lehrer, dass die MeToo-Bewegung für männliche Künstler (gemeint sind hier ausschließlich heterosexuelle) eine Form der ästhetischen Kastration darstelle, die es ihnen verbiete, ihr Begehren auszudrücken. Auch Vogel beschneidet das männliche Begehren, nicht aber um Verbote zu erteilen oder Kastrationsangst zu schüren; sie klammert das Wollen aus, um über Können und Müssen, über Potenz und Zwang von Männlichkeit zu sprechen. Denn auch oder gerade ein antiphallischer Schlappschwanz, der nicht mehr kann, aber muss, kann politisch sein. Versucht Power die angeblich bedrohte Männlichkeit unter dem Zeichen eines antikapitalistischen Widerstands der paternalistischen Sorge zu retten, reduziert Vogel Männlichkeit nicht auf ihre väterliche Vorbildfunktion, sondern lässt sie in ihren vielschichtigen, historischen und zeitgenössischen, ästhetischen und ideologischen Formen erscheinen. Für uns bleibt ambivalent, klingt nach Kollektivität und Kommunismus, nach Fußball und Krieg, nach RZB und gebrochenem Herzen. Monumentale, kriegstreiberische, beim Fußball grölende Männlichkeit begegnet hier einem schlaffen Schwanz, Gay Liberation, animalischer, mythologischer Männlichkeit und in sphärischen Umkreisungen immer auch sich selbst.
„Raphaela Vogel: Mit der Vogel kannst Du mich jagen“, Galerie Meyer Kainer, Wien, 28. Januar bis 26. März 2022.
Steph Holl-Trieu ist Kunstwissenschaftlerin und lebt in Berlin und Wien.
Sophia Rohwetter ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin und lebt in Wien.
Image credit: Courtesy of Galerie Meyer Kainer, Wien
Anmerkungen
[1] | Nina Power, What Do Men Want? Masculinity and Its Discontents, 2022, S. 140f. |
[2] | Claudia Aigner, „Raphaela Vogel. Mich laust die Giraffe“, Wiener Zeitung, 17.03.2022. |